Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.03.2001

OVG NRW: privates interesse, anspruch auf rechtliches gehör, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, international classification of diseases, mangel des verfahrens, diagnose, unterbringung

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 1967/00
Datum:
26.03.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 B 1967/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 3 L 1316/00
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
Der Streitwert beträgt auch im Zulassungsverfahren 4.000,- DM.
Gründe:
1
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist unbegründet. Die mit der Antragsschrift
vom 20. Dezember 2000 und in den nachfolgend im Zulassungsverfahren eingereichten
Schriftsätzen, in denen das innerhalb der Antragsfrist nach § 146 Abs. 5 Satz 1 VwGO
Dargelegte erläutert und vertieft wird, geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der
Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (§ 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs.
2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
2
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung des
Antragsgegners vom 16. Oktober 2000 zu Recht abgelehnt, weil die nach § 80 Abs. 5
Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung zu Ungunsten des Antragstellers ausfällt.
Das öffentliche Interesse an einem sofortigen Ausschluss des Antragstellers vom
motorisierten Straßenverkehr überwiegt sein privates Interesse an der
Wiederherstellung der nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO den Regelfall bildenden
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Fahrerlaubnisentziehung.
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Das folgt allerdings nicht daraus, dass sich die angefochtene Ordnungsverfügung bei
der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich
rechtmäßig erweist. Die Ordnungsverfügung ist aber auch nicht offensichtlich
rechtswidrig. Der Ausgang des laufenden Widerspruchsverfahrens und eines sich ggf.
anschließenden Klageverfahrens, in denen es zur Beurteilung der Sach- und
Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt, dürfte
vielmehr davon abhängen, ob eine weitere Sachverhaltsaufklärung gesicherte
Erkenntnisse darüber vermittelt, dass der Antragsteller bezogen auf den maßgeblichen
Beurteilungszeitpunkt wegen Alkoholabhängigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen
ungeeignet ist.
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Nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die
Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen erweist. Voraussetzung dafür ist, dass die Tatsachen, aus denen sich
die Ungeeignetheit ergibt, erwiesen sind; auf bekannt gewordene Tatsachen
gegründete Eignungszweifel genügen nicht. Das bedeutet, dass die Ungeeignetheit aus
erwiesenen Tatsachen hinreichend deutlich hervorgehen muss, so dass aufgetretene
Bedenken auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage sich zu der
erforderlichen (prognostischen) Gewissheit verdichtet haben müssen. Es ist unter
Einbeziehung von Mitwirkungspflichten des Betroffenen Sache der
Verwaltungsbehörde, den Nachweis der entscheidungserheblichen Tatsachen zu
führen.
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Vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 29. Juli 1996 - 11 B 96.285 -, Neue Zeitschrift für
Verkehrsrecht (NZV) 1996, 509 und Beschluss vom 10. Dezember 1997 - 11 CS
97.3062 -, NZV 1998, 303; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. September
1991 - 10 S 2323/91 -, NZV 1992, 88; Hamburgisches OVG, Urteil vom 3. März 1994 - Bf
VII 1/93 -, Verkehrsrechtssammlung (VRS) 87 (1994), 384 f.; ferner Jagusch/ Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 35. A., § 3 StVG, Rdnr. 3.
6
Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen
insbesondere dann gegeben, wenn Erkrankungen und Mängel nach den Anlagen 4, 5
und 6 der Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegen. Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 in
Verbindung mit Nr. 2. und 3. der Vorbemerkung ist bei auf der Grundlage u. a. ärztlicher
Begutachtung festgestellter Abhängigkeit von Alkohol die Kraftfahreignung im Regelfall
zu verneinen und nach Nr. 8.4 der Anlage 4 nach der Abhängigkeit
(Entwöhnungsbehandlung) nur zu bejahen, wenn die Abhängigkeit nicht mehr besteht
und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Dass das Verwaltungsgericht
diese Anforderungen an den von der Fahrerlaubnisbehörde zu führenden Nachweis
verkannt hätte, hat der Antragsteller nicht aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich. Es hat
zu Recht darauf abgestellt, dass sich wahrscheinlich ohne eine weitere Sachaufklärung,
die dem laufenden Widerspruchsverfahren und einem sich gegebenenfalls
anschließenden Klageverfahren vorbehalten bleiben muss, derzeit nicht mit Sicherheit
feststellen lässt, ob der Antragsteller nach Maßgabe dieser Regelungen wegen
Alkoholabhängigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Andererseits lässt
sich dies aber derzeit auch nicht ausschließen, weil gewichtige Anhaltspunkte dafür
sprechen, dass beim Antragsteller 1999/2000 (akute) Alkoholabhängigkeit vorgelegen
hat und die weiteren rechtlichen Voraussetzungen, unter denen nach einer (akuten)
Alkoholabhängigkeit die Kraftfahreignung wieder bejaht werden kann, nicht erfüllt sind.
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Zu Recht weist allerdings der Antragsteller darauf hin, dass der Antragsgegner (zur
Führung des Nachweises der Ungeeignetheit) kein fachärztliches Gutachten oder ein
Gutachten des öffentlichen Gesundheitsdienstes vorgelegt hat, aus dem sich unmittelbar
die Diagnose der - eignungsausschließenden - Alkoholabhängigkeit ergibt, und dass er
auch nicht zur Klärung von Eignungszweifeln die Beibringung eines ärztlichen
Gutachtens angeordnet hat (vgl. § 46 Abs. 3 in Verbindung mit §§ 13 Abs. 1, 11 Abs. 2
Satz 3 FeV). Falsch ist aber die Annahme des Antragstellers, der Antragsgegner stütze
sich bei seiner Beurteilung, dass er, der Antragsteller, wegen Alkoholabhängigkeit zum
Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei, nur auf die frühere Alkoholabhängigkeit
und auf polizeiliche Ermittlungen bzw. den Polizeibericht vom 21. Juli 2000. Denn die
damit übermittelten Informationen waren, wie aus dem vom Antragsgegner vorgelegten
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Verwaltungsvorgang ohne weiteres ersichtlich ist, lediglich der Anstoß für Ermittlungen
dahin, ob beim Antragsteller eine eignungsausschließende Alkoholabhängigkeit
besteht; der Antragsgegner hat nämlich die Informationen zum Anlass genommen, die
Akten des vor dem Amtsgericht P. anhängig gewesenen Unterbringungsverfahrens
beizuziehen und eine Stellungnahme seines Fachbereichs Gesundheit einzuholen. Auf
den Aspekt des Umfangs der behördlichen Sachaufklärung ist nicht weiter einzugehen,
weil es darauf für die hier vorzunehmende Prüfung nicht ankommt. Denn es liegen vom
Antragsgegner, insbesondere aber auch vom Antragsteller selbst beigebrachte
Erkenntnisse vor, die einen beachtlichen Anhalt für eine eignungsrelevante
Alkoholabhängigkeit bieten und die bei der summarischen Prüfung in diesem
vorläufigen Verfahren heranzuziehen das Gericht nicht gehindert ist.
Im Ausgangspunkt kann nach den Ausführungen im medizinisch- psychologischen
Gutachten des TÜV Berlin-Brandenburg vom 8. März 1996 und in dem vom
Antragsteller vorgelegten nervenfachärztlich-verkehrsmedizinischen Gutachten von Dr.
W. , Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vom 21. November 2000
wie auch nach den vom Antragsteller im vorliegenden Verfahren gemachten Angaben
als feststehend zugrunde gelegt werden, dass der Antragsteller bis 1994
alkoholabhängig war. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist hier weiter davon
auszugehen, dass der Antragsteller bis 1999 hinsichtlich Alkohol abstinent war. In
Übereinstimmung mit der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme von Dr. W. vom
1. Februar 2001 zu allgemeinen suchtmedizinischen Erkenntnissen kann hier weiter
zugrunde gelegt werden, dass Alkoholabhängigkeit als Krankheit grundsätzlich nicht
heilbar ist - hiervon geht im Kern auch der Antragsteller mit seinem Vorbringen aus, er
wisse sehr wohl, dass er ein Leben lang daran arbeiten müsse, das Alkoholproblem
unter Kontrolle zu halten und das Rückfallrisiko im Griff zu behalten und zu minimieren -
und dass bei einem Rückfall oder einzelnen Rückfällen von (übermäßigem)
Alkoholkonsum im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu klären ist, ob eine dauerhafte
Alkoholabstinenz wieder erreicht werden kann bzw. worden ist. Daraus, dass
Alkoholabhängigkeit als Krankheit grundsätzlich nicht heilbar ist, folgt allerdings nicht,
dass Alkoholabhängigkeit in jedem Fall auf unbeschränkte Dauer der Geeignetheit zum
Führen von Kraftfahrzeugen entgegensteht; denn nach den Vorgaben in Ziffer 8.4 der
Anlage 4 der Fahrerlaubnis- Verordnung kann nach vorangegangener Ungeeignetheit
wegen Alkoholabhängigkeit die Kraftfahreignung wieder zu bejahen sein, wenn nach
einer Entwöhnungsbehandlung Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein
Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Für die Prüfung, ob im Einzelfall - auch nach einem
Rückfall von Alkoholkonsum nach vorangegangener Abstinenz - Alkoholabhängigkeit
vorliegt, ist weiter zu beachten, dass die Diagnose anhand von medizinischen Befunden
und insbesondere unter Einbeziehung von psychischen Faktoren (häufig) auch bei
hoher fachlicher Kompetenz erhebliche Schwierigkeiten bereitet.
9
Vgl. hierzu Stephan, Alkoholerkrankung und Alkoholabhängigkeit: "Unbestimmte
naturwissenschaftliche Begriffe", in NZV 1993, 129 ff. sowie Batra/Foerster, Die
Beurteilung der Alkoholabhängigkeit im Rahmen der medizinisch- psychologischen
Begutachtung, in NZV 1994, 57 f..
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Gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass beim Antragsteller 1999/2000 eine (akute)
Alkoholabhängigkeit vorgelegen hat, ergeben sich aus den im Gutachten von Dr. W.
vom 21. November 2000 zusammenfassend wiedergegebenen, in den
Entlassungsberichten des Westfälischen Zentrums für Psychiatrie und Psychotherapie
(WZPP) in P. über die stationäre Unterbringung des Antragstellers enthaltenen Angaben
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über (Rück-)Fälle von (übermäßigem) Alkoholkonsum, die vom Antragsteller nicht
bestritten werden. Danach war der Antragsteller bereits im Januar 1999 in der WKPP M.
für zwei Wochen zur Entgiftung untergebracht. Die nächste stationäre Behandlung
erfolgte in der Zeit vom 29. Mai bis 8. Juni 1999 aufgrund einer Unterbringung nach dem
Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten - PsychKG -
(jetzt in der Fassung des Gesetzes vom 17. Dezember 1999, GV NRW, 662). Dazu ist im
Entlassungsbericht des WZPP angegeben, der Antragsteller habe am Aufnahmetag
keinen Alkohol mehr konsumiert, sei bei Eintreffen des Notarztes bereits in einem
prädeliranten Zustand gewesen und habe sich zu allen Qualitäten desorientiert gezeigt.
Bei sonst insgesamt unauffälligem neuroligischem Befund wurde er im psychischen
Befund als prädelirant beschrieben, und es wurde Alkoholabhängigkeit diagnostiziert.
Eine als dringend erforderlich angesehene weiterführende stationäre
Entwöhnungsbehandlung wurde (zunächst), da von der BfA abgelehnt, nicht
durchgeführt, vielmehr wurde der Antragsteller kurzfristig auf eigenen Wunsch vorzeitig
entlassen. Aufgrund einer Unterbringung nach den PsychKG wurde der Antragsteller
erneut vom 1. bis 8. Oktober 1999 stationär behandelt. Nach seinen damaligen Angaben
war der Antragsteller nach zweimonatiger Abstinenz nach einer Auseinandersetzung mit
seiner Lebensgefährtin alkoholrückfällig geworden. Im Entlassungsbericht wurde
wiederum Alkoholabhängigkeit diagnostiziert, der Antragsteller wurde zur ambulanten
Weiterbehandlung entlassen. Schließlich wurde der Antragsteller - nach einem
Therapieaufenthalt in O. im Februar 2000 - am 26. Mai 2000 in stark alkoholisiertem
Zustand in das WZPP eingewiesen und war aufgrund einstweiliger richterlicher
Unterbringungsanordnung wegen einer alkoholbedingten Intoxikation untergebracht. Im
Unterbringungsverfahren führte die Ärztin vom Dienst im WZPP Dr. F. als
Sachverständige aus, der Antragsteller sei am 26. Mai und - nach zwischenzeitlichem
Entweichen - am 27. Mai 2000 erneut in intoxikiertem Zustand eingewiesen worden; das
psychopathologische Bild habe sehr schnell von Hilflosigkeit zu Desorientiertheit bis zu
aggressivem Verhalten gewechselt. Aktuell sei er dringend stationär für 14 Tage
behandlungsbedürftig; bei vorzeitiger Entlassung komme es erfahrungsgemäß zu
erneutem Substanzkonsum. Wegen der Wahrnehmung beruflicher Termine wurde der
Antragsteller am 5. Juni 2000 entlassen. Nach dem Entlassungsbericht des WZPP hatte
der Antragsteller angegeben, er habe bis Ende Februar eine Therapie in O.
durchgeführt, danach sei es ihm gut gegangen; eine Woche vor der Aufnahme sei er
erstmals wieder alkoholrückfällig geworden, entgegen seiner Annahme, kontrolliert
trinken zu können, habe sich die Trinkmenge rasch gesteigert. In dem
Entlassungsbericht wurde wiederum Alkoholabhängigkeit diagnostiziert.
Die in den Entlassungsberichten des WZPP - hier insbesondere dem nach der
Unterbringung vom 26. Mai bis 5. Juni 2000 - enthaltenen Diagnosen einer
Alkoholabhängigkeit sind bei der gerichtlichen Prüfung verwertbar; insbesondere stehen
Gründe des Datenschutzes ihrer Verwertung nicht entgegen. Denn der Antragsteller
selbst hat die in den Entlassungsberichten enthaltenen Patientendaten (vgl. insofern
das Gesundheitsdatenschutzgesetz - GDSG NRW - vom 22. Februar 1994, GV NRW
84) mit dem von ihm vorgelegten Gutachten von Dr. W. vom 21. November 2000, das
Bestandteil seines Parteivorbringens ist, in das gerichtliche Verfahren eingeführt, so
dass eine Übermittlung ohne seine Einwilligung ausscheidet. Soweit im Hinblick auf die
Berücksichtigung der Entlassungsberichte im erstinstanzlichen Verfahren mit dem
Vorbringen des Antragstellers in seinen Schriftsätzen vom 2. und 14. März 2001 - über
den zunächst geltend gemachten Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
hinaus - auch eine Gehörsrüge als Mangel des Verfahrens nach § 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO angebracht worden ist, geht sie schon im Ansatz fehl. Denn indem der mitgeteilte
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Inhalt der Entlassungsberichte als Teil des Parteivorbringens zur Kenntnis genommen
und für die Entscheidungsfindung berücksichtigt worden ist, ist gerade dem Gebot der
Gewährung rechtlichen Gehörs entsprochen worden; dass dieses Vorbringen nicht in
dem vom Antragsteller gewünschten Sinne gewürdigt worden ist, berührt den Anspruch
auf rechtliches Gehör grundsätzlich nicht.
Die aus den Entlassungsberichten des WZPP mitgeteilten Diagnosen und die weiter
angeführten Umstände der Unterbringung haben auch für die gerichtliche Entscheidung
Gewicht. Sie sind jeweils ersichtlich nach einem mindestens einwöchigen stationären
Beobachtungs- und Behandlungszeitraum gestellt worden. Anhaltspunkte dafür, dass
der/die Verfasser der Entlassungsberichte bei der Erstellung der Diagnose nicht auf
eine hinreichende Fachkompetenz gerade in Bezug auf Alkoholabhängigkeit
zurückgreifen konnte(n), sind nicht ersichtlich; immerhin verfügt das WZPP nach der
vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogenen Stellungnahme von Dr. L. , Nervenarzt im
Fachbereich Gesundheit des Antragsgegners, vom 12. Oktober 2000 über eine unter
selbständiger ärztlicher Leitung stehende Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen. Ein
Mangel an Objektivität bei der Erstellung der Diagnose ist nicht ernsthaft in Betracht zu
ziehen; soweit der Antragsteller in der Antragsschrift vom 20. Dezember 2000
eingewendet hat, die Diagnosen hätten offensichtlich dazu gedient, die Einweisungen
zu rechtfertigen, handelt es sich um eine bloße Mutmaßung; es fehlt dafür - abgesehen
von den möglichen strafrechtlichen Konsequenzen einer nicht gesetzmäßigen, nämlich
durch die Befunde nicht gestützten, gutachterlich nur vorgeschobenen
Freiheitsbeschränkung - an jeglichem tatsächlichem Anhalt. Auch wenn im
vorliegenden Verfahren die Entlassungsberichte und die ihnen zugrundeliegenden
medizinischen und psychologischen Befunderhebungen nicht unmittelbar in die
gerichtliche Würdigung eingestellt werden können, bieten schon vor dem Hintergrund
der - nach dem oben ausgeführten latent fortwirkenden - Vorgeschichte die mitgeteilten
Umstände der Unterbringung, wie der angegebene prädelirante Zustand bzw. die Dauer
und die Steigerung des der Einweisung vom 26. Mai 2000 vorangegangenen
Alkoholkonsums, erste Anhaltspunkte für die inhaltliche Richtigkeit der Diagnose.
Weitere Anhaltspunkte für die inhaltliche Richtigkeit der Diagnosen nach der
Unterbringung im Oktober 1999 und derjenigen im Mai 2000 ergeben sich aus der
Stellungnahme, die Dr. L. vom Fachbereich Gesundheit des Antragsgegners unter dem
12. Oktober 2000 abgegeben hat. Danach ist die Diagnose Alkoholabhängigkeit jeweils
nach den Kriterien gestellt worden, die unter F 10.2 der International Classification of
Diseases (ICD 10) aufgeführt und für die Diagnose eines
Alkoholabhängigkeitssyndroms maßgeblich sind. Diese Diagnosekriterien, die im
Gutachten von Dr. W. und in der Stellungnahme von Dr. L. vom 12. Oktober 2000
wiedergegeben sind, wie auch die Voraussetzung, dass (irgendwann) während des
letzten Jahres drei oder mehr der Kriterien gleichzeitig vorgelegen haben, entsprechen
den Anforderungen an eine sichere Diagnose einer Abhängigkeit, die unter Nr. 3.11.2
der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung des Gemeinsamen Beirats für
Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und
beim Bundesministerium für Gesundheit vom Februar 2000 in Bezug auf
Alkoholabhängigkeit genannt werden. Auch vom Antragsteller und in dem von ihm
vorgelegten Gutachten von Dr. W. vom 21. November 2000 werden sie als maßgeblich
angesehen. Ferner ist nach der Stellungnahme von Dr. L. vom 12. Oktober 2000 die
diagnostische Einschätzung in den Entlassungsberichten des WZPP "durchaus
nachvollziehbar".
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Durchgreifende Bedenken dagegen, dass diese Stellungnahme von Dr. L. auch
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insoweit verwertbar ist, als damit Patientendaten des Antragstellers übermittelt worden
sind, bestehen im vorliegenden Verfahren nicht. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass
die Übermittlung von Patientendaten des Antragstellers im Rahmen der gesetzlich
vorgeschriebenen Zusammenarbeit des Kreises als Unterer Gesundheitsbehörde und
Trägers der Hilfe (vgl. § 5 Abs. 1, § 6 PsychKG) mit einem psychiatrischen
Fachkrankenhaus im Sinne des § 10 Abs. 2 PsychKG bei der Unterbringung (§§ 12, 13
Abs. 2 PsychKG), bei der Beendigung der Unterbringung (§§ 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 16
Abs. 3 Satz 1 PsychKG) bzw. zum Zwecke der nachsorgenden Hilfe (§§ 27, 29 Abs. 2
PsychKG) erfolgte. Insofern sind fallbezogene Beteiligungen bzw. Benachrichtigungen
des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Unteren Gesundheitsbehörde vorgesehen.
Entsprechendes gilt für die Beteiligung und Mitteilung von Entscheidungen im
gerichtlichen Verfahren in Unterbringungssachen nach §§ 70 d, 70 g Abs. 2, 70 h Abs. 1,
70 n FGG. Welche der gesetzlichen Grundlagen hier einschlägig ist, lässt sich auf der
Grundlage des vorliegenden Materials nicht abschließend bestimmen. Jedenfalls in
Bezug auf die Beendigung der - durch Beschluss des Amtsgerichts P. vom 28. Mai 2000
für die Dauer von 14 Tagen angeordneten - Unterbringung am 5. Juni 2000 kann nicht
ausgeschlossen werden, dass sie auf einer Aussetzung der Vollziehung der
Unterbringung im Sinne von § 29 PsychKG beruhte; dann hatte das WZPP gemäß § 29
Abs. 2 PsychKG eine Zweitschrift des Entlassungsberichts dem Sozialpsychiatrischen
Dienst der Unteren Gesundheitsbehörde zu übersenden. Entsprechendes kann auch in
Bezug auf die Beendigung der Unterbringung am 8. Oktober 1999 nicht ausgeschlossen
werden. Auch gegen die Weitergabe von Patientendaten durch die Untere
Gesundheitsbehörde an die Fahrerlaubnisbehörde, eine andere Organisationseinheit
innerhalb derselben öffentlichen Stelle, bestehen hier keine durchgreifenden Bedenken.
Sie war nach § 14 Abs. 1 Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen (DSG NRW) bzw. § 5
Abs. 1 GDSG NRW zulässig, weil die Übermittlung der Informationen aus den
Entlassungsberichten zur rechtmäßigen Erfüllung der Aufgaben des Empfängers bzw.
einer gesetzlichen Pflicht erforderlich war, nämlich der pflichtgemäß wahrzunehmenden
Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Eignung eines Kraftfahrers zu überprüfen, wenn
aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse begründeter Anlass zu Bedenken besteht. Zu
diesem Zweck erfolgte die Weitergabe unter Wahrung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit.
Vgl. zur Weitergabe von Informationen zur Klärung einer Alkoholproblematik BVerwG,
Urteil vom 15. April 1988 - 7 C 100.86 -, NZV 1988, 79 f.; Hamb. OVG, Beschluss vom 7.
Juli 1994 - Bs VII 93/94 -, VRS 89, 151 ff.
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Darüber hinaus enthalten die Stellungnahmen von Dr. L. - von dessen Bewertung der
Diagnosen abgesehen - keine Informationen über den Antragsteller, die über diejenigen
hinausgingen, die in dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten vom 21. November
2000 wiedergegeben werden. Daher führte selbst ein Verstoß gegen
datenschutzrechtliche Bestimmungen, falls ein solcher bei der Weitergabe vorgelegen
hätte, nicht zu einem Verwertungshindernis und ist auch nicht ersichtlich, dass dem
Antragsteller im gerichtlichen Verfahren berücksichtigte Informationen vorenthalten
worden wären und dass er in seinen Verteidigungsmöglichkeiten behindert worden
wäre.
16
Der Aussagegehalt der in den Entlassungsberichten wiedergegebenen Diagnosen ist
nicht entscheidend durch das Gutachten von Dr. W. vom 21. November 2000 und seine
ergänzende Stellungnahme vom 1. Februar 2001 erschüttert worden. Soweit der
Gutachter auf S. 41 ausführt, die Diagnose Alkoholabhängigkeit sei nicht
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nachvollziehbar, da die Diagnosekriterien nach F 10.2 der ICD 10 im Wesentlichen -
eventuell bis auf dasjenige eines körperlichen Entzugssyndroms im Mai 1999 - nicht
erfüllt gewesen seien, erscheint das nicht stichhaltig. Mag auch in den
Entlassungsberichten eine eingehende Subsumtion der Befunde und der bekannt
gewordenen Umstände unter die Diagnosekriterien fehlen, so bieten die mitgeteilten
Umstände der Einweisungen jedenfalls hinreichende Anhaltspunkte dafür, das
jedenfalls die ersten beiden Kriterien erfüllt waren. Der - zunächst jedenfalls bis 1994
alkoholabhängige - Antragsteller ist jeweils nach Rückfällen hinsichtlich des Konsums
von Alkohol in das WZPP eingewiesen worden, Ende Mai 1999 in einem prädeliranten
Zustand, Ende Mai 2000 nach Auseinandersetzungen mit seiner Lebensgefährtin an
zwei Tagen in alkoholbedingt intoxikiertem und behandlungsbedürftigem Zustand (so
die Stellungnahme der Sachverständigen Dr. F. im Unterbringungsverfahren) und nach
etwa einwöchigem, rasch gesteigertem Alkoholkonsum (so die Angaben des
Antragstellers nach dem Entlassungsbericht). Danach spricht jedenfalls hinsichtlich des
letzten Rückfalls Überwiegendes dafür, dass beim Antragsteller ein starker Wunsch
oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren (Nr. 1.) und eine verminderte
Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums
(Nr. 2.) vorlagen. Ob weitere Kriterien - etwa das nach Nr. 4 oder Nr. 6 - erfüllt waren,
lässt sich nach den mitgeteilten Umständen der Einweisung nicht von vornherein
ausschließen. Auch insofern muss die weitere, gegebenenfalls erforderliche
Sachverhaltsaufklärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Welches
Gewicht für die Diagnose - insbesondere für den Fall, das drei Kriterien nach F 10.2 der
ICD 10 erfüllt waren - dem Umstand zukommt, dass bei den Laboruntersuchungen die
leberspezifischen Enzyme im Wesentlichen im Normalbereich lagen, muss ebenfalls
der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten werden. Für die im vorliegenden
Verfahren vorzunehmende summarische Prüfung spricht dieser Umstand nicht
entscheidend gegen die Diagnose, weil nicht angegeben ist, wann nach Beendigung
des Alkoholkonsums die Proben genommen wurden, und weil, wie auch den hier
vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen zu entnehmen ist, die Labordiagnostik mit
zunehmender Zeitspanne nach Beendigung des Alkoholkonsums (Trinkpause) an
Aussagekraft verliert.
Vgl. Stephan, NZV 1993, 129 (134 f.).
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Soweit Dr. W. in seinem Gutachten vom 21. November 2000 unter Auswertung der von
ihm erhobenen Untersuchungsbefunde zu dem Ergebnis gelangt, die Diagnose
Alkoholabhängigkeit könne zum Untersuchungszeitpunkt entsprechend den geforderten
Kriterien nach ICD 10 nicht gestellt werden, mag dies auch unter Berücksichtigung der
Kritik von Dr. L. in seiner Stellungnahme vom 8. Dezember 2000 dahinstehen; für die
hier vorzunehmende rechtliche Prüfung kommt es auf das Ergebnis dieser
Begutachtung nicht entscheidend an. Selbst wenn beim Antragsteller zum
Untersuchungszeitpunkt keine (akute) Alkoholabhängigkeit vorlag, schließt dies nicht
aus, dass bei ihm Ende Mai 2000 die Diagnosekriterien erfüllt waren, wofür nach dem
Vorstehenden erhebliche Anhaltspunkte sprechen. Nach den rechtlichen Vorgaben
kann aus dem Gutachten nicht darauf geschlossen werden, dass die
Alkoholabhängigkeit beendet war. Denn nach Nr. 8.4 der Anlage 4 der Fahrerlaubnis-
Verordnung setzt für den Regelfall der Zustand nach Abhängigkeit eine
Entwöhnungsbehandlung voraus. Es ist nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch
nicht behauptet worden, dass er sich nach seiner Entlassung aus dem WZPP am 5. Juni
2000 (erfolgreich) einer Entwöhnungsbehandlung unterzogen hat. Davon, dass hier
ausnahmsweise auf das Erfordernis einer Entwöhnungsbehandlung verzichtet werden
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kann, kann auch unter Berücksichtigung der Aussagen in dem Gutachten von Dr. W.
vom 21. November 2000 nicht ohne weiteres ausgegangen werden, da dieses sich in
Bezug auf die Zeit nach der Entlassung auf die Feststellung beschränkt, beim
Antragsteller habe zum Untersuchungszeitpunkt kein Alkoholabhängigkeitssyndrom
vorgelegen; auch hierzu ist eine gegebenenfalls erforderliche weitere
Sachverhaltsaufklärung in das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Selbst wenn auf das
Erfordernis einer Entwöhnungsbehandlung verzichtet werden könnte, wäre für die
Bejahung der Kraftfahreignung nach dem Ende der - hier nach dem vorstehenden für die
Zeit Ende Mai/Anfang Juni 2000 ernstlich in Betracht zu ziehenden -
Alkoholabhängigkeit gemäß Nr. 8.4 der Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung für den
Regelfall erforderlich, dass der Antragsteller ein Jahr Abstinenz nachweist. Dieser
Nachweis ist derzeit nicht geführt. Dafür, dass auch auf diesen Nachweis
ausnahmsweise verzichtet werden kann, ergeben sich aus dem Gutachten vom 21.
November 2000 keine hinreichend tragfähigen Ansatzpunkte. Dieses Erfordernis
bezweckt gerade, dass Rückfall- und Suchtrisiko nach Beendigung einer Phase der
Alkoholabhängigkeit im erforderlichen zumutbaren Maße herabzusetzen. Allein die im
Gutachten getroffene Feststellung, dass zum Untersuchungszeitpunkt keine
Alkoholabhängigkeit bestand, bietet keine taugliche Grundlage für die Prognose, dass
es beim Antragsteller mit der für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs
erforderlichen Verlässlichkeit nicht zu einem (erneuten) Rückfall und zur Realisierung
des Suchtrisikos kommt. Auch insofern muss eine weitere Sachverhaltsaufklärung dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Die angesichts des offenen Ausgangs des laufenden Hauptsacheverfahrens
vorzunehmende allgemeine, d. h. von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache
unabhängige, Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Das
öffentliche Interesse an einem sofortigen Ausschluss des Antragstellers vom
motorisierten Straßenverkehr überwiegt sein privates Interesse an der vorläufigen
Beibehaltung seiner Fahrerlaubnis, weil seine weitere Teilnahme am motorisierten
Straßenverkehr mit unkalkulierbaren Risiken für so wichtige Rechtsgüter wie Leben und
Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer verbunden ist und es deshalb im Interesse der
Sicherheit des Straßenverkehrs nicht verantwortet werden kann, dass er vorläufig bis
zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens am motorisierten
Straßenverkehr teilnimmt.
20
Beim Antragsteller ist unter dem ordnungsrechtlichen Gesichtspunkt der
Gefahrenabwehr das Risiko, erneut in Bezug auf erheblichen Alkoholkonsum rückfällig
zu werden, zu hoch. Er ist - unter Einbeziehung der Entgiftungsmaßnahme im Januar
1999 - bis Mitte 2000, also konzentriert auf einen Zeitraum von etwa 1 1/2 Jahren,
viermal rückfällig geworden, wobei in den drei letzten Fällen, in denen es zur
Einweisung in das WZPP gekommen ist, von übermäßigem bis exzessivem
Alkoholkonsum auszugehen ist. Dem vorliegenden Material, insbesondere auch dem
Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme des Privatgutachters und dem
Vorbringen des Antragstellers ist zu entnehmen, dass die Rückfälle durch
Auseinandersetzungen mit seiner Lebensgefährtin bzw. Partnerschaftskonflikte
ausgelöst wurden, die ihrerseits durch berufliche Inanspruchnahme bzw. Belastung
bedingt waren. Der Antragsteller hat damit in der näheren Vergangenheit wiederholt
gezeigt, dass er im Umgang mit und in der Bewältigung von - auch durch berufliche
Anspannung bedingten - Stressbelastungen im privaten Bereich nicht so gefestigt war,
dass er einen Kontrollverlust hinsichtlich des Alkoholkonsums vermeiden konnte. Dass
er nunmehr und für die überschaubare Zukunft in der Lage ist, es zu vergleichbaren
21
Belastungssituationen nicht kommen zu lassen oder in solchen hinreichend sicher
einen Kontrollverlust zu vermeiden, ist nicht ersichtlich. Zu Kontrollverlusten in Bezug
auf Alkoholkonsum kann es, wenn ein entsprechender Auslöser vorhanden ist, jederzeit
wieder kommen. Gerade auch für die Phase der ab Mai 2001 ins Auge gefassten
Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahme bei der Landesbausparkasse, mag eine
solche Maßnahme im Allgemeinen auch stabilisierend wirken, ist nicht auszuschließen,
dass es auch unter Einfluss von Partnerschaftskonflikten zu Belastungssituationen
kommt, die Auslöser für nicht kontrollierbaren Alkoholkonsum sind. Einen Anhalt für
diese prognostische Einschätzung bietet gerade die Tatsache, dass der Antragsteller,
obschon er im Februar 2000 in O. sich einer Entwöhnungstherapie unterzogen hatte,
bereits Ende Mai 2000 in einer Belastungssituation mit der Folge der Einweisung
alkoholrückfällig geworden ist. Zwar hatten die Rückfälle bisher, wovon hier
auszugehen ist, keine Auswirkungen auf die Sicherheit des öffentlichen
Straßenverkehrs. Insofern kann aber für die überschaubare Zukunft nicht hinreichend
sicher die Prognose gestellt werden, dass der Antragsteller, wenn es erneut zu einem
Alkoholrückfall kommt, nicht auch im Zustand alkoholbedingter Ungeeignetheit ein
Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt, weil er geltend macht, im Rahmen der
Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahme darauf angewiesen zu sein, mit einem
Kraftfahrzeug zu fahren. Insofern besteht beim Antragsteller ein unkalkulierbares Risiko,
das im Interesse des Schutzes hochwertiger Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer
nicht hingenommen werden kann. Dass beim Antragsteller die Realisierung dieses
Risikos nicht ausgeschlossen werden kann, hat sich in der Vergangenheit daran
gezeigt, dass er in der Phase der früheren Alkoholabhängigkeit Anfang 1992 dreimal ein
Kraftfahrzeug im Straßenverkehr mit einer ungewöhnlich hohen
Blutalkoholkonzentration, nämlich mit Werten von mindestens 4,08 o/oo, 3,43 o/oo und
2,7 o/oo führte.
Angesichts dieser unkalkulierbaren Risiken ist das vom Antragsteller hervorgehobene
private Interesse, auf die Fahrerlaubnis im Rahmen der Umschulungs- und
Weiterbildungsmaßnahme ab Mai 2001 und damit zum Aufbau einer beruflichen
Existenz und für die Stabilisierung seiner Lebenssituation angewiesen zu sein, bei der
Interessenabwägung nicht geeignet, das öffentliche Interesse daran zurücktreten zu
lassen, dass Kraftfahrer, von deren mangelnder Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen - jedenfalls vorläufig - auszugehen ist, von einer weiteren Teilnahme
am motorisierten Straßenverkehr ausgeschlossen werden. In der Rechtsprechung des
Senats,
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vgl. aus neuerer Zeit etwa Beschlüsse vom 21. März 2000 - 19 B 117/00 -, n. w. N. und
vom 3. Januar 2001 - 19 B 1677/00 -; vgl. ferner in Bezug auf eine vorläufige Entziehung
der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO dazu, das berufliche Nachteile in Kauf zu nehmen
sind, BVerfG, Beschluss vom 25. September 2000 - 2 BvQ 30/00 -, NJW 2001, 357,
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ist geklärt, dass nicht nur bei aufgrund konkreter Umstände erwiesener Ungeeignetheit
des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen, sondern auch oder bei einem nahe
liegenden, nicht hinreichend ausgeräumten Verdacht der Ungeeignetheit wegen der
großen Gefahr oder unkalkulierbarer Risiken für die Sicherheit im Straßenverkehr das
öffentliche Interesse am Schutz so wichtiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit
anderer Verkehrsteilnehmer das private Aufschubinteresse daran, vorerst weiter am
motorisierten Verkehr teilnehmen zu dürfen, selbst dann überwiegt, wenn dem
Betroffenen infolge der sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis der Verlust seiner
Arbeitsstelle konkret droht. Dies gilt hier für die konkret in Aussicht genommene
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Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit entsprechend.
Dass als Ergebnis dieser Interessenabwägung die Entziehung der Fahrerlaubnis
zumindest bis zu einem positiven Ergebnis weiterer Sachverhaltsaufklärung Bestand
hat, obwohl der nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV dem Antragsgegner obliegende Nachweis
der Ungeeignetheit zur Zeit nicht geführt ist, vielmehr allein aufklärungsbedürftige, wenn
auch erhebliche Zweifel an der Eignung des Antragstellers bestehen, ist eine Folge des
vom Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzulegenden Prüfungsmaßstabes. Im
Gegensatz zur Fahrerlaubnisbehörde, die nur bei erwiesener Ungeeignetheit und einem
besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit zur Entziehung der
Fahrerlaubnis und Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO)
befugt ist, kann das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO schon bei
beachtlichen Eignungszweifeln die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnis bestätigen,
wenn - wie hier - auf Grund der Eignungszweifel der Ausgang des
Hauptsacheverfahrens offen ist und die deshalb vorzunehmende offene
Interessenabwägung ergibt, dass eine (vorläufige) weitere Teilnahme des
Fahrerlaubnisinhabers am motorisierten Straßenverkehr nicht verantwortet werden
kann. In welchen Fällen es im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs
gerechtfertigt ist, bei bloßen Eignungszweifeln im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnis zu bestätigen, ist eine Frage des
Einzelfalls, die nicht abstrakt beantwortet werden kann. Ergeben sich während des
laufenden Hauptsacheverfahrens neue Gesichtspunkte, die eine dem Antragsteller
günstige Interessenabwägung rechtfertigen, und hebt die Fahrerlaubnisbehörde nicht
von sich aus die Entziehung der Fahrerlaubnis und/oder die Anordnung der sofortigen
Vollziehung auf, bleibt es dem Antragsteller unbenommen, gemäß § 80 Abs. 7 VwGO
eine Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts zu beantragen. Damit ist
seinem Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und
dem Anliegen des § 80 VwGO, im Interesse des rechtsschutzsuchenden Bürgers die
Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, ausreichend Rechnung getragen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Dezember 2000 - 19 B 1686/00 -.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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