Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.01.2008

OVG NRW: ukraine, staatsangehörigkeit, eltern, verordnung, eintrag, erwerb, ausdehnung, beweislast, karte, bindungswirkung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 105/08
Datum:
29.01.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 105/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 K 5011/06
Tenor:
Der sinngemäß gestellte Antrag der Klägerin auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für ein
beabsichtigtes Verfahren auf Zulassung der Berufung gegen den
Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Köln vom 29. Oktober 2007
wird abgelehnt.
G r ü n d e :
1
Der Senat versteht den Schriftsatz vom 12. Dezember 2007 mit seinem "Antrag auf
Zulassung der Berufung" allein als den - in diesem Schriftsatz (sinngemäß) zugleich
gestellten - Antrag der Klägerin, ihr für einen beabsichtigten, durch einen Rechtsanwalt
einzulegenden, formgerechten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen den
Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Köln vom 29. Oktober 2007
Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen. Denn der
wörtlich gestellte Zulassungsantrag wäre unzulässig, weil sich die Klägerin bei der
Antragstellung nicht - wie nach § 67 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO vorgeschrieben - durch
einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des
Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt hat vertreten lassen.
2
Der so verstandene Antrag kann keinen Erfolg haben. Denn ein noch anwaltlich zu
stellender Zulassungsantrag böte entgegen § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
3
Da die einen Monat betragende Antragsfrist für einen (formgerecht gestellten)
Zulassungsantrag (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) mit Blick auf die Zustellung des
Gerichtsbescheides am 11. Dezember 2007 bereits mit Ablauf des 11. Januar 2008
verstrichen ist, käme ein Erfolg nur dann in Betracht, wenn Wiedereinsetzung in diese
Frist gewährt werden könnte. Zwar ist einem Rechtsschutzsuchenden, der es versäumt
hat, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist in der nach § 67 Abs. 1 VwGO vorgeschriebenen
Form den Rechtsbehelf einzulegen, grundsätzlich Wiedereinsetzung zu gewähren,
wenn er zunächst Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt
4
hat und nicht vernünftigerweise mit einer Ablehnung rechnen musste. Voraussetzung
dafür ist aber, dass noch innerhalb der Rechtsbehelfsfrist ein vollständiges
Prozesskostenhilfegesuch eingereicht worden ist. Dazu gehört die auf dem eingeführten
Vordruck abzugebende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse, § 166 VwGO i. V. m. § 117 ZPO.
Vgl. dazu etwa Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. Januar 2004 - 6 PKH
15/03 -, NVwZ 2004, 888, mit weiteren Nachweisen.
5
Daran fehlt es hier.
6
Ungeachtet dessen sind hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 VwGO i. V.
m. § 114 Satz 1 ZPO hier aber auch deshalb zu verneinen, weil nach dem Vorbringen
der Klägerin und dem Inhalt der Akten nicht ersichtlich ist, dass es gelingen könnte,
Gründe aufzuzeigen, die die Zulassung der Berufung gegen das
verwaltungsgerichtliche Urteil rechtfertigen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen
könnten, mit der die Klage abgewiesen worden ist. Namentlich fehlt es an jeglichen -
aber erforderlichen - Nachweisen für eine Einbürgerung des Vaters oder schon des
Großvaters der Klägerin.
7
Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 1 Abs. 1 f) des Gesetzes zur
Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 (BGBl. I S. 65) - 1.
StAngRegG - i. V. m. der Verordnung über die Verleihung der deutschen
Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche Volksliste der Ukraine eingetragenen
Personen vom 19. Mai 1943 (RGBl. I S. 321) setzt außer der deutschen
Volkszugehörigkeit auch die Ansässigkeit am 21. Juni 1941 im Gebiet des
Reichskommissariats Ukraine in seinem jeweiligen Bestand und ferner voraus, dass
eine Eintragung in die Deutsche Volksliste der Ukraine tatsächlich erfolgt war. Dass die
beiden zuletzt genannten Voraussetzungen hier gegeben sein könnten, ist nicht
ersichtlich.
8
Die Frage der Ansässigkeit der Großeltern und des Vaters der Klägerin am 21. Juni
1941 im Gebiet des Reichskommissariats Ukraine in seinem jeweiligen Bestand muss
hier auch dann verneint werden, wenn der (nicht belegte) Vortrag der Klägerin
zugrundegelegt wird, nach welchem die bezeichneten Vorfahren sich am 21. Juni 1941
besuchsweise, aber offiziell registriert in H. /X. X1. /W. W1. im Gebiet U. (heute
ukrainisch: U1. /D. ) und nicht am eigentlichen Wohnort in Kasachstan aufgehalten
haben, und wenn ferner unterstellt wird, dass ein solcher Besuchsaufenthalt
grundsätzlich geeignet war, das Tatbestandsmerkmal der "Ansässigkeit" zu erfüllen.
Denn das östlich des Dnjepr befindliche Gebiet U. und damit auch der östlich von U.
gelegene, zu diesem Gebiet gehörende Ort H. /Großer X1. bzw. X. X1. /(W. ) W2. im
(früheren) Rayon E. /E1. hat auch nach der letzten Erweiterung des
Reichskommissariats Ukraine nach Osten und Süden vom 1. September 1942 an nicht
zum Reichkommissariat gehört.
9
Vgl. Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Zweite
Weltkrieg, Band 5/2: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs.
Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1942 - 1944/45, 1999, Karte
nach S. 42; vgl. ferner den Eintrag "X1. " im "Ortsnamenverzeichnis der Ukraine auf
Grund der Administrativen Karten der SSR der Ukraine", herausgegeben von der
10
Publikationsstelle Ost, Berlin 1943 (Nachdruck), nach dem dieser Ort im Gebiet U1. und
im Rayon E. liegt, und die dem Verzeichnis beigegebene Faltkarte (Verwaltungskarte
der Ukrainischen Sowjetrepublik), die die Grenzen des Reichskommissariats Ukraine in
seiner größten Ausdehnung zeigt und erkennen lässt, dass das Gebiet U. nie zum
Reichskommissariat Ukraine gehört hat; vgl. außerdem den im Internet verfügbaren
Wikipedia-Eintrag "Reichskommissariat Ukraine", aus dessen zutreffender
Beschreibung der jeweiligen Grenzen des Reichskommissariats Ukraine sich ergibt,
dass bis zum 31. August 1942 überhaupt keine östlich des Dnjepr gelegenen Gebiete
oder Gebietsteile zum Reichskommissariat Ukraine gehört haben und dass das Gebiet
U. nicht zu den vom 1. September 1942 an dem Reichskommissariat zugeordneten
(Teil-) Gebieten östlich des Dnjepr gezählt hat (http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Reichskommissariat_Ukraine&printable=ye s, Ausdruck vom 23. Januar 2008).
Außerdem fehlt es für einen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach Maßgabe
der Volkslistenverordnung auch daran, dass eine Eintragung des Vaters der Klägerin
(zusammen mit dessen Eltern) in die Deutsche Volksliste der Ukraine seinerzeit
tatsächlich erfolgt ist. Das Erfordernis einer tatsächlich erfolgten Eintragung gilt auch für
deutsche Volkszugehörige, welche die Voraussetzungen für eine Eintragung in die
Abteilungen 1 oder 2 der Deutschen Volksliste gemäß § 1 der Verordnung erfüllten.
11
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Juli 2006 - 5 C 3.05 -, DVBl. 2007, 194 ff.
12
Soweit früher eine abweichende behördliche Praxis bestanden hat, nach der bei
Erfüllung der Voraussetzungen für die Eintragung in die Abteilung 1 oder 2 der
Deutschen Volksliste ein - hier nach dem oben Gesagten nicht gegebener - Wohnsitz im
Reichskommissariat zum maßgeblichen Stichtag für ausreichend erachtet wurde, war
diese nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsfehlerhaft und entfaltet -
von Fällen berechtigten Vertrauensschutzes abgesehen, welcher nicht schon durch eine
Antragstellung vor der Änderung der Rechtsprechung begründet wird - keine
Bindungswirkung. Für eine tatsächliche Eintragung des Vaters der Klägerin (zusammen
mit dessen Eltern) in die Deutsche Volksliste der Ukraine sind aber auch mit dem
"Antrag auf Zulassung der Berufung" keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen
worden; solche Anhaltspunkte sind auch sonst weiterhin nicht erkennbar. Fehlt es an
einem Nachweis der Eintragung, geht dies zu Lasten der Klägerin. Denn die Eintragung
ist eine rechtsbegründende Tatsache, für deren Vorliegen der jeweilige Kläger die
materielle Beweislast trägt.
13
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Juli 2006 - 5 C 3.05 -, a. a. O.
14
Ebenso fehlt jeglicher Anhaltspunkt für eine Einzeleinbürgerung des Vaters oder der
Großeltern der Klägerin.
15
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
16
17