Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.10.2001

OVG NRW: kultur, familie, armee, eltern, muttersprache, meinung, niedersachsen, einfluss, pauschal, geburt

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 778/00
Datum:
19.10.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 A 778/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 9 K 5822/97
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens zu je einem
Viertel. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht
erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 32.000,00 DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die von den Klägern zunächst geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit
des angefochtenen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Das
Verwaltungsgericht ist in dem angefochtenen Urteil im Wesentlichen davon
ausgegangen, die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufnahmebescheides an
den Kläger zu 1) lägen nicht vor, weil ihm das bestätigende Merkmal der Sprache im
Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Bundesvertriebenengesetzes in der bis zum 6.
September 2001 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993, BGBl. I S.
829, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Sanierung des Bundeshaushalts
(Haushaltssanierungsgesetz - HSanG -) vom 22. Dezember 1999, BGBl. I S. 2534, -
BVFG a.F. - nicht ausreichend vermittelt worden sei. Der Kläger zu 1) sei ausweislich
des Ergebnisses des Sprachtests aus dem Jahre 1994 zum Zeitpunkt der gedachten
Ausreise nicht in der Lage, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Nach den
Angaben seiner Prozessbevollmächtigten sei die deutsche Sprache auch nicht in dem
Maße an den Kläger zu 1) weitergegeben worden, dass sie zumindest seine bevorzugte
Umgangssprache in der Familie geworden sei. Wegen des engen Zusammenhanges
zwischen Sprache, Erziehung und Kultur könne hier mangels Vorliegen besonderer
Umstände auch nicht von einer deutschen Erziehung oder von einer Vermittlung
deutscher Kultur an den Kläger zu 1) ausgegangen werden. Selbst wenn es wahr sein
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sollte, dass die Eltern des Klägers zu 1) bis 1956 unter Kommandanturbewachung
gestanden hätten und Angehörige der Trud-Armee gewesen seien, stünden diese
Umstände der Vermittlung der deutschen Sprache an den Kläger zu 1) nicht entgegen,
da die deutsche Sprache als Mutter- oder bevorzugte Umgangssprache in der
ehemaligen Sowjetunion innerhalb des häuslichen Bereichs hätte gebraucht werden
können, so dass weder Kommandantur noch der Dienst in der Trud-Armee der
Vermittlung der deutschen Sprache entgegengestanden hätten. Es sei nicht erkennbar,
dass der Gebrauch der deutschen Sprache in der Familie des Klägers zu 1) unmittelbar
kriegs- oder verfolgungsbedingt unterblieben sei.
Die Antragsbegründung ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser
Entscheidung zu wecken. Dass dem Kläger zu 1) die deutsche Sprache im Sinne des §
6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG a.F. vermittelt worden ist, wird dort nicht vorgetragen. Zwar
hätte danach "berücksichtigt werden müssen, dass der Kläger seine Muttersprache mit
Deutsch angegeben" habe. Man sei davon ausgegangen, "dass zumindest die
Muttersprache als deutsch angesehen" werde. Im Folgenden ist aber ausgeführt, dass
es hierauf schon deshalb nicht ankomme, weil durch den Gebrauch der deutschen
Sprache in der Familie die Erziehung ausschließlich Deutsch gewesen sei. Nach der
Antragsbegründung sollen sich die ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der
angefochtenen Entscheidung danach daraus ergeben, dass das Gericht es unterlassen
habe, den Vortrag des Klägers zu 1) zu berücksichtigen, auch ohne die Vermittlung der
deutschen Sprache sei er in deutschem Sinne erzogen und sei ihm deutsche Kultur
vermittelt worden.
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Das Verwaltungsgericht ist in der angefochtenen Entscheidung jedoch zu Recht und mit
zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass hier keine sonstigen in § 6 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 BVFG a.F. benannten oder unbenannten bestätigenden Merkmale im Sinne
des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG a.F. vorliegen. Fehlt - wie hier - das Merkmal der
deutschen Sprache, so kann nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts wegen des engen Zusammenhanges zwischen Sprache,
Erziehung und Kultur ohne das Hinzutreten besonderer Umstände, die die Kläger in der
Antragsschrift nicht dargelegt haben und die auch nicht ersichtlich sind, auch nicht von
einer deutschen Erziehung des Klägers zu 1) oder von der Vermittlung deutscher Kultur
an ihn ausgegangen werden.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, BVerwGE 102, 214 = DVBl
1997, 897 = DÖV 1997, 686 = NVwZ-RR 1997, 381, vom 4. November 1997 - 9 C 36.96
-, und vom 19. Oktober 2000 - 5 C 44.99 -, DVBl 2001, 479 sowie Beschlüsse vom 22.
März 1999 - 5 B 24.99 - und vom 7. Mai 2001 - 5 B 87.00 -.
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Nach der Änderung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Spätaussiedlerstatus-Gesetz vom
30. August 2001, BGBl. I, S. 2266, ist eine Bestätigung durch deutsche Erziehung oder
Kultur im Gesetz nicht mehr vorgesehen.
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Die Sache hat auch nicht die von den Klägern angenommene grundsätzliche
Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die von den Klägern insoweit zunächst für
grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage des "Verhältnisses Sprache, Erziehung und
Kultur" rechtfertigt die Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht. Denn jedenfalls
für den hier vorliegenden Fall, dass die deutsche Sprache nicht hinreichend vermittelt
worden ist, ist in der oben dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
bereits geklärt, dass eine Vermittlung von deutscher Erziehung und Kultur grundsätzlich
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ausscheidet.
Da das Bundesverwaltungsgericht in seinem oben angegebenen Urteil vom 19. Oktober
2001 - 5 C 44.99 - an seine ständige Rechtsprechung, wonach eine Vermittlung von
deutscher Erziehung und Kultur im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG a.F.
regelmäßig nur über die deutsche Sprache erfolgen kann, angeknüpft und diese
bestätigt hat, kommt eine Zulassung der Berufung hier auch nicht unter dem
Gesichtspunkt der (nachträglichen) Divergenz in Betracht (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
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Auch die in der Antragsbegründung weiter vertretene Auffassung, die Berufung sei
zuzulassen, weil in der Rechtsprechung noch nicht geklärt sei, ob sich der Kläger zu 1)
in seiner Situation auf § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG a.F. berufen könne, kann die Zulassung
der Berufung nicht rechtfertigen. Denn sie kann nicht für eine Vielzahl von Verfahren
beantwortet werden, sondern ist in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen und zu
entscheiden. Bei der Frage, ob die Vermittlung von Bestätigungsmerkmalen an den
Kläger zu 1) gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG a.F. wegen der Verhältnisse im
Herkunftsgebiet unmöglich oder unzumutbar war, handelt es sich nämlich um eine
Tatsachenfrage im Einzelfall. Deshalb ist auch der Hinweis der Kläger auf "die Meinung
des OVG Niedersachsen" nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung der hier zu
beurteilenden Rechtssache zu belegen.
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Der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt ebenfalls nicht
vor. Das Verwaltungsgericht ist in der angefochtenen Entscheidung zutreffend davon
ausgegangen, dass der Dienst des Vaters des Klägers zu 1) in der Trud-Armee sowie
die Kommandanturüberwachung seiner Familie der Vermittlung der deutschen Sprache
nicht entgegenstand. Dies gilt für den Dienst in der Trud-Armee offensichtlich schon
deshalb, weil der Vater des Klägers zu 1) nach den Angaben im Aufnahmeantrag
bereits 1946 und damit vor der Geburt des Klägers zu 1) zur Familie zurückgekehrt ist.
Die Kläger haben in der Antragsbegründung aber auch keine hinreichend
substantiierten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass und warum entgegen der
Annahme des Senates in seiner ständigen Rechtsprechung,
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vgl. z.B. das auch vom Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zitierte
Urteil des Senates vom 30. Juni 1997 - 2 A 5208/94 -,
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hier der Gebrauch und die Benutzung der deutschen Sprache in der Familie des
Klägers zu 1) auch unter den Bedingungen der Kommandantur ausnahmsweise nicht
möglich gewesen sein soll. Stattdessen wird nur pauschal behauptet, während der
Kommandantur sei es wegen der dort zu leistenden Zwangsarbeit unmöglich gewesen,
"mit den Kindern, die dem Einfluss der kommunistischen geprägten Schulbehörden
ausgesetzt waren, zu kommunizieren" bzw. die Eltern des Klägers zu 1) hätten
"aufgrund des Lebens in der Gefangenschaft keine Möglichkeit" gehabt, "mit dem Kläger
zu 1) ausreichend zu kommunizieren". Die Antragsbegründung lässt deshalb nicht
erkennen, aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen
müssen, die nur hilfsweise beantragte Vernehmung der Eltern des Klägers zu 1) als
Zeugen vorzunehmen.
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Von einer weiteren Begründung dieses Beschlusses sieht der Senat ab (§ 124 a Abs. 2
Satz 2 VwGO).
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO,
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100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes ergeht gemäß den §§ 13 Abs. 1, 14
Abs. 1 und 3 GKG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3
Satz 1 GKG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 2 Satz 3
VwGO).