Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.09.1998

OVG NRW (bundesrepublik deutschland, wiedereinsetzung in den vorigen stand, kläger, deutsch, russisch, sprache, 1995, familie, muttersprache, eltern)

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 4671/94
Datum:
22.09.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 A 4671/94
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 9 K 2236/92
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je einem
Drittel. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht
erstattungsfähig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher
Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
10.
T a t b e s t a n d:
1
Die Klägerin zu 1) wurde am 20. Juni 1964 in L. - K. im Gebiet Kemerowo in Rußland
geboren. Ihre Eltern sind die am 7. August 1928 in S. in der Region Altaj geborene B. K.
sowie der am 26. Dezember 1927 in dem Dorf K. in der Region Saporoshje in der
Ukraine geborene A. G. .
2
Der Kläger zu 2) wurde am 12. Februar 1958 in U. - K. in Ost-Kasachstan geboren. Der
am 16. April 1983 geborene Kläger zu 3) stammt aus der am 24. Juli 1982
geschlossenen Ehe der Kläger zu 1) und 2).
3
Unter dem 7. Januar 1991 stellte der im Bundesgebiet lebende Onkel der Klägerin zu 1),
Herr H. K. , für die Kläger beim Bundesverwaltungsamt einen Antrag auf Aufnahme als
Aussiedler. In dem Antragsformular gab die Klägerin zu 1) als Volkszugehörigkeit
"Deutsche" sowie als Muttersprache und als jetzige Umgangssprache in der Familie
4
jeweils "Russisch" an. Als Religion der Klägerin zu 1) wurde "Lutheranerin"
eingetragen. Die Frage nach der Pflege des deutschen Volkstums beantwortete die
Klägerin zu 1) mit "Nein". Nach den Angaben im Aufnahmeantrag sowie dem Inhalt der
zu den Verwaltungsvorgängen gereichten Geburtsurkunde der Klägerin zu 1) sind ihre
Eltern jeweils deutscher Volkszugehörigkeit. In dem in Ablichtung zu den
Verwaltungsvorgängen eingereichten Inlandspaß der Klägerin zu 1) vom 13. Januar
1983 ist als Nationalität Deutsche eingetragen. Auch ausweislich der Eintragungen in
der eingereichten Ablichtung der Geburtsurkunde des Klägers zu 3) ist die Klägerin zu
1) deutscher Nationalität. Der Kläger zu 2) ist nach den Antragsangaben russischer
Volkszugehörigkeit.
Auf eine entsprechende Nachfrage des Bundesverwaltungsamtes bestätigte die
Klägerin zu 1), daß ihre Muttersprache Russisch sei.
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Mit Bescheid vom 9. Juli 1991 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag
der Kläger ab. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt: Die Kläger seien
weder deutsche Staatsangehörige noch deutsche Volkszugehörige. Die
Antragsangaben, die jetzige Umgangssprache in ihrer Familie sei ausschließlich
Russisch, sie beherrschten die deutsche Sprache überhaupt nicht und pflegten das
deutsche Volkstum nicht, deuteten ebenso wie die Tatsache, daß die Klägerin zu 1)
einen Russen geheiratet habe, darauf hin, daß bei der Klägerin zu 1) eine vollständige
sprachliche und soziale Assimilierung mit dem russischen Volk stattgefunden habe.
6
Der Bescheid, in dessen Rechtsbehelfsbelehrung u.a. darauf hingewiesen wurde, daß
die Widerspruchsfrist auch gewahrt sei, wenn der Widerspruch bei einer Vertretung der
Bundesrepublik Deutschland im Ausland eingelegt werde, wurde Herrn K. am 11. Juli
1991 zugestellt.
7
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 16. August 1991 Widerspruch ein und
trugen zu dessen Begründung im wesentlichen vor: Die Klägerin zu 1) sei in einer
deutschen Familie, in der man deutsch gesprochen habe, erzogen worden. Ihre Eltern
hielten an deutschen Traditionen und Sitten fest und hätten sie an ihre Kinder vermittelt.
Nach dem Verlassen des Elternhauses habe die Klägerin zu 1) in Ost-Kasachstan
deutsche Familien kennengelernt und verkehre jetzt "familienweise" in deutschen
Kreisen. Ihre Familie nähme an kulturellen und wirtschaftlichen Einrichtungen der
dortigen deutschen Volksgruppe teil. Die Klägerin zu 1) verstehe, schreibe und spreche
relativ gut deutsch.
8
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 1992 wies das Bundesverwaltungsamt den
Widerspruch der Kläger wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig
zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde Herrn K. am 11. März 1992 zugestellt.
9
Am 23. April 1992 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom
13. August 1992 hat Herr K. mitgeteilt, die Versäumung der Klagefrist beruhe auf einer
dem Gericht bekannten Verzögerung des Schriftwechsels von Rußland nach
Deutschland. Zur Begründung der Klage im übrigen ist im wesentlichen vorgetragen
worden: Die Klägerin zu 1) spreche in ihrer eigenen Familie zwar vorwiegend russisch,
da sie einen russischen Ehepartner habe. Sie bekenne sich aber trotzdem zum
deutschen Volkstum und spreche mit ihren Eltern deutsch. Im Aufnahmeantrag sei in der
Annahme, daß sich diese Angabe auf die eigene Familie und den Ehepartner beziehe,
aus Unkenntnis Russisch als Umgangssprache angegeben worden.
10
Die Kläger haben (sinngemäß) beantragt,
11
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides des
Bundesverwaltungsamtes vom 9. Juli 1991 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 1992 zu verpflichten, ihnen einen
Aufnahmebescheid zu erteilen.
12
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
14
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch den angefochtenen Gerichtsbescheid, auf
dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, wegen Versäumung der
Klagefrist als unzulässig abgewiesen.
15
Die gegen diesen Gerichtsbescheid eingelegte Berufung der Kläger ist vom
erkennenden Senat durch Urteil vom 9. Juni 1997 mit der Begründung zurückgewiesen
worden, das Verwaltungsgericht habe die Klage wegen Versäumung der Klagefrist zu
Recht als unzulässig abgewiesen. Auf die Beschwerde der Kläger gegen die
Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß vom
20. April 1998 das Urteil des Senats aufgehoben, weil den Klägern entgegen der im
Urteil des Senats vertretenen Auffassung hinsichtlich der versäumten Klagefrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei, und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
16
Die Klägerin zu 1) ist am 12. September 1995 in der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland Almaty zu ihren deutschen Sprachkenntnissen angehört worden. Wegen
des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf den Inhalt der Beiakte Heft 2 Bezug
genommen.
17
Die Kläger tragen zur Begründung ihrer Berufung im wesentlichen vor: Der Sprachtest
der Klägerin zu 1) sei "nicht besonders positiv" ausgefallen. Die Klägerin zu 1) habe
jedoch einen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach dem bis zum 31.
Dezember 1992 geltenden Vertriebenenrecht gehabt. Daß die Beklagte diesen
Anspruch fehlerhaft verneint habe, könne nicht zu Lasten der Kläger gehen. Zumindest
sei die Einbeziehung der Kläger zu 1) und 3) in den Aufnahmebescheid vom 7. August
1992 der am 22. Dezember 1992 registrierten Eltern der Klägerin zu 1) als Ersatzlösung
zu akzeptieren. Dies gebiete auch "Art. 116 I GG". Die Klägerin zu 1) habe mit den
Eltern die Übersiedlung nach Deutschland geplant. Die falsche Entscheidung der
Beklagten von 1991 habe nunmehr zu einer Trennung der Familie geführt. Die Kläger
hätten einen prozessualen Anspruch darauf, daß die Frage des Familiennachzuges
nicht allein durch das Oberverwaltungsgericht abschließend entschieden werde.
Deshalb sei eine Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht geboten.
18
Die Kläger beantragen,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
des Bundesverwaltungsamtes vom 9. Juli 1991 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 1992 zu verpflichten, ihnen einen
Aufnahmebescheid zu erteilen.
20
Die Beklagte beantragt,
21
die Berufung zurückzuweisen.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verfahrensakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen. Der Senat hat zum Zwecke der Entscheidung die nachfolgenden
Erkenntnisquellen ausgewertet.
23
Erkenntnisliste
24
1. Auswärtiges Amt (AA), Auskunft an OVG NW v. 13.9.1995 (513- 542.40 GUS) 2.
Hilkes, Stellungnahme an OVG NW v. 17.9.1995 3. Weydt, Stellungnahme an OVG NW
v. 23.9.1995 4. Heimatauskunftsstelle für die Sowjetunion, Auskunft an OVG NW v.
26.9.1995 (LA 3775-51/1) 5. Eisfeld, Stellungnahme an OVG NW v. 24.11.1995 6.
Brunner, Stellungnahme an VGH Baden-Württemberg v. 18.10.1995 7.
Pinkus/Fleischhauer, Die Deutschen in der Sowjetunion, Baden-Baden 1987 8. Dietz,
Zwischen Anpassung und Autonomie, Berlin 1995 9. Auswärtiges Amt (AA), Auskunft
an BMI v. 21.9.1995 (513- 542.40 GUS)
25
Entscheidungsgründe:
26
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen.
27
Die Klage ist insbesondere auch im Hinblick auf die Einhaltung der Klagefrist zulässig.
Zwar ist die Klage nach Ablauf dieser Frist erhoben worden. Den Klägern wird aber
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, weil sie kein Verschulden an der
Versäumung der Klagefrist trifft, wie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß vom
20. April 1998 - 9 B 873.97 - entschieden hat und dies vom Senat gemäß § 144 Abs. 6
VwGO der Entscheidung nach Zurückverweisung zugrunde zulegen ist.
28
Obwohl das Verwaltungsgericht noch nicht in der Sache entschieden hat, weil es die
Klage als unzulässig angesehen hat, macht der Senat unter Berücksichtigung auch der
Dauer des vorliegenden Verfahrens von der in § 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO vorgesehenen
und von den Klägern angeregten Möglichkeit einer Zurückverweisung an das
Verwaltungsgericht keinen Gebrauch, weil die Sache in tatsächlicher Hinsicht spruchreif
ist und hinsichtlich der von den Klägern als wesentlicher Grund für eine
Zurückverweisung angeführten Einbeziehung nur Rechtsfragen zu entscheiden sind.
29
Die Klage ist nicht begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung des
begehrten Aufnahmebescheides.
30
A. Als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin zu 1) geltend gemachten Anspruch auf
Erteilung eines Aufnahmebescheides kommen die §§ 26, 27 Abs. 1 Satz 1 des
Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni
1993, BGBl. I 829, geändert durch das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der
Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz - PflegeVG) vom 26. Mai 1994, BGBl. I
1014, in Betracht.
31
Für die Beurteilung des Anspruchs ist insgesamt neues Recht maßgebend. Denn nach
der hier für die Anwendung des bisherigen Rechts gemäß § 100 Abs. 1 BVFG allein in
Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG kann Aussiedler nur (noch)
sein, wer das Aussiedlungsgebiet vor dem 1. Januar 1993 verlassen hat. Eine
unzulässige Rückwirkung liegt darin nicht.
32
Vgl. hierzu ausführlich BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, DVBl 1996,
198.
33
Die Klägerin zu 1) lebt jedoch heute noch in Kasachstan.
34
Die Klägerin zu 1) hat gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG keinen Anspruch auf Erteilung
eines Aufnahmebescheides, da sie nach der Aufgabe ihres Wohnsitzes und dem
Verlassen des Aussiedlungsgebietes die Voraussetzungen als Spätaussiedlerin nicht
erfüllt.
35
Spätaussiedler aus dem hier in Rede stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen
Sowjetunion kann nach § 4 Abs. 1 BVFG nur sein, wer deutscher Volkszugehöriger ist.
Da die Klägerin zu 1) nach dem 31. Dezember 1923 geboren ist, ist sie nach § 6 Abs. 2
Satz 1 BVFG deutsche Volkszugehörige, wenn sie von einem deutschen
Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
BVFG), ihr die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale, wie
Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG) und sie sich
bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis
dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des
Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG).
36
Die Klägerin zu 1) erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG.
37
Es kann nicht festgestellt werden, daß der Klägerin zu 1) das in dieser Bestimmung
genannte bestätigende Merkmal der Sprache vermittelt worden ist.
38
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist unter Sprache im Sinne
des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG grundsätzlich die deutsche Sprache als Muttersprache
oder - bei Zwei- oder Mehrsprachigkeit - als bevorzugte Umgangssprache zu verstehen.
Dabei ist die deutsche Sprache dann als bevorzugte Umgangssprache anzusehen,
wenn sie jemand wie eine Muttersprache spricht, ihr gegenüber den sonstigen von ihm
beherrschten Sprachen im persönlich-familiären Bereich den Vorzug gegeben und sie
damit in diesem Bereich regelmäßig überwiegend gebraucht hat. Zur deutschen
Sprache als Muttersprache gehört, daß sie - je nach Herkunft und Bildungsstand des
Aufnahmebewerbers - umfassend beherrscht und in flüssiger Form gesprochen wird.
Auch als bevorzugte Umgangssprache muß sie - abgesehen von ihrem Gebrauch - in
dieser Weise beherrscht werden. Es wird nicht verlangt, daß Deutsch als Hochsprache
beherrscht wird. Vielmehr genügt es, wenn die deutsche Sprache - als Muttersprache
oder bevorzugte Umgangssprache - so vermittelt worden ist, wie sie im Elternhaus - z.B.
in Form des Dialekts - gesprochen wurde.
39
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, DVBl 1997, 897 = DÖV 1997,
686 = NVwZ-RR 1997, 381, und Beschluß vom 11. Mai 1998 - 9 B 1133.97 -.
40
Dagegen ist nicht ausreichend, daß Deutsch lediglich in der Jugendzeit bis zur
41
Selbständigkeit bevorzugte Umgangssprache gewesen ist. Dieses
Bestätigungsmerkmal muß vielmehr auch im maßgeblichen Zeitpunkt des Verlassens
des Vertreibungsgebietes noch vorliegen. Sind zu diesem Zeitpunkt Merkmale im Sinne
des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht oder nicht mehr gegeben, fehlt es an der
objektiven Bestätigung des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, NVwZ-RR 1998, 266.
42
Hiervon ausgehend kann der Senat nicht feststellen, daß der Klägerin zu 1) die
deutsche Sprache in ausreichendem Maße vermittelt worden ist.
43
Daß die Klägerin zu 1) Deutsch als Muttersprache spricht, ist nicht ersichtlich. Schon im
Aufnahmeantrag hat die Klägerin zu 1) vielmehr angegeben, daß ihre Muttersprache
Russisch sei, und dies auf Nachfrage des Bundesverwaltungsamtes noch einmal auf
der Übersetzung ihres Passes ausdrücklich durch ihre Unterschrift bestätigt. Diese
Erklärung der Klägerin zu 1) steht regelmäßig schon für sich gesehen der Annahme
ihrer deutschen Volkszugehörigkeit entgegen, da derjenige, der nicht Deutsch, sondern
Russisch als Muttersprache spricht, nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig Angehöriger des russischen Kulturkreises und
damit russischer Volkszugehöriger ist.
44
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, a.a.O..
45
Der Annahme, daß die Klägerin zu 1) Deutsch als Muttersprache spricht, steht auch die
ebenfalls durch ihre Unterschrift bestätigte Angabe in der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland Almaty vom 12. September 1995 entgegen, sie habe als Kind im
Elternhaus von "0-5" Lebensjahren deutsch und in der Zeit von "5-heute" russisch
gesprochen. Diese Angabe stimmt im übrigen im wesentlichen mit den Antworten der
Mutter der Klägerin zu 1) vom 13. Mai 1995 in dem im Berufungsverfahren zu den
Gerichtsakten überreichten Fragebogen der Prozeßbevollmächtigten der Kläger
überein. Danach hat die Klägerin zu 1) vor der Einschulung Deutsch sprechen können
und die deutsche Sprache "ab 14 Jahre" verlernt. Diese Angaben der Klägerin zu 1) und
der Vortrag der Kläger können in ihrer Gesamtheit nur dahingehend gewürdigt werden,
daß die Klägerin zu 1) mehrsprachig aufgewachsen ist.
46
Die Klägerin zu 1) hat auch nicht substantiiert und schlüssig vorgetragen, Deutsch als
bevorzugte Umgangssprache zumindest im familiären Bereich gesprochen zu haben
bzw. zu sprechen. Im Aufnahmeantrag hat sie insoweit vielmehr ausdrücklich
angegeben, ihre jetzige Umgangssprache in der Familie sei Russisch.
Dementsprechend ist im Aufnahmeantrag bei den Angaben zum Kläger zu 2) ebenfalls
angegeben worden, seine Mutter- und Umgangssprache sei Russisch. Auch aus dem
Schreiben der Mutter der Klägerin zu 1) vom 6. Oktober 1993 kann nicht auf Deutsch als
bevorzugte Umgangssprache geschlossen werden. Denn darin wird ausdrücklich
bestätigt, daß die Klägerin zu 1) "in ihrer eigenen Familie vorwiegend russisch spricht,
da sie einen russischen Ehepartner hat". Daß Deutsch nicht die bevorzugte
Umgangssprache sein kann, ergibt sich ebenso aus den Antworten in dem o.a.
Fragebogen, wonach die Klägerin zu 1) Deutsch seit dem 14. Lebensjahr "verlernt" hat.
Dies entspricht den Feststellungen in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
Almaty vom 12. September 1995, wonach die Klägerin zu 1) "so gut wie überhaupt
nicht" Deutsch versteht und spricht, und ihren dort durch ihre Unterschrift bestätigten
Angaben zu ihrem Sprachverhalten. Denn danach hat sie deutsch nur bis zum 5.
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Lebensjahr und anschließend nur russisch gesprochen. Auch nach diesen Angaben
spricht die Klägerin zu 1) jetzt im engsten Familienkreis nie deutsch und nur russisch.
Daraus ist nur zu entnehmen, daß Russisch ihre bevorzugte Umgangssprache ist. Diese
Angaben und Feststellungen zum Sprachverhalten der Klägerin zu 1) rechtfertigen
allein den Schluß, daß Deutsch nicht als bevorzugte Umgangssprache in ihrer Familie
gesprochen wurde bzw. wird.
Es liegen auch keine sonstigen in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG benannten oder
unbenannten bestätigenden Merkmale im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG vor.
Fehlt - wie hier - das Merkmal der deutschen Sprache, so kann nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wegen des engen Zusammenhanges
zwischen Sprache, Erziehung und Kultur ohne das Hinzutreten besonderer Umstände,
die die Kläger nicht vorgetragen haben und die auch nicht ersichtlich sind, auch nicht
von einer deutschen Erziehung der Klägerin zu 1) oder von der Vermittlung deutscher
Kultur an die Klägerin zu 1) ausgegangen werden. Wer nicht Deutsch, sondern
Russisch als Muttersprache oder bevorzugte Umgangssprache spricht, ist regelmäßig
Angehöriger des russischen Kulturkreises, was zugleich eine Erziehung im Sinne des
russischen Volkstums indiziert.
48
Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, a.a.O., und vom 4. November
1997 - 9 C 36.96 -.
49
Der Senat hat sich dieser Auffassung seit seinem Urteil vom 14. Februar 1997 - 2 A
946/94 - angeschlossen.
50
Wird somit das von der Klägerin zu 1) geltend gemachte Bekenntnis zum deutschen
Volkstum nicht durch Sprache, Kultur und Erziehung objektiv bestätigt, wie es nach § 6
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG erforderlich ist, kann sie keine deutsche Volkszugehörige
sein, weil auch sonstige für die Bestätigung eines Bekenntnisses zum deutschen
Volkstum in Betracht kommende Umstände von ähnlichem Gewicht und ähnlicher
Beschaffenheit wie die in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ausdrücklich angeführten
Bestätigungsmerkmale,
51
vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, a.a.O.,
52
nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich sind.
53
Bestätigungsmerkmale nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG sind hier auch nicht gemäß
Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz der Vorschrift entbehrlich. Nach dieser Vorschrift gelten
die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG als erfüllt, wenn die Vermittlung
bestätigender Merkmale wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht möglich oder
nicht zumutbar war.
54
Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Klägerin zu 1) hat nicht behauptet, daß sie an dem
Erlernen und an der Benutzung der deutschen Sprache in ihrer Familie gehindert war.
Sie hat vielmehr selbst vorgetragen, bis zum fünften Lebensjahr in der Familie nur
deutsch gesprochen zu haben. Im übrigen geht der Senat vor dem Hintergrund der in
das Verfahren eingeführten Erkenntnisse in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß
jedenfalls in der Zeit seit der Geburt der Klägerin zu 1) im Jahre 1964 auch im Gebiet
Kemerowo in Rußland das Merkmal der Sprache zumindest im häuslichen Bereich
ungehindert vermittelt werden konnte.
55
Vgl. z.B. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. April
1997 - 2 A 4504/94 - mit weiteren Nachweisen.
56
Die Klägerin zu 1) hat auch keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides
gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG durch Einbeziehung in den Aufnahmebescheid ihrer
Eltern vom 7. August 1992. Dieser Anspruch setzt nämlich im Regelfall voraus, daß die
Bezugsperson im Zeitpunkt des Erlasses des Einbeziehungsbescheides die
Aussiedlungsgebiete noch nicht verlassen hat und zudem in jedem Fall nicht vor dem 1.
Januar 1993 ausgereist sein darf.
57
Zwar ist diese Voraussetzung in § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG ausdrücklich nicht aufgeführt.
Bereits der Wortlaut der Vorschrift macht jedoch im Zusammenhang mit dem Wortlaut
des § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG hinreichend deutlich, daß eine Einbeziehung eines
Aufnahmebewerbers in einen Aufnahmebescheid einer sich bereits in der
Bundesrepublik Deutschland auf Dauer aufhaltenden Bezugsperson mit dem Status
eines Aussiedlers nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich
aus der Formulierung in § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, daß (nur) Ehegatten und
Abkömmlinge von "Personen im Sinne des Satzes 1" in deren Aufnahmebescheid
einbezogen werden können. Da der Aufnahmebescheid gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1
BVFG nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift jedoch nur "Personen
mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt" wird, "die nach Verlassen dieser
Gebiete die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen", stellt schon die Formulierung
des § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVFG klar, daß eine Einbeziehung in einen
Aufnahmebescheid nur solcher Bezugspersonen in Betracht kommt, die nach dem 31.
Dezember 1992 noch in den Aussiedlungsgebieten gewohnt haben. Deshalb setzt die
Einbeziehung in einen Aufnahmebescheid voraus, daß die Bezugsperson jedenfalls
nicht vor dem 1. Januar 1993 das Aussiedlungsgebiet verlassen hat.
58
Dieser dem Wortlaut des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG entsprechende Regelungsgehalt der
Vorschrift entspricht im übrigen auch dem Willen des Gesetzgebers. Denn die
Bundesregierung ging ausweislich der Begründung zu ihrem im weiteren
Gesetzgebungsverfahren nicht mehr geänderten Entwurf des
Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes davon aus, daß eine Einbeziehung nach § 27 Abs. 1
Satz 2 BVFG nicht mehr möglich ist, nachdem die Bezugsperson die
Aussiedlungsgebiete verlassen hat. Nach dieser Begründung "stellt der Wortlaut des §
27 Abs. 1 Satz 2 BVFG durch die Bezugnahme auf § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG klar, daß
die Eintragung eines Ehegatten und eines Abkömmlings in den Aufnahmebescheid nur
möglich ist, solange die Bezugsperson den ständigen Aufenthalt noch nicht im
Bundesgebiet genommen hat, deren Spätaussiedlereigenschaft also noch nicht
entstanden ist". Sie geht ausdrücklich davon aus, daß eine Eintragung nicht mehr
möglich ist, wenn die Bezugsperson durch Verlassen der Aussiedlungsgebiete lediglich
den Status eines Aussiedlers nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. erworben hat, weil sie
dann nicht mehr zum Personenkreis des § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG gehört.
59
Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Gesetz zur
Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen (Kriegsfolgenbereinigungsgesetz-KfbG) vom 7.
September 1992, BT-Drucksache 12/3212, Abschnitt B. Besonderer Teil, zu Nummern
24 bis 30 des Artikel 1 (§§ 26 bis 29), S. 26.
60
Hiervon ausgehend ist eine Einbeziehung der Klägerin zu 1) in den Aufnahmebescheid
61
ihrer Eltern schon deshalb ausgeschlossen, weil diese die Aussiedlungsgebiete bereits
unter Aufgabe ihres dortigen Wohnsitzes vor dem 1. Januar 1993 verlassen haben, da
sie sich seit dem 22. Dezember 1992 erkennbar auf Dauer in der Bundesrepublik
Deutschland aufhalten.
Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus Art. 116 Abs. 1 GG iVm § 27 Abs. 2 BVFG, da
dieser für Vertriebene keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme festschreibt. Er setzt
vielmehr die Aufnahme von Flüchtlingen, Vertriebenen oder deren Angehörigen als
Tatbestandsmerkmal für den Erwerb der Eigenschaft als Deutscher voraus.
62
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Mai 1998 - 9 B 756.97 - und vom 7. Juli 1998 - 9 B
1202.97 -.
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B. Die Klage des Klägers zu 2) ist ebenfalls unbegründet. Er ist nach seinen eigenen
Angaben russischer Volkszugehöriger. Als solcher kann er den geltend gemachten
Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nur auf § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG
stützen, der die Einbeziehung von Ehegatten in den Aufnahmebescheid vorsieht. Da der
Klägerin zu 1) aus den oben dargelegten Gründen ein Aufnahmebescheid nicht zu
erteilen ist, kommt auch eine Einbeziehung des Klägers zu 2) nicht in Betracht.
64
C. Schließlich ist auch die Klage des Klägers zu 3) unbegründet, da er aus den oben
dargelegten Gründen schon nicht von einem deutschen Staatsangehörigen oder
deutschen Volkszugehörigen abstammt und, da der Klägerin zu 1) ein
Aufnahmebescheid nicht zu erteilen ist, auch die Möglichkeit einer Einbeziehung in
einen Aufnahmebescheid der Klägerin zu 1) sowie aus den oben zur Klägerin zu 1)
dargelegten Gründen auch eine Einbeziehung in den Bescheid der Großeltern
ausscheidet (§§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG).
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1, und 162 Abs. 3
VwGO, 100 Abs. 1 ZPO. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da dieser einen
Sachantrag nicht gestellt und sich damit dem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO,
708 Nr. 10, 711 der Zivilprozeßordnung.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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