Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 04.09.2006

OVG NRW: schüler, unterricht, zeugnis, gutachter, schule, alter, berufserfahrung, verfügung, physik, datum

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 A 3018/06
Datum:
04.09.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 A 3018/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 4 K 3638/05
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 EUR
festgesetzt.
Gründe:
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, weil die geltend gemachten
ernstlichen Zweifel an der (Ergebnis-) Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs.
2 Nr. 1 VwGO) nicht bestehen oder nicht im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO
dargelegt sind.
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Unbeschadet der Frage, ob insoweit allenfalls ein Verfahrensfehler im Sinne des § 124
Abs. 2 Nr. 5 VwGO, nicht aber der allein geltend gemachte Zulassungsgrund gemäß §
124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Betracht kommt, war das Verwaltungsgericht entgegen der
Auffassung der Klägerin nicht verpflichtet, von Amts wegen ein Gutachten eines Kinder-
und/oder Jugendpsychiaters einzuholen. Die Frage, ob eine Schülerin oder ein Schüler
einer sonderpädagogischen Förderung bedarf, welcher konkrete Förderbedarf besteht
und welche Förderschule der geeignete Förderort ist, beurteilt sich grundsätzlich nach
seinem in der Schule gezeigten Lern- und Leistungsverhalten und sonstigem
schulischen Verhalten. Die Zuziehung außerschulischen Sachverstands wie die
Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch einen außerschulischen
Gutachter ist in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich nicht geboten. Die
Beantwortung der Frage, ob ein Schüler einer sonderpädagogischen Förderung bedarf,
ist durch die Schülerin oder den Schüler isoliert außerhalb der Schule überprüfende
Gutachter in der Regel nicht zugänglich.
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Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 29. September 2005 - 19 B 1555/05 -, m. w. N.
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So liegt es auch hier. Die Klägerin hat keine greifbaren Anhaltspunkte dafür aufgezeigt,
dass bei einer außerschulischen Begutachtung verlässliche Ergebnisse zu ihrem
schulischen Lern- und Leistungsvermögen erzielt werden können.
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In der Sache geht der Senat anders als das Verwaltungsgericht nicht davon aus, dass
es mit Blick auf § 5 Abs. 1 AO-SF im vorliegenden Verfahren auf ein „breites" oder
„umfassendes schulisches Versagen" der Klägerin ankommt. Es bestehen aber
hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass bei ihr eine Lernbehinderung im Sinne des § 5
Abs. 1 AO-SF gegeben ist. Entgegen ihrer Auffassung beschränken sich ihre
schulischen Probleme nicht auf den sprachlichen Bereich. Das Verwaltungsgericht hat
zutreffend darauf hingewiesen, dass etwa auch im Fach Mathematik und in den
naturwissenschaftlichen Fächern Leistungsschwierigkeiten bestehen. So sind im
Zeugnis des ersten Halbjahres des Schuljahres 2005/06 ihre Leistungen in Mathematik
mit mangelhaft und in Physik mit ungenügend bewertet worden. Der Vortrag der
Klägerin, sie erbringe im mathematischen Bereich „durchaus" befriedigende Leistungen,
trifft deshalb jedenfalls aktuell nicht zu. Auch sonst besteht kein Anhalt dafür, dass die
schulischen Schwierigkeiten der Klägerin nur auf sprachlichen Problemen beruhen. Das
Verwaltungsgericht hat sich mit dieser Frage in dem angefochtenen Urteil umfassend
auseinandergesetzt und zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem
sonderpädagogischen Gutachten vom 10. Juni 2005, den zahlreichen Stellungnahmen
der Gesamtschule L. und den Aussagen der Zeugen B. und T. in der mündlichen
Verhandlung ausschließen lässt, dass lediglich Sprachprobleme vorhanden sind. Die
Zeugin B. hat insbesondere anschaulich dargestellt, inwiefern die Klägerin die vom
Verwaltungsgericht angesprochenen Probleme bei der „Sinnentnahme und -
verarbeitung" hat. Es genügt deshalb den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4
Satz 4 VwGO nicht, wenn die Klägerin lediglich pauschal geltend macht, sie könne
diese Schlussfolgerungen nicht nachvollziehen. Den Darlegungsanforderungen genügt
auch nicht ihr Vortrag, der Aussage des Zeugen T. könne kein großes Gewicht
beigemessen werden, weil er sie nur kurz unterrichtet habe. Es ist weder dargelegt noch
sonst ersichtlich, dass der Zeuge nicht in der Lage war, aufgrund der ihm zur Verfügung
stehenden Zeit von vier Wochen das Lern- und Leistungsvermögen der Klägerin
zutreffend zu ermitteln und einzuschätzen. Sein Alter (60 Jahre) spricht für eine große
Berufserfahrung. Dass der festgestellte Intelligenzquotient der Klägerin schon
angesichts der von ihr erzielten niedrigen Werte bei der sog. Figur-Grund-
Unterscheidung kein erhebliches Gewicht hat, hat das Verwaltungsgericht zutreffend
dargelegt. Die Klägerin hat sich hiermit nicht im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO
näher auseinandergesetzt. Zu ihren Ergebnissen bei der Figur-Grund-Unterscheidung
hat sie im Zulassungsverfahren nicht Stellung genommen. Dass die Klägerin im
muttersprachlichen (Ergänzungs-) Unterricht bessere Leistungen erbringt, hat sie
lediglich behauptet. Eine den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO
genügende Begründung ist nicht erfolgt. Einzelheiten ihrer (aktuellen) Leistungen im
muttersprachlichen (Ergänzungs-) Unterricht hat sie nicht dargelegt. Soweit die Klägerin
auf die Möglichkeit einer integrativen Beschulung (§ 20 Abs. 7 SchulG, § 37 AO-SF)
verweist, ist ebenfalls nicht im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, dass
sie nach ihrem individuellen Förderbedarf hierfür geeignet ist und die sonstigen
Voraussetzungen für eine integrative Beschulung erfüllt sind. Auch hierzu hat die
Klägerin nicht näher Stellung genommen.
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Soweit das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, die Klägerin habe bis auf ein
Zeugnis in sämtlichen Zeugnissen der Grundschule in jeweils einem Fach die Note
mangelhaft erhalten, dies weise darauf hin, dass sie „unabhängig von den dennoch
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ausgesprochenen Versetzungsentscheidungen das jeweilige Klassenziel nicht erreicht"
habe, weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Verwaltungsgerichte
grundsätzlich nicht befugt sind, selbst aufgrund eigener Überlegungen zu entscheiden,
ob eine Schülerin oder ein Schüler das Klassenziel erreicht hat. Konkrete Anhaltspunkte
dafür, dass die Grundschule bei den Versetzungen der Klägerin die
Versetzungsbedingungen (bewusst) nicht beachtet hat, hat das Verwaltungsgericht nicht
festgestellt und sind nach Aktenlage auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1
Satz 5 GKG).
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