Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.02.2009

OVG NRW: dosierung, kommission, arzneimittel, auflage, homöopathie, angemessene frist, begriff, anfechtungsklage, form, daten

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 385/07
Datum:
11.02.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 A 385/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 24 K 8133/04
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das angefochtene Urteil des
Verwaltungsgerichts Köln vom 22. November 2006 geändert.
Die Auflage A.2 im Nachzulassungsbescheid der Beklagten vom 22.
Oktober 2004 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, über die Verlängerung der Zulassung für
das Fertigarzneimittel "Glonoinum Vertigo Hevert" hinsichtlich der
beantragten Dosierungsvorgabe: "Soweit nicht anders verordnet: Bei
akuten Zuständen alle halbe bis ganze Stunde, höchstens 12-mal
täglich, je 10 Tropfen einnehmen. Bei chronischen Verlaufsformen 3-mal
täglich 10 Tropfen einnehmen." neu zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen in beiden Rechtszügen die Beklagte
zu ¾ und die Klägerin zu ¼.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist Inhaberin der arzneimittelrechtlichen Zulassung für das
apothekenpflichtige Fertigarzneimittel "H. W. I. " in der Darreichungsform Mischung mit
dem Anwendungsgebiet "Die Anwendungsgebiete leiten sich von den
homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Beschwerden bei
Hirngefäßverkalkung wie Schwindel, Kopfschmerzen. ..." Die arzneilich wirksamen
Bestandteile sind - bezogen auf 10 ml - Cocculus Dil. D5 5 ml und H. Dil. D6 5 ml.
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Antragsgemäß erteilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
mit Bescheid vom 22. Oktober 2004 die Verlängerung der Zulassung (Nachzulassung)
und erließ zu dem Bescheid zahlreiche Auflagen. Im vorliegenden Verfahren ist die
nachstehende Auflage streitig:
3
"A.2 Dosierung Hier ist zu formulieren:
4
"Soweit nicht anders verordnet: Bei akuten Zuständen alle halbe bis ganze Stunde,
höchstens 6 mal täglich, je 5 Tropfen einnehmen. Eine über 1 Woche hinausgehende
Anwendung sollte nur nach Rücksprache mit einem homöopathisch erfahrenen Arzt
oder Heilpraktiker erfolgen. Bei chronischen Verlaufsformen 1-3 mal täglich je 5 Tropfen
einnehmen. Bei Besserung der Beschwerden ist die Häufigkeit der Anwendung zu
reduzieren."
5
Begründung:
6
Die Formulierung entspricht der von der Kommission D auf der 18. Sitzung der
Kommission D am 12. Juni 2002 verabschiedeten und auf der 20. Sitzung der
Kommission D am 25. Juni 2003 überarbeiteten Dosierungsangabe für homöopathische
Arzneimittel, für die keine präparatespezifischen Untersuchungen zur Dosisfindung
vorliegen.
7
Abweichende Dosierungen können per Änderungsanzeige mitgeteilt werden. Hierbei ist
die Unbedenklichkeit und Überlegenheit der abweichenden Dosierung durch
präparatespezifische Untersuchungen zu belegen."
8
Am 17. November 2004 hat die Klägerin Klage gegen diese Auflage erhoben und zur
Begründung geltend gemacht:
9
Die von ihr beantragte Dosierung orientiere sich an den Dosierungsempfehlungen der
Kommission D vom 2. Juli 1993 (BAnz. Nr. 177 vom 29. September 1993, S. 9097), die
sie im Rahmen des gesetzlichen Auftrags gemäß § 25 Abs. 7 Satz 1 AMG a. F.
erarbeitet habe; hierbei sei das wissenschaftliche Erkenntnismaterial bestimmter
Arzneimittel aufzubereiten gewesen. Seit Inkrafttreten des 5. AMG-Änderungsgesetzes
könne die zuständige Kommission nach § 25 Abs. 7 AMG n. F. nur noch zur
Vorbereitung der Entscheidung über die Verlängerung von Zulassungen nach § 105
Abs. 3 Satz 1 AMG beteiligt werden. Die Dosierungsempfehlungen von 1993 hätten im
Wesentlichen den einschlägigen Erfahrungen entsprochen. Therapeuten hätten sie
grundsätzlich akzeptiert und entsprechend dem stets geltenden Vorbehalt "soweit nicht
anders verordnet" den individuellen Gegebenheiten der Patienten angepasst.
Demgegenüber werde die "neue" Dosierungsempfehlung von den Therapeuten nicht
akzeptiert.
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Vor Änderung der Dosierungsempfehlungen seien die Fachgesellschaften der Ärzte
und Heilpraktiker, die Verbände der pharmazeutischen Industrie und die Hersteller
dieser Arzneimittel und die Klägerin zu hören gewesen. Die Kommission D sei bei
Erstellung der neuen Dosierempfehlungen nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen; das
Auswahlverfahren für die Kommissionsmitglieder sei gesetzlich nicht hinreichend
bestimmt. Die neue Dosierungsempfehlung enthalte keinerlei fachliche Begründung.
Soweit in dem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Protokoll über die Sitzung der
Arbeitsgruppe "Dosierung homöopathischer Arzneimittel" vom 11. Juni 2002 ausgeführt
sei "Die Anwender sehen, gestützt auf die homöopathische Literatur und auf die
therapeutische Erfahrung, ein erhebliches Gefährdungspotenzial durch zu große, zu
häufige und zu langfristige Gabe homöopathischer Arzneimittel in Form von
Erstverschlimmerungen und Auftreten einer Arzneimittelprüfsymptomatik. Dies gilt
insbesondere für die unkontrollierte Einnahme i.R. einer Selbstmedikation, besonders
von Hochpotenzen.", gebe es für diese Behauptung keine Belege. Sie sei - wie sich aus
den von der Klägerin eingeholten im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Gutachten Dr.
N. -H1. und Dr. L. ergebe - aus der Luft gegriffen. Soweit das BfArM die neue
Dosierungsempfehlung der Kommission D bei Nachzulassungsentscheidungen
pauschal übernehme, ohne die Gegebenheiten des betroffenen Arzneimittels zu
berücksichtigen, stehe dies im Widerspruch zu § 25 Abs. 7 AMG n. F. Das BfArM könne,
wie auch § 109a Abs. 4a AMG verdeutliche, stets von Empfehlungen der Kommission
abweichen und habe dies nur zu begründen. Sie dürfe sich aber nicht bei der
Beauflagung hinter einem Votum der Kommission verstecken und die darin enthaltenen
Vorgaben ungeprüft übernehmen. Dies komme einem Begründungsmangel gleich. Das
BfArM trage die Darlegungslast dafür, dass seine Auflage fachlich zutreffend und
insbesondere die frühere Dosierungsempfehlung von 1993 unrichtig gewesen sei.
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Eine fachliche Bewertung der neuen Dosierungsempfehlungen scheitere, da zugrunde
liegendes Erkenntnismaterial nicht bekannt gemacht worden sei. In der Mitteilung über
die 18. Sitzung der Kommission D vom 12. Juni 2002 heiße es dazu lediglich, eine
Überarbeitung der bestehenden Dosierungsempfehlungen werde als notwendig
angesehen, um sowohl die Aspekte des Selbstverständnisses und der Eigenerfahrung
der Therapierichtung als auch die Belange des Patientenschutzes in der
Selbstmedikation besser zu berücksichtigen. Welche Kriterien bei der Auswahl der
herangezogenen Literatur angelegt worden seien und wie sichergestellt worden sei,
dass die Erfahrungen mit homöopathischen Kombinationsarzneimitteln möglichst
vollständig in die Beurteilung mit eingegangen seien, bleibe unklar. Die vom BfArM im
Klageverfahren vorgelegte Literatur beschäftige sich ausschließlich mit der
Einzelmittelhomöopathie (klassischen Homöopathie), obwohl die
Anwendungsmodalitäten für homöopathische Einzelmittel (klassische Homöopathie)
nicht 1:1 auf homöopathische Kombinationsmittel (Komplexmittelhomöopathie)
übertragen werden könnten. Das von dem BfArM postulierte Grundprinzip der möglichst
kleinen Arzneimittelgabe lasse der vorlegten Literatur so nicht entnehmen, weil sie
kaum Angaben zur Gabengröße enthalte. Das BfArM stelle selbst fest, dass für
homöopathische Arzneimittel keine allgemeingültigen Angaben dazu getroffen werden
könnten, in welcher Dosierung das jeweilige Mittel wirksam und unbedenklich sei. Die
vom BfArM angegebene Literatur untermauere nicht die für die beantragte höhere
Dosierung postulierten Risiken. Inhaltlich sei weder nachvollziehbar noch belegt, dass
sich das Selbstverständnis und die Eigenerfahrung in der homöopathischen
Therapierichtung in den letzten 10 Jahren grundlegend gewandelt hätten. Vielmehr
ergebe sich aus der homöopathischen Fachliteratur, dass eine Einschränkung der
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Dosierung insbesondere hinsichtlich der Häufigkeit der Gabe keineswegs der
Eigenerfahrung der Therapierichtung entspreche, sondern der Behandlungserfolg
entscheidend von der Anpassung der Dosierung an die jeweilige Reaktionslage des
Organismus abhängig sei. Für jeden Patienten gebe es eine individuell unterschiedliche
optimale Dosierung des zu seiner Krankheit passenden homöopathischen Arzneimittels.
Dem entspreche die alte Dosierungsempfehlung von 1993 insoweit, als sie eine
größere Variationsbreite (von 1 mal 5 Tropfen bis 12 mal 10 Tropfen) beinhalte.
Der Hinweis auf Belange des Patientenschutzes in der Selbstmedikation greife nicht.
Das streitgegenständliche Arzneimittel sei im Verkehr, ohne dass Risiken oder
unerwünschte Arzneimittelwirkungen bekannt geworden seien, obwohl es als
apothekenpflichtiges Arzneimittel unter die Beratung durch die Apotheken und unter die
Risikoüberwachung des BfArM falle. Auf die nach dem Selbstverständnis der
Therapierichtung bestehenden spezifischen Risiken aus der Anwendung
homöopathischer Arzneimittel werde in der Packungsbeilage hingewiesen. Die
Anwendungssicherheit im Hinblick auf eine Selbstmedikation sei durch entsprechende
Hinweise in der Packungsbeilage sichergestellt. Die langjährige Anwendungserfahrung
(mit einer höheren als der beantragten Dosierung) belege zudem, dass das Risiko einer
Erstverschlimmerung bei der beantragten Dosierung vernachlässigbar sei. Hinweise
zum Auftreten einer Arzneimittelprüfsymptomatik lägen der Klägerin auch für die
"unkontrollierte Selbstmedikation" nicht vor.
13
Zahlreiche Anwenderbefragungen belegten, dass homöopathische
Kombinationsarzneimittel in einer Dosierung angewendet würden, die erheblich über
der Dosierungsrichtlinie lägen. Keiner der befragten Therapeuten verabreiche diese
Arzneimittel entsprechend der beauflagten Dosierung. Die im Mai 2006 für das
streitgegenständliche Arzneimittel durchgeführte Therapeutenbefragung habe ergeben,
dass keiner der Therapeuten die selbst verordnete Dosierung als zu hoch eingestuft
habe. Die meisten Therapeuten hätten angegeben, das Therapieziel mit der
verordneten Dosierung zu erreichen. Anders sehe es bei der Beurteilung der aktuellen
Dosierungsempfehlungen aus. Die Therapeutenbefragung sei geeignet, die beantragte
Dosierung zu belegen. Der vom BfArM geforderte Beleg für die therapeutische
Überlegenheit der beantragten Dosierung sei unverhältnismäßig.
14
Die von 13 Herstellern homöopathischer Arzneimittel initiierte Umfrage zur Dosierung
flüssiger homöopathischer Kombinationsarzneimittel (Biometrischer Bericht zur
Auswertung der statistischen Erhebung zur Dosierung von homöopathischen
Komplexmitteln, ANFOMED, Juni 2005) komme zu dem Ergebnis, dass die von den
Therapeuten praktizierte Akutdosierung in 92,43% und bei der Regeldosierung in
96,69% der angegebenen Fälle über die Dosierungsempfehlung der Kommission D
hinausgehe. Ein nennenswertes Risiko durch die dokumentierten Dosierungen sei nicht
beobachtet worden. Die Studie ANFOMED solle wissenschaftlich dokumentieren, dass
das Expertenwissen der Kommission D nicht auf die Dosierung homöopathischer
Kombinationsarzneimittel anwendbar sei. Die Studie schaffe einen neuen Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse, der zu berücksichtigen sei.
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Eine höhere Dosierung homöopathischer Kombinationsarzneimittel lasse sich sinnhaft
begründen: Wenn in der klassischen Homöopathie zwei Stoffe nacheinander gegeben
würden, würden zwei volle Einzeldosen verordnet und nicht zwei halbe Dosen.
Entsprechend könnten für Kombinationsmittel, die häufig Wirkstoffe mit
unterschiedlichen Wirkungsansätzen (Organspezifisch, symptomatisch, konstitutionell
16
etc.) enthielten, die in den Aufbereitungsmonographien angegebenen Dosierungen der
Bestandteile daher addiert werden.
Das BfArM verletze ferner die Grundsätze des Urteils des EuGH vom 26.11.2002,
Rechtssache T-74/00 u.a. "Anorektika". Danach sei der Widerruf oder die Rücknahme
einer Zulassung nur dann gerechtfertigt, wenn dies auf neuen Daten beruhe, die zum
Zeitpunkt der ursprünglichen Entscheidung noch nicht zur Verfügung gestanden hätten.
Eine neue Bewertung alter Daten reiche hierzu nicht aus. Die Einschränkung der
Dosierung, die bei Tropfen besonders drastisch ausfalle, komme unter wirtschaftlichen
Gesichtspunkten für viele Produkte einem Widerruf der Zulassung gleich.
17
Die Klägerin hat beantragt,
18
die Auflage A.2 zum Nachzulassungsbescheid vom 22. Oktober 2004 für das
Fertigarzneimittel H. W. I. aufzuheben,
19
hilfsweise,
20
die Beklagte unter Aufhebung der Auflage A.2 zum Nachzulassungsbescheid vom 22.
Oktober 2004 für das Fertigarzneimittel H. W. I. zu verpflichten, nachstehende
Dosierungsvorgabe zu akzeptieren: "Soweit nicht anders verordnet: Bei akuten
Zuständen alle halbe bis ganze Stunde, höchstens 12-mal täglich, je 10 Tropfen
einnehmen. Bei chronischen Verlaufsformen 3-mal täglich 10 Tropfen einnehmen.
21
Die Beklagte hat beantragt,
22
die Klage abzuweisen.
23
Die Beklagte hat geltend gemacht:
24
Die Klägerin könne ihr tatsächliches Begehren nicht mit der Anfechtungsklage allein
erreichen, da sie der Sache nach eine Verlängerung der Zulassung mit der von ihr
beanspruchten höheren Dosierung anstrebe, wozu es einer Teilverpflichtungsklage
bedürfe.
25
Mit der beanspruchten Dosierung sei die Klägerin der Forderung des BfArM im
Mängelschreiben vom 22. April 2002 gefolgt. Dort sei ihr aufgegeben worden, den
therapeutischen Nutzen der (ursprünglich) beanspruchten Dosierung
präparatespezifisch zu belegen oder die Dosierungsangaben an die Empfehlungen der
Kommission D anzupassen. Die Klägerin habe sich für Letzteres entschieden und die
Dosierung an die Dosierungsempfehlung der Kommission D aus dem Jahre 1993
angepasst. Bei diesen Empfehlungen handele es sich um Rahmenvorgaben für
homöopathische Arzneimittel, für die kein präparatespezifisches Erkenntnismaterial zum
Beleg ihrer Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in einer bestimmten Dosierung
vorhanden sei. Angesichts der neuen Dosierungsempfehlungen aus dem Jahre 2002 in
der überarbeiteten Fassung vom 17. März 2004 könne sich die Klägerin zum Beleg der
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des streitgegenständlichen Arzneimittels nicht mehr
auf die Dosierungsempfehlungen aus dem Jahr 1993 berufen.
26
Sofern sie eine höhere als die von der Kommission D aktuell empfohlene Dosierung
vorgeben wolle, müsse sie deren therapeutischen Nutzen durch entsprechendes
27
Erkenntnismaterial belegen. Auf dieser Basis könne dann im Wege einer
Änderungsanzeige nach § 29 Abs. 2a AMG eine höhere Dosierung und damit eine
Abänderung der streitigen Auflage beansprucht werden.
Die aktuellen Empfehlungen seien auf das in der einschlägigen Literatur nachzulesende
Selbstverständnis und die Erfahrungen der homöopathischen Therapie gestützt. Sie
berücksichtigten stärker als die Empfehlungen von 1993 das in der Homöopathie
geltende Prinzip der möglichst kleinen Arzneimittelgabe. Die Homöopathie verstehe
sich als Regulationstherapie. Mit Hilfe der individuell ausgewählten Arznei sollten die
körpereigenen Heilungskräfte mobilisiert werden. Diese werde in möglichst kleiner
Menge und passender Potenz (Verschüttelungsgrad) verabreicht. Die Wirkung
homöopathischer Arzneimittel werde nicht als Substanzwirkung begriffen, sondern als
spezifischer Anstoß an den Organismus, eine Zustandsänderung aus eigener Kraft
herbeizuführen. Bestimmend für die erforderliche Intensität des therapeutischen Reizes
sei damit nicht nur die Schwere des Symptoms, sondern wesentlich auch die
Reaktionsfähigkeit und individuelle Empfindlichkeit des zu behandelnden Organismus.
Der Reiz sei so zu wählen, dass er gerade ausreiche, eine Eigenregulation zu initiieren.
Damit handele es sich bei der Homöopathie um eine ausgesprochene
Individualtherapie. Ein allgemeingültiges Anwendungsgebiet, für das die Wirksamkeit
des jeweiligen Mittels anhand in der Allopathie geltender Kriterien belegt werden könne,
lasse sich daher i. d. R. nicht festlegen. Auch für die Dosierung homöopathischer
Arzneimittel könnten keine allgemeingültigen Angaben getroffen werden. Gleichwohl
lägen in der Homöopathie Erfahrungen vor, aus denen Regeln zur Dosierung abgeleitet
werden könnten. Als Indikator für die richtige Wahl des Arzneimittels sowie die
angemessene Potenzhöhe und Gabengröße diene die Reaktion des Patienten auf die
erste Gabe. Fehle es an der deshalb erforderlichen sorgfältigen homöopathischen
Evaluation mit Überprüfung der Mittelwahl, ggf. Antidotierung und werde die
Arzneimittelgabe fortgesetzt, führe dies zu einer Verstärkung der Kunstkrankheit, woraus
sich die für homöopathische Arzneimittel spezifischen Risiken ergäben: Diese seien die
Überforderung der Regulationsfähigkeit, die Manifestation einer arzneimittelbedingten
Kunstkrankheit (Arzneimittelprüfsymptomatik), die Überlagerung der Symptomatik der
Primärerkrankung durch eine Prüfsymptomatik und damit Maskierung des Fortschreitens
der Erkrankung und zunehmende Schwierigkeit der homöopathischen
Arzneimittelfindung durch Mischung von Arzneimittel- und Krankheitssymptomatik. Da in
der Regel davon auszugehen sei, dass homöopathische Arzneimittel bei jedem wirkten,
würde bei der Gabe eines falsch gewählten Arzneimittels oder einer falsch gewählten
Dosierung oder Potenz die Reaktion nicht zum Aufheben einer
Erkrankungssymptomatik führen, sondern zur Ausbildung eines pathologischen
Reaktionsmusters.
28
Würden Dosierungsregeln nicht eingehalten, könnten die genannten spezifischen
Risiken auftreten. Die vergleichsweise geringe Zahl sich hierauf beziehender
Veröffentlichungen erkläre sich daraus, dass es sich hier um Behandlungsfehler
handele, die ungern publiziert würden. Im Falle einer Selbstmedikation sei schon
deshalb kaum mit Meldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen zu rechnen, weil
homöopathische Arzneimittel vom Patienten grundsätzlich als "unschädlich" angesehen
würden, eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands also kaum auf die
Anwendung des homöopathischen Mittels zurückgeführt würde. Das Vorhandensein
solcher Risiken sei jedoch auch in kontrollierten Studien erkennbar, so z.B. in der Studie
Homeopathy for Menopausal Symptoms in Brest Cancer Survivors: A Preliminary
Randomized Controlled Trial (j. Jacobs et al.).
29
Das Verwaltungsgericht hat die Klage unter Zulassung der Berufung abgewiesen und
als Anfechtungsklage gegen die Auflage A.2 gewertet. Die Auflage sei formell
rechtmäßig und leide nicht an einem Anhörungs- oder Begründungsmangel. Die
Dosierungsauflage sei auch materiell rechtmäßig. Sie sei im Interesse der
Arzneimittelsicherheit und zur Gewährleistung der Unbedenklichkeit ergangen. Sie
beruhe auf der aktuellen Dosierempfehlung der Kommission D, die gemäß § 25 Abs. 7
Satz 3 und 4 AMG sachverständig sei. Die Klägerin habe die beantragte Dosierung
nicht präparatespezifisch belegt. Sie sei der Anregung des BfArM im Mängelschreiben
gefolgt und habe die Dosierempfehlung der Kommission D aus dem Jahre 1993
übernommen. Auf den Fortbestand dieser Dosierempfehlung habe die Klägerin nicht
vertrauen dürfen.
30
Die Klägerin wiederholt und vertieft im Berufungsverfahren ihr erstinstanzliches
Vorbringen und trägt ergänzend vor:
31
Der beantragten Dosierung entgegenstehende Teilversagungsgründe lägen nicht vor.
Dosierungsstudien seien hier nicht vorzulegen. Ebenso bestehe keine Verpflichtung,
durch klinische Studien den Nachweis zu erbringen, dass eine höhere Dosis bessere
therapeutische Erfolge erziele als die vom BfArM für zutreffend erachtete niedrigere
Dosis. Die Arzneimittelsicherheit sei bei Anwendung des Fertigarzneimittels in der
Selbstmedikation und in der beantragten Dosierung nicht gefährdet, so dass eine
Dosisreduktion aus Risikogründen nicht erforderlich sei. Die Dosierungsempfehlung
aus den Jahren 2002 und 2004 berücksichtige Besonderheiten der
Komplexmittelhomöopathie nur unzureichend. Ggf. entstehende sog.
Erstverschlimmerungen seien nicht als Nebenwirkungen, sondern als Zeichen eines
positiven Heilungsverlaufs zu werten. Arzneimittelprüfsymptome entstünden nicht,
sondern allein Befindlichkeitsstörungen. Die Einzeldosishöhe sei ohne Bedeutung.
32
Die Klägerin beantragt,
33
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. November 2006 zu ändern und nach
dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
34
Die Beklagte beantragt,
35
die Berufung zurückzuweisen.
36
Unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens trägt sie außerdem
vor:
37
Die Kommission D könne unter der Geltung von § 25 Abs. 7 Satz 3 und 4 AMG nicht nur
im Einzelfall beteiligt werden, sondern dürfe auch um Stellungnahmen gebeten werden,
die über den Einzelfall hinaus Geltung beanspruchten. Auch wenn die
Dosierempfehlung aus den Jahren 2002 und 2004 rechtswidrig sei, trete nicht die
Dosierempfehlung aus dem Jahre 1993 an ihre Stelle. Die Klägerin trage die Beweislast
für die Notwendigkeit und Unbedenklichkeit der von ihr beantragten Dosierung.
38
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
39
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
40
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung
(§ 101 Abs. 2 VwGO).
41
Die Berufung ist zulässig und im Wesentlichen begründet.
42
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht vollständig abgewiesen.
43
Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft, soweit sie gegen die Auflage A.2 gerichtet
ist. Im Übrigen betrifft die Klage eine Verpflichtung des BfArM, die begehrte
Dosierungsanleitung im Zusammenhang mit der Verlängerung der fiktiven Zulassung zu
genehmigen. Denn die angegriffene Regelung im Nachzulassungsbescheid vom 22.
Oktober 2004 enthält neben einer Vorgabe für den Dosierungshinweis in der
Packungsbeilage (A.2) als echte Auflage nach § 105 Abs. 5a Satz 1 i. V. m. § 28 AMG
auch die Ablehnung der beantragten Dosierung und damit die Teilversagung eines
begünstigenden Verwaltungsakts, der mit der Verpflichtungsklage erstrebt werden kann.
44
Die angegriffenen Auflage A.2 bezieht sich nur auf die Texte für die Packungsbeilage
(Anlage 1 und 3 zum Zulassungsbescheid). Damit wird aber zugleich materiell die
"richtige" Dosierung geregelt. Das BfArM hätte das streitgegenständliche Arzneimittel -
wie sich schon aus seinem gesamten Vortrag im Klageverfahren ergibt - nicht mit der
beantragten Dosierung zugelassen. Die Dosierung eines Arzneimittels ist untrennbar
mit dem Arzneimittel und der Arzneimittelzulassung verknüpft; ohne Dosierung darf ein
Arzneimittel nicht zugelassen werden. Gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 10 AMG ist dem
Zulassungsantrag die Dosierungsangabe beizufügen und gemäß § 29 Abs. 2a Satz 1
Nr. 1 AMG bedürfen Änderungen der Dosierung der Zustimmung des BfArM.
45
Vgl. OVG NW, Urteile vom 6. September 2007 - 13 A 4643/06 -, A&R 2007, 279, und -
13 A 4644/06 -, juris; Beschluss vom 21. Mai 2008 - 13 A 1096/06 -, juris.
46
Charakteristisch ist in Fällen der vorliegenden Art daher die rechtliche Verengung bei
der Bescheidung der beantragten Vergünstigung. Dies ist in dem
Nachzulassungsbescheid vom 22. Oktober 2004 konkludent geschehen, indem nicht
nur die streitbefangene Auflage A.2 ausdrücklich erlassen, sondern mittelbar auch
materiell der Inhalt der Begünstigung geregelt worden ist. Die Dosierungsregelung darf
im Wege der Auflage nämlich nur verbindlich gemacht werden, wenn diese Regelung in
der Zulassungsentscheidung selbst enthalten ist.
47
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2007 - 13 A 3657/04 -, juris; nachgehend BVerwG,
Beschluss vom 27. März 2008 - 3 B 91.07 -, juris; VG Köln, Urteil vom 26. August 2008 -
7 K 238/06 -, juris; zu einer sog. Gegenanzeige vgl. aber BVerwG, Urteil vom 21. Juni
2007 - 3 C 39.06 -, NVwZ-RR 2007, 776 und OVG NRW, Urteil vom 27. September
2005 - 13 A 4378/03 -, A&R 2006, 128; vgl. hierzu nunmehr OVG, Urteil vom 11. Februar
2009 - 13 A 2150/06 -.
48
Bei einer alleinigen Aufhebung der angefochtenen Auflage A.2 bliebe ein
unvollständiger Bescheid übrig, der deshalb rechtswidrig wäre.
49
Die Ablehnung der beantragten Dosierung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
50
ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf erneute Bescheidung ihres Antrags
auf Nachzulassung bezüglich der Dosierungsempfehlung (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO),
da der Nachzulassungsbescheid fehlerhaft ist.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf eine Verlängerung der Zulassung im Hinblick auf
die von ihr beantragte Dosierungsanleitung, wenn kein Versagungsgrund nach § 25
Abs. 2 i. V. m. § 105 Abs. 4f Satz 1 AMG vorliegt; Besonderheiten der homöopathischen
Therapierichtung sind bei der Beurteilung der Versagungsgründe zu berücksichtigen (§
105 Abs. 4f Satz 2 AMG). Liegt ein Versagungsgrund vor, hat die Behörde den
Antragsteller auf die Beanstandungen hinzuweisen und eine angemessene Frist,
höchstens jedoch 12 Monate, zur Beseitigung der Mängel zu setzen. Erst wenn den
Mängeln nicht innerhalb der Frist abgeholfen wird, ist die Zulassung zu versagen (§ 105
Abs. 5 Satz 1 und 2 AMG).
51
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für eine Ablehnung der begehrten
Dosierungsanleitung als teilweise Versagung der Nachzulassung nicht erfüllt. Die
Bezugnahme des BfArM auf die Dosierempfehlungen der Kommission D aus dem Jahre
2002 und 2004 ist rechtsfehlerhaft.
52
Die Dosierungsempfehlungen der Kommission D von 2002 und 2004 heben die frühere
Dosierungsrichtlinie der Kommission D vom 2. Juli 1993 auf, die ihrerseits eine
Berichtigung und Präzisierung der Dosierungsangaben in allen bereits veröffentlichten
Monographien der Kommission D zum Gegenstand hatte, und ändern sie ab. Es bedarf
hier keiner Erörterung, ob die Kommission D nach der Beendigung der
Aufbereitungstätigkeit durch das 5. Änderungsgesetz im Jahr 1994 für den Erlass einer
allgemeingültigen Monographie zur Dosierung aller homöopathischen Arzneimittel
zuständig ist und diese Zuständigkeit aus der Aufgabe, bei Einzelfallentscheidungen
der Zulassungsbehörde mit grundsätzlicher Bedeutung mitzuwirken, abgeleitet werden
kann (§ 25 Abs. 7 Satz 4 AMG). Jedenfalls ist die Kommission D weiterhin als
sachverständiges Gremium anzusehen, das den wissenschaftlichen Erkenntnisstand
auf dem Gebiet der Homöopathie wiedergibt und daher bei einer Weiterentwicklung der
wissenschaftlichen Erkenntnisse hierzu sachverständige Stellungnahmen abgeben
kann.
53
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2007 - 3 B 16.06 - PharmaRecht 2007, 159;
Urteile vom 16. Oktober 2008 - 3 C 23.07 und 3 C 24.07 -, juris; OVG NRW, Urteil vom
29. April 2008 - 13 A 4996/04 -, juris.
54
Die Dosierungsrichtlinie der Kommission D vom 12. Juni 2002 in der Fassung vom 17.
März 2004 genügt indessen nicht den Anforderungen, die nach allgemeinen
Grundsätzen an eine sachverständige Feststellung des wissenschaftlichen
Erkenntnisstandes zu stellen sind. Eine sachverständige Stellungnahme der
Kommission, die eine neue Standarddosierung für eine ganze Therapierichtung festlegt,
muss wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Arzneimittelzulassung nachvollziehbar
und begründet darlegen, warum die wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Abkehr von
früheren Erfahrungswerten erfordern. Der Widerspruch zu den früheren
Anwendungserfahrungen in der Homöopathie, die sich in den älteren Monographien
widerspiegeln, hat erhebliches Gewicht, weil es sich bei der Homöopathie in erster Linie
um eine Erfahrungswissenschaft handelt.
55
Vgl. VG Köln, Urteil vom 26. August 2008 - 7 K 238/06 -, a. a. O.
56
Die Ausführungen zu Wirksamkeit und Risiken homöopathischer Arzneimittel in den
Sitzungsniederschriften der Arbeitsgruppe "Dosierung" der Kommission D vom 11. Juni
2002 und der Kommission D vom 12. Juni 2002 sind aber nicht geeignet, eine
Reduzierung der Arzneimittelgaben im Gegensatz zu den vorangegangen
Therapieerfahrungen aus wissenschaftlicher Sicht nachvollziehbar zu machen und zu
rechtfertigen. Zudem ist nicht erkennbar, dass die Erkenntnisse zur erforderlichen
Mindestdosis und zu den speziellen Risiken homöopathischer Medikamente auf die
"Komplexmittelhomöopathie" übertragbar sind, weil die Dosierungsempfehlung aus den
Jahren 2002 und 2004 Besonderheiten der Komplexmittelhomöopathie nur
unzureichend berücksichtigt. In der Ergebnisniederschrift der Sitzung der Arbeitsgruppe
vom 11. Juni 2002 heißt es hierzu, da für homöopathische Mittel im Wesentlichen keine
Substanzwirkung beansprucht werde, bestehe kein Grund, für Mischungen
homöopathischer Arzneimittel (fixe Kombinationen) eine andere Dosierung vorzusehen.
Eine weitere Begründung ist der Ergebnisniederschrift nicht zu entnehmen. Auch die
Ergebnisniederschrift der 18. Sitzung der Kommission D vom 12. Juni 2002 zeigt keine
weiteren Erkenntnisse auf. Andererseits wurde aber auch Kritik an den Vorschlägen zur
Dosierungsangabe geäußert, weil abweichende Verordnungsgewohnheiten bei fixen
Kombinationen nicht berücksichtigt würden. Eine etwaige Diskussion hierzu ist aber
nicht dokumentiert, so dass die Richtigkeit der jeweiligen Auffassung nicht überprüfbar
ist. Nach allem Anschein sollen die Erkenntnisse für die "klassische Homöopathie"
gelten, die die Anwendung von Einzelmitteln vorsieht. Die Frage der Übertragbarkeit auf
homöopathische Kombinationsarzneimittel ist ausweislich der Ergebnisniederschriften
demnach nicht nachvollziehbar begründet worden.
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Abgesehen hiervon stützt das BfArM seine Teilversagung unter Bezugnahme auf die
aktuelle Dosierungsrichtlinie im Wesentlichen auf Kriterien, die im Arzneimittelgesetz
keine Grundlage finden und daher nicht sachgerecht sind. Entscheidend für die
Änderung der Dosierungsempfehlungen war die Einschätzung der Arbeitsgruppe
Dosierung (Ergebnisniederschrift vom 11. Juni 2002), dass durch die zu große, zu
häufige und zu langfristige Gabe homöopathischer Arzneimittel ein erhebliches
Gefährdungspotential in Form von Erstverschlimmerungen und des Auftretens einer
Arzneimittelprüfsymptomatik bestehe. Spezielle Risiken homöopathischer Medikamente
wie Erstverschlimmerung und Prüfsymptomatik sind im gesetzlichen
Genehmigungsverfahren hingegen nicht relevant. Denn diese fallen nicht unter den
Begriff der "Bedenklichkeit" oder der "schädlichen Wirkungen" im Sinne des § 5 Abs. 1
und 2 AMG und erfüllen damit nicht die Voraussetzungen eines Versagungsgrundes. In
dieser Vorschrift sind - wie bei den allopathischen Arzneimitteln - nur pharmakologisch-
toxikologische Wirkungen erfasst. Bestätigt wird diese Auslegung durch die Regelung in
§ 38 Abs. 2 Satz 3 AMG, wonach sich die Unbedenklichkeit insbesondere aus einem
angemessen hohen Verdünnungsgrad ergeben kann. Durch die Verdünnung wird aber
nur das Risiko von toxischen Wirkungen des Stoffes beseitigt, da diese von der Menge
des zugeführten Stoffes abhängig sind. Die spezifischen Risiken homöopathischer
Arzneimittel, wie Erstverschlimmerung und Prüfsymptomatik, bleiben jedoch auch bei
hohen Verdünnungsgraden bestehen. Sie können daher vom Gesetzgeber mit dem
Begriff der Unbedenklichkeit nicht gemeint sein. Auch der Wegfall der
Dosierungsanleitung in der Neuregelung für registrierte homöopathische Arzneimittel
verdeutlicht (vgl. § 11 Abs. 3 AMG i. V. m. § 10 Abs. 4 AMG und Art. 69 der Richtlinie
2001/83/EG), dass der Gesetzgeber ab einer bestimmten Verdünnungsstufe keine
Risiken mehr sieht, die durch die Dosierung beeinflusst werden können. Eine
Dosisreduktion aus Risikogründen ist danach nicht erforderlich. Die Erwägungen zur
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Registrierung homöopathischer Fertigarzneimittel sind auf die Verlängerung der
Zulassung von homöopathischen Arzneimitteln nach § 105 Abs. 4 und Abs. 4a Satz 2
AMG übertragbar. Bei diesen ist die Nachzulassung zu versagen, wenn das Nutzen-
Risiko- Verhältnis ungünstig ist (§ 105 Abs. 4f Satz 1, § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG).
Hierbei fallen unter den Begriff des "Risikos" schädliche Wirkungen, die über ein nach
den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und
in wortgleichen Formulierungen in § 39 Abs. 2 Nr. 4, § 5 Abs. 2 AMG und § 25 Abs. 2
Satz 1 Nr. 5 der früheren Gesetzesfassung genannt waren. Mit der Änderung des
Wortlauts des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG durch das 14. Änderungsgesetz war keine
inhaltliche Änderung verbunden (BTDrucks 15/5316 S. 38). Unter den Begriff des
Risikos fallen daher wie bei den allopathischen Medikamenten nur pharmakologisch-
toxikologische Risiken. Zwar sind gemäß § 105 Abs. 4f Satz 2 AMG die Besonderheiten
der homöopathischen Therapierichtung zu berücksichtigen. Diese Regelung lässt es
aber nicht zu, die Risiken der Erstverschlimmerung und des Auftretens einer
Prüfsymptomatik als relevante Risiken in die Nutzen-Risiko- Abwägung einzustellen.
Eine Nutzen-Risiko-Abwägung ist nicht möglich, weil die genannten Risiken nicht
messbar sind und weder von der Wahrscheinlichkeit des Auftretens noch von der
Schwere der Wirkungen abgeschätzt werden können.
Vgl. hierzu VG Köln, Urteile vom 29. Januar 2008 - 7 K 4227/04 -, juris, und vom 26.
August 2008 - 7 K 238/06 -, a. a. O.
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Zudem ist ein Zusammenhang zwischen Dosis und etwaigen Risiken bezogen auf die
Anwendung des streitbefangenen Arzneimittels nicht plausibel. Statt dessen hat das
BfArM gemutmaßt, warum nur eine geringe Zahl von Veröffentlichungen hierzu vorliege
und für die Selbstmedikation kaum mit Meldungen unerwünschter
Arzneimittelwirkungen (UAW-Meldung) zu rechnen sei. Den Grund sieht es, ohne die
Einschätzung mit Falldokumentationen verifizieren zu können, darin, dass
homöopathische Arzneimittel vom Patienten in der Regel als "unschädlich" angesehen
würden. Soweit das BfArM auf die Studie Homeopathy for Menopausal Symptoms in
Brest Cancer Survivors: A Preliminary Randomized Controlled Trial (j. Jacobs et al.)
abhebt, bei der nur die Teilnehmer an der mit einem homöopathischen Komplexmittel
behandelten Gruppe über vermehrte Kopfschmerzen geklagt hätten, ist ein
Zusammenhang mit der verabreichten Dosis nicht belegt. Ein konkretes Risiko aufgrund
der Anwendung des Arzneimittels in der von der Klägerin beantragten Höhe ist nicht
erkennbar und auch nicht aufgezeigt worden. Es erfolgt lediglich der pauschale Hinweis
auf die Möglichkeit der Erstverschlimmerung und des Auftretens einer Prüfsymptomatik.
Es ist bislang nicht ersichtlich, dass die Arzneimittelsicherheit bei Anwendung des
Fertigarzneimittels in der Selbstmedikation und in der beantragten Dosierung gefährdet
ist. Ob die Einzeldosishöhe für Erstverschlimmerungen und Arzneimittelprüfsymptomen
Bedeutung hat, ist nicht geklärt. Das BfArM hat sich im Mängelschreiben vom 22. April
2002 auf ein unvertretbar hohes Risiko bei der Einnahme des Fertigarzneimittels in der
von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren begehrten Höhe auch gar nicht berufen,
sondern die Dosierung in Entsprechung der Dosierungsrichtlinie aus dem Jahr 1993
selbst vorgeschlagen. Der Klägerin war mit Mängelschreiben aufgegeben worden, den
therapeutischen Nutzen der (ursprünglich) beanspruchten Dosierung
präparatespezifisch zu belegen oder die Dosierungsangaben an die Empfehlungen der
Kommission D anzupassen. Die Klägerin hatte sich für Letzteres entschieden und die
Dosierung an die Dosierungsempfehlungen der Kommission D aus dem Jahre 1993
angepasst. Ob das BfArM damit ein ordnungsgemäßes Mängelbeseitigungsverfahren
durchgeführt hat, kann aber offen bleiben, da es hierauf nicht ankommt. Will das BfArM
60
indes von der Dosierungsempfehlung aus dem Jahr 1993 inhaltlich abweichen, müssen
unvertretbar schädliche Wirkungen oder ein entsprechendes Risiko des
streitgegenständlichen Fertigarzneimittels vorliegen. Anderenfalls fehlt es an einem
beachtlichen Grund für die Ablehnung der begehrten Dosierungsanleitung. Tragfähige
Anhaltspunkte für ein negatives Risiko-Nutzen-Verhältnis hat aber das BfArM nicht
aufgezeigt (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG).
Eine Einbeziehung von nicht messbaren Risiken in die Dosierung von
homöopathischen Arzneimitteln ist auch nicht zum Schutz von Patienten in der
Selbstmedikation erforderlich. Der Arzneimittelsicherheit kann nämlich in ausreichender
Weise durch den in der Packungsbeilage des streitigen Arzneimittels enthaltenen
Hinweis auf die Gefahr einer Erstverschlimmerung und die Empfehlung das Medikament
abzusetzen, Rechnung getragen werden. Dieser Hinweis ist seit der Bekanntmachung
der Kommission D vom 2. Juli 1993 Bestandteil aller D-Monographien und daher in die
Informationstexte aufzunehmen, wenn der Wirksamkeitsnachweis durch die
Bezugnahme auf die D-Monographien geführt werden soll.
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Vgl. VG Köln, Urteil vom 26. August 2008 - 7 K 238/06 -, a. a. O.
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Andere Versagungsgründe des § 25 Abs. 2 AMG liegen ebenfalls nicht vor.
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Insbesondere durfte das BfArM die begehrte Dosierungsanleitung nicht ablehnen, weil
das streitbefangene Arzneimittel nicht nach dem jeweils gesicherten Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft worden ist oder das andere
wissenschaftliche Erkenntnismaterial nach § 22 Abs. 3 nicht dem jeweils gesicherten
Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AMG).
Die Auffassung des BfArM, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit seien hinsichtlich der
Dosis nicht ausreichend geprüft, ist nicht zutreffend. Eine Dosisfindungsstudie hat die
Klägerin hier nicht vorzulegen. Gemäß § 105 Abs. 4a Satz 2 AMG sind zu dem Antrag
auf Verlängerung der Zulassung die Unterlagen nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AMG
sowie die Gutachten nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 AMG nicht nachzureichen,
wenn das Arzneimittel nach einer im Homöopathischen Teil des Arzneibuches
beschriebenen Verfahrenstechnik hergestellt ist. Vorzulegen sind also nicht die
Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Versuche und die Ergebnisse
der klinischen Prüfungen oder sonstigen ärztlichen Erprobung.
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Das führt zwar nicht dazu, dass im Nachzulassungsverfahren überhaupt kein
wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden müsste. § 105 Abs. 4a AMG
regelt nur, welche Unterlagen (zeitlich gestaffelt) im Zusammenhang mit dem Antrag
(also ex ante) und nicht erst auf Mängelrüge vorzulegen sind. Der Gesetzgeber des
Arzneimittelneuordnungsgesetzes ging davon aus, dass auf pharmakologisch-
toxikologische und klinische Studien grundsätzlich verzichtet werden kann, soweit die
Altarzneimittel durch den therapeutischen Gebrauch bereits hinreichende Erkenntnisse
ermöglichen. Die Zulassungsbehörde sollte deshalb auf der Grundlage der
Aufbereitungsmonographien entscheiden und erst bei Mängeln der eingereichten
Unterlagen eine Mängelbeseitigung verlangen (BTDrucks 7/5091 S. 22). Die
Verpflichtung zur Vorlage von weitergehendem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial
ist somit nicht ausgeschlossen, sondern unter den Vorbehalt gestellt worden, dass
Aufbereitungsmonographien nicht vorliegen oder keine hinreichende Bewertung
ermöglichen. Die in § 105 Abs. 4 AMG fehlende ex-ante- Verpflichtung zur Vorlage von
wissenschaftlichem Erkenntnismaterial bezieht sich auf die Frage der Wirksamkeit.
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Zu Verpflichtung der Vorlage einer Kombinationsbegründung für ein homöopathisches
Fertigarzneimittel vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Oktober 2008 - 3 C 23.07 und 3 C 24.07
-, a. a. O.
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Hier liegen allerdings die Aufbereitungsmonographien der Einzelbestandteile sowie die
Dosierempfehlung der Kommission D aus dem Jahre 1993 vor, so dass eine
hinreichende Bewertung der Wirksamkeit gewährleistet ist und weitere Studien in Form
von Dosisfindungsstudien nicht beizubringen sind. Entsprechendes gilt daher für den
vom BfArM geltend gemachten Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2
AMG, wonach die Zulassung versagt werden darf, wenn die therapeutische Wirksamkeit
nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom
Antragsteller unzureichend begründet ist.
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Es ist daher bislang nicht ersichtlich, dass die hier beauflagte Dosierung des
streitbefangenen Arzneimittels im Interesse der Arzneimittelsicherheit und zur
Gewährleistung der Unbedenklichkeit der Anwendung des Präparates geboten ist. Zwar
muss die Dosierung als Bindeglied zwischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines
Arzneimittels im Grundsatz geeignet sein, die beanspruchten therapeutischen Erfolge zu
erzielen; sie darf aber wegen der mit der Anwendung von Arzneimitteln potentiell
verbundenen Risiken nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. Es ist nicht
erkennbar, dass die beauflagte Dosierung dem Selbstverständnis und den Erfahrungen
der homöopathischen Therapie entspricht. Die Dosierempfehlungen aus den Jahren
2002 und 2004 sind somit nicht zu berücksichtigen.
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Die Sache ist wegen der unzureichenden Klärung der maßgeblichen Dosierungsfragen
und der daraus sich ergebenden ungenügenden Sachaufklärung im Sinne des § 113
Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO nicht spruchreif, so dass das BfArM zur Neubescheidung des
Antrags zu verpflichten war. Das BfArM verfügt im Hinblick auf die zu klärenden Fragen
über die besseren Aufklärungsmittel und den geeigneteren Apparat, so dass es seine
Aufgabe ist, das Nachzulassungsverfahren zu den Einzelheiten der in Rede stehenden
Dosierungsauflage nochmals durchzuführen. Soweit die Klägerin über die
Neubescheidung hinaus eine Verpflichtung der Beklagten erstrebt, bleibt ihre Klage
ohne Erfolg.
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Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Anfechtungsklage auf Aufhebung der Auflage A.2
ebenfalls begründet ist. Die Auflage ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren
Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711
Satz 1 ZPO.
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Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
zuzulassen, weil fallübergreifende Rechtsfragen in Rede stehen, die höchstrichterlich
bislang nicht geklärt sind.
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