Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.10.2009

OVG NRW (kläger, günstige prognose, mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, gutachten, dienstliche tätigkeit, prognose, erkrankung, bbg, beurteilung, zeitpunkt)

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 3598/07
Datum:
29.10.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 A 3598/07
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Zurruhesetzungsverfügung des Beklagten vom 29. August 2005 und
dessen Widerspruchs¬bescheid vom 15. Februar 2006 werden
aufge¬hoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig voll-streckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages ab¬wenden, wenn nicht der
Kläger vor der Voll¬streckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der am 4. Juli 1954 geborene Kläger stand bis zu seiner hier streitigen, mit Ablauf des
Monats August 2005 erfolgten vorzeitigen Zurruhesetzung – zuletzt als
Hauptwerkmeister (Besoldungsgruppe A 8) – in den Diensten des Beklagten bzw.
(zuvor) der früheren Deutschen Bundesbahn. Vor seiner Zurruhesetzung war er seit dem
1. August 1999 auf dem Arbeitsplatz "Ausbilder für den technischen Wagendienst" dem
Dienstleistungszentrum Bildung, Zentrum für Wagentechnik, in U. zur
Dienstleistung zugewiesen, nach dem Ende dieser Zuweisung (31. März 2003) sodann
der DB Vermittlung GmbH (später umbenannt in DB JobService GmbH). Der Kläger ist
u.a. mit Blick auf die Diagnose "anfallartige Kopfschmerzen" schwerbehindert (ab 23.
August 2001: GdB 50; ab 27. Oktober 2004: GdB 70; nach Angabe des Klägers in der
Berufungsverhandlung mittlerweile: GdB 60). Er ist inzwischen mit Wirkung vom 1. Juli
2008 reaktiviert, nachdem er die erneute Berufung in das aktive Beamtenverhältnis in
dem gerichtlichen Verfahren VG Düsseldorf 15 K 3354/07 erfolgreich erstritten hatte.
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Im Vorfeld seiner Zurruhesetzung waren die krankheitsbedingten Fehlzeiten des
Klägers – namentlich zuletzt – stark angestiegen. Die Gesamtzahl der Krankentage lag
im Jahr 2000 bei 18, im Jahre 2001 bei 46, im Jahre 2002 bei 48, im Jahre 2003 bei 130,
im Jahre 2004 bei 289 und in der Zeit von Januar bis August 2005 bei 211.
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Am 26. Juni 2005 wurde der Kläger durch den Leitenden Bahnarzt des
Bundeseisenbahnvermögens (BEV), Dr. med. P. , untersucht, dem er schon im Laufe
des Jahres 2004 mehrfach vorgestellt worden war, ohne dass dieser Arzt nach den
Voruntersuchungen bereits eine dauernde Dienstunfähigkeit festgestellt hatte. In seinem
Gutachten vom 26. Juni 2005 stellte Dr. P. die Diagnose "Bing-Horton-Cluster-
Kopfschmerz, chronifizierter Verlauf". Des Weiteren war in dem Gutachten ausgeführt,
der Kläger befinde sich mit einer einwöchigen Unterbrechung seit ca. 1 Jahr im
Krankenstand, wobei eine neurologische Erkrankung zu Grunde liege. Anfallartig
auftretende schwerste Kopfschmerzen seien symptomführend und reduzierten das
Leistungsvermögen dauerhaft in einem erheblichen Ausmaß. Die derzeitige ambulante
Therapie sei als adäquat einzuschätzen. Darüber hinaus gehende therapeutische
Ansätze böten sich nicht. Entgegen dem bisherigen Krankheitsverlauf, bei dem eine
wellenförmige Symptomatik mit längeren Phasen des Wohlergehens zu verzeichnen
gewesen seien, habe sich seit längerem ein chronifizierter Dauerzustand eingestellt.
Deshalb stelle sich die Krankheitsprognose nun deutlich ungünstiger dar. Der Kläger
werde innerhalb der nächsten 6 Monate aller Voraussicht nach nicht wieder dienstfähig
werden. Er halte diesen deshalb, beruhend auf seinem schlechten Gesundheitszustand,
für dauernd dienstunfähig im Sinne des § 42 Bundesbeamtengesetz (BBG) in der
seinerzeitigen Fassung; es werde eine Zurruhesetzung empfohlen.
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Unter dem 4. Juli 2005 wurde dem Kläger seitens des Beklagten mitgeteilt, er sei nach
dem bahnärztlichen Gutachten und dem pflichtgemäßem Ermessen des Dienstherrn
wegen der bei ihm festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen zur Erfüllung
seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig). Es sei deshalb beabsichtigt, ihn
mit Ablauf des 31. August 2005 in den Ruhestand zu versetzen. Der Kläger wurde
darauf hingewiesen, der Personalrat werde beteiligt, sofern der Kläger seine Mitwirkung
beantrage; gegen die beabsichtigte Zurruhesetzung könne der Kläger innerhalb eines
Monats gemäß § 44 Abs. 2 BBG (a.F.) Einwendungen erheben.
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Mit Schreiben vom 7. Juli 2005 teilte der Kläger mit, dem Leitenden Bahnarzt hätten
sämtliche Aufschreibungen über den Verlauf des Kopfschmerzleidens des Klägers
vorgelegen. Aus diesen Aufschreibungen sei zweifelsfrei ersichtlich gewesen, dass im
Laufe der letzten 6 Monate eine Verbesserung des Leidens um mehr als 33 %
eingetreten sei: Im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2004 habe er – der Kläger –
600 Schmerzanfälle erlitten; vom 1. Januar bis 30. Juni 2005 "nur" noch 397. Wenn sich
diese Entwicklung fortsetze, werde er – der Kläger – (zwar unter ständiger
Medikamenteneinnahme) voraussichtlich in wenigen Wochen seinen Dienst wieder
aufnehmen können.
6
Unter dem 13. Juli 2005 nahm Dr. P. zu den Einwendungen des Klägers wie folgt
Stellung: Bei diesem bestehe seit 1994 ein Bing-Horton-Kopfschmerz, der seit dieser
Zeit zu häufigen krankheitsbedingten Dienstausfällen geführt habe. Der bisherige
Verlauf des Cluster-Kopfschmerzes sei wellenförmig gewesen, in der Regel seien die
zur Dienstunfähigkeit führenden Krankheitsepisoden spätestens nach 12 Wochen
abgeklungen. Aus den Berichten des Klägers sowie des behandelnden Facharztes sei
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eindeutig zu entnehmen, dass der Kopfschmerz sich im Laufe des Jahres 2004
chronifiziert habe, alle bisher eingesetzten und zur Besserung führenden Medikamente
seien ohne den gewünschten Erfolg geblieben. Somit sei die derzeitige gesundheitliche
Situation des Klägers als ein Dauerzustand anzusehen, er habe in den letzten
6 Monaten keine wesentliche Diensttätigkeit aufgrund seines aufgehobenen
Leistungsvermögens ableisten können. Es gebe keine medizinisch nachvollziehbaren
Argumente, weshalb sich an diesem schlechten Gesundheitszustand zukünftig etwas
ändern könnte. Selbst die vom Kläger formulierte Beschwerdereduktion bzw. freiheit
werde nach medizinischem Ermessen nicht von einer Nachhaltigkeit sein, dass man
von ihm in der Zukunft in der ausreichenden Regelmäßigkeit und Intensität dienstliche
Tätigkeit erwarten könne. Noch im Juni 2005 sei, wie das Kopfschmerztagebuch belege,
eine erhebliche Anfallshäufung zu verzeichnen gewesen.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2005 machte die besondere
Schwerbehindertenvertrauensperson beim Beklagten (Dienststelle Mitte) geltend, da der
Kläger stark arbeitswillig sei, werde gebeten, von der beabsichtigten vorzeitigen
Zurruhesetzung abzusehen. Da der Heilungsverlauf noch nicht abgeschlossen sei, aber
ein positiver Krankheitsverlauf sich abzeichne, werde gebeten dies abzuwarten.
8
Nachdem der Präsident des beklagten BEV unter dem 19. August 2005 sein
Einvernehmen zur vorzeitigen Versetzung des Klägers in den Ruhestand gemäß § 44
Abs. 2 BBG erteilt hatte, wurde dieser mit Bescheid des BEV vom 29. August 2005
wegen Dienstunfähigkeit im Sinne des § 42 Abs. 1 in Verbindung mit § 44 Abs. 1 und 2
BBG mit Ablauf des Monats August 2005 in den Ruhestand versetzt.
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Hiergegen legte der Kläger unter dem 31. August 2005 Widerspruch ein, den er
zunächst unter dem 12. September 2009 vornehmlich damit begründete, der Leitende
Bahnarzt Dr. P. sei zur Beurteilung seines Gesundheitszustandes nicht kompetent, da
er kein Neurologe sei und bestimmte getroffene Aussagen konkret auf fehlende
Fachkompetenz schließen ließen. Aber selbst ein Neurologe ohne Zusatzausbildung
als Schmerztherapeut könne vorliegend keine ausreichende kompetente Begutachtung
vornehmen. Darüber hinaus wies der Kläger auch in diesem Zusammenhang nochmals
auf die anhand des Kopfschmerz-Tagebuchs nachzuvollziehende deutliche Besserung
seines Leidens seit dem 1. Halbjahr 2005 hin, und zwar mit dem ergänzenden Zusatz,
seit dem 1. Juli 2005 bis dato habe er 19 Attacken gehabt.
10
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte der Beklagte auf Empfehlung seines
Leitenden Bahnarztes ein Gutachten der Ärztin für Neurologie Q. (Institut für
medizinische Begutachtung F. ) ein. In ihrem fachärztlichen Gutachten auf
neurologischem Fachgebiet kam die Gutachterin unter dem 11. November 2005 zu dem
Ergebnis, beim Kläger liege seit mehreren Jahren ein Cluster-Kopfschmerz mit
chronischem Verlauf vor. Aussagen zur Prognose des Erkrankungsverlaufes bei
Cluster-Kopfschmerzen (bezüglich Häufigkeit und Umfang der Schmerzattacken,
Behandlungsbedürftigkeit bzw. Dienstfähigkeit) gestalteten sich bei dieser sehr seltenen
vorkommenden Kopfschmerzform schwierig. Gesicherte medizinische Erkenntnisse zum
Verlauf chronischen Cluster-Kopfschmerzes, der nur bei knapp unter 20 % der Patienten
auftrete, die einen Cluster-Kopfschmerz hätten, lägen nicht vor. Aus der Literatur
ergäben sich zwar Hinweise dafür, dass die Häufigkeit der Kopfschmerzattacken bei der
episodenhaft auftretenden Verlaufsform der Erkrankungen mit zunehmendem Alter eher
abnehme, sodass die Prognose für den Erkrankungsverlauf eher als günstig zu
betrachten sei; eine solche Verlaufsform liege hier aber nicht vor. Gestützt auf die
11
Angaben des behandelnden Neurologen und die Dokumentation durch den Beamten
selber, habe sich vielmehr ein progredienter, chronischer Verlauf mit Zunahme der
Anfälle und Abnahme der anfallsfreien Zeit entwickelt. Abgeleitet aus dem bisher
mehrjährigen Krankheitsverlauf lasse sich für die Zukunft keine günstige Prognose
stellen. Der Kläger sei in Phasen, in denen er mehrere Kopfschmerzattacken über den
Tag verteilt von jeweils 5 bis 20 Minuten Dauer erleide, nachvollziehbar nicht in der
Lage, seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen.
Der Leitende Bahnarzt schloss sich unter dem 2. Dezember 2005 den – seine eigene
Einschätzung bekräftigenden – Ausführungen der Gutachterin an, der Kläger trat ihnen
mit weiterer Begründung seines Widerspruchs unter dem 22. Dezember 2005 entgegen.
Letzterer führte aus, auch das Gutachten Q. enthalte keine hinreichende Grundlage
dafür, wie es aus Rechtsgründen für die Annahme dauernder Dienstunfähigkeit geboten
ist, eine negative (und nicht nur "keine günstige" Prognose) für den zukünftigen
Krankheitsverlauf zu stellen. Dass die getroffene Prognose im Übrigen völlig falsch
liege, belege auch der zwischenzeitliche Verlauf der Erkrankung: Im zweiten Halbjahr
2004 habe er, der Kläger, noch 600 Attacken (Kopfschmerzanfälle) gehabt, im ersten
Halbjahr 2005 seien es "nur" noch 397 und im zweiten Halbjahr 2005 (bis zum 15.
Dezember) "nur" noch 55 Attacken gewesen. Auf Nachfrage des Beklagten, ob sich
durch die ergänzende Widerspruchsbegründung neue Erkenntnisse ergäben,
antwortete Leitender Bahnarzt Dr. P. einem von dem Bearbeiter zur Akte
genommenen Vermerk zufolge unter dem 25. Januar 2006: "Keine neuen Erkenntnisse".
12
Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid
vom 15. Februar 2006 zurück und nahm zur Begründung im Wesentlichen auf das
fachärztliche Gutachten der Neurologin Q. sowie die hervorgehobene Bedeutung
der bahnärztlichen Dienstunfähigkeitsbeurteilung Bezug.
13
Zur Begründung seiner am 28. Februar 2006 erhobenen Klage hat der Kläger im
Wesentlichen vorgetragen, es sei zu einer weiteren Reduzierung seiner Schmerzanfälle
gekommen. Im zweiten Halbjahr 2005 seien insgesamt 55 und im ersten Halbjahr 2006
(die Klagebegründung datiert vom 10. Juli 2006) 10 Schmerzanfälle zu verzeichnen
gewesen. Der in der ersten Hälfte 2005 bei ihm sicherlich vorhandene chronische
Cluster-Kopfschmerz habe sich in der zweiten Jahreshälfte 2005 zu einem nur noch
episodischen Verlauf gewandelt. Obwohl er – der Kläger – dies im Rahmen des
Widerspruchsverfahrens unter dem 2. Dezember 2005 dem Beklagten mitgeteilt habe,
sei keine erneute Untersuchung vorgenommen worden, um das Gutachten der
Neurologin Q. noch einmal zu überprüfen. Die von dem Beklagten eingeholten
Gutachten seien aber nicht nur durch die tatsächliche Entwicklung entkräftet worden,
sondern seien auch deshalb nicht aussagekräftig, weil sie von Ärzten erstellt worden
seien, die keine ausreichenden Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich der Krankheit
Cluster-Kopfschmerz hätten.
14
Der Kläger hat beantragt,
15
die Zurruhesetzungsverfügung des BEV vom 29. August 2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2006 aufzuheben.
16
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden ergänzt und vertieft.
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Mit Schriftsatz vom 16. August 2007 hat der Kläger eine weitere Stellungnahme von
Dr. P. vom 27. Juni 2007 vorgelegt. Aus dieser geht hervor, dass der Kläger in der
Zwischenzeit in der neurologischen Klinik der Universität F. unter dem Datum des 30.
Mai 2007 erneut begutachtet worden ist. Aus (seinerzeit) aktueller Sicht sei hiernach in
Bezug auf den Kläger eine sehr selten anzutreffende Remission des chronischen
Cluster-Kopfschmerzes festgestellt worden, die unter Lithium-Therapie zur
Beschwerdefreiheit geführt habe. Es könne aber auch ein Spontanverlauf des Cluster-
Kopfschmerzes mit so gearteter Besserungstendenz gewesen sein. Aus neurologischer
Sicht sei der Kläger nunmehr aktuell als dienstfähig einzuschätzen. Bei jetzt fast über
einem Jahr bestehender Beschwerdefreiheit sei grundsätzlich auch die Annahme einer
schlechten Prognose nicht mehr zu rechtfertigen.
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Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird,
hat das Verwaltungsgericht die zulässige Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat im
Kern ausgeführt: Der Bescheid über die streitige vorzeitige Zurruhesetzung sei formell
und materiell rechtmäßig. Namentlich sei nach den überzeugenden medizinischen
Feststellungen der vom Beklagten mit einer Überprüfung beauftragten Ärzte der Kläger
wegen der Schwere und Chronizität seines Cluster-Kopfschmerzes den an ihn als
Hauptwerkmeister gestellten Anforderungen nicht mehr gewachsen, mithin
dienstunfähig gewesen. Diese Bewertung erstrecke sich fehlerfrei auch noch auf den
maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Auch
in diesem Zeitpunkt sei – trotz des Vortrages des Klägers zur Besserung seines
Zustandes – angesichts des bisherigen mehrjährigen Krankheitsverlaufs mit
erheblichen Fehlzeiten eine langfristige und durchgreifende Veränderung nicht
sichergestellt gewesen. Da den vom Kläger geltend gemachten Zweifeln an einer
hinreichenden Sachkunde der Gutachterin Q. nicht gefolgt werden könne, sei
deswegen – und auch im Übrigen – die Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens nicht veranlasst gewesen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers. Er
vertieft und ergänzt sein bisheriges Vorbringen und macht hierzu im wesentlichen
geltend: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des
Zurruhesetzungsbescheids. Zusätzlich zu den von der besonderen
Schwerbehindertenvertrauensperson geäußerten Bedenken (u.a. betreffend die
fehlende stufenweise Wiedereingliederung) sei in diesem Zusammenhang von
Bedeutung, dass die nach § 84 Abs. 2 SGB IX erforderlichen Maßnahmen – als
betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) bezeichnet – in seinem Fall nicht
durchgeführt worden seien. Bei bestehender eigener Arbeitswilligkeit seien die
Voraussetzungen dieser Vorschrift aufgrund seiner damaligen Fehlzeiten erfüllt
gewesen. Auch öffentliche Arbeitgeber und Beamte unterfielen den Vorschriften über
das BEM; die beamtenrechtlichen Vorschriften über das Zurruhesetzungsverfahren
seien insoweit nicht abschließend. Trotz einer in § 84 SGB IX nicht ausdrücklich
bestimmten Sanktion dürfe die Unterlassung des Dienstherrn, der betreffenden
Verpflichtung nachzukommen, nicht folgenlos bleiben. Zumindest müssten sich in
Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Folgerungen in
Bezug auf die Darlegungs- und Beweislast ergeben, was die betrieblichen
Auswirkungen der Fehlzeiten betreffe. Auch im beamtenrechtlichen
Zurruhesetzungsverfahren dürfe es dem Dienstherrn nicht zugute kommen, wenn er es
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abweichend von Empfehlungen der zuständigen Interessenvertretung unterlassen habe
näher auszuloten, durch welche etwaigen Leistungen und Hilfen die Dienstunfähigkeit
habe überwunden bzw. erneuter Dienstunfähigkeit habe vorgebeugt werden können.
Dies betreffe gerade auch den vorliegenden Fall, wo zwischen der letzten
bahnärztlichen Untersuchung im Juni 2005 bis zum Erlass des
Widerspruchsbescheides im Februar 2006 in dieser Hinsicht nichts geschehen sei,
obwohl er selbst den Dienstherrn auf die weitere Verringerung seiner
Kopfschmerzanfälle hingewiesen habe. Darüber hinaus sei die Verpflichtung des
Dienstherrn, alles Zumutbare zu unternehmen, damit die Dienstunfähigkeit eines
Beamten von vornherein vermieden bzw. schnellstmöglich beendet wird, auch eine
materiell-rechtliche. Sie finde ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht sowie – im
Sachzusammenhang mit einer vorzeitigen Zurruhesetzung – speziell auch in dem
Grundsatz "Weiterverwendung vor Versorgung". In der Sache sei vorliegend nicht
nachvollziehbar, wieso es – bezogen auf den rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt des
Widerspruchsbescheides – keiner neuen bahnärztlichen Untersuchung bedurft habe.
Die von Dr. P. im Juni 2005 angestellte Prognose des weiteren Verlaufs der Krankheit
sei schon durch den Zeitablauf von rd. acht Monaten obsolet gewesen, seine spätere
kurze Mitteilung, es gäbe keinen neuen Erkenntnisse, ohne Substanz und angesichts
der von ihm, dem Kläger, konkret vorgetragenen weiteren Verringerung der
Kopfschmerzanfälle sachlich nicht nachzuvollziehen. Die gegen Dr. P. schon im
Verwaltungsverfahren sowie erstinstanzlich geltend gemachten Zweifel in Richtung
unzureichende Fachkompetenz in Sachen Clusterkopfschmerz würden
aufrechterhalten. Das Gutachten Q. , auf welches sich das Verwaltungsgericht
weiter stütze, überzeuge in seiner abschließenden Aussage, es lasse sich für die
Zukunft "keine günstige Prognose" stellen – was übrigens schon nicht die nach dem
Gesetz erforderliche Gewissheit ("keine Aussicht") zum Ausdruck bringe –, gemessen
am sonstigen Inhalt des Gutachtens nicht. Dabei lasse das Gutachten an mehren
Stellen hervortreten, dass die Gutachterin, welche weder "Fachärztin" für Neurologie
noch eine auf dem Gebiet des Clusterkopfschmerz ausgewiesene Spezialistin sei,
offenbar nicht ausreichend mit dem Clusterkopfschmerz vertraut sei. Soweit die
Beklagte und (unkritisch) auch das Verwaltungsgericht mit der Anzahl der Krankentage
argumentierten, müsse schließlich darauf hingewiesen werden, dass in 2003 76 Tage
und in 2004 116 Tage der Erkrankung an Clusterkopfschmerz nicht zugeordnet werden
könnten, ihnen vielmehr zwei in diesem Zeitraum durchgeführte Schulteroperationen
zugrunde gelegen hätten. Auf eine dritte Schulteroperation seien im Jahre 2006 ca. 40
bis 50 Krankentage entfallen. Im Jahre 2007 (bis einschließlich Oktober) habe er an ca.
20 Tagen wegen Clusterkopfschmerz gefehlt.
Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach seinem Antrag I. Instanz zu
erkennen.
24
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt zur Begründung aus: Er sei bei der
Beurteilung der Dienstfähigkeit von Bahnbeamten des Bundes auf die gutachterliche
Stellungnahme der Bahnärzte angewiesen, der nach der Rechtsprechung eine der
Beurteilung durch einen Amtsarzt vergleichbare Bedeutung zukomme. Hier sei die der
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Widerspruchsentscheidung zugrunde liegende bahnärztliche Stellungnahme vom 2.
Dezember 2005, welche die Äußerung der neurologischen Fachgutacherin vom 11.
November 2005 einbezogen habe, hinreichend zeitnah gewesen. Wie sich im Übrigen
aus einer beigefügten neuen Stellungnahme von Dr. P. vom 19. Mai 2009 ergebe,
welcher ihrerseits ein Gutachten von Lt. Oberarzt Dr. L. (Neurologische Klinik,
Universtitätsklinik F. ) mit zugrunde liege, sei hier eine Änderung der negativen
medizinischen Prognose erst nach einem längeren Zeitraum der Beschwerdefreiheit
möglich gewesen. Dieser Zustand sei aber unmittelbar vor der
Widerspruchsentscheidung noch nicht erreicht gewesen. Ein Verfahren nach § 84 Abs.
2 SGB IX habe hier – unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit auch auf Beamte –
nicht durchgeführt werden können, weil ein solches Verfahren nur dann einen Sinn
ergebe, wenn noch irgendein Restleistungsvermögen des Betroffenen bestehe. Hier
habe es hingegen auf der Grundlage der bahnärztlichen Stellungnahmen bis hin zum
Erlass des Widerspruchsbescheides nicht einmal eine positive Prognose gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verfahrensakte, der beigezogenen Gerichtsakten (VG Köln, 15 K 3354/07 und 15 L
1864/06) und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (2 Hefte) Bezug genommen.
28
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Die von ihm erhobene Anfechtungsklage gegen
seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ist zulässig und
begründet. Der diesbezügliche Bescheid des Beklagten vom 29. August 2005 in der für
die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
15. Februar 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs.
1 Satz 1 VwGO).
30
Die Zulässigkeit der gegen den Zurruhesetzungsbescheid gerichteten Klage ist nicht mit
Blick auf die zwischenzeitliche Reaktivierung des Klägers weggefallen. Es besteht
vielmehr nach wie vor ein Rechtsschutzinteresse für diese Klage, weil sich aus der
vorzeitigen Zurruhesetzung – jedenfalls was den Zeitraum zwischen deren
Wirksamwerden und der späteren Reaktivierung betrifft – immer noch nachteilige
Rechtsfolgen ergeben. In finanzieller Hinsicht betrifft dies insbesondere die Differenz
zwischen den Bezügen eines aktiven Beamten und eines Ruhestandsbeamten.
31
Die Klage ist auch begründet. Allerdings ist der angefochtene Bescheid nicht bereits
formell rechtswidrig.
32
Eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist im Rahmen des
Zurruhesetzungsverfahrens ordnungsgemäß erfolgt. So ist der besonderen
Schwerbehindertenvertretung des Beklagten bei der Dienststelle Mitte Gelegenheit zur
Äußerung zu der Zurruhesetzungsabsicht gegeben worden. Die besondere
Schwerbehindertenvertrauensperson hat daraufhin Bedenken geäußert, denen der
Beklagte in einem Antwortschreiben entgegengetreten ist. Daraus, dass der Beklagte
die Einschätzung der Vertrauensperson in der Sache nicht geteilt hat, ergibt sich kein
Ansatzpunkt dafür, die formelle Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Versetzung des Klägers
in den Ruhestand durchgreifend in Frage zu stellen.
33
Die – hier fehlende – Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements
(BEM) nach § 84 Abs. 4 SGB IX ist keine Voraussetzung dafür, dass ein Bescheid über
34
die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand formell rechtmäßig ist. Dies gilt
unabhängig davon, ob die genannte Vorschrift als solche auch auf Beamte Anwendung
findet, was unterschiedlich beurteilt wird.
Vgl. etwa einerseits VG Frankfurt, Urteil vom 29. Februar 2008 – 9 E 941/07
–, IÖD 2008, 204, sowie juris (Rn. 45), andererseits VG Berlin, Urteil vom
26. Februar 2008 – 28 A 134.05 –, juris, und Baßlsperger, ZBR 2009, 143
(144).
35
Denn weder aus § 84 Abs. 2 SGB IX selbst noch (erst recht) aus den
beamtenrechtlichen Vorschriften über die Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit
ergibt sich ein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass jede Missachtung der sich aus
dem BEM ergebenden Pflichten des Arbeitgebers/Dienstherrn bereits aus
formellen/verfahrensrechtlichen Gründen in der Weise "sanktioniert" sein soll, dass die
Rechtswidrigkeit der Zurruhesetzungsverfügung die Folge wäre. Hierfür spricht schon,
dass der Gesetzgeber das Verfahren nach dem BEM und das
Zurruhesetzungsverfahren von Beamten bei weggefallener Dienstfähigkeit nicht näher
aufeinander abgestimmt hat, so dass es bei zwei im Rechtssinne voneinander zu
unterscheidenden Verfahren geblieben ist, auch wenn es (bei unterstellter
Anwendbarkeit des BEM im Beamtenrecht) insoweit in der Praxis sicherlich zu einem
gewissen Ineinandergreifen von Instrumenten kommen kann. Die beiden Verfahren
stehen aber nicht in einem abgestuften Verhältnis dergestalt, dass der Dienstherr erst im
Anschluss an ein Scheitern des Eingliederungsmanagements die Dienstfähigkeit durch
Anordnung (amts-)ärztlicher Untersuchung näher überprüfen lassen und (davon
abhängig) den Weg der Zurruhesetzung beschreiten darf.
36
Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 29. Januar 2007 – 5 ME
61/07 –, Schütz/ Maiwald, BeamtR, ES/A II 5.5 Nr. 36, sowie juris (Rn. 17).
37
Die vorstehend dargelegte Sicht steht im Übrigen in entsprechender Übereinstimmung
mit der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, derzufolge die Durchführung eines BEM
keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten
Kündigung ist.
38
Vgl. BAG, Urteil vom 7. Dezember 2006 – 2 AZR 182/06 –, BAGE 123, 234
= DB 2008, 189, sowie juris (Rn. 33, 36).
39
Strengere Anforderungen lassen sich insoweit für die Entscheidung über die vorzeitige
Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit aus beamtenrechtlichen
Grundsätzen sicherlich nicht ableiten.
40
Vgl. – in diesem Sinne – auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Mai
2009 – 3 LB 27/08 –, juris (Rn. 28).
41
Soweit das Bundesarbeitsgericht (a.a.O., Rn. 41) § 84 Abs. 2 SGB IX als eine
Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ansieht und daraus
Konsequenzen u.a. auch für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im
Kündigungsschutzprozess zieht, betrifft dies demgegenüber keine Fragestellungen der
formellen Rechtmäßigkeit und auch nicht der Wirksamkeit der Maßnahme, bezieht sich
vielmehr schon auf die materiell-rechtliche Prüfung. Insoweit ist in dem hier
einschlägigen beamtenrechtlichen Zusammenhang im Übrigen in Rechnung zu stellen,
42
dass der auch vom Kläger angesprochene Grundsatz "Weiterverwendung vor
Versorgung", wie er u.a. in § 42 Abs. 3 BBG a.F. zum Ausdruck kommt, (unabhängig
vom BEM-Verfahren) bereits in eine ebensolche Richtung zielt.
Hiervon abgesehen kann ein unterlassenes BEM erst recht nicht zur formellen
Rechtswidrigkeit des Bescheides über die vorzeitige Zurruhesetzung eines Beamten
führen, wenn sich ein etwaiges pflichtwidriges Unterlassen dieses Verfahrens in dem zu
beurteilenden Fall auf das Bestehen der Zurruhesetzungsvoraussetzungen gar nicht
ausgewirkt haben kann, weil auch bei Durchführung eines solchen Präventions-
/Eingliederungsverfahrens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Eintritt
dauernder Dienstunfähigkeit nicht vermieden worden bzw. eine Wiederherstellung der
Dienstfähigkeit nicht (früher) gelungen wäre.
43
Vgl. VG Berlin, Urteil vom 26. Februar 2008 – 28 A 134.05 –, juris (Rn. 29);
VG des Saarlandes, Urteil vom 12. Mai 2009 – 2 K 814/08 –, juris (Rn. 27).
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Man kann insofern, ohne dass dies hier abschließend entschieden werden muss, schon
in Frage stellen, ob in derartigen Fällen, in denen es etwa schon aus Gründen der Art
und/oder Schwere der betroffenen Erkrankung vollständig an einem
Restleistungsvermögen des Betroffenen fehlt bzw. dieses erkennbar noch nicht wieder
hinreichend erreicht ist, die sich aus § 84 Abs. 2 SBG IX für den Arbeitgeber ergebende
Verpflichtung mangels objektiver Sinnhaftigkeit überhaupt greift. Denn das
Instrumentarium des BEM zielt zumindest in erster Linie auf solche Hilfestellungen,
welche der Dienstherr (mit) beeinflussen kann, wie etwa die leidensgerechte
Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Änderung/Anpassung sonstiger, sich auf das
Leiden bzw. seine Besserung negativ auswirkender Arbeitsbedingungen. Bei der
Wiedereingliederung langzeitig Erkrankter in den Dienstbetrieb ist diesbezüglich ein in
gewissem Umfang verbliebenes oder schon wiedererlangtes Leistungsvermögen aber
grundsätzlich unverzichtbar, sollen derartige Wiedereingliederungsbemühungen
überhaupt einen Sinn ergeben. Fehlt es an einem solchen Grundleistungsvermögen des
Betroffenen und besteht nach Einschätzung der vom Dienstherrn zugezogenen Ärzte
auch nicht die Wahrscheinlichkeit, dass sich an diesem Zustand in absehbarer Zeit
etwas ändern wird, stellt es jedenfalls keinen Fehler des Zurruhesetzungsverfahrens
dar, wenn der Dienstherr begleitend zu diesem Verfahren nicht zugleich ein BEM
durchführt bzw. durchgeführt hat.
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Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so hat sich die Beklagte
auf ein fehlendes (hinreichendes) Restleistungsvermögen des Klägers bereits aus
medizinischen Gründen, nämlich unmittelbar begründet durch die Intensität und
Chronifizierung von dessen Clusterkopfschmerz-Erkrankung, berufen. Jedenfalls für die
Zeit von der Einleitung des Zurruhesetzungsverfahrens im Juli 2005 bis hin zum Erlass
des Zurruhesetzungsbescheides Ende August 2005 ist dies (noch) ohne weiteres
objektiv nachvollziehbar, zumal auch der Kläger nichts Greifbares dafür vorgetragen hat,
er hätte schon damals beispielsweise eine stufenweise Wiedereingliederung mit
zunächst geminderter Arbeitszeit von seiner Konstitution her erfolgversprechend leisten
oder hätte bei bestimmten sonstigen Änderungen der Arbeitsbedingungen seine
Dienstunfähigkeit schon eher als sodann geschehen nachhaltig überwinden können. Ob
eine entsprechende Bewertung auch noch für den nachfolgenden Zeitraum bis zum
Erlass des Widerspruchsbescheides im Februar 2006 (uneingeschränkt) gelten kann, ist
mit Blick auf die späteren Ausführungen des Senats zur materiellen Rechtmäßigkeit des
Bescheides zweifelhaft, kann aber letztlich dahinstehen. Denn – wie anfangs ausgeführt
46
– hätte selbst eine bestehende rechtliche Verpflichtung des Beklagten zur Durchführung
eines BEM keine Auswirkungen auf die Frage der formellen Rechtmäßigkeit der
Zurruhesetzungsverfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides gehabt.
Deswegen muss hier auch nicht weiter der Frage nachgegangen werden, ob auch nach
einer schon verfügten Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand noch ein BEM
durchgeführt werden muss, sofern der Betroffene – wie hier – diese Entscheidung mit
Widerspruch und Klage angefochten hat.
Die Verfügung über die vorzeitige Zurruhesetzung des Klägers ist jedoch materiell
rechtswidrig. Denn es fehlt an der notwendigen Voraussetzung, dass der Kläger in dem
für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides (dauernd)
dienstunfähig gewesen ist.
47
Maßstabsnorm für die rechtliche Überprüfung ist dabei noch § 42 des
Bundesbeamtengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 1999
(BGBl. I S. 675) – im Folgenden: BBG a.F.. Zwar ist diese Rechtsnorm während des
Berufungsverfahrens durch § 44 des neuen Bundesbeamtengesetzes abgelöst worden
(Art. 1 des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009, BGBl. I S. 160). Für
die Rechtmäßigkeit kommt es aber im vorliegenden Zusammenhang auf die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also des
Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2006, an.
48
vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Oktober 1997 – 2 C 7.97 –, BVerwGE 105,
267, und vom 26. März 2009 – 2 C 46.08 –, juris (Rn. 13 und 15),
49
Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. ist ein Beamter auf Lebenszeit – wie der Kläger –
vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand zu versetzen, wenn er
dienstunfähig ist, es sei denn die Voraussetzungen des Absatzes 3 liegen vor, nach
denen von der Zurruhesetzung abgesehen werden soll, wenn (vereinfacht ausgedrückt)
noch eine anderweitige Verwendung des Beamten im aktiven Dienst möglich ist.
50
Auch wenn in diesem Zusammenhang die materielle Rechtmäßigkeit der Versetzung
des Beamten in den Ruhestand regelmäßig davon abhängt, ob – bezogen auf den
maßgeblichen Zeitpunkt – die zuständige Behörde "nach den ihr zur Verfügung
stehenden Erkenntnissen annehmen durfte", dass der Beamte dienstunfähig ist,
51
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1997 – 2 C 7.97 –, a.a.O.,
52
ist dies nicht dahin zu verstehen, dass der Behörde etwa ein gerichtsfreier
Beurteilungsspielraum zukäme. Einen solchen Spielraum räumt ihr nämlich das Gesetz
nicht ein. So unterliegt es nicht nur der vollen gerichtlichen Kontrolle, ob ein rechtlich
unbedenklicher Maßstab an einen sorgfältig ermittelten Sachverhalt angelegt worden
ist, sondern (im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung) auch, ob dieser Sachverhalt die
Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Das schließt etwaige
Feststellungen oder Schlussfolgerungen in ärztlichen Gutachten grundsätzlich mit ein.
Auch diese sind vom Gericht (in den Grenzen erforderlicher Sachkenntnis) nicht
ungeprüft zu übernehmen, sondern selbstverantwortlich zu überprüfen und
nachzuvollziehen.
53
So schon BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1966 – VI C 46.63 –, Buchholz
232 § 42 BBG Nr. 8; vgl. ferner Senatsurteil vom 28. Mai 2003 – 1 A 2150/00
54
–, juris (Rn. 95).
Dies zugrunde gelegt, steht hier zur Überzeugung des Senats fest, dass für den
maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung die Annahme des
Beklagten, der Kläger sei (noch weiter) dauernd dienstunfähig gewesen, nicht auf einem
tragfähig in diese Richtung zu würdigenden Sachverhalt beruht und daher nicht
gerechtfertigt gewesen ist.
55
Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. ist ein Beamter dienstunfähig, wenn er wegen seines
körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner
Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Nach dem Satz 2 der Vorschrift kann der Beamte als
dienstunfähig auch dann angesehen werden, wenn er infolge Erkrankung innerhalb
eines Zeitraumes von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und
keine Aussicht besteht, dass er innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll dienstfähig
wird. Letzteres stellt eine die Grundregel des Satzes 1 ergänzende Zusatzregelung dar,
mit deren Hilfe die Feststellung der Dienstunfähigkeit im Einzelfall erleichtert werden
kann.
56
Vgl. Senatsurteile vom 27. September 2001 – 1 A 2265/99 – und vom 28.
Mai 2003 – 1 A 2150/00 –, juris (Rn. 102).
57
Der hier in Rede stehende Begriff der (dauernden) Dienstunfähigkeit ist spezifisch
beamtenrechtlicher (dienstrechtlicher) Art. Er stellt dabei nicht allein auf die Person des
Beamten bzw. auf Art und Ausmaß seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ab.
Vielmehr sind letztlich die Auswirkungen der jeweiligen Erkrankung auf die Fähigkeit,
die Dienstpflichten weiter zu erfüllen, und damit auch die Auswirkungen auf den
Dienstbetrieb entscheidend. Das bedeutet zugleich, dass es jedenfalls nicht in allen
Fällen auf die Erhebung exakter und zutreffender medizinischer Befunde ankommt,
sondern vielmehr darauf, ob der Beamte nach seiner gesamten Konstitution zur
Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, weil auf absehbare Zeit eine
Behebung im Sinne einer nachhaltigen Besserung seines Zustandes nicht zu erwarten
ist. Aus diesem Grund stellt die ärztliche Begutachtung nicht das einzige und stets
ausschlaggebende Beweismittel für die Klärung der Dienstunfähigkeit dar; namentlich
ist es nicht Sache des begutachtenden Arztes, die Dienstpflichten des jeweiligen
Beamten zu bestimmen.
58
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1966 – VI C 56.63 –, ZBR 1967, 148,
und vom 16. Oktober 1997 – 2 C 7.97 –, a.a.O.; ferner OVG NRW, Urteil vom
11. März 2009 – 6 A 2615/05 –, sowie Senatsurteile vom 28. Mai 2003 – 1 A
2150/00 –, juris (Rn 98), und vom 17. September 2003 – 1 A 1069/01 –,
ZBR 2005, 101; allgemein auch Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, Kommentar
zum Bundesbeamtengesetz (Stand: Oktober 2009), § 42 BBG (alt) Rn. 2 ff.,
6.
59
Maßstab für die Beurteilung ist in diesem Zusammenhang nicht das auf einem
bestimmten Dienstposten wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinne,
sondern das dem Beamten zuletzt übertragene Amt im abstrakt-funktionellen Sinne.
Dieses umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten
Dienstposten, auf denen er amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt die
Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur
Verfügung steht, der seinem statusrechtlichen Amt zugeordnet und gesundheitlich für
60
ihn geeignet ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 – 2 C 46.08 – juris (Rn. 15); ferner
etwa Senatsbeschluss vom 29. September 2009 – 1 A 2538/07 –.
61
Hieraus ergibt sich für die Beurteilung des vorliegenden Falles:
62
Es steht hier – auch ausgehend von den eigenen Aufschreibungen des Klägers (sog.
Kopfschmerztagebuch) – außer Frage, dass die für die Beurteilung der
Dienstunfähigkeit des Klägers offensichtlich im Vordergrund stehende Erkrankung an
Clusterkopfschmerz nach vorherigem eher episodischem Auftreten insbesondere im
zweiten Halbjahr 2004 sowie im ersten Halbjahr 2005 nach Häufigkeit und Schwere der
aufgetretenen Attacken einen Verlauf genommen hatte, der in Übereinstimmung mit den
vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen – zumindest nunmehr – die Annahme eines
Überganges in ein chronisches Stadium der Krankheit schlüssig nahelegte. Auch
besteht kein Zweifel daran, dass in diesem Stadium die Fähigkeit des Klägers,
dienstliche Leistungen (gleich auf welchem Dienstposten seines abstrakt-funktionellen
Amtes) zu erbringen, vollständig verloren gegangen war. Entscheidend kommt es hier
deshalb darauf an, ob diese Beurteilung auch noch für den maßgeblichen Zeitpunkt des
Widerspruchsbescheides, also im Februar 2006, gerechtfertigt gewesen ist. Das ist zur
Überzeugung des Senats zu verneinen. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte sich die
Erkrankung des Klägers ausgehend von dessen substanziierten Angaben und
Aufschreibungen zu der weiteren zeitlichen Entwicklung der Häufigkeit der
Kopfschmerzattacken, welche dem Beklagten bekannt waren und gegen deren
Richtigkeit als solche nichts von Belang eingewendet wurde, über einen schon
beachtlichen Zeitraum signifikant wieder gebessert. Hinzu kommt, dass diese
Remission der chronischen Erkrankung offenbar nicht durch Schwankungen
gekennzeichnet war, sondern in der Gesamtschau eine deutlich erkennbare positive
Entwicklungslinie aufwies, ohne dass etwas konkretes auf ihre künftige Unterbrechung
bzw. Umkehrung hinwies.
63
Zwar dürfte der Umstand, dass der Kläger erstmals bereits im Verwaltungsverfahren
unter dem 7. Juli 2005 den Beklagten darauf hinwies, dass sich schon im Vergleich des
ersten Halbjahres 2005 zu dem vorangegangenen zweiten Halbjahr 2004 insofern eine
merkliche Verbesserung des Kopfschmerzleidens (um mehr als 33 %) eingestellt habe,
als die Schmerzanfälle von zuvor 600 auf nunmehr 397 zurückgegangen seien, für sich
genommen noch kein geeigneter Anknüpfungspunkt für eine sich abzeichnende
relevante Verbesserung und zugleich ausreichende Stabilisierung gewesen sein. Denn
für die begründete Aussicht, in absehbarer Zeit wieder dienstfähig zu werden, war
damals schon die Häufigkeit der Attacken immer noch wesentlich zu hoch. Jedoch
musste die vom Kläger angesprochene Entwicklung bereits ein Signal für den
Beklagten und deren zuständigen Bahnarzt sein, dem weiteren Verlauf der Krankheit
eine erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, auch wenn das Zurruhesetzungsverfahren
bereits eingeleitet war.
64
Der Kläger hat es aber nicht bei diesem einen Hinweis belassen, sondern im Rahmen
des Widerspruchsverfahrens unter dem 12. September 2005 sowie insbesondere 22.
Dezember 2005 ergänzende Angaben über den weiteren Krankheitsverlauf im zweiten
Halbjahr 2005 gemacht sowie darüber hinaus Grafiken betreffend den Intensitätsverlauf
(als Schmerzintegral = "Schmerzmenge" aus Schmerzintensität und Schmerzdauer)
über die Zeit beigefügt. Signifikant ist in diesem Zusammenhang bereits die deutliche
65
(weitere) Abnahme der Anzahl der Schmerzattacken auf (bis zum 15. Dezember 2005)
nur noch 55, wobei sich die drastisch gesunkene Intensität des Leidens entsprechend
auch schon in der den Krankheitsverlauf bis zum 10. September 2005 erfassenden
Grafik wiederspiegelt. Diese erstaunliche Besserung des Leidens während des noch
laufenden Widerspruchsverfahrens, welche sich nach den späteren Angaben des
Klägers in der Klageschrift im ersten Halbjahr 2006 fortgesetzt und noch weiter verstärkt
hat, hätte gebührend in die Würdigung der Frage einbezogen werden müssen, ob auch
in Ansehung dieses weiteren Verlaufs der Erkrankung noch im Februar 2006 die
Prognose dauernder Dienstunfähigkeit tragfähig, nämlich mit einer stichhaltigen
Begründung, gestellt werden konnte.
Eine solche tragfähige Feststellung ist hier indes auch bei der gebotenen Einbeziehung
des Inhalts der vorliegenden bahnärztlichen Stellungnahmen von Dr. P. sowie des
Fachgutachtens der Ärztin für Neurologie Q. nicht möglich. Die angesprochenen
Gutachten und Stellungnahmen weisen nämlich ins Gewicht fallende Mängel auf. Sie
setzen sich mit der Frage, ob sich der Gesundheitszustand des Klägers noch vor dem
Erlass des Widerspruchsbescheides in für die absehbare Wiedererlangung der
Dienstfähigkeit beachtlicher Weise gebessert und stabilisiert hat, schon nicht
hinreichend und in inhaltlich nachvollziehbarer Weise auseinander. Die dort aus dem
zuvor chronischen Verlauf der Erkrankung allgemein gezogenen Schlussfolgerungen
vermögen für sich genommen das Ergebnis fortbestehender Dienstunfähigkeit nicht zu
tragen, weil sie erkennbar gewordene aktuelle Besonderheiten des Verlaufs der
Erkrankung gerade beim Klägers entweder ganz vernachlässigen oder jedenfalls nicht
schlüssig in die gegebene Begründung einbeziehen.
66
Die Begründung, welche Dr. P. in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 20. Juni
2005 für die nunmehr mit der Prognose, der Beamte werde innerhalb der nächsten 6
Monate aller Voraussicht nach nicht dienstfähig werden, im Unterschied zu
vorangegangenen Begutachtungen im Jahr 2004 angenommene dauernde
Dienstunfähigkeit des Klägers gegeben hat, stützt sich im Wesentlichen auf einen
seinerzeit ca. 1 Jahr andauernden Krankenstand (mit einwöchiger Unterbrechung)
sowie den aus dem bisherigen Krankheitsverlauf abgeleiteten chronifizierten
Dauerzustand – im Unterschied zu einer zuvor wellenförmig verlaufenen Symptomatik
mit auch längeren Phasen des Wohlergehens. Diese Beurteilung kann im vorliegenden
Zusammenhang schon deswegen kein entscheidendes Gewicht (mehr) erlangen, weil
sie bereits aus zeitlichen Gründen die signifikante weitere Entwicklung des
Krankheitsverlaufs beim Kläger im zweiten Halbjahr 2005 und nachfolgend bis zum
Erlass des Widerspruchsbescheides im Februar 2006 noch gar nicht berücksichtigen
und aus medizinischer Sicht bewerten konnte. Im Kern gilt dies auch noch für die wenig
später erstellte ergänzende Stellungnahme von Dr. P. vom 13. Juli 2005, in der es u.a.
heißt, es gebe keine medizinisch nachvollziehbaren Argumente, weshalb sich an
diesem schlechten Gesundheitszustand (des Klägers) zukünftig etwas ändern könne,
und die von dem Beamten formulierte Beschwerdereduktion bzw. freiheit werde nach
medizinischem Ermessen nicht von einer Nachhaltigkeit sein, dass man vom ihm (dem
Kläger) in der Zukunft in ausreichender Regelmäßigkeit und Intensität dienstliche
Tätigkeit werde erwarten können. Unter dem 23. September 2005 hat Dr. P. sodann,
ohne aus fachlich medizinischer Sicht zu der (ersten) Widerspruchsbegründung des
Klägers ergänzende Ausführungen zu machen, lediglich auf seine schon vorliegenden
Stellungnahmen verwiesen sowie die Einholung eines neurologischen Fachgutachtens
der Frau Q. als "evtl. hilfreich" vorgeschlagen. Nachdem dieses Fachgutachten
vorlag, schloss sich der Leitende Bahnartz Dr. P. im Wesentlichen der Meinung "der
67
Fachkollegin" an. Hiernach handele es sich um den chronifizierten Verlauf eines seit
mehreren Jahren bestehenden Cluster-Kopfschmerzes; alle vorliegenden Daten
belegten den progredienten und chronischen Charakter der Beschwerdesymptomatik,
so dass sich für die Zukunft keine günstige Prognose stellen lasse. Das Fachgutachten
verstärke deswegen die Auffassung, dass die medizinischen Voraussetzungen erfüllt
seien, um eine dauerhafte Dienstunfähigkeit festzustellen. Nachfolgend hat sich Dr. P.
unter dem 25. Januar 2006 (offenbar telefonisch auf Anfrage des Beklagten) nur noch
einmal kurz dahin geäußert, dass es auch in Ansehung der weiteren Begründung des
Widerspruchs "keine neuen Erkenntnisse" gebe. Zeitnah vor dem Erlass des
Widerspruchsbescheides hat sich der Leitende Bahnarzt somit inhaltlich in keiner Weise
nachvollziehbar mit dem tatsächlichen Umstand auseinandergesetzt, dass
zwischenzeitlich die Anzahl und Intensität der Kopfschmerzattacken des Klägers in
deutlichem Umfang zurückgegangen war. Er hat vielmehr – sinngemäß – den Eindruck
vermittelt, als sei hinsichtlich der tatsächlichen Beurteilungsgrundlage "alles beim alten"
geblieben.
Die zuvor beschriebenen Defizite der ärztlichen Begutachtung bleiben auch bei
Mitwürdigung des Fachgutachtens Q. vom 11. November 2005 bestehen. So endet
der in dem Gutachten wiedergegebene "Sachverhalt nach Aktenlage" in zeitlicher
Hinsicht mit dem bahnärztlichen Gutachten aus Juni 2005. Der "Sachverhalt nach
Angaben des Beamten" führt zwar den Umstand, dass es seit Mitte Juli des Jahres 2005
zu einer deutlichen Reduktion der Kopfschmerzattacken gekommen sei, (kurz) mit an,
ohne insoweit Zahlenangaben wiederzugeben. In der "Zusammenfassung und
Beurteilung" heißt es dann aber (Bezug nehmend auf den sog. "Kopfschmerzkalender"
des Klägers), ab dem Jahr 2003 sei es fortlaufend zu einer Zunahme der Anfälle
gekommen; auch für das Jahr 2005 seien vom Beamten nur wenige Tage
Kopfschmerzfreiheit dokumentiert (Seite 10 des Gutachtens). Dies ist entweder so nicht
nachvollziehbar oder aber berücksichtigt (was nach den zeitlichen Abläufen
wahrscheinlicher ist) noch nicht die späteren Angaben des Klägers zum Verlauf der
Erkrankung im (kompletten) zweiten Halbjahr 2005. In die gleiche Richtung weist, dass
Frau Q. sodann auf Seite 11 ihres Gutachtens ausführt, im hier zugrunde liegenden
Fall entwickele sich einer progredienter, chronischer Verlauf mit Zunahme der Anfälle
und Abnahme der anfallsfreien Zeit (Hervorhebungen durch den Senat). Diese
Aussagen werden schon der Entwicklung bis zum 11. November 2005 jedenfalls
rückschauend nicht gerecht. Insofern ist die Gutachterin hier letztlich von einer in der
Sache "verkürzten" Beurteilungsgrundlage ausgegangen und hat hierauf ihre
abschließende (ohnehin eine Sicherheit in der Beurteilung vermissen lassende)
Bewertung mit gestützt, abgeleitet aus dem bisherigen Krankheitsverlauf lasse sich für
die Zukunft "keine günstige Prognose" stellen (Seite 11 des Gutachtens). Mittelbar
bestätigt sich dies auch in Würdigung der nachfolgend getätigten Aussage der
Gutachterin, der Beamte sei in Phasen, in denen er mehrere Kopfschmerzattacken über
den Tag verteilt von 5 bis 20 Minuten Dauer erleide, nachvollziehbar nicht in der Lage,
seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Im zweiten Halbjahr 2005 hat der Kläger
nach seinen nicht substanziiert bestrittenen (späteren) Angaben aber schon insgesamt
nur noch 55 solche Attacken gehabt; das entspricht (höchstens) 27 Tagen mit mehreren
Kopfschmerzattacken pro Tag. Es fällt in die Sphäre des Beklagten, wenn vorliegend
unterlassen worden ist, Frau Q. im Lichte der ergänzenden Sachverhaltsangaben
des Klägers in seiner weiteren Widerspruchsbegründung um eine Überprüfung und ggf.
Ergänzung der in ihrem Gutachten gemachten Aussagen zu bitten.
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Die Mängel der vorhandenen Gutachten bieten für den Senat keine Veranlassung, ein
69
weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Denn wegen der schon im Zeitpunkt
des Widerspruchsbescheides – nach ca. 8 Monaten signifikanter Besserung – deutlich
erkennbaren und bei fortdauernder positiver Entwicklungstendenz für hinreichend
nachhaltig zu erachtenden Remission der Cluster-Kopfschmerzerkrankung in ihrer
chronischen Verlaufsform, wie sie sich (rückschauend) auch im weiteren zeitlichen
Verlauf bis hin zu der zwischenzeitlichen Reaktivierung des Klägers bestätigt hat, fehlt
es erkennbar an einem greifbaren Anhalt dafür, dass zu dem hier maßgeblichen
Zeitpunkt noch mit der gebotenen Sicherheit ("keine Aussicht", arg. § 42 Abs. 1 Satz 2
BBG a.F.) die Prognose hätte sachlich gerechtfertigt sein können, der Kläger werde in
absehbarer Zeit – nach dem in § 42 Abs. 1 Satz 2 BBG a.F. insoweit gegebenen Anhalt
in einem Zeitraum von jedenfalls nicht unter sechs (weiteren) Monaten – seine Fähigkeit
zur Dienstleistung nicht in ausreichendem Umfang voll wiedererlangen. Gegenteiliges
ergibt sich auch nicht aus der vom Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten
Stellungnahme des Dr. P. vom 19. Mai 2009, in welcher u.a. die Einschätzung des
Leitenden Oberarztes Dr. L. der Neurologischen Klinik und Poliklinik,
Universitätsklinikum F. , im Anschluss an eine spätere Untersuchung des Klägers von
Mai 2007 wiedergegeben wird, die vorliegende Remission sei als "sehr selten"
anzusehen und der gesamte Verlauf als "ungewöhnlich" zu bewerten. Denn hier war
dieser ungewöhnliche Verlauf in dem gegebenen besonderen Fall bereits durch die
konkrete Entwicklung zwischen Juli 2005 und Februar 2006 als zumindest näher in
Betracht zu ziehende Möglichkeit vorgezeichnet. Eine weitere Hinwendung zum
Postitiven hätte deswegen (mit) einkalkuliert werden müssen, die Aussicht auf
Wiedererlangung der Dienstfähigkeit nicht allein unter Rückgriff auf – durch
verbleibende Unsicherheitsfaktoren mit geprägte – angebliche allgemeine
Erfahrungssätze (pauschal) verneint werden dürfen. Letzteres gilt noch verstärkt, wenn
man die Äußerung von Frau Q. in ihrem Gutachten vom 11. November 2005 (dort
Seite 10) als zutreffend unterstellt, Aussagen zur Prognose des Erkrankungsverlaufs bei
Cluster-Kopfschmerzen (bezüglich Häufigkeit und Umfang der Schmerzattacken,
Behandlungsbedürftigkeit bzw. Dienstfähigkeit) gestalteten sich bei dieser sehr selten
vorkommenden Kopfschmerzform "schwierig".
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
70
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 132 Abs. 2 VwGO,
127 BRRG nicht gegeben sind.
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