Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.03.2004

OVG NRW: bebauungsplan, markt, lebensmittel, vollzug, lärm, hauptsache, gemeinde, neubau, planungsrecht, dokumentation

Oberverwaltungsgericht NRW, 7a B 408/04.NE
Datum:
24.03.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7a Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7a B 408/04.NE
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
G r ü n d e: Der Antrag,
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den vorhabenbezogenen Bebauungsplan der Antragsgegnerin bis zur Entscheidung
über den Normenkontrollantrag der Antragstellerin 7a D 24/04.NE außer Vollzug zu
setzen,
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ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Aus dem Antrag ergeben sich keine der
Antragstellerin drohenden schweren Nachteile oder andere entsprechend gewichtige
Gründe, die es gebieten, den Bebauungsplan vorläufig außer Vollzug zu setzen.
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Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung
erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen
Gründen dringend geboten ist. Die einstweilige Anordnung nimmt jedenfalls teilweise
die begehrte Entscheidung in der Hauptsache vorweg. Die streitige Rechtsnorm darf
ganz oder teilweise zu Lasten der Allgemeinheit oder der von ihr Begünstigten nicht
mehr angewendet werden. Dies ist nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen
gerechtfertigt, die durch Umstände gekennzeichnet sind, die den Erlass einer
einstweiligen Anordnung gleichsam unabweisbar machen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1998 - 4 VR 2.98 - NVwZ 1998, 1065; OVG NRW,
Beschluss vom 28. November 2003 - 7a B 2228/03.NE -; Beschluss vom 22. Dezember
2003 - 7a B 2613/03.NE -.
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Die Gründe, die für die Ungültigkeit der Norm vorgebracht werden, werden im Regelfall
nicht untersucht, weil die Prüfung der Norm nicht Gegenstand des einstweiligen
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Verfahrens ist, es sei denn, der Antrag in der Hauptsache würde sich bereits als
offensichtlich erfolgreich oder nicht erfolgreich erweisen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Januar 1979 - VIIa ND 5/78 - BRS 35 Nr. 31;
Beschluss vom 17 September 1979 - Xa ND 8/79 - NJW 1980, 1013; Beschluss vom 23.
Dezember 1980 - 11a ND 19/80 - OVGE 35, Nr. 42; Beschluss vom 22. Dezember 2003
- 7a B 2613/03.NE -.
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Selbst wenn ein Bebauungsplan offensichtlich unwirksam sein sollte, hat ein Antrag auf
Außervollzugsetzung nicht allein aus diesem Grunde Erfolg. Denn die
Außervollzugsetzung muss zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen
Gründen dringend geboten sein. Dies wird gewöhnlich nur dann angenommen werden
können, wenn durch das Unterlassen der Außervollzugsetzung irreversible Fakten
geschaffen werden, die unter Berücksichtigung aller durch die Planung betroffenen
Interessen die Außervollzugsetzung gebieten.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Dezember 1980 - 11a ND 19/80 -, a.a.O.; Ziekow in:
Sodan/Ziekow, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, Band II, Stand: Januar
2003, § 47 Rdnr. 394; Schoch in: Schoch/Schmidt- Aßmann/Pietzner, VwGO; Band I,
Stand: Januar 2003, § 47 Rdnr. 167 ff.
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Der bloße Vollzug des Bebauungsplans stellt keinen schweren Nachteil in dem
genannten Sinne dar. Die Realisierung eines Bebauungsplans ist immer dessen vom
Gesetz unterstelltes Ziel. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, die zu erwartende
Verwirklichung des Bebauungsplans gäbe als solche bereits Anlass, bei einem gegen
den Bebauungsplan gerichteten - zumindest zulässigen - Normenkontrollantrag den
Plan zunächst nicht umzusetzen, hätte er eine entsprechende gleichsam automatisch
wirkende Regelung getroffen. Das ist indessen nicht geschehen. Erforderlich ist
vielmehr für den Erfolg des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, dass
die Umsetzung des Plans für den Antragsteller konkret eine schwer wiegende
Beeinträchtigung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für rechtlich geschützte
eigene Rechtspositionen erwarten lässt.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. März 2002 - 7a B 1262/01.NE - m.w.N..
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Gemessen an diesen Maßstäben scheidet eine Außervollzugsetzung des strittigen
Bebauungsplans hier aus.
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Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der
vorhabenbezogene Bebauungsplan offensichtlich unwirksam wäre.
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Ein Verstoß gegen das aus § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB folgende Gebot, den
Bebauungsplan aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln, liegt entgegen den
Ausführungen in der Antragsschrift vom 25. Februar 2004 nicht vor. Der
Flächennutzungsplan ist mit der am 13. Februar 2004 - zeitgleich mit der
Bekanntmachung des angegriffenen vorhabenbezogenen Bebauungsplans - bekannt
gemachten 149. Änderung im Parallelverfahren (§ 8 Abs. 3 Satz 1 BauGB) dahin
geändert worden, dass der Bereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans im
Flächennutzungsplan als "Sondergebiet Lebensmittel-Einzelhandel (§ 1 Abs. 2 Nr. 10
BauNVO in Verbindung mit § 11 BauNVO)" dargestellt wurde. Diese Darstellung trägt
die im vorhabenbezogenen Bebauungsplan getroffene Festsetzung "Sondergebiet
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Lebensmittel-Einzelhandel".
Die im Schriftsatz der Antragstellerin vom 16. März 2004 angesprochene Begründung
sowohl des Flächennutzungsplan als auch des Bebauungsplans, Zweck der Planung
sei es, "die Versorgungssituation mit Gütern des täglichen Bedarfs im Westen des
Stadtteils I zu verbessern", steht nicht im Widerspruch zu den tatsächlich vom
Bebauungsplan ermöglichten baulichen Nutzungen. Auch ein Lebensmittel-Discounter,
wie er hier angesiedelt werden soll, dient der Versorgung mit Gütern des täglichen
Bedarfs. Ob die vom Plan ermöglichte Errichtung von rd. 80 Stellplätzen überhaupt im
Widerspruch zu der Aussage des Entwurfs eines Nahversorgungskonzepts hinsichtlich
eines Discounters "für die fußläufig erreichbare Nahversorgung" steht, kann letztlich
dahinstehen. Gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 10 BauGB sind bei der Aufstellung von
Bauleitplänen zwar "die Ergebnisse einer von der Gemeinde beschlossenen sonstigen
städtebaulichen Planung" zu berücksichtigen. Rechtlich bindende Vorgaben ergäben
sich aus einem solchen "Nahversorgungskonzept", selbst wenn es von der Gemeinde
beschlossen wäre, nicht.
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Der weitere Hinweis im Schriftsatz vom 16. März 2004 auf Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts
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- BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - 4 C 3.00 - NVwZ 2001, 813 = BRS 63 Nr. 160
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geht schon deshalb fehl, weil jene Entscheidung sich ausschließlich zur Frage einer
Anwendung von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO bei der Entscheidung über die
baurechtliche Zulassung eines Bauvorhabens verhält, während es im vorliegenden
Verfahren um die Überprüfung der Rechtswirksamkeit eines (vorhabenbezogenen)
Bebauungsplans geht. Bei dem Erlass eines solchen Plans geht es nicht um die
Anwendung des (bau-)planungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme, sondern um
die Frage, ob die Entscheidung des Plangebers, bestimmte bauliche Nutzungen zu
ermöglichen und insoweit der Nachbarschaft nachteilige Auswirkungen insbesondere
der vorhabensbedingten Verkehrsimmissionen zuzumuten, den Anforderungen des
Abwägungsgebots nach § 1 Abs. 6 BauGB genügt.
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Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der strittige vorhabenbezogene Bebauungsplan den
Anforderungen des Abwägungsgebots nicht genügt, sind nicht erkennbar. Die
möglichen nachteiligen Folgen einer Umsetzung des Plans waren Gegenstand
verschiedener gutachterlicher Untersuchungen, insbesondere auch im Hinblick auf die
Auswirkungen des geplanten Vorhabens auf das Verkehrsgeschehen
(Verkehrsuntersuchung "Einzelhandelsstandort A straße in D " vom Mai 2002; Beiakte
Heft 7) sowie auf die in der Nachbarschaft des Vorhabens zu erwartenden
Verkehrsimmissionen (Geräuschimmissions-Prognose "Neubau Aldi- Markt D A straße"
vom 27. August 2002 nebst Nachtrag vom 11. März 2003; Beiakte Heft 8). Die
letztgenannte Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass an den Wohnhäusern der
Antragstellerin (A straße 74 und 76 = Immissionspunkte 5 und 6), die der Zufahrt zu dem
geplanten Discount-Markt gegenüber liegen, mit Beurteilungspegeln um 53 dB (A) am
Tag - relevanter Nachtbetrieb kommt ohnehin nicht in Betracht - zu rechnen ist. Dass
diese Werte als zumutbar eingeschätzt wurden (vgl. Nr. 6.1 der TA Lärm), unterliegt
nach derzeitigem Sachstand keinen Bedenken. Der Einschätzung auf Seite 1 der
Planbegründung, der westlich und südlich des Vorhabens gelegene Bereich habe den
Charakter eines allgemeinen Wohngebiets, ist die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz
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vom 16. März 2004 lediglich mit dem pauschalen Hinweis entgegen getreten, dass in
dem Bereich "faktisch nur gewohnt wird". Der weitere Hinweis auf Nr. 7.4 Absatz 2 der
TA Lärm geht schon deshalb fehl, weil von den dort genannten drei Voraussetzungen,
die kumulativ vorliegen müssen, zumindest die dritte - erstmaliges oder weitergehendes
Überschreiten der Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV - ersichtlich nicht vorliegt,
denn dann müssten Lärmwerte von über 59 dB (A) erreicht werden. Schließlich ist auch
nichts dafür dargetan oder sonst ersichtlich, dass die der Geräuschimmissions-
Prognose zugrunde gelegten Prämissen an vorhabensbedingten Fahrzeugbewegungen
zu Lasten der Antragstellerin unrealistisch niedrig wären.
Der in der Antragsschrift vorgetragene Hinweis der Antragstellerin darauf, dass ein
Discount-Markt des hier in Rede stehenden Zuschnitts in einem reinen oder
allgemeinen Wohngebiet unzulässig wäre
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- vgl. hierzu: OVG NRW, Beschluss vom 19. August 2003 - 7 B 1040/03 - JURIS-
Dokumentation - ,
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hilft der Antragstellerin schließlich auch nicht weiter. Hier ist die planungsrechtliche
Grundlage für eine baurechtliche Zulassung des Discount-Markts erst durch den
strittigen vorhabenbezogenen Bebauungsplan geschaffen worden. Sinn und Zweck
dieses Planungsinstruments ist es gerade, gleichsam "maßgeschneiderte Lösungen" für
solche Vorhaben zu schaffen, die nach dem geltenden Planungsrecht an sich
unzulässig wären.
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Vgl.: OVG NRW, Urteil vom 6. April 2001 - 7a D 143/00.NE - BRS 64 Nr. 227 -
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Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Antragstellerin kein schwerer Nachteil
im dargelegten Sinne droht, der die Außervollzugsetzung des strittigen
vorhabenbezogenen Bebauungsplans dringend gebietet. Liegen die zu erwartenden
Immissionen des vorhabensbedingten Verkehrs - wie dargelegt - ersichtlich im Bereich
des Zumutbaren, scheidet ein solcher schwerer Nachteil aus.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts stützt sich auf die §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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