Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.09.2008

OVG NRW: aufenthaltserlaubnis, einreise, visum, ausländer, schengen, ermessen, familiennachzug, abschiebung, erfüllung, ausweisungsgrund

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 871/08
Datum:
16.09.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 B 871/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 8 L 445/07
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,00 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Die
Prüfung des Senats ist auf diejenigen Gründe beschränkt, die der Antragsgegner
innerhalb der einmonatigen Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegt
hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Diese Gründe rechtfertigen es nicht, Nr. 1 des Tenors
des angefochtenen Beschlusses teilweise zu ändern und auch den Hilfsantrag der
Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Erteilung einer Duldung nach
§ 60 a AufenthG abzulehnen.
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Der Antragsgegner wendet sich ohne Erfolg gegen die tragende Erwägung des
Verwaltungsgerichts zu seiner stattgebenden Entscheidung über diesen Hilfsantrag, die
allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum nach §
5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sei auf die Antragstellerin zu 1. nicht anwendbar, weil
diese nach § 39 Nr. 5 AufenthV berechtigt sei, die Aufenthaltserlaubnis vom Inland aus
einzuholen (Buchstabe b) der Beschlussgründe (S. 5, 7 f.)). Nach § 39 Nr. 5 AufenthV
kann ein Ausländer über die im AufenthG geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel
auch dann im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG
ausgesetzt ist und er unter anderem auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet
einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat.
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Diese Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht hier zutreffend bejaht: Die
Antragstellerin zu 1. konnte eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug im
Bundesgebiet einholen, als sie im Mai 2007 bei der Ausländerbehörde der G. und I. I1.
sinngemäß den dahin gehenden Antrag gestellt hat. Ihre Abschiebung war zu diesem
Zeitpunkt seit dem Ergehen der Abschiebungsandrohung der G. und I. I1. vom 5.
Dezember 2006 ununterbrochen nach § 60a AufenthG ausgesetzt, und sie hatte auf
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Grund ihrer Eheschließung mit dem Antragsteller zu 2. am 10. Mai 2007 vor dem
Standesamt I1. -I2. einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§
27 Abs. 1, 29, 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erworben. Dieser Anspruchserwerb ist
zwischen den Beteiligten auch unstreitig, soweit es allein um die speziellen familiären
Erteilungsvoraussetzungen in den vorgenannten Vorschriften geht. Auch im
Beschwerdeverfahren hat der Antragsgegner nicht in Frage gestellt, dass die
Antragstellerin zu 1. am Maßstab der §§ 27 Abs. 1, 29, 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einen
Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat und damit die
Voraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV nach dessen Wortlaut erfüllt.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist § 39 Nr. 5 AufenthV auf die
Antragstellerin zu 1. auch nicht deshalb unanwendbar, weil sie trotz beabsichtigten
Daueraufenthalts lediglich mit einem Schengen-Visum für Besuchszwecke in das
Bundesgebiet eingereist ist und sich seitdem ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet
aufhält. § 39 Nr. 5 AufenthV erfasst geduldete Ausländer, die im Sinne des § 14 Abs. 1
Nr. 2 AufenthG unerlaubt eingereist sind, ebenso wie solche, die mit dem nach § 6 Abs.
4 Satz 1 AufenthG erforderlichen nationalen Visum eingereist sind. Das ergibt sich
schon daraus, dass der Wortlaut des § 39 Nr. 5 AufenthV nicht zwischen diesen beiden
unterschiedlichen Arten der Einreise differenziert. Entgegen dem
Beschwerdevorbringen des Antragsgegners lässt sich eine derartige Einschränkung
auch nicht aus einem systematischen Vergleich mit den anderen Tatbeständen des § 39
AufenthV ableiten. Unzutreffend ist insbesondere seine Behauptung, „sämtlichen
anderen Tatbestandsalternativen [liege] ersichtlich entweder eine zuvor erfolgte legale
Einreise oder aber ein[en] legalisierte[r] Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 39 Nr. 4
AufenthV) zugrunde." Dass § 39 AufenthV im Gegenteil auch bei illegaler Einreise
eingreifen kann, hat das beschließende Gericht bereits für § 39 Nr. 3 Alternative 2
AufenthV entschieden: Auch in den Anwendungsfällen dieser Vorschrift kommt es nicht
darauf an, ob der Ausländer bei der Einreise mit einem nur für kurzfristige Aufenthalte
bestimmten Schengen-Visum schon einen dauerhaften Aufenthaltszweck anstrebte.
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OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2007 - 18 B 1535/07 -, juris, Rdn. 6.
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Aus der Überschrift des § 39 AufenthV „Verlängerung eines Aufenthalts im
Bundesgebiet für längerfristige Zwecke" ergibt sich nichts Anderes. Sie nimmt nur auf
einen nicht näher eingegrenzten „Aufenthalt im Bundesgebiet" Bezug, nicht hingegen
auf einen erlaubten Aufenthalt und auch nicht auf einen rechtmäßigen Aufenthalt.
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Unzutreffend ist ferner die Rechtsauffassung des Antragsgegners, § 39 Nr. 5 AufenthV
setze den Erwerb eines gesetzlichen Anspruchs voraus, der hier nicht bestehe, weil § 5
Abs. 2 Satz 2 AufenthG das Absehen von dem Visumverstoß in sein Ermessen stelle.
Hierzu hat das Verwaltungsgericht unter zutreffender Bezugnahme auf den zitierten
Beschluss des 18. Senats bereits ausgeführt, dass § 5 Abs. 2 AufenthG wegen des
Eingreifens von § 39 Nr. 5 AufenthV auf den Fall der Antragstellerin zu 1. nicht
anwendbar ist und dass ihr auch nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die abstrakte
Verwirklichung eines Ausweisungstatbestandes entgegen gehalten werden kann. Aus
diesem Grund hat der Antragsgegner über den Antrag der Antragstellerin zu 1. auf
Familiennachzug auch nicht etwa wegen Erfüllung eines Ausweisungsgrundes nach §
27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Vielmehr sind die §§ 5 Abs.
1 Nr. 2, 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auf ihren Antrag nicht anwendbar, weil § 39 Nr. 5
AufenthV auch einer Bewertung des Visumverstoßes als Ausweisungsgrund
entgegensteht. Auch dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1
Satz 5 GKG).
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