Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.10.2007

OVG NRW: europa, verfügung, firma, verordnung, transport, offenkundig, inhaber, disposition, frachtvertrag, entscheidungskompetenz

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 1585/07
Datum:
22.10.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 1585/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 L 433/07
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 21. August 2007 wird auf
Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der
von der Antragstellerin dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.
2
Die verwaltungsgerichtliche Ablehnung des Antrags der Antragstellerin, den
Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr für einen
namentlich benannten türkischen LKW-Fahrer eine Fahrerbescheinigung im
grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr auszustellen, begegnet keinen Bedenken. Der
Senat schließt sich dabei dem Verwaltungsgericht an und zwar sowohl hinsichtlich der
genannten maßgebenden europarechtlichen Rechtsvorschriften (EWG-Verordnung Nr.
881/92, EG-Verordnung Nr. 484/2002) als auch hinsichtlich der in Auswertung der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und nationaler Obergerichte erfolgten
Wertung, der Antragstellerin stehe wegen fehlender Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in
der Hauptsache ein Anordnungsanspruch nicht zu. Dies gilt insbesondere auch in
Bezug auf die Erwägung des Verwaltungsgerichts, bei summarischer Prüfung spreche
viel dafür, dass der von der Antragstellerin auf ihren LKW eingesetzte türkische Fahrer
von dessen türkischen Arbeitgeber als Leiharbeitnehmer zur Verfügung gestellt werde,
letzterer aber nicht im Besitz der dafür nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz -
AÜG - erforderlichen Genehmigung sei.
3
Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 13. September 2007
4
- 3 C 49.06 - zu Hess. VGH, Urteil vom 18. Juli 2006 - 2 UE 2037/05 - (zitiert im
angefochtenen Beschluss).
5
Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin ist nicht geeignet, eine andere
Entscheidung zu rechtfertigen.
6
Auch nach Auffassung des Senats ist es nicht gerechtfertigt, die bezüglich des
Einsatzes türkischer Fahrer auf ihren LKW relevanten vertraglichen Beziehungen der
Antragstellerin zu ihren türkischen Kooperationspartnern als Werksvertragsverhältnis,
das vom AÜG nicht erfasst würde,
7
vgl. BAG, Urteil vom 6. August 2003 - 7 AZR
8
180/03 -, BB 204, 669,
9
einzustufen.
10
Für die Annahme eines Dienst- oder Werkvertrags ist kennzeichnend, dass die
eingesetzten Arbeitnehmer der Weisung ihres Arbeitgebers unterliegen und dessen
Erfüllungsgehilfe sind, während bei einem Leiharbeitsverhältnis die Arbeitskräfte in den
Betrieb des Entleihers eingegliedert sind und ihre Arbeiten nach dessen Weisungen
ausführen. Der von der Antragstellerin vorgelegte Kooperationsvertrag mit der Firma T.
..., J. , vom 01.11.1994 enthält - möglicherweise bewusst - keine konkreten Regelungen
zur Frage, welchem der beteiligten Unternehmer die eingesetzten türkischen Fahrer, die
der Antragstellerin von den türkischen Kooperationspartnern für die Fahrtroute Europa/
Nah-Mittel-Ost (Türkei) zur Verfügung gestellt werden, weisungsunterworfen sind. Dass
die türkischen Fahrer während der gesamten Fahrt und insbesondere auch während der
Fahrtstrecke in Deutschland allein Weisungen ihres türkischen Arbeitgebers und nicht -
auch/ ausschließlich - der Antragstellerin unterworfen sein sollen, ist bei realistischer
Betrachtung nicht glaubhaft und deshalb nicht überzeugend. Unabhängig von den damit
schon wegen der Entfernung verbundenen Problemen in der praktischen Durchführung
kann bei verständiger und realitätsbezogener Betrachtung nicht davon ausgegangen
werden, dass es tatsächlich dem Willen und der Intention der Antragstellerin (und ihrer
türkischen Kooperationspartner) entspricht, dass die Antragstellerin - auch für die
Fahrtstrecken in Deutschland - auf alle unternehmerischen Einflussmöglichkeiten und
Weisungsbefugnisse gegenüber den türkischen Fahrern in der Durch- und Ausführung
der Frachtaufträge verzichtet und für die Fahrer allein eine ausschließliche
Weisungsbefugnis des in der Türkei ansässigen Partnerunternehmens anzunehmen ist.
Dies gilt schon angesichts des Umstands, dass für die gesamte Fahrtroute LKW der
Antragstellerin und nicht solche der türkischen Kooperationspartner zum Einsatz
kommen. Schon allein dieser Umstand lässt die Annahme als äußerst fernliegend und
lebensfremd erscheinen, dass sowohl das Fahrzeugmaterial als auch der
entsprechende Fahrer der Disposition der Antragstellerin gänzlich entzogen sein sollen.
Dies würde u. a. mehr oder weniger zu einem Leerlaufen der der Antragstellerin erteilten
Gemeinschaftslizenz für die Durchführung grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs
führen, zumal insofern ein untrennbarer Zusammenhang zwischen dieser und der
Fahrerbescheinigung besteht, als die Fahrerbescheinigung nach Art. 6 Abs. 2 EG-VO
Nr. 881/92, Nr. 484/2002 (nur) dem Inhaber der Gemeinschaftslizenz ausgestellt wird.
Die Antragstellerin behauptet zwar eine uneingeschränkte Dispositionsbefugnis der
11
Speditionsfirma in der Türkei, tatsächlich gesehen ist die türkische Firma mangels
eigener geeigneter Fahrzeuge und wegen fehlender entsprechender Lizenzen aber
offenkundig nicht in der Lage, die im Rahmen grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs
in Europa anfallenden Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und
Gegebenheiten zu organisieren und durchzuführen. Überdies lässt auch die
Beteiligtenstellung in diesem und dem früheren gerichtlichen Verfahren (VG
Gelsenkirchen - 7 L 2482/03 -, OVG NRW - 13 B 765/04 - ) erkennen, dass allein die
Antragstellerin in dem gesamten Vertragsgeflecht mit den türkischen
Kooperationspartnern und den eingesetzten türkischen LKW-Fahrern als "die treibende
Kraft" erscheint.
Angesichts dieses realistischerweise anzunehmenden Hintergrunds vermag auch der
Hinweis der Antragstellerin, unter Berücksichtigung der handelsrechtlichen Vorschriften
zum Frachtgeschäft (§§ 407 ff. HGB) bzw. zum Speditionsgeschäft (§§ 453 ff. HGB)
müsse ihr Vertragsverhältnis zum türkischen Kooperationspartner als
Werkvertragsverhältnis eingestuft werden, der Beschwerde nicht zum Erfolg zu
verhelfen.
12
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2007 - 3 C 49.06 -.
13
Zwar kann ein Lohnfuhrvertrag, als der der Kooperationsvertrag vom 01.11.1994
bezeichnet ist, als Sonderform des Frachtvertrages (§§ 407 ff. HGB) angesehen werden.
Wie bereits das Verwaltungsgericht geht aber auch der Senat davon aus, dass die in der
Kooperationsvereinbarung enthaltenen Bestimmungen und Bezeichnungen der
Vertragsbeteiligten nicht der tatsächlichen Durchführung des Vertrags und dem
wirklichen Willen der Vertragsparteien entsprechen, und dass vieles dafür spricht, in
Bezug auf die Antragstellerin den eigentlichen Hintergrund darin zu sehen, durch die
nach türkischem Standard entlohnten und sozialversicherten Fahrer
Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Eine ständige ausschließliche Weisungsbefugnis des
türkischen Kooperationspartners gegenüber den eingesetzten LKW-Fahrern, die auch
bei den Fahrtstrecken in Deutschland bzw. Europa greift, ist - wie dargelegt - schon aus
Gründen der praktischen Durchführbarkeit nicht denkbar. Sie wird auch nicht belegt
durch die exemplarische Vorlage von Abrechnungsvorgängen eines Transport-
Rundlaufs von der Türkei über Staaten Europas zurück in die Türkei, zumal sich aus
diesen Unterlagen ergibt, dass der Antragstellerin direkt Transportaufträge erteilt werden
und die Antragstellerin Frachtrechnungen im eigenen Namen an Versender ausstellt.
Bei einem typischen Frachtvertrag und bei der von der Antragstellerin behaupteten
Konstellation der alleinigen Organisations- und Entscheidungskompetenz der
Speditionsfirma in der Türkei wäre aber diese Vertragspartner des Frachtvertrags und
hätte diese auch die vereinbarte Fracht zu zahlen.
14
Vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., § 407 Rdnrn. 12, 15.
15
Auf die Entscheidungen des Sozialgerichts Nürnberg vom 12./13. Mai 1997 mit der
Verpflichtung der damaligen Bundesanstalt für Arbeit, davon auszugehen, dass im
grenzüberscheitenden Güterkraftverkehr eingesetzte türkische Arbeitnehmer (Fahrer)
keiner Arbeitserlaubnis bedürften, die in dem o. a. Verfahren eine Rolle gespielt haben,
kann sich die Antragstellerin nicht (mehr) mit Erfolg berufen. Zum einen sind für die
Frage der Ausstellung von Fahrerbescheinigungen nunmehr Bestimmungen
maßgebend, die zum Zeitpunkt der angegebenen sozialgerichtlichen Entscheidungen
noch nicht erlassen waren.
16
Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 8. August 2006
17
- 11 CE 05.2152 -.
18
Zum anderen liegt nach heutigem Erkenntnisstand eine andere als die seinerzeit
erfolgte Bewertung und Gewichtung der nach Rücknahme der jeweils eingelegten
Beschwerden rechtskräftig gewordenen Beschlüsse des Sozialgerichts Nürnberg nahe,
zumal entsprechende gerichtliche Hauptsacheverfahren zu deren Problematik nicht
anhängig waren.
19
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
20
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG.
21
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
22
23