Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.02.2009

OVG NRW: adresse, öffentliche sicherheit, interessenabwägung, inhaber, telekommunikation, unternehmen, rasterfahndung, fernmeldegeheimnis, identifizierung, grundrechtseingriff

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 33/09
Datum:
17.02.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 33/09
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 21 L 1398/08
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2008 wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 25.000,-- Euro
festgesetzt.
Gründe:
1
I.
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Der Antragstellerin, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt, wurde mit
Bescheiden der Antragsgegnerin vom 11. Juli und 28. August 2008 aufgegeben,
Auskünfte über Bestandsdaten, die zu einer von der auskunftsberechtigten Stelle
mitgeteilten dynamischen IP-Adresse gehören, nach § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG zu
erteilen.
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Gegen die Bescheide erhob die Antragstellerin jeweils Widerspruch. Ihr Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche blieb vor dem
Verwaltungsgericht ohne Erfolg. Mit ihrer Beschwerde macht sie geltend: Im Zuge der
Bestandsdatenerhebung sei eine Auswertung von Verkehrsdaten erforderlich, so dass §
113 Abs. 1 Satz 1 TKG keine taugliche Rechtsgrundlage und ein sog. Richtervorbehalt
zu beachten sei. Ihr Auskunftsverlangen beeinträchtige das von Art. 10 Abs. 1 GG
geschützte Fernmeldegeheimnis. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
zur Zielwahlsuche (BVerfGE 107, 299) sowie zur präventiven polizeilichen
Rasterfahndung (BVerfGE 115, 320) und zur automatischen Kfz-Kennzeichenerfassung
(BVerfGE 120, 378) seien thematisch einschlägig und zu beachten. Gegebenenfalls sei
im Rahmen einer Interessenabwägung die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung (NVwZ 2008, 543) zu
berücksichtigen, so dass die Nutzung der begehrten Daten nur zur strafrechtlichen
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Verfolgung bei Katalogstraftaten gemäß § 100 a StPO zulässig sei.
II.
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Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der
von der Antragstellerin dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 11. Juli und
28. August 2008 abgelehnt. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene
Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung der
angefochtenen Verwaltungsakte bis zur abschließenden Entscheidung über ihre
Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der möglichst
schnellen Durchsetzung der Verfügungen fällt auch aus Sicht des Senats zum Nachteil
der Antragstellerin aus.
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Es begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass die
Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen
(BNetzA) bei den streitgegenständlichen Auskunftsanordnungen auf § 113 Abs. 1 Satz 1
TKG abgestellt hat. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der geschäftsmäßig
Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, im Einzelfall den zuständigen
Stellen auf deren Verlangen unverzüglich Auskünfte über die nach den §§ 95 und 111
TKG erhobenen Daten zu erteilen, sobald dies für die Verfolgung von Straftaten oder
Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung oder für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der
Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des
Bundesnachrichtendienstes oder des militärischen Abschirmdienstes erforderlich ist. In
dieser Vorschrift findet auch die zu erteilende Auskunft über Inhaber von
Internetanschlüssen bei bekannter dynamischer IP- Adresse ihre Grundlage. Es handelt
sich um sog. Bestandsdaten und nicht um sog. Verkehrsdaten, die nach Maßgabe
anderweitiger Vorschriften aufgrund richterlicher Anordnung zu beauskunften wären
(vgl. §§ 100 g, 100 h StPO).
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§ 113 Abs. 1 Satz 1 TKG verweist auf § 95 TKG. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 darf der
Diensteanbieter "Bestandsdaten" unter dort näher bezeichneten Voraussetzungen
erheben und verwenden. Die Legaldefinition von "Bestandsdaten" findet sich in § 3 Nr.
3 TKG. Sie sind Daten eines Teilnehmers, die für die Begründung, inhaltliche
Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über
Telekommunikationsdienste erhoben werden. Inhaltlich entspricht § 3 Nr. 3 TKG dem §
2 Nr. 3 der Verordnung über den Datenschutz für Unternehmen, die
Telekommunikationsleistungen erbringen, vom 18. Dezember 2000 (TDSV-2000). In § 2
Nr. 3 TDSV-2000 waren die sog. Bestandsdaten und in § 2 Nr. 4 TDSV-2000 die sog.
Verbindungsdaten näher umschrieben. Beide betreffen "personenbezogene Daten". Die
"Bestandsdaten" beziehen sich jedoch auf das "Vertragsverhältnis"; die
"Verbindungsdaten" beziehen sich hingegen auf "Bereitstellung und Erbringen von
Telekommunikationsdiensten", also auf den technischen Vorgang bei Erbringung der
Telekommunikationsdienstleistung. Die früheren "Verbindungsdaten" werden nunmehr
als "Verkehrsdaten" in § 3 Nr. 30 TKG näher charakterisiert.
9
Vgl. Graulich, in: Arndt/Fetzer/Scherer, Telekommunikationsgesetz, Kommentar, 2008, §
113 Rdnr. 3.
10
Der Senat sieht im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG als gegeben an. Die angeordnete
Erteilung der Auskünfte "über den Anschlussinhaber" (Bescheid vom 11. Juli 2008) und
über "Bestandsdaten" (Bescheid vom 28. August 2008) betreffen allein "Bestandsdaten"
im oben beschriebenen Sinne, auch wenn diese mit Hilfe von "Verkehrsdaten"
festgestellt werden.
11
Soweit bislang in der Rechtspraxis Unsicherheiten bei der Frage bestanden haben, ob
die Auskunft über den Inhaber einer dynamischen IP-Adresse auf ein
Auskunftsersuchen nach § 113 TKG gestützt werden kann,
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vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 4. Januar 2005 - 13 Qs 89/04 -, NJW 2005, 614; LG
Hechingen, Beschluss vom 19. April 2005 - 1 Qs 41/05 -, NJW-RR 2006, 1196; LG
Hamburg, Beschluss vom 23. Juni 2005 - 631 Qs 43/05 -, MMR 2005, 711; LG
Würzburg, Beschluss vom 20. September 2005 - 5 Qs 248/05 -, NStZ-RR 2006, 46; LG
Offenburg, Beschluss vom 17. April 2008 - 3 Qs 83/07 -, MMR 2008, 480; LG
Frankenthal, Beschluss vom 21. Mai 2008 - 6 O 156/08 -, K&R 2008, 467 sowie
nachfolgend OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26. September 2008 - 4 W 62/08 -,
MMR 2009, 45; Sankol, MMR 2006, 361; Braun, jurisPR-ITR 17/2008, Anm. 4,
13
hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen
sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 (BGBl I S.
3198; im Folgenden: Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung)
eine entsprechende klarstellende Regelung in § 113 b Satz 1 Halbsatz 2 TKG eingefügt.
Dort heißt es, dass Daten für andere Zwecke "mit Ausnahme einer Auskunftserteilung
nach § 113 TKG" nicht verwendet werden dürfen. Durch diese Regelung sollte
entsprechend der amtlichen Gesetzesbegründung eine Bestimmung geschaffen
werden, dass Auskünfte über Namen und Anschrift eines mittels dynamischer IP-
Adresse und Uhrzeit individualisierten Anschlussinhabers im manuellen
Auskunftsverfahren nach § 113 TKG zu erteilen sind, auch wenn der Auskunftspflichtige
vor Weitergabe der Informationen auf Verkehrsdaten zurückgreifen muss (BT-Drucks.
16/6979 S. 46 sowie BT-Drucks. 16/5846 S. 95). Allerdings ist der Regelungsgehalt von
§ 113 b Satz 1 Halbsatz 2 TKG nicht leicht zu erschließen. Die Norm zeigt aus sich
heraus nicht eindeutig auf, dass auch solche Bestandsdaten nach § 113 TKG erhebbar
sind, die mit Hilfe von Verkehrsdaten zu ermitteln sind. Der Senat bejaht angesichts der
eindeutigen Gesetzesbegründung, die im Wortlaut von § 113 b Satz 1 Halbsatz 2 TKG
noch einen hinreichenden Ausdruck gefunden hat, und aufgrund des klaren
systematischen Zusammenhangs dieser Norm mit § 113 TKG eine klarstellende
gesetzliche Bestimmung, dass Auskünfte über Namen und Anschrift eines mittels
dynamischer IP- Adresse und Uhrzeit individualisierten Anschlussinhabers im
manuellen Auskunftsverfahren nach § 113 TKG zu erteilen sind, auch wenn der
Auskunftspflichtige vor Weitergabe der Informationen Verkehrsdaten berücksichtigen
muss.
14
Vgl. auch LG Offenburg, Beschluss vom 17. April 2008 - 3 QS 83/07 -, MMR 2008, 480,
481;
15
Bär, MMR 2008, 215, 221.
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Die Berücksichtigung von Verkehrsdaten zur Identifizierung des Anschlussinhabers
einer bereits bekannten dynamischen IP-Adresse ist danach im vorliegenden
Zusammenhang unerheblich. Die nach § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG verlangte Auskunft ist
allein die Mitteilung eines Bestandsdatums. Weder ist über Verbindungsdaten eine
Auskunft verlangt worden noch werden diese Daten Außenstehenden mitgeteilt.
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Ebenfalls vermag der Senat im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung nicht zu
erkennen, dass die Ermittlung und die Beauskunftung dynamischer IP-Adressen nur als
ein einheitlicher grundrechtsrelevanter Vorgang im Sinne des Art. 10 Abs. 1 GG zu
bewerten und ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG zu bejahen wäre.
Eine andere verfassungsrechtliche Einordnung ist entgegen der Auffassung der
Antragstellerin nicht geboten, auch wenn - wie im vorliegenden Fall - die Beauskunftung
im Hinblick auf dynamische IP-Adressen nur unter Zuhilfenahme von "Verkehrsdaten"
zu bewerkstelligen ist, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen (vgl. auch § 88 TKG).
18
Der Schutz des verfassungsrechtlich geschützten Fernmeldegeheimnisses des Art. 10
Abs. 1 GG erfasst die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen und schirmt den
Kommunikationsinhalt gegen unbefugte Kenntniserlangung durch Dritte ab. Als Folge
der Digitalisierung hinterlässt jede Nutzung der Telekommunikation personenbezogene
Spuren, die gespeichert und ausgewertet werden können. Auch der Zugriff auf diese
Daten fällt in den Schutzbereich des Art. 10 GG. Das Grundrecht schützt deshalb die
Vertraulichkeit der näheren Umstände des Telekommunikationsvorgangs.
19
Vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 BvR 2090/04 -, BVerfGE 115, 166, 183 = NJW
2006, 976, 978, m. w. N.
20
Soweit Telekommunikationsunternehmen durch staatliche Anordnung verpflichtet
werden, Auskunft über Kommunikationsverbindungsdaten (Verkehrsdaten) zu geben,
stellt sich die Frage eines mittelbaren Grundrechtseingriffs in Art. 10 Abs. 1 GG. Eine
derartige Übermittlung von Kommunikationsdaten durch das Unternehmen an staatliche
Stellen ist der öffentlichen Gewalt zuzurechnen und als Grundrechtseingriff zu werten,
wenn es sich um eine hoheitliche Anordnung zur Datenübermittlung handelt, die von
den Betreibern auszuführen ist, ohne dass ihnen ein Handlungsspielraum zur
Verfügung steht. Durch die Übermittlung solcher Daten erlangt die Behörde Kenntnis
von den Umständen der Telekommunikation.
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Vgl. BVerfG, Urteil vom 12. März 2003 - 1 BvR 330/96 u. a. -, BVerfGE 107, 299, 313 ff. =
NJW 2003, 1787, 1789; Fetzer, in: Arndt/Fetzer/Scherer, a. a. O., § 96 Rdnr. 2.
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Die Ermittlung des Inhabers einer dynamischen IP-Adresse ist indessen kein - auch
nicht mittelbarer - Grundrechtseingriff in Art. 10 Abs. 1 GG. Verkehrsdaten werden nicht
mitgeteilt. Es verwirklicht sich keine spezifische Gefährdung der gewährleisteten
Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen und der Umstände des
Kommunikationsvorgangs. Es geht nicht unmittelbar um Inhalt oder Umstände eines
konkreten Telekommunikationsvorgangs, sondern die begehrte Auskunft bezieht sich
auf eine bestimmte Person und damit auf ein Basisdatum des Vertragsverhältnisses
zwischen dem Provider und seinem Kunden. Der Auskunft allein lässt sich lediglich
entnehmen, dass ein bestimmter Anschlussinhaber in einem solchen Vertragsverhältnis
mit dem Provider steht und dass jemand von seinem Anschluss aus zu einem
bestimmten, von den Ermittlungsbehörden benannten Zeitpunkt und mit einer
bestimmten, gleichfalls von der Ermittlungsbehörde benannten Kennung eine
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Verbindung im Internet unterhielt. Insofern ist kein wesentlicher Unterschied zu der
Mitteilung zu sehen, wem zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte
Telefonnummer zugeteilt war, was aber, weil ohne Bezug zu einem konkreten
Telekommunikationsvorgang, nach allgemeiner Meinung lediglich die Mitteilung des
"Bestandsdatums" im Sinne von § 3 Nr. 3, § 111 Abs. 1 Satz 1 TKG darstellt und
deshalb nicht dem Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 GG unterfällt.
Vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26. Septem-ber 2008 - 4 W 62/08 -, MMR 2009,
45, 46.
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Soweit das Bestandsdatum durch Rückgriff auf Verkehrsdaten festgestellt wird, kommt
dem im Hinblick auf Art. 10 Abs.1 GG keine Relevanz zu, weil die Verkehrsdaten den
berechtigten staatlichen Stellen nicht mitgeteilt werden, sondern diese nur über das
Bestandsdatum informiert werden. Allerdings verkennt der Senat nicht, dass die
Mitteilung des Bestandsdatums an die berechtigte Stelle das Endergebnis einer
staatlichen Ermittlungstätigkeit sein kann, die sich in zwei Abschnitte unterteilt hat, falls
die berechtigte Stelle die Angaben über die dynamische IP-Adresse nicht von einem
Privaten freiwillig erhalten hat. Ergebnis des ersten staatlichen
Untersuchungsabschnitts ist die Feststellung der dynamischen IP-Adresse und des
Verbindungszeitraums. Es werden Verkehrsdaten ermittelt, deren zulässige Erhebung
wegen spezifischer Gefahren im Zusammenhang mit Kommunikationsvorgängen den
verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 10 Abs. 1 GG genügen muss. Das
anonyme Verkehrsdatum darf nur unter den qualifizierten Voraussetzungen der
Strafprozessordnung (§ 100 g StPO) erhoben werden. Die Feststellung des konkreten
Telekommunikationsvorgangs hat mit Abschluss dieser Ermittlung indes ihr Ende
gefunden. Der Umstand der Deanonymisierung von Verkehrsdaten ist hiervon zu
trennen und begründet keinen selbständigen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 10
Abs. 1 GG mehr. Die Deanonymisierung dient allein der Identifizierung des Namens des
Anschlussinhabers, was mit der Feststellung des Halters eines Fahrzeuges mit einem
erfassten amtlichen Kennzeichen vergleichbar ist. Die Deanonymisierung einer
dynamischen IP- Adresse ist daher ebenso wenig wie die Auskunft über den Inhaber
eines statischen IP- Adresse, die ohne Auswertung von Verkehrsdaten auskommt, ein
Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG.
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Ob und unter welchen Voraussetzungen eines solche Beauskunftung gleichwohl
verfassungsrechtlich - etwa aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit - zu beanstanden
sein kann, hat der Senat vorliegend nicht zu entscheiden. Derartige Fragen stehen hier
nicht im Raum. Schließlich musste der Senat nicht auf die weiteren Ausführungen der
Antragstellerin zur präventiven polizeilichen Rasterfahndung (BVerfGE 115, 320) und
zur automatischen Kfz-Kennzeichenerfassung (BVerfGE 120, 378) eingehen, da ihnen
im vorliegenden Kontext keine Bedeutung zukommt. Die Frage einer von der
Antragstellerin geltend gemachten Übertragbarkeit der verfassungsgerichtlichen
Ausführungen zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V.
m. Art. 1 Abs. 1 GG) auf das Grundrecht des Art. 10 Abs. 1 GG stellt sich nicht, weil es
bei der Beauskunftung der angeforderten Bestandsdaten nicht um die Kenntnis von
einzelnen Telekommunikationsvorgängen geht. Insofern sind die in den zitierten
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts relevanten Ermittlungsdaten, die im
Wege der Zusammenführung und Kombination von Datenbeständen und ihres
wechselseitigen Abgleichs festgestellt werden sollen, mit Verkehrsdaten vergleichbar,
aber nicht mit den hier in Rede stehenden Bestandsdaten. Der Senat musste schließlich
auch nicht dem Umstand nachgehen, dass mit der Auskunftserteilung zu einer
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dynamischen IP-Adresse nur ein bestimmter Anschlussinhaber erkannt werden kann,
aber nicht notwendigerweise ein tragfähiger Beleg dafür gegeben ist, dass der
Anschlussinhaber selbst die beanstandeten Internetseiten besucht hat, da andere
Personen, die Zugang zu diesem Internetanschluss haben, unter der dynamischen IP-
Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt die entsprechenden Internetseiten besucht
haben können. Diese Möglichkeiten sind vorliegend nicht verfahrensentscheidend.
Da der Senat in diesem Eilverfahren § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG als geeignete
Ermächtigungsgrundlage für das Auskunftserlangen der BNetzA ansieht und Gründe für
eine fehlerhafte Rechtsanwendung der BNetzA nicht erkennbar sind, kommt es auf die
weiteren von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren angesprochenen Punkte nicht
mehr an.
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Dies gilt auch für die Abwägung von privatem und öffentlichem Interesse. Denn eine
Abwägung dieser Interessen kann sich von vornherein auf solche Umstände
konzentrieren, die die Antragstellerin vorgetragen hat und die die Annahme rechtfertigen
könnten, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung in §
137 Abs. 1 TKG ausnahmsweise abzuweichen ist. Dabei sind die Folgen, die sich für
den einzelnen Antragsteller mit dem Sofortvollzug verbinden, nur insoweit beachtlich,
als sie nicht schon als regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des
Sofortvollzugs der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden
haben.
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Zur gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung vgl. insbesondere BVerfG, 2. Kammer des
Ersten Senats, Beschluss vom 10. Oktober 2003 - 1 BvR 2025/03 -, NVwZ 2004, 93, 94;
OVG NRW, Beschluss vom 19. November 2008 - 13 B 1543/08 -, juris.
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Solche in diesem Sinne - hier beachtliche - qualifizierte Umstände hat die
Antragstellerin nicht dargetan. Ihr Vortrag weist nicht auf besondere Umstände hin,
aufgrund derer eine Abwägung zugunsten ihrer Privatinteressen ausfallen müsste. Ihre
Ausführungen beschränken sich auf die Situation einer reinen Interessenabwägung.
Angesichts der nach allem Anschein rechtmäßigen Entscheidungen der BNetzA ist für
eine reine Interessenabwägung hier kein Raum. Deshalb kommt es auf die Frage der
Tragfähigkeit des vom Verwaltungsgericht in die Abwägung eingestellten
überwiegenden öffentlichen Vollzugsinteresses, namentlich der Effektivität der
Strafverfolgung und des Restitutionsinteresses der Opfer von Straftaten, nicht an. Auch
sind die Überlegungen der Antragstellerin hier nicht von Belang, wonach in Anlehnung
an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsspeicherung von
Telekommunikations-Verkehrsdaten vom 11. März 2008 (- 1 BvR 256/08 -, NVwZ 2008,
543) und die weitere Entscheidung in diesem Verfahren vom 28. Oktober 2008 (NVwZ
2009, 96) ein Auskunftsverlangen nur bei Katalogstraftaten gemäß § 100 a Abs. 2 StPO
oder unter den Voraussetzungen des § 100 a Abs. 1 StPO zur Abwehr dort genannter
schwerwiegender Gefahren zulässig sei. Schließlich lässt sich aus den Ausführungen
des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 28. Oktober 2008 zur sog.
Bestandsdatenauskunft nach § 113 TKG für eine Interessenabwägung nichts anderes
entnehmen. Dort hat das Bundesverfassungsgericht zur sog. Bestandsdatenauskunft
ohne nähere Ausführungen angegeben, dass auch diese Nutzung Rechtsfragen
aufwerfe, die im Hauptsacheverfahren näherer Prüfung bedürften. Konsequenzen hat
das Bundesverfassungsgericht aber im einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 32
BVerfGG nicht gezogen und § 113 TKG nicht vorläufig supendiert.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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