Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.10.2001

OVG NRW: psychiatrisches gutachten, beweisantrag, asylbewerber, gesundheitszustand, prozessrecht, wahrscheinlichkeit, bundesamt, abschiebung, anhörung, behandlung

Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 732/00.A
Datum:
31.10.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 A 732/00.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 4 K 508/99.A
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Minden vom 5. Januar 2000 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die allein geltend gemachte Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG
i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Der vom Kläger gestellte Beweisantrag, ein
psychiatrisches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob er aufgrund von Folterungen
unter einer posttraumatischen Belastungsreaktion leide, durfte abgelehnt werden.
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Das Verwaltungsgericht hat grundsätzlich in eigener Verantwortung festzustellen, ob ein
Asylbewerber glaubwürdig und seine Darlegungen glaubhaft sind; dabei ist es im
Allgemeinen - auch in schwierigen Fällen - nicht auf sachverständige Hilfe angewiesen.
Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn im Verfahren besondere Umstände
entweder in der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen oder im Hinblick auf seinen
Sachvortrag hervortreten, die das Vorliegen einer erheblichen Abweichung vom
Normalfall als möglich erscheinen lassen. In einem solchen Fall hat das Gericht nach
pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob es sich bei der Beurteilung des
Vorbringens des Asylbewerbers sachverständiger Hilfe bedienen muss oder nicht.
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In besonderer Weise gilt dies dann, wenn Anzeichen dafür erkennbar oder substantiiert
vorgetragen sind, dass ein Asylbewerber aufgrund erlittener Misshandlungen
traumatisiert sein könnte mit der möglichen Folge, über das Erlebte nur noch selektiv,
widersprüchlich oder gar nicht mehr bzw. nur in Ansätzen berichten zu können.
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In derartigen Fällen muss das Verwaltungsgericht mit besonderer Sorgfalt prüfen, ob es
die zur Beurteilung des Sachvortrags erforderliche Sachkunde selbst besitzt. Allerdings
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ist es auch in dem hier angesprochenen Zusammenhang Sache des Asylbewerbers,
derartige besondere Umstände - sofern sie nicht offenkundig sind - aufzuzeigen.
OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rz 25 f.; Beschluss vom 11.
Februar 1997 - 25 A 4144/96.A -; Beschluss vom 30. März 2001 - 8 A 5585/99.A -,
jeweils m.w.N.; ferner BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 1 B 118.01 -, m.w.N.
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Gemessen an diesen Grundsätzen bestand für das Verwaltungsgericht kein Anlass,
sachverständige Hilfe hinzuzuziehen. Das Gericht hat im Einzelnen unter Hinweis auf
die umfassenden Schilderungen des Klägers näher dargelegt (UA, S. 6 f.), warum es
nicht den Eindruck gewonnen habe, dass der Kläger durch traumatische Erlebnisse
gehindert gewesen sei, sein Verfolgungsschicksal ausreichend darzustellen. Diese
Auffassung wird insbesondere durch die vom Kläger vorgelegte ärztliche Bescheinigung
vom 4. Januar 2000 bestätigt. Danach ist der Kläger "be-wusstseinsklar" und "allseits
orientiert", ist sein "formaler Gedankengang geordnet" und liegen "keine Störungen der
Aufmerksamkeit und Gedächtnisfähigkeit" vor. Daraus ergibt sich, dass die in dieser
Bescheinigung diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung beim Kläger
jedenfalls nicht dazu geführt hat, dass er krankheitsbedingt gehindert war, umfassend
und widerspruchsfrei sein Fluchtschicksal vorzutragen.
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Auch die Ablehnung des weiteren Beweisantrages, ein psychiatrisches Gutachten zu
der Frage einzuholen, "ob mit einer Veränderung des Gesundheitszustandes des
Klägers im Falle der Abschiebung zu rechnen ist", findet im Prozessrecht eine Stütze.
Die Frage, ob sich der Gesundheitszustand des Klägers "verändern" könnte, war schon
nicht erheblich für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG. Für die allenfalls
in Betracht kommende Frage, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine
lebensbedrohliche Verschlimmerung der geltend gemachten posttraumatischen
Belastungsstörung wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten in der Türkei droht, hat
der Kläger weder hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen noch einen entsprechenden
Beweisantrag gestellt. Er hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht ansatzweise
dargelegt, dass er sich bislang - abgesehen von der Untersuchung anlässlich der einen
Tag vor der mündlichen Verhandlung ausgestellten Bescheinigung - in Deutschland
überhaupt psychiatrisch behandeln lässt und demgemäß eine Fortsetzung der
Behandlung in der Türkei erforderlich ist. Vielmehr hat er bei der Anhörung vor dem
Bundesamt noch ausdrücklich angegeben, sich gesundheitlich wohl zu fühlen. Auch die
vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 4. Januar 2000 gibt im Wesentlichen nur die
Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal in indirekter Rede wieder und
kommt auf dieser Grundlage zu dem Schluss, eine Rückkehr des Klägers in die Türkei
sei unzumutbar. Das Verwaltungsgericht konnte jedoch - wie ausgeführt - ohne
Einholung eines psychiatrischen Gutachtens davon ausgehen, dass die in der ärztlichen
Bescheinigung zitierten Angaben des Klägers, er sei im Juni 1998 in der Türkei
zusammen mit seiner Schwester aus politischen Gründen verhaftet und geschlagen
worden, aufgrund erheblicher, nicht auflösbarer Widersprüche unglaubhaft sind. Auch
aus der nach Ablauf der Darlegungsfrist des § 78 Abs. 4 Sätze 1 und 4 AsylVfG
vorgelegten ärztlichen Bescheinigung ergibt sich lediglich, dass er medikamentös
behandelt wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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