Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.07.2008

OVG NRW: bundesamt für migration, nicht vertretene partei, sachliche zuständigkeit, asylverfahren, erlass, ausländer, aufenthaltserlaubnis, anerkennung, flüchtlingseigenschaft, aussetzung

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 A 1489/08
Datum:
16.07.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 A 1489/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 27 K 4359/07
Schlagworte:
Abschiebungsverbote Asylverfahren Abschiebestopp-Erlass
Zuständigkeit Bundesamt Ausländerbehörde
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 42
Leitsätze:
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bleibt für die Prüfung eines
Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG zuständig, wenn es
oder das Verwaltungsgericht von dessen Prüfung wegen eines
Abschiebestopp-Erlasses abgesehen hat.
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
von Rechtsanwalt B. E. , L. , für das Verfahren auf Zulassung der
Berufung wird abgelehnt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen noch zu stellenden Antrag
auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom
22. April 2008 ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO iVm § 114 ZPO ).
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Es kann offen bleiben, ob im Falle des Antrags einer anwaltlich nicht vertretenen Partei,
ihr für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung Prozesskostenhilfe zu
bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, die Erfolgsaussichten des
beabsichtigten Zulassungsantrags und damit etwa vorliegende Zulassungsgründe von
Amts wegen zu prüfen sind, oder ob die anwaltlich nicht vertretene Partei zumindest in
laienhafter Weise und in groben Zügen bzw. in Umrissen deutlich machen muss, was
gegen die angegriffene Entscheidung eingewendet wird.
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Vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 7. August 2000 – 18 B 874/00 - mit
weiteren Nachweisen.
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Es ist selbst bei einer von Amts wegen erfolgenden, von jeglichen
Darlegungsanforderungen absehenden Prüfung der Erfolgsaussichten der
beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht zu erkennen, dass in Bezug auf das
angefochtene Urteil ein Zulassungsgrund i. S. d. § 124 Abs. 2 VwGO vorliegen könnte.
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Die entscheidungstragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, auf die Bezug
genommen wird, unterliegen keinen – hier nur in Betracht kommenden - ernstlichen
Zweifeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies gilt insbesondere auch, soweit
sich der Kläger zur Begründung seines Antrags auf Verlängerung der ihm infolge der
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 51 Abs. 1 AuslG 1990, jetzt § 60 Abs. 1
AufenthG) erteilten Aufenthaltserlaubnis wegen der derzeitigen Verhältnisse im Irak auf
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG beruft.
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Wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist es dem Beklagten im
Falle des Klägers verwehrt, zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote zu prüfen. Das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) hat mit bestandskräftigem
Bescheid vom 18. Mai 2006, mit dem die Flüchtlingseigenschaft des Klägers widerrufen
wurde, festgestellt, dass beim Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG nicht vorliegen. Für einen derartigen Fall ist es in der Rechtsprechung des
Senats geklärt, dass aufgrund der in § 24 Abs. 2 und § 42 AsylVfG vorgegebenen
strikten Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Bundesamt und der
Ausländerbehörde Rechtsschutz grundsätzlich ausschließlich gegenüber dem
Bundesamt in Betracht kommt und demzufolge insoweit aus gesetzessystematischen
Gründen prinzipiell zugleich die Befugnis der Ausländerbehörde zu Entscheidungen
entfällt.
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Vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Mai 2001 - 18 B 667/01 – und vom 14.
September 2005 – 18 B 1424/05 – jeweils mit weiteren Nachweisen.
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Daran hat für Fälle der vorliegenden Art nichts geändert, dass das
Bundesverwaltungsgericht ausgeführt hat, eine Prüfungskompetenz der
Ausländerbehörden könne bei ehemaligen Asylbewerbern (einschließlich anerkannter
Asylberechtigter und Flüchtlinge, deren Anerkennung widerrufen worden ist) in Betracht
kommen, wenn der Ausländer geltend macht, ihm drohe im Herkunftsland infolge einer
allgemeinen Gefahrenlage eine extreme Gefahr für Leib und Leben, die in
verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG zur Feststellung der
tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach dieser Vorschrift
führen müsste, das Bundesamt aber eine solche Feststellung wegen Bestehens eines
vergleichbaren Schutzes durch einen Abschiebestopp-Erlass, eine sonstige Erlasslage
oder eine aus individuellen Gründen erteilte Duldung nicht treffen kann und darf.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 =
InfAuslR 2007, 4.
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Ein solcher Sachverhalt liegt hier zwar vor. Insofern ist es unerheblich, dass das
Bundesamt in dem vorgenannten Bescheid das Vorliegen von Abschiebungsverboten
nach § 60 Abs. 7 AufenthG geprüft und verneint hat. Von der hierauf bezogenen
Entscheidung gehen nämlich keine Rechtswirkungen mehr aus. Denn eine auf
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Verpflichtungsklage hin erfolgende gerichtlich bestätigte negative Feststellung zu § 60
Abs. 7 AufenthG kann nur mit dem Inhalt bestandskräftig werden, den die letzte
verwaltungsgerichtliche Entscheidung zugrunde gelegt hat,
- vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 – 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379 =
InfAuslR 2002, 48
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in der hier – was im vorliegend angefochtenen Urteil übersehen worden ist - wegen
eines Abschiebestopp-Erlasses aus Rechtsgründen auf eine Prüfung einer
Extremgefahr verzichtet worden ist.
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Vgl. das den Kläger betreffende Urteil des VG Düsseldorf vom 19.
September 2006 – 16 K 3608/06.A – im (Asyl-)Verfahren gegen den o.g.
Bescheid des Bundesamtes.
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Indessen ist nicht erkennbar, warum in derartigen Fällen eine Durchbrechung der durch
§ 24 Abs. 2 und § 42 AsylVfG gesetzlich vorgegebenen Zuständigkeitsaufteilung
erforderlich ist. Sofern mit dem in Bestandskraft erwachsenen Bescheid des
Bundesamtes eine in seine Zuständigkeit fallende Entscheidung bisher nicht getroffen
worden ist, muss es sie – gegebenenfalls auf Antrag des Ausländers – nachholen.
Vergleichbares hat der Senat bereits zur asylrechtlichen Abschiebungsandrohung in
einem Fall entschieden, bei dem das Bundesamt vom Erlass einer
Abschiebungsandrohung abgesehen und mit der bestandskräftigen Ablehnung eines
Asylantrags nach § 26 a AsylVfG eine letztlich nicht vollstreckbare
Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG erlassen hatte. Für die daraufhin von der
Ausländerbehörde erlassene Abschiebungsandrohung fehlte jener die sachliche
Zuständigkeit, die beim Bundesamt verblieben war.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 25. September 2000 – 18 B 1783/99 -, AuAS
2000, 256 = NVwZ-Beil. I 2001, 32 = EZAR 210 Nr. 15.
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Es ist kein Grund ersichtlich, warum in Fällen der vorliegenden Art etwas anderes gelten
soll. Auch hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7
AufenthG im Zusammenhang mit einem Asylverfahren gilt, dass nur bei der
aufgezeigten Abgrenzung der Zuständigkeit sichergestellt ist, dass grundsätzlich allein
in einem Verfahren, und zwar vor dem hierfür sachlich und personell besonders
ausgestatteten Bundesamt eine umfassende Prüfung zu diesem Abschiebungsverbot
erfolgt. Ein solches Erfordernis ergibt sich seit dem Inkrafttreten des
Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 zudem aus den einerseits für
Abschiebungsverbote und andererseits für Duldungen geltenden unterschiedlichen
Rechtsfolgen und dem daran anknüpfenden Rechtsschutzinteresse des Ausländers an
einer alles umfassenden Sachentscheidung des Bundesamtes im Asylverfahren. Denn
während der Schutzstatus nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG regelmäßig zur
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führt (§ 25 Abs. 3 AufenthG), bewirken
Abschiebestopp-Erlasse und Duldungen nach § 60 a Abs. 2 AufenthG nur die
Aussetzung der Abschiebung.
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Der Ausländer erfährt hierdurch keine Rechtsnachteile für den Fall, dass das
Bundesamt die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nicht geprüft haben
sollte. Namentlich hat er die Möglichkeit, beim Bundesamt ein Wiederaufgreifen des
Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bzw. § 51 Abs. 5 iVm § 48 Abs. 1 Satz 1
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VwVfG zu beantragen (sogenanntes Folgeschutzgesuch) und damit eine erneute
Entscheidung des Bundesamtes nach § 60 Abs. 7 AufenthG herbeizuführen.
Vgl. erneut Senatsbeschlüsse vom 15. Mai 2001 - 18 B 667/01 – und vom
14. September 2005 – 18 B 1424/05 –.
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Dem Vorstehenden entsprechend ist inzwischen auch in der neuesten Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts
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- vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Juni 2008 – 10 C 42.07, 10 C 43.07, 10 C
44.07, 10 C 45.07 -, zitiert nach Pressemitteilung des BVerwG vom 8. Juli
2008, www.bverwg.de -
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geklärt, dass bei Vorliegen eines Abschiebestopp-Erlasses nicht von der Prüfung
abgesehen werden darf, ob sich allgemeine Gefahren im Herkunftsland zu einer
ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne von Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG
des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status
von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die
anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden
Schutzes (sogenannte Qualifikationsrichtlinie), der in § 60 Abs. 7 AufenthG umgesetzt
worden ist, verdichtet haben.
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Vgl. BT-Drucksache 16/5065, S 154, 186.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 166 VwGO iVm § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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