Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 13.11.2000

OVG NRW: eltern, erwerbstätigkeit, zweitausbildung, studierender, amt, erwerbstätiger, begriff, lebensstellung, lfg, unterhaltspflicht

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 E 779/00
Datum:
13.11.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 E 779/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 9 K 917/00
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten des gerichtskostenfreien
Zulassungsverfahrens werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Soweit er auf § 146 Abs. 4 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützt ist, hat die Klägerin
eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Sie hat keine
rechtsgrundsätzliche Frage aufgezeigt, die in dem angestrebten Beschwerdeverfahren
zu klären wäre.
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Ihre Ausführungen zur Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG bei der
Auslegung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4 iVm Satz 2 BAföG mögen eine
rechtsgrundsätzliche Frage beinhalten, die im Klageverfahren geklärt werden kann.
Nach ständiger Spruchpraxis des Senats führt nach Versagung der Gewährung der
Prozesskostenhilfe der Antrag auf Zulassung der Beschwerde wegen grundsätzlicher
Bedeutung aber nur dann zum Erfolg, wenn diese Frage eine spezifische Rechtsfrage
des Prozesskostenhilferechts betrifft.
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Vgl. etwa den Beschluss vom 23. März 2000 - 16 E 55/00 -, mit Hinweis auf den
Beschluss des OVG NRW vom 17. April 1997 - 22 E 327/97 -, DVBl 1997, 1337 =
NVwZ-RR 1998, 337.
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Eine derartige Frage hat die Klägerin nicht aufgezeigt.
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Soweit der Zulassungsantrag auf § 146 Abs. 4 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützt ist,
ist es der Klägerin nicht gelungen, die Richtigkeit der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen, dass nämlich die Klage
voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, weil die Voraussetzungen für eine
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elternunabhängige Förderung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG nicht vorliegen
dürften.
Das Verwaltungsgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der
Gesetzgeber mit der Ausnahmebestimmung der elternunabhängigen Förderung in § 11
Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 iVm Satz 2 BAföG eine Regelung mit typisierenden und
pauschalierenden Merkmalen getroffen hat, bei deren Vorliegen regelmäßig
angenommen wird, das Kind habe eine ausreichende, neigungsgerechte und
begabungserschöpfende Lebensgrundlage gefunden, so dass nunmehr ein
Unterhaltsanspruch für eine weitere Ausbildung gegen die Eltern nicht mehr bestehe.
Da § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG den Abschluss einer berufsqualifizierenden
Ausbildung voraussetzt, betrifft die Regelung diejenigen Fallgestaltungen, in denen eine
weitere Ausbildung oder Zweitausbildung aufgenommen und betrieben wird, für die die
Eltern nur unter besonderen Voraussetzungen unterhaltsrechtlich in Anspruch
genommen werden können.
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Vgl. Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 1. Lfg. Juli 1990, § 11 Rn. 30.5, sowie Tz. 11.3.14
BAföGVwV.
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Besteht eine solche Unterhaltspflicht nicht mehr, ist auch förderungsrechtlich eine
elternunabhängige Förderung, also ohne Berücksichtigung des Einkommens der Eltern,
sinnvoll und geboten. Dies hat der Gesetzgeber für die Fälle der Zweitausbildung bzw.
weiteren Ausbildung in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 iVm Satz 2 BAföG unter drei
Voraussetzungen typischerweise angenommen:
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Erstens muss nach Abschluss der berufsqualifizierenden Ausbildung ein bestimmter
Zeitraum vergangen sein, bis ein erneuter Ausbildungsbedarf auftritt oder geltend
gemacht wird, und zwar nach einer zumindest dreijährigen Ausbildung ein Zeitraum von
drei Jahren oder im Falle einer kürzeren Ausbildung nach einer entsprechend längeren
Zeit. Zweitens muss der jetzige Auszubildende in dem genannten Zeitraum erwerbstätig
gewesen sein, und drittens muss er in den Jahren der Erwerbstätigkeit in der Lage
gewesen sein, sich aus deren Ertrag selbst zu unterhalten.
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Bei der Klägerin ist schon die erste Voraussetzung nicht erfüllt; denn bereits drei Jahre
nach Abschluss ihrer Ausbildung zur Kinderpflegerin hat sie eine weitere Ausbildung
aufgenommen, indem sie die Klasse 12 der Fachoberschule besucht hat, um die
Fachhochschulreife zu erwerben. Da ihre Ausbildung zur Kinderpflegerin nur eine
zweijährige Ausbildung war, konnten nicht bereits nach weiteren drei Jahren, sondern
frühestens nach weiteren vier Jahren die Voraussetzungen für eine elternunabhängige
Förderung erfüllt sein. Die erneute Aufnahme einer Ausbildung vor Erreichen des Endes
des Sechs- Jahres-Zeitraums macht deutlich, dass jedenfalls die typische Annahme
nicht gerechtfertigt ist, die bisher erhaltene Ausbildung habe dem Betreffenden eine
gesicherte Lebensstellung unabhängig von den Eltern verschafft, so dass diese nicht
mehr zum Unterhalt verpflichtet seien.
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Ob die "vorzeitige" Aufnahme einer weiteren Ausbildung unschädlich sein kann, wenn
diese Ausbildung in die Zeiten der Erwerbstätigkeit sozusagen nur zwischengeschaltet
ist, so dass der erforderliche Drei- bzw. Vier-Jahres-Zeitraum der Erwerbstätigkeit in der
Zeit nach dem berufsqualifizierenden Abschluss der ersten Ausbildung bis zur jetzigen
Ausbildung ohne Berücksichtigung der zwischengeschalteten Ausbildung erreicht wird,
braucht im vorliegenden Verfahren nicht weiter geklärt zu werden, weil eine solche
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Fallgestaltung hier nicht vorliegt.
Die Klägerin dürfte auch die zweite Voraussetzung nicht erfüllen; denn jedenfalls
während des Besuchs der Fachoberschule im Schuljahr 1997/98 dürfte sie nicht
erwerbstätig im Sinne der hier maßgeblichen Vorschrift gewesen sein. Liegt ein
Ausbildungsverhältnis vor, können darin ausgeübte Tätigkeiten auch dann nicht dem
Begriff der Erwerbstätigkeit im Sinne der genannten Bestimmung zugeordnet werden,
wenn eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird.
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Vgl. das bereits vom Verwaltungsgericht zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 16. März 1994 - 11 C 19.93 -, BVerwGE 95, 252 = FamRZ 1994, 1138 = DVBl.
1994, 1301 = NVwZ-RR 1995, 68.
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Schon daraus dürfte folgen, dass die Betreuung ihres am 24. Mai 1993 geborenen
Kindes durch die Klägerin während ihres Fachoberschulbesuchs, selbst wenn man eine
derartige Betreuung grundsätzlich einer entgeltlichen Tätigkeit gleichstellt, nicht zur
Annahme einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG führen
kann.
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Auf die dritte Frage, ob die Klägerin einen Anspruch darauf haben kann, im Hinblick auf
die ausschließliche Betreuung eines Kindes unter 10 Jahren so gestellt zu werden wie
ein Erwerbstätiger, der sich aus den Erträgnissen dieser Tätigkeit selbst unterhalten
kann, kommt es daher nicht mehr an.
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Soweit die Klägerin schließlich einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darin
erblickt, dass ein Studierender, der sich ausschließlich der Erziehung eines Kindes
unter 10 Jahren gewidmet hat, elternunabhängige Förderung erhält (vgl. Tz. 11.3.6
BAföGVwV), dagegen nicht ein Studierender, der neben der Kindererziehung noch eine
Ausbildung absolviert hat, spricht im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG bei
einem angenommenen Gleichheitsverstoß mehr dafür, dass dann der Auszubildende,
der sich nach der ersten Ausbildung ausschließlich der Erziehung eines Kindes unter
10 Jahren gewidmet hat, zu Unrecht elternunabhängig gefördert wird, als dass
derjenige, der vor der jetzigen Ausbildung noch eine andere Ausbildung neben der
Kindererziehung betrieben hat, zu Unrecht elternabhängig gefördert wird.
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Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist zu bedenken, dass die typisierende
Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG die unterhaltsrechtliche Situation des
Auszubildenden völlig unberührt lässt. Besteht im vorliegenden Falle noch ein
Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber ihren Eltern, so ist es nach dem Sinn und
Zweck des Förderungsrechts hinzunehmen, dass Einkommen der Eltern im Rahmen der
vorgesehenen Anrechnungsmöglichkeiten gemäß §§ 11 Abs. 2 und 21 ff. BAföG auf den
Bedarf der Klägerin angerechnet wird. Besteht dagegen ein Unterhaltsanspruch der
Klägerin gegenüber ihren Eltern nicht mehr, so kann sie auch dann, wenn die
Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG verneint werden, faktisch eine
elternunabhängige Förderung erreichen, jedenfalls dann, wenn ihre Eltern wegen der
fehlenden Unterhaltsverpflichtung den angerechneten Unterhaltsbetrag nicht leisten und
die Klägerin deswegen Vorausleistungen nach § 36 BAföG beantragt. Anders als nach
der typisierenden Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG kann dann unter
Berücksichtigung aller unterhaltsrechtlich bedeutsamen Gesichtspunkte ganz konkret
zwischen dem Amt für Ausbildungsförderung, auf dessen Land ein etwaiger
Unterhaltsanspruch der Auszubildenden gemäß § 37 Abs. 1 BAföG dann übergegangen
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ist, und den Eltern der Auszubildenden - notfalls vor den Zivilgerichten - geklärt werden,
ob der Auszubildenden letztlich eine elternunabhängige Förderung zusteht oder nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 188 Satz 2 VwGO sowie auf § 166 VwGO iVm §
127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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