Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 09.01.2001

OVG NRW: zumutbare arbeit, selbsthilfe, sozialhilfe, arbeitskraft, verweigerung, anpassung, reform, gestaltung, rechtsschutzinteresse, vollziehung

Oberverwaltungsgericht NRW, 22 B 1425/00
Datum:
09.01.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
22. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
22 B 1425/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 5 L 2087/00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag ist zulässig. Das Rechtsschutzinteresse ist nicht dadurch entfallen, dass der
Antragsgegner der erlassenen einstweiligen Anordnung entsprochen hat. Dem lag
nämlich die vollstreckungsrechtliche Zwangsgeldandrohung vom 21. September 2000
und die Ablehnung des vom Antragsgegner gestellten Antrags auf Aussetzung der
Vollziehung des Beschlusses vom 14. September 2000 durch Beschluss vom 22.
September 2000 zu Grunde. In einem derartigen Fall hat der Sozialhilfeträger jedenfalls
aufgrund einer eventuellen Rückforderungsmöglichkeit ein rechtlich anerkennenswertes
Interesse daran, im Rechtsmittelverfahren prüfen zu lassen, ob die einstweilige
Anordnung Bestand haben kann.
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a.A. OVG Weimar, Beschluss vom 17. Juni 1997 - 2 ZEO 356/97 - FEVS 48, 129 f.
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Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist indessen unbegründet. Die
Zulassungsschrift führt nicht zu den geltend gemachten ernstlichen Zweifeln an der
Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (§ 146 Abs. 4 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr.
1 VwGO).
4
Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die Folgen der Weigerung des
Antragstellers, die ihm angebotene Stelle bei einer Zeitarbeitsfirma anzunehmen,
ergäben sich allein aus § 25 Abs. 1 BSHG, wird durch die Argumentation des
Antragsgegners nicht erschüttert. Summarischer Prüfung zufolge bestimmen sich die
Rechtsfolgen einer unterlassenen Selbsthilfe durch Verweigerung zumutbarer Arbeit
ausschließlich nach den §§ 18 ff., 25 Abs. 1 BSHG und nicht nach § 2 Abs. 1 BSHG.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1983 - 5 C 115.81 - FEVS 32, 265, 268 f.; Schoch,
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Hilfe zur Arbeit, Verlust des Anspruchs auf Sozialhilfe oder Kürzung der Sozialhilfe?,
ZfF 1999, 127.
Die sozialhilferechtliche Pflicht, seine Arbeitskraft zur Beschaffung des
Lebensunterhalts für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen einzusetzen, ist
ein in § 18 Abs. 1 BSHG gesondert geregelter Ausschnitt aus der in § 2 Abs. 1 BSHG
mittelbar normierten (allgemeinen) Pflicht zur Selbsthilfe.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995, - 5 C 20.93 -, FEVS 46, 12, 19.
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Die §§ 18 ff., 25 Abs. 1 BSHG stellen ein abgestuftes und differenziertes System der
Reaktionen auf die Erscheinungsformen des Verstoßes gegen diese spezifische
Selbsthilfepflicht bereit. Darin ist ebenso die Außerachtlassung einer
Selbsthilfemöglichkeit wie auch die Notwendigkeit berücksichtigt, auf den Hilfe
Suchenden in geeigneter Weise einzuwirken. So verstanden dient § 25 BSHG aufgrund
seiner Stellung hinter den §§ 18ff. BSHG in erster Linie dazu, Maßnahmen der Hilfe zur
Arbeit unterstützen zu können. In diesem Sinne ist § 25 Abs. 1 BSHG selbst Hilfenorm.
Der Hilfeempfänger, der zumutbare Arbeit verweigert, wird nicht aus der Betreuung des
Sozialhilfeträgers entlassen. Dieser wird aber durch den gesetzlich geregelten Verlust
des Rechtsanspruchs auf die Hilfe zum Lebensunterhalt bei der Gestaltung der Hilfe
und ihrer Anpassung an die Besonderheiten des Einzelfalls freier gestellt.
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Vgl. BVerwG, a.a.O; Urteil vom 17. Mai 1995, a.a.O., S. 14ff.; Begründung der
Bundesregierung zu § 25 BSHG im Entwurf eines Gesetzes zur Reform des
Sozialhilferechts vom 27. September 1995, BT-Drucks. 13/2440, S. 25.
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Diese Gesetzessystematik läßt keinen Raum für eine Differenzierung nach den Motiven
oder dem Ausmaß der Verweigerung zumutbarer Arbeit. Der für die
anspruchsvernichtende Wirkung des § 25 Abs. 1 BSHG ausschlaggebende fehlende
oder mangelnde Wille zur Selbsthilfe durch Einsatz der Arbeitskraft liegt etwa auch dann
vor, wenn der Hilfe Suchende - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit ist, jede
ihm zumutbare Arbeit anzunehmen, er also bestimmte zumutbare Arbeitsstellen von
vornherein ausschließt oder seine Bemühungen ausschließlich auf bestimmte
Arbeitsstellen richtet. Deshalb kann es für die Anwendung des § 25 Abs. 1 BSHG auch
nicht auf die Feststellung ankommen, der Hilfe Suchende sei ohne die Unterstützung
des Sozialhilfeträgers nicht imstande, von der Selbsthilfemöglichkeit der
Arbeitsaufnahme Gebrauch zu machen.
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So aber OVG Hamburg, Beschluss vom 14. April 1998 - 4 Bs 131/98 -, FEVS 49, 44; s.
auch OVG NRW, Beschluss vom 17. März 1997 - 8 B 1/97 -.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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