Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.01.1999

OVG NRW (antragsteller, verwaltungsgericht, anordnung, zweifel, richtigkeit, zeitpunkt, antrag, 1995, selbsthilfe, zulassung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 B 2474/98
Datum:
11.01.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 B 2474/98
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 17 L 2871/98
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens
vor dem Oberverwaltungsgericht.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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Der Senat kann offen lassen, ob der Zulassungsantrag bereits wegen des Fehlens
eines Rechtsschutzinteresses als unzulässig verworfen werden muß. Dafür spricht, daß
nach der Wiederaufnahme der Sozialhilfeleistungen an den Antragsteller eine
zusprechende Entscheidung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auch dann nicht
mehr in Betracht kommen könnte, wenn sich die Versagung einer einstweiligen
Anordnung durch das Verwaltungsgericht nach Maßgabe der seinerzeitigen
Verhältnisse als unrichtig erweisen sollte. Denn das Vorliegen der Voraussetzungen
einer einstweiligen Anordnung, also eines Anordnungsanspruchs und eines
Anordnungsgrundes, beurteilt sich nach der Sachlage im Zeitpunkt der abschließenden
gerichtlichen Entscheidung.
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Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 16. September 1996 - 8 B 1180/96 -, vom 20.
September 1996 - 24 B 1874/96 - und vom 25. Juni 1998 - 8 B 1004/98 -.
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Derzeit liegt aber eine den Erlaß einer einstweiligen Anordnung erfordernde Notlage für
den Antragsteller nicht mehr vor.
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Es reicht nicht aus, daß die sachlichen und prozessualen Voraussetzungen für den
Erlaß einer einstweiligen Anordnung bei der gerichtlichen Antragstellung oder auch im
Verlaufe des gerichtlichen Eilverfahrens möglicherweise einmal gegeben waren. Die
den Erlaß einer einstweiligen Anordnung rechtfertigende besondere Dringlichkeit muß
auch noch zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung im Eilverfahren, d.h. auch
noch im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung, gegeben sein. Allein diese
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Betrachtungsweise entspricht Sinn und Zweck einer einstweiligen Anordnung auf dem
Gebiet des Sozialhilferechtes, nämlich aktuelle Notlagen zu beseitigen; für das
Beschwerdeverfahren gilt insoweit nichts anderes als für das Verfahren erster Instanz.
Steht aber schon jetzt fest, daß nach einer etwaigen Beschwerdezulassung wegen der
eingetretenen "prozessualen Überholung" eine dem Antragsteller günstige
Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, stellt das ähnlich wie eine Erledigung
der Hauptsache
- vgl. dazu OVG Berlin, Beschluß vom 15. September 1997 - 2 SN 11.97 -, NVwZ 1998,
85, m.w.N. -
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das Rechtsschutzinteresse schon für das Zulassungsverfahren in Frage.
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Unabhängig davon ist der allein geltend gemachte Zulassungsgrund entsprechend §
124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Beschlusses) zum Teil schon nicht hinreichend dargelegt worden, im übrigen nicht
gegeben.
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Soweit das Verwaltungsgericht von vornherein den Anordnungsgrund für die Zeit vor
der Antragstellung beim Verwaltungsgericht bzw. nach dem Ende des Monats der
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sowie für Regelsatzleistungen über das mit 80%
des maßgeblichen Regelsatzes zu veranschlagende Unerläßliche hinaus verneint hat,
fehlt es an der Darlegung, warum diese in der Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts
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- vgl. etwa Beschlüsse vom 19. Dezember 1996 - 8 B 1957/96 - und vom 29. Juni 1998 -
8 B 1336/98 - m.w.N. -
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anerkannte Begrenzung des Anordnungsgrundes ernstlichen Richtigkeitszweifeln
ausgesetzt sein sollte.
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Keine ernstlichen Zweifel bestehen daran, daß das Verwaltungsgericht zu Recht den
Anordnungsgrund hinsichtlich der Unterkunftskosten des Antragstellers verneint hat. Die
nunmehr vorgelegten Vermieterbescheinigungen belegen lediglich, daß Miet-
rückstände eingetreten sind und die Einleitung des gerichtlichen Mahnverfahrens
angedroht worden ist; eine Kündigung und Räumungsklage wegen der Mietrückstände
wird aber gerade nicht angekündigt. Die am 16. September 1998 erhobene
Räumungsklage wurde hingegen ausschließlich mit Verstößen des Klägers gegen die
Hausordnung begründet. Es kann daher nicht erwartet werden, daß allein eine
Wiederaufnahme der Mietzinsleistung dazu führen wird, daß das Mietverhältnis
fortgesetzt werden kann.
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Auch die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses zum Anordnungsanspruch
werden durch die Darlegungen im Zulassungsantrag nicht in einer ernstliche Zweifel an
der Richtigkeit der Entscheidung begründenden Weise erschüttert. Die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe hinreichende Bemühungen um eine
Arbeitsstelle nicht nachgewiesen, halten den dagegen vorgebrachten Angriffen des
Antragstellers stand. Auch für den Senat stellt der Umstand, daß der Antragsteller
keinen Adressaten für seine vorbereiteten Bewerbungsschreiben gefunden hat,
während sein Vater im gleichen Zeitraum 30 Bewerbungsschreiben versandt haben will,
einen hinreichend aussagekräftigen Beleg für den festgestellten Mangel an
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persönlichem Einsatz zur Selbsthilfe beim Antragsteller dar; in diesem Zusammenhang
sei noch darauf hinzuweisen, daß die etwaigen Bemühungen des Vaters für die Frage,
ob in der Person des Antragstellers die Voraussetzungen für die Anwendung des als
Hilfenorm konzipierten § 25 Abs. 1 BSHG
- Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 - 5 C 20.93 -, BVerwGE 98, 203 (205 f.) = FEVS
46, 12 (14) = NJW 1995, 3200; OVG NW, Beschluß vom 29. Januar 1998 - 8 E 554/96 -.
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gegeben sind, keine wesentliche Bedeutung erlangen können. Erst recht spricht die - im
Zulassungsantrag nicht in Abrede gestellte - Feststellung des Verwaltungsgerichts,
wonach der Antragsteller nach der erstmaligen Kürzung der Sozialhilfe und einer
mündlichen Erläuterung der Gründe hierfür einen Campingurlaub angetreten hat, anstatt
nunmehr mit Nachdruck eine Arbeit zu suchen, in beredter Weise für die Notwendigkeit,
die Selbsthilfebereitschaft des Klägers durch weitergehende Maßnahmen nach § 25
Abs. 1 BSHG zu aktivieren.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit können auch nicht daraus abgeleitet werden, daß
der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen an einer Arbeitsaufnahme gehindert
gewesen sein könnte. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zutreffend darauf abgestellt,
daß angesichts der sich widersprechenden Angaben der Beteiligten hierzu der
Nachweis der Arbeitsunfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung hätte geführt
werden müssen, an der es indessen - bis zuletzt - gefehlt hat.
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Soweit schließlich der Antragsteller eingehend auf weitere Aktivitäten zur Selbsthilfe
verweist, können damit schon deshalb keine ernstlichen Zweifel iSv § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO (entsprechend) dargetan werden, weil diese Aktivitäten weithin erst nach dem
Erlaß des angefochtenen Beschlusses stattgefunden haben; im übrigen dürfte es diesen
Bemühungen zuzuschreiben sein, daß dem Antragsteller nunmehr wieder ungekürzt
Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und 188 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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