Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.01.2000

OVG NRW: garage, grundstück, ruhe, wohnhaus, breite, form, begriff, firsthöhe, terrasse, ausfahrt

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 7 B 2032/99
27.01.2000
Oberverwaltungsgericht NRW
7. Senat
Beschluss
7 B 2032/99
Verwaltungsgericht Aachen, 5 L 1272/99
Der angefochtene Beschluß wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung
geändert. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,--DM
festgesetzt.
G r ü n d e:
Die Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem gemäß §§ 80a, 80 Abs. 5
VwGO gestellten Antrag des Antragstellers zu Unrecht entsprochen.
Das Interesse der Beigeladenen daran, die ihnen mit Bescheid vom 22. September 1999
erteilte Baugenehmigung sofort ausnutzen zu dürfen, überwiegt das Interesse des
Antragstellers, das Vorhaben der Beigeladenen vorerst bis zum Abschluß der Überprüfung
der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in einem Hauptsacheverfahren
zu verhindern.
Bei der im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen
Prüfung ist nicht ersichtlich, daß der Antragsgegner bei Erteilung der Baugenehmigung
vom 22. September 1999 öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt hat, die zugleich auch
den privaten Interessen des Antragstellers als Grundstücksnachbarn zu dienen bestimmt
sind.
Dies gilt zunächst für die nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts. Das
Bauvorhaben der Beigeladenen hält die vorgeschriebenen Abstandflächen nach § 6 BauO
NW 1995 zum Grundstück des Antragstellers hin ein. Die mittels Grüneintrag zum
Bestandteil der Baugenehmigung gemachte Abstandflächenberechnung vom 11. August
1999 begegnet keinen Bedenken, solche sind von dem Antragsteller auch nicht geltend
gemacht worden. Weiter ist, ausgehend von den im Lageplan und den Bauansichten zur
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Baugenehmigung wiedergegebenen Maßen, auch die als Grenzgarage genehmigte
Garage gemäß § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NW 1995 abstandrechtlich zulässig.
Die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verstößt - entgegen der Annahme des
Verwaltungsgerichts - auch nicht gegen § 51 Abs. 8 BauO NW 1995. Nach dieser Vorschrift
müssen Stellplätze und Garagen so angeordnet werden, daß ihre Benutzung die
Gesundheit nicht schädigt und Lärm oder Gerüche das Arbeiten und Wohnen, die Ruhe
und die Erholung in der Umgebung nicht über das zumutbare Maß hinaus stören. Hier
erweist sich die den Beigeladenen grenzständig an der rückwärtigen Grenze des
Grundstücks des Antragstellers genehmigte Garage gegenüber dem Antragsteller nicht als
unzumutbar. Nach der gesetzgeberischen Entscheidung des § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NW
1995 sind Garagen nebst deren erforderlichen Zuwegung an der Nachbargrenze
grundsätzlich hinzunehmen. Dies bedeutet zugleich, daß auch die mit der Benutzung der
Garage notwendigerweise verbundenen Geräusche (Öffnen und Schließen des
Garagentores, Motorengeräusch des ein- und ausfahrenden PKW, Türenschlagen,
Gespräche vor der Garage etc.) und die von dem PKW bei der Zu- und Abfahrt zur Garage
verursachten Abgase nach der gesetzgeberischen Wertung auch und gerade an der
Nachbargrenze grundsätzlich als zumutbar anzusehen sind. Die hier betroffene Garage
weist keine Besonderheiten auf, die sie entgegen der vorstehend dargestellten
grundsätzlichen Wertentscheidung als ausnahmsweise gegenüber dem Antragsteller
unzumutbar erscheinen läßt. Dabei verkennt der Senat nicht, daß durch die mit der
Benutzung der Garage verbundenen Geräusche und die von dem PKW bei der Zu- und
Abfahrt zur Garage verursachten Abgase ein zusätzliches - an der rückwärtigen
Grundstücksgrenze bisher nicht vorhandenes - Störpotential in den rückwärtigen
Grundstücksbereich des Antragstellers hineingetragen wird und daß damit eine gewisse
Verschlechterung der Grundstückssituation für den Antragsteller einhergeht. Jedoch muß
dieses Störpotential bei der hier gegebenen Situation dem Antragsteller als zumutbar
gewertet und daher hingenommen werden. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, daß
die Garage nach ihren Abmessungen im Normalfall nur das Unterstellen eines PKW
ermöglicht und, da die Benutzung der Garage ausschließlich dem vorgesehenen
Wohnhaus der Beigeladenen zugeordnet ist, nur mit einer geringen Anzahl von
Fahrbewegungen - im Durchschnitt etwa vier mal täglich - zu rechnen ist, die jedenfalls
nicht über das hinausgeht, was einer Wohnnutzung sozialadäquat zuzurechnen ist.
Hinzukommt, daß zwar das Garagenbauwerk um rund 32 Meter gegenüber dem S. Weg
zurückversetzt, zu diesem im Hintergelände gelegen, zugelassen worden ist. Jedoch erfolgt
die Zufahrt zu der Garage auf einer Strecke von etwa 26 Meter zunächst vom Grundstück
des Antragstellers abgewandt und durch das Wohnhaus S. Weg 53 a abgeschirmt.
Hinsichtlich des weiteren, ungeschützten, Verlaufs der Zufahrt zur Garage ist neben der
dargelegten gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NW zu
berücksichtigen, daß ausweislich des Lageplans zur Baugenehmigung ein Teil der
rückwärtigen Fläche des dem Grundstück des Antragstellers benachbarten Grundstücks S.
Weg 53 a - im Anschluß an den Garten - bereits als "Hoffläche/STPl." genutzt wird. Damit
ist der rückwärtige Teil des Grundstücks des Antragstellers zumindest in diesem Bereich
durch Geräusch- und Abgasimmissionen vorbelastet, was die Schutzwürdigkeit gegenüber
dem streitigen Vorhaben mindert. Weiter ermöglicht die Lage der Garage die Ein- und
Ausfahrt in einem Zug, so daß nicht zu befürchten ist, daß es zu zusätzlichen
Rangierbewegungen im unmittelbaren Bereich des Vorhofs der Garage an der
rückwärtigen Grenze des Grundstücks des Antragstellers kommt. Schließlich schirmt der
Garagenkörper, der dem Grundstück des Antragstellers mit seiner geschlossenen Ostseite
zugewandt ist, den rückwärtigen Grundstücksbereich zumindest teilweise gegen die
entstehenden Geräusch- und Abgasimmissionen ab.
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Dem Antragsteller steht gegen das Vorhaben der Beigeladenen auch kein
Abwehranspruch aus Vorschriften des Bauplanungsrechts zu. Soweit der Antragsteller mit
dem von ihm erhobenen Antrag geltend macht, daß sich das Bauvorhaben der
Beigeladenen hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht im Sinne
von § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung des streitbefangenen
Grundstücks einfüge, verkennt der Antragsteller mit seinem Vorbringen, daß insoweit eine
Betroffenheit in einer nachbarrechtlich wehrfähigen Rechtsposition von vornherein nur und
ausschließlich im Hinblick auf das in dem Begriff des "Einfügens" enthaltene
Rücksichtnahmegebot in Betracht kommen kann. Allein der Umstand, daß sich ein
Vorhaben objektiv rechtlich der Grundstücksfläche nach, die überbaut werden soll, nicht in
die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, vermittelt noch keinen Nachbarschutz nach §
34 Abs. 1 BauGB.
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. Oktober 1995 - 4 B 215.95 -, BRS 57 Nr. 219.
Hiervon ausgehend kann vorliegend offenbleiben, ob sich das Vorhaben der Beigeladenen
nach der Grundstücksfläche die überbaut werden soll objektiv-rechtlich in die Eigenart der
näheren Umgebung einfügt. Insoweit gibt allerdings die erteilte Baugenehmigung und der
hierzu vorliegende Verwaltungsvorgang dem Senat Anlaß zu folgendem Hinweis: Anders
als offensichtlich der Antragsgegner meint und in seinem Bescheid vom 15. Oktober 1999
ausdrücklich ausgeführt hat, hat der Senat in seinem das frühere Bauvorhaben der
Beigeladenen betreffenden Urteil vom 7. November 1996 - 7 A 4820/95 - keineswegs zu
dem nunmehr streitgegenständlichen Bauvorhaben "mit positiver Tendenz Stellung
genommen". Die Ausführungen auf den Seiten 19 und 20 des Urteilsabdrucks dienten nach
dem offensichtlich erkennbaren Zusammenhang ausschließlich der Darlegung, daß es sich
bei dem nunmehr streitigen Vorhaben um ein "aliud", also um ein möglicherweise nach
anderen tatsächlichen und rechtlichen Maßstäben zu beurteilendes Bauvorhaben handelt.
Das Bauvorhaben der Beigeladenen verletzt nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Dabei
kommt hier ein eigenständig zu wertender Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme
nur noch in der Form in Betracht, daß in eine Ruhe- und Freizeitzone im rückwärtigen
Bereich des Grundstücks des Antragstellers ein Bauvorhaben "eindringt". Die übrigen im
konkreten Fall in Betracht kommenden Zumutbarkeitsgesichtspunkte sind hingegen de
facto schon unter den in §§ 6, 51 Abs. 8 BauO NW 1995 genannten tatbestandlichen
Kriterien, denen das Vorhaben der Beigeladenen nach dem Dargelegten entspricht,
gewürdigt worden. Insoweit ist für eine auf § 34 BauGB bezugnehmende abweichende
Wertung kein Raum.
Vgl. zum Verhältnis zwischen dem bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot und den
bauordnungsrechtlichen Abstandsbestimmungen des Landesrechts: BVerwG, Beschluß
vom 11. Januar 1999 - 4 B 128.98 -, BauR 1999, 615; BVerwG, Urteil vom 16. September
1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151 ff (159 f); OVG NW, Urteil vom 13. Oktober 1999 - 7 A
1230/99; OVG NW, Beschluß vom 17. Dezember 1999 - 7 B 2091/99 -.
Aber auch unter dem genannten Gesichtspunkt erweist sich das Bauvorhaben der
Beigeladenen dem Antragsteller gegenüber nicht als rücksichtslos. So wollen die
Beigeladenen ein Einfamilienwohnhaus errichten, dessen Baukörper mit einer Länge von
13,41 m und einer Breite von 9,03 m durchaus maßvoll ist. Dies gilt auch im Hinblick auf
seine Firsthöhe von nicht ganz 7,0 m über der Geländeoberfläche, die deutlich unter der
des zweigeschossigen Hauses des Antragstellers (S. Weg 55) mit rund 12 m liegt. Dabei
weist das Bauvorhaben auch sonst keine Besonderheiten auf, die erwarten ließen, daß die
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mit einer Wohnnutzung notwendig verbundene teilweise öffentliche Bemerkbarkeit der
Lebensäußerungen der Bewohner, das übliche Maß übersteigt. Dies gilt auch für die Lage
des Bauvorhabens. So ist etwa die Terrasse des streitigen Bauvorhabens vom Haus und
Garten des Antragstellers abgewandt vorgesehen.
Soweit der Antragsteller ferner befürchtet, daß von dem Vorhaben der Beigeladenen eine
Vorbildwirkung ausgehe und spätestens im Falle einer weiteren Bebauung des
Hinterlandes die Schwelle des Zumutbaren überschritten würde, vermag dies, bezogen auf
das hier allein streitige Vorhaben der Beigeladenen, einen Verstoß gegen das
Rücksichtnahmegebot nicht zu begründen. Anders als bei der unter dem
Tatbestandsmerkmal des "Einfügens" relevanten Frage des Entstehens von
Folgebebauung ist für die Frage der Zumutbarkeit eines Vorhabens für einen Nachbarn
ausschließlich auf die unmittelbaren Auswirkungen dieses Vorhabens selbst abzustellen
nicht aber darauf, ob erst eine Folgebebauung ihrerseits unzumutbar wäre, denn erst wenn
eine solche Folgebebauung existent wird und dadurch Unzumutbarkeiten auslöst, kann
eine nachbarliche Abwehrposition zustande kommen.
Vgl. OVG NW, Beschluß vom 9. Juli 1993 - 10 A 1869/90 -.
Ob schließlich - was der Antragsteller ebenfalls in Frage stellt - die Erschließung des
streitigen Grundstücks gesichert ist, bedarf keiner Entscheidung. Wäre das Vorhaben der
Beigeladenen unter diesem Gesichtspunkt unzulässig, wäre der Antragsteller dadurch nicht
in eigenen Rechten verletzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.