Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 06.01.2009

OVG NRW: doppelehe, duldung, lebensgemeinschaft, scheinehe, scheidungsverfahren, verfassung, aufenthaltserlaubnis, botschaft, nigeria, dänemark

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 B 1914/08
Datum:
06.01.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 B 1914/08
Schlagworte:
Doppelehe Einehe
Normen:
GG Art. 6 Abs. 1; BGB § 1314 Abs. 1; BGB § 1315 Abs. 2 Nr. 1;
AufenthG § 28
Leitsätze:
1. Eine Doppelehe entfaltet zugunsten eines Ausländers grundsätzlich
keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz
des Art. 6 Abs. 1 GG steht.
2. Das Verwaltungsgericht ist zu einer eigenständigen Bewertung der
Ehe als ausländerrechtlich schützenswert befugt.
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.250,-- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf
deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen
keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.
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I. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht zu Recht
festgestellt, dass der Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen
eines Anordnungsanspruchs auf Erteilung einer Duldung nicht glaubhaft gemacht hat.
Namentlich hat er weder dargetan, dass seine Abschiebung rechtlich oder tatsächlich
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unmöglich wäre, § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, noch - was das Verwaltungsgericht
entgegen der Ansicht der Beschwerde geprüft hat -, dass dringende humanitäre oder
persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende
weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erforderten, § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG.
Der Antragsteller beruft sich mit der Beschwerde im Wesentlichen darauf, er führe mit
der deutschen Staatsangehörigen Q. H. eine eheliche Lebensgemeinschaft, die
unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehe. Dass seine zuvor mit der nigerianischen
Staatsangehörigen F. B. geschlossene Ehe entgegen seiner Behauptung noch nicht
geschieden sei, sei unzureichend aufgeklärt. Auf E-Mails der Botschaft könne insoweit
nicht abgestellt werden.
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Es ist jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass die seitens des Antragstellers behauptete
eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen unter dem Schutz
des Art. 6 Abs. 1 GG steht. Denn es spricht alles dafür, dass der Antragsteller derzeit
noch mit seiner nigerianischen Ehefrau F. B. verheiratet ist (dazu nachfolgend 1.), so
dass es sich bei der mit der deutschen Staatsangehörigen Q. H. in Dänemark
geschlossenen Ehe, sofern diese - was offen bleiben kann - wirksam ist, um eine
unzulässige Doppelehe handelt (dazu nachfolgend 2.).
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1. Mit der Beschwerde hat der Antragsteller die überzeugenden und eingehenden
Feststellungen (unter anderem) des Verwaltungsgerichts dazu, dass und aufgrund
welcher Zusammenhänge anzunehmen ist, dass die in Nigeria geschlossene Ehe des
Antragstellers noch nicht geschieden ist, nicht durchgreifend in Frage gestellt. Auf diese
wird Bezug genommen. Erst recht ist nicht - wie im vorliegenden Verfahren gemäß §
123 VwGO erforderlich - glaubhaft gemacht, dass die in Nigeria geschlossene Ehe
geschieden ist. Die Kritik, die angestellten Ermittlungen seien unzureichend, reicht
hierfür nicht aus. Nicht ersichtlich ist auch, warum nicht auf bei den
Verwaltungsvorgängen befindlichen, per E-Mail übersandten Auskünfte der Deutschen
Botschaft Lagos abgestellt werden sollte. Die hierin enthaltene Darstellung der Formen
von Eheschließung und Scheidung nach nigerianischen Recht ist nachvollziehbar und
wird im Übrigen durch das vom Antragsteller vorgelegte Dokument des Customary Court
bestätigt.
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Auch der Verweis auf das vor dem High Court abgegebene Affidavit des Vaters des
Antragstellers, auf das sich die weitere mit der Beschwerde eingereichte Bescheinigung
des Oredo Local Government ausdrücklich bezieht, genügt zum Nachweis einer
erfolgten zivilrechtlichen Scheidung ersichtlich nicht. Entgegen der Darstellung der
Beschwerde hat damit nicht der High Court bestätigt, dass der Antragsteller auch
zivilrechtlich wirksam geschieden ist, sondern es bestätigt lediglich der Commissioner
for Oaths der High Court Registry, dass der Vater des Antragstellers eine Erklärung
bestimmten Inhalts abgegeben hat. Allerdings ist erstens der Erklärung schon nicht zu
entnehmen, dass der Antragsteller zivilrechtlich wirksam geschieden ist. Die - wörtlich
so gefassten - Formulierungen
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"3. That the said marriage has been seperated since 20th September, 2005.
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4. That since that date my son has been single.
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5. That he is free to get married to any woman of her choice."
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können auch dahin verstanden werden, dass sich das Paar entweder nur getrennt hat
oder dass nur die stammesrechtlich geschlossene Ehe aufgelöst ist. Abgesehen davon
reicht ein von einem engen Verwandten abgegebenes Affidavit zum Beleg der
wirksamen Scheidung auch nicht aus; es ist in Fällen wie dem Vorliegenden in
Erwägung zu ziehen, dass der Vater, um seinem Sohn zu helfen, auch unwahre
Erklärungen machen würde, zumal strafrechtliche Konsequenzen insoweit kaum drohen
dürften. Und schließlich bestehen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Erklärung,
weil der Antragsteller selbst mit dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
eine offenbar schon im Visumsverfahren vorgelegte Auflistung - unter anderem - seiner
engen Verwandten abgegeben hat, in der als erstes angegeben ist: "Fathers name and
Address: Mr. S.I. F1. - Deceased (verstorben)".
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Im Übrigen spricht - im Gegenteil - das weitere Vorbringen des Antragstellers dafür, dass
dieser von seiner nigerianischen Ehefrau nicht geschieden ist. Der Antragsteller hat
nämlich erstinstanzlich vorgetragen, seine Ehefrau F. B. habe nunmehr im
September 2008 vor dem High Court ein Scheidungsverfahren eingeleitet, in dem
bereits zwei Verhandlungstermine bzw. Anhörungen stattgefunden hätten und
demnächst mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Es erscheint in hohem Maß
unwahrscheinlich, dass ein Scheidungsverfahren vor dem zuständigen Gericht mit
mehreren Verhandlungsterminen bzw. Anhörungen (nochmals) durchgeführt würde,
wenn der Antragsteller - wie er behauptet - zivilrechtlich bereits wirksam geschieden
wäre.
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2. Dies zugrunde gelegt steht die Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit Frau H1.
nicht unter dem Schutz des Art. 6 GG. Sofern die in Dänemark geschlossene Ehe
überhaupt wirksam ist, handelt es sich um eine Doppelehe. Eine solche entfaltet -
ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit -
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die Ehe wäre nach deutschem Recht gemäß § 1314 Abs. 1 i.V.m. § 1306
BGB (nur) aufhebbar -
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zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil
sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht.
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Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21. August 2007 - 11 S
995/07 -, NJW 2007, 3453, und vom 15. August 2005 - 13 S 951/04 -, juris,
sowie Urteil vom 11. Januar 2006 - 13 S 2345/05 -, AuAS 2006, 149, jeweils
mit weiteren Nachweisen; OVG NRW, Beschluss vom 11. Dezember 2006 -
19 B 883/06 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 1998 Bs VI (VII)
213/95 ; VG Dessau, Urteil vom 7. Oktober 2003 3 A 76/03 -.
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Gesetzliche Regelungen, die wie § 28 AufenthG an diejenige Lebensgemeinschaft
zwischen Frau und Mann anknüpfen, die als Ehe den Schutz der Verfassung genießt,
müssen die wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Strukturprinzipien
beachten, die sich aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene,
überkommene Lebensformen in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten
Grundrechts und anderen Verfassungsnormen ergeben. Hierzu gehört unter anderem
das Prinzip der Einehe.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31,58;
BVerfG, Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62,
18
323; BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33.81 -, BVerwGE 71, 228;
OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2007 - 19 A 3047/06 - und vom
11. Dezember 2006 - 19 B 883/06 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.
März 2004 - 10 A 11717/03.OVG - m.w.N.; Nds. OVG, Urteil vom 6. Juli 1992
- 7 L 3634/91 -.
Die Anwendung zu strenger oder zu geringer Voraussetzungen bei der Auslegung und
Anwendung von an das Institut der Ehe anknüpfend gesetzlichen Regelungen ist mit
den sich aus der Verfassung selbst ergebenden Strukturprinzipien unvereinbar.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31,58;
BVerfG, Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62,
323; auch BT-Drs. 11/6321, S. 60.
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Die gesetzlich gewollte Durchsetzungskraft des Verbotes der Doppelehe zeigt sich auch
an seiner Strafbewehrtheit gemäß § 172 StGB sowie der eng begrenzten Möglichkeit
des Ausschlusses der Aufhebung einer Doppelehe nach §§ 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 2
Nr. 1 BGB. Das Ausländerrecht ist im Einklang mit diesem Verbot auszulegen. Insoweit
ist der vorliegende Sachverhalt vergleichbar mit dem Fall einer sog. Scheinehe, d.h.
einer Ehe, die nur zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik
Deutschland geschlossen wird. Zwar liegt auch hier eine zivilrechtlich wirksame
Eheschließung vor; dennoch ist etwa anerkannt, dass die Verweigerung einer
Aufenthaltserlaubnis beim Vorliegen einer Scheinehe zulässig ist und insbesondere
nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstößt, weil es sich (auch) dabei nicht um eine dem
Schutz dieses Grundrechts unterfallende Ehe handelt.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, FamRZ 2003,
1000.
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Dass das Verwaltungsgericht zu einer eigenständigen Bewertung der Ehe als
ausländerrechtlich schützenswert befugt ist und ein zivilgerichtliches Monopol zur
Bewertung einer Ehe nicht besteht, zeigt neben dem Vergleich mit der Scheinehe auch
der von den Strafgerichten zu prüfende Straftatbestand der Doppelehe. Dieser
Straftatbestand kann verwirklicht sein, obwohl die zweite Ehe zivilrechtlich noch gültig
ist.
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II. Da der Antragsteller - wie dargetan - die tatsächlichen Voraussetzungen für das
Vorliegen eines Anordnungsanspruchs auf Erteilung einer Duldung nicht glaubhaft
gemacht hat, ist auch der weiter geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer
Beschäftigungserlaubnis nicht gegeben.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG. In einem auf die
Erteilung einer Duldung gerichteten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt
der Streitwert ein Viertel des Regelwertes auch dann, wenn die Duldung die Erlaubnis
zur Ausübung einer Beschäftigung beinhalten soll.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 1. Juni 2005 - 18 B 677/05 -.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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