Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.04.2005

OVG NRW: grundstück, bebauungsplan, verkehr, beachtliche gründe, beitragsfestsetzung, entstehung, gemeinde, anschluss, beitragsabrechnung, breite

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 3 A 3243/02
01.04.2005
Oberverwaltungsgericht NRW
3. Senat
Urteil
3 A 3243/02
Verwaltungsgericht Minden, 5 K 2894/01
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Der Erschließungsbeitragsbescheid des Beklagten vom 27. November
2000 und dessen Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2001 werden
insoweit aufgehoben, als die Beitragsfestsetzung 57.376,89 DM
(29.336,34 Euro) übersteigt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und 14 v.H. der
Kosten des Verfahrens erster Instanz. Die übrigen Kosten fallen dem
Kläger zur Last.
Die Kostenentscheidung ist, soweit sie nicht bereits rechtskräftig ist,
vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
aufgrund der Kostenentscheidung vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger ist Eigentümer des in M. -N. gelegenen Grundstücks Gemarkung C. Flur 1
Flurstück 297. Das 3.034 qm große Grundstück grenzt im Süden an die etwa westöstlich
verlaufende M1.-------straße (K 9) und im Norden an die T.----- straße . Die T.-----straße
erschließt das Innere eines Gevierts, das aus der M1.------- straße im Süden, dem O.------
weg im Westen, der G.-----straße im Norden und der C1. Straße im Osten gebildet wird. Sie
verläuft von der G.-----straße in südlicher Richtung mit etwa 60 m Abstand zum O.------weg ,
knickt nach etwa 60 m rechtwinklig nach Osten ab und endet nach weiteren ca. 90 m in
einem Wendeplatz.
Die T.-----straße und das umliegende Baugebiet werden erfasst vom Bebauungsplan G 274
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"O.------weg ", der die Ausweisung "Allgemeines Wohngebiet" (WA) enthält. Hiervon
ausgenommen ist das von O.------weg , G.-----straße und T.---- -straße umfasste Flurstück
684. Für dieses Grundstück gilt die Festsetzung "WAs"; hierzu enthält der Textteil des
Bebauungsplanes die ergänzende Bestimmung, die zulässige Nutzung im Erdgeschoss
sei auf die der Versorgung des Gebietes dienenden Läden, Schank- und
Speisewirtschaften sowie (ausnahmsweise) Anlagen für die Verwaltung
(Geldinstitutsfiliale, Post etc.) beschränkt und es seien Wohnungen ab dem ersten
Obergeschoss zugelassen; zudem ist für dieses Grundstück am O.------weg und an der G.---
--straße je ein Einfahrtbereich festgesetzt. Für das Flurstück 297 schlagen die
Erläuterungen des Nutzungsplanes eine Aufteilung in ein großes Baugrundstück an der
M1.-------straße und zwei kleinere Baugrundstücke an der T.-----straße vor; nach den
Planfestsetzungen sind die vorgesehenen kleineren Baugrundstücke eingeschossig, das
größere Baugrundstück hingegen zweigeschossig bebaubar. Auf dem Flurstück 297
befinden sich ein Wohnhaus und die Bautischlerei des Klägers, zu der im nördlichen
Grundstücksbereich eine Holzlagerhalle sowie ein Park- und Lagerplatz gehören. Der
Grundstücksstreifen entlang der T.-----straße ist - entsprechend einer textlichen Festsetzung
im Bebauungsplan - als Grünfläche bepflanzt, die lediglich an der nordwestlichen
Grundstücksecke durch einen knapp 1 m breiten Plattenweg zu einer südlichen
Ausbuchtung der T.-----straße unterbrochen ist. An der Nordgrenze zur T.- ----straße ist das
Grundstück durch einen Bretterzaun verschlossen; es wird allein von der M1.-------straße
aus angefahren.
In den Jahren 1998 bis 2000 baute die Erschließungsgesellschaft G1. -/T.----- straße die T.-
----straße als niveaugleiche Mischverkehrsfläche aus, und zwar aufgrund eines mit der
Stadt M. am 19. August 1997 geschlossenen Vorfinanzierungsvertrages. Der
Straßenausbau blieb dabei insofern hinter dem Bebauungsplan zurück, als der östliche
Straßenast nicht in 8 m, sondern lediglich in 6 m Breite ausgebaut wurde und eine
dreieckförmige Fläche in der nordwestlichen Ecke des Flurstücks 297 nicht für den
Straßenbau in Anspruch genommen wurde. Durch Verfügung vom 13. November 2000,
öffentlich bekanntgemacht am 27. November 2000, widmete der Beklagte u.a. die T.-----
straße als Gemeindestraße für den öffentlichen Verkehr.
Mit Bescheid vom 27. November 2000 setzte der Beklagte gegen den Kläger wegen des
Ausbaus der T.-----straße einen Erschließungsbeitrag von 66.783,97 DM fest, rechnete
hierauf eine Vorausleistung von 56.500,-- DM an und forderte den Kläger auf, den
verbleibenden Betrag von 10.283,97 DM innerhalb eines Monats zu zahlen. Das
Grundstück des Klägers hatte er dabei als gewerblich genutzt, zweigeschossig bebaubar
und ohne Eckermäßigung berücksichtigt. Die zugrunde gelegte Verteilung umfasste u.a.
auch das mit einem Verbrauchermarkt bebaute, 3.546 qm große Flurstück 684 der Fa. I. ,
das mit denselben Faktoren berücksichtigt wurde wie das Grundstück des Klägers. Den
vom Kläger erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom
29. Oktober 2001 als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 20. November 2001 Klage auf Aufhebung des
Heranziehungsbescheides vom 27. November 2000 und des Widerspruchsbescheides
vom 29. Oktober 2001 erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 17. Mai 2002 hat er
sinngemäß beantragt,
den Erschließungsbeitragsbescheid des Beklagten vom 27. November 2000 hinsichtlich
des bei der Beitragsfestsetzung berechneten Gewerbezuschlags und insoweit auch den
Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 29. Oktober 2001 aufzuheben.
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Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht das Verfahren im Umfang der
Teilrücknahme der Klage durch Einschränkung des Klagebegehrens (in Höhe von
57.376,89 DM) eingestellt und die Klage im übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es
im wesentlichen ausgeführt: Es sprächen zwar beachtliche Gründe für einen Fortfall des
Gewerbezuschlags für das Grundstück des Klägers entsprechend dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 1998 (8 C 12.96, DVBl. 1998, 715); gleichwohl
könne die Klage keinen Erfolg haben, weil die hieraus folgende Entlastung des
veranlagten Grundstücks überkompensiert werde durch die zusätzliche Belastung, die aus
der gebotenen Nichtberücksichtigung des Verbrauchermarkt-Grundstücks bei der
Beitragsabrechnung folge; dieses Grundstück werde nämlich vor allem deshalb nicht i.S.v.
§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch die T.-----straße erschlossen, weil der Bebauungsplan G
274 eine Zufahrt von der T.----- straße her angesichts anderweit festgesetzter
Einfahrtbereiche ausschließe; da die plangemäßen Nutzungen des Grundstücks
(Gewerbenutzung im Erdgeschoss, Wohnnutzung im Obergeschoss) tatsächlich und
rechtlich untrennbar verklammert seien, sei ein Herauffahrenkönnen von der T.-----straße
aus für ein Erschlossensein des Grundstücks durch diese Straße zu fordern.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 28. Oktober 2004 die Berufung
gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Mit seiner rechtzeitig eingegangenen
Berufungsbegründung macht der Kläger geltend:
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts werde dem mit einem Verbrauchermarkt
bebauten Flurstück 684 ein Erschließungsvorteil geboten, der seine Einbeziehung in das
Abrechnungsgebiet rechtfertige. Wie das Urteil des OVG Lüneburg vom 17. August 2000 (9
L 4119/98, NVwZ-RR 2001, 399) zeige, könne hinsichtlich der Erhebung des
Artzuschlages für gewerbliche Nutzung sehr wohl zwischen den
Erreichbarkeitsanforderungen für eine Wohnnutzung einerseits und eine gewerbliche
Nutzung andererseits differenziert werden. Allerdings sei das Flurstück 684 nicht lediglich
als zu Wohnbauzwecken zu nutzendes Grundstück in das Verteilungsgebiet der T.-----
straße einzubeziehen, sondern als gewerblich genutztes Grundstück. Das Grundstück
ziehe nämlich tatsächlich einen stärkeren Fußgänger- und Radfahrerverkehr von der T.-----
straße her auf sich, als es bei seiner Nutzung allein zu Wohnzwecken der Fall wäre.
Deshalb sei es nicht entsprechend dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.
Januar 1998 mit einem Gewerbezuschlag zu verschonen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Schlussantrag erster Instanz zu
erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor:
Von der Erhebung eines Artzuschlags für das Grundstück des Klägers könne nicht
entsprechend dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 1998 abgesehen
werden, da dieses Grundstück nicht die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten
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Voraussetzungen erfülle. Eindeutig erkennbare tatsächliche Verhältnisse, die sich aus der
äußeren Gestaltung des Grundstücks ergäben und eine Benutzung der T.-----straße durch
den gewerblichen Verkehr zum Grundstück nicht erwarten ließen, seien hier nämlich nicht
gegeben. Die Möglichkeit, statt des plattierten Fußweges eine Betriebszufahrt zur T.-----
straße anzulegen, werde nämlich weder durch die Baugenehmigung vom 8. Februar 1995
noch durch die Nachtragsbaugenehmigung vom 20. März 1997 noch durch Festsetzungen
des Bebauungsplanes G 274 ausgeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und des Sachverhalts im übrigen
wird auf die gerichtliche Streitakte nebst Beiakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet. Die umstrittene Beitragsfestsetzung ist insoweit rechtswidrig,
als sie auf der Berücksichtigung eines Artzuschlages für das veranlagte Grundstück beruht.
Unter Änderung des angefochtenen Urteils sind die angefochtenen Bescheide in dem aus
dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil sie insoweit rechtswidrig sind und den
Kläger in seinen Rechten verletzen.
Das Verwaltungsgericht hat die allgemeinen Voraussetzungen für die Entstehung der
Erschließungsbeitragspflicht, insbesondere unter den Gesichtspunkten einer rechtmäßigen
Straßenherstellung (§ 125 BauGB) und der Widmung, bejaht; weder aus dem Vorbringen
der Beteiligten im Berufungsverfahren noch im übrigen sind Gesichtspunkte hervorgetreten,
unter denen diese Einschätzung in Zweifel zu ziehen wäre. Angesichts der vom Kläger in
der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgenommenen Beschränkung
seines Anfechtungsantrags, mit dem er im Berufungsrechtszug in vollem Umfang obsiegt,
ist im Berufungsverfahren auch nicht den vom Kläger ursprünglich weiterhin geäußerten
Beanstandungen nachzugehen. Das gilt sowohl für die Frage, ob das veranlagte
Grundstück mit einem einheitlichen Maßzuschlag wegen der zweigeschossigen Bebauung
im südlichen Grundstücksteil zu belegen ist ungeachtet der im Bebauungsplan
festgesetzten eingeschossigen Bebaubarkeit der beiden vorgeschlagenen Baugrundstücke
auf dem nördlichen Grundstücksteil, als auch für die Frage, ob seinem Grundstück eine
Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung (eine "Eckermäßigung") zukommt.
Entsprechend der vom Kläger verfochtenen und vom Verwaltungsgericht angedeuteten
Auffassung ist die umstrittene Beitragsfestsetzung insoweit zu Unrecht erfolgt, als sie auf
der Berechnung eines sog. grundstücksbezogenen Artzuschlages von 30 Prozentpunkten
wegen überwiegender gewerblicher Nutzung des veranlagten Grundstücks beruht (§ 6 Abs.
7 EBS 1988). Während der sog. gebietsbezogene Artzuschlag - unabhängig von der
vorhandenen Bebauung und Nutzung des Grundstücks - an die kraft Bauplanungsrechts
gegebene Möglichkeit einer gewerblichen und damit verkehrsintensiveren
Grundstücksnutzung anknüpft, greift ein in der Beitragssatzung normierter sog.
grundstücksbezogener Artzuschlag regelmäßig ein, wenn ein im qualifiziert beplanten
Wohngebiet gelegenes Grundstück tatsächlich gewerblich und somit intensiver als die
übrigen Grundstücke genutzt wird. Ist ein solches Grundstück doppelt erschlossen, so ist es
allerdings ohne Gewerbezuschlag zu veranlagen, wenn der durch die gewerbliche
Nutzung verursachte Ziel- und Quellverkehr nicht über die abzurechnende, sondern in
vollem Umfang ausschließlich über die andere Anbaustraße abgewickelt wird und ohne
Veränderung der für die Gemeinde eindeutig erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse auf
dem Grundstück auch nur abgewickelt werden kann.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1998 - 8 C 12.96 -, DÖV 1998, 735.
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Das Grundstück des Klägers erfüllt die Voraussetzungen, unter denen hiernach trotz
vorhandener gewerblicher Nutzung ausnahmsweise von der Erhebung eines
satzungsgemäßen grundstücksbezogenen Artzuschlags abzusehen ist.
Nach dem Vorbringen des Klägers, das durch die vorliegenden Photographien bestätigt
wird und dem der Beklagte nichts entgegengesetzt hat, wurde bei Entstehung der
sachlichen Beitragspflichten im Jahre 2000 (und wird weiterhin) der gewerbliche Verkehr
von und zu der auf dem Grundstück betriebenen Bautischlerei nicht über die T.-----straße ,
sondern allein über die M1.-------straße abgewickelt. Ohne eine Änderung der tatsächlichen
Verhältnisse auf dem Grundstück, die für den Beklagten und die übrigen Beitragspflichtigen
des Abrechnungsgebietes ohne weiteres erkennbar gewesen wäre, hätte der gewerbliche
Verkehr vom Grundstück des Klägers auch nicht auf die T.-----straße umgelenkt werden
können. Zwar mag es nicht ausgeschlossen gewesen sein, den Plattenweg in der
Nordwestecke des Grundstücks zu einer Zufahrt auszuweiten, ohne dadurch in auffälliger
Weise in die Randbepflanzung des Grundstücks einzugreifen. Zu diesem Zweck hätte der
gewerbliche Verkehr allerdings über den verhältnismäßig schmalen Grundstücksstreifen
geführt werden müssen, der ausweislich des Planes zur Baugenehmigung vom 20. März
1997 zwischen der Randbepflanzung an der T.----- straße und den Stellplätzen für zwei
Mulden und mehrere Personenwagen liegt. Zudem hätte eine derartige Zufahrt den
gewerblichen Verkehr vom Grundstück des Klägers auf die nach Süden weisende
Ausbuchtung der T.-----straße geleitet, die auf dem etwa 9 m langen und etwa 6 m breiten
Flurstück 493 angelegt ist. Eine so gestaltete Verkehrsführung hätte nicht den
Anforderungen entsprochen, die insoweit unter den Gesichtspunkten der Sicherheit und
Leichtigkeit des Verkehrs und der Rücksichtnahme auf den Wohngebietscharakter zu
stellen sind. Die Anlegung einer Zufahrt zur T.-----straße , die sowohl das betriebliche
Interesse an einer möglichst geradlinigen Verbindung als auch die schutzwürdigen
Interessen der Nachbarn (insbesondere auf dem Flurstück 504) an einer möglichst
geringen Beeinträchtigung berücksichtigt, hätte hingegen vorausgesetzt, dass der
bepflanzte Erdwall an der Nordseite des Grundstücks und der dessen ganze Nordgrenze
verschließende Bretterzaun durchbrochen worden wären. All dies aber hätte eine
Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Grundstück dargestellt, die weder der
Gemeinde noch den übrigen Anliegern an der T.-----straße hätte verborgen bleiben können.
Die Reduzierung des festgesetzten Erschließungsbeitrags, die sich demnach aus dem
gebotenen Wegfall des Gewerbezuschlags ergibt, wird nicht dadurch kompensiert oder
überkompensiert, dass das mit einem Verbrauchermarkt bebaute Flurstück 684 aus der
Beitragsabrechnung auszuscheiden wäre. Vielmehr ist dieses Grundstück - entsprechend
der vom Beklagten vorgenommenen Verteilung - mit einem Gewerbezuschlag und als
zweigeschossig bebaubar anzusetzen. Der Annahme des Verwaltungsgerichts, das
Flurstück 684 werde durch die T.-----straße nicht i.S. von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB
erschlossen, weil der Bebauungsplan G 274 einer Zufahrt an der Grundstücksseite zur T.---
--straße entgegenstehe, vermag der Senat aus folgenden Erwägungen nicht zu folgen:
Zu- und Abfahrtsverbote (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) sollen in erster Linie der Sicherheit und
Leichtigkeit des Verkehrs auf der jeweiligen Straße dienen, die durch Verkehrsvorgänge
von und zu "ihren" Anliegergrundstücken beeinträchtigt werden könnten.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 1991 - 8 C 59.89 -, DVBl 1991, 593.
Schon diese "primäre Blickrichtung" (von der einzelnen Straße auf die
Anliegergrundstücke, nicht vom einzelnen Anliegergrundstück her auf alle das Grundstück
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berührenden Straßen) spricht dagegen, die im Bebauungsplan getroffene Regelung der
Einfahrtbereiche des Flurstücks 684 an der G.-----straße und am O.------weg als
abschließende Regelung für den Anschluss dieses Grundstücks an alle umgebenden
Straßen und damit als Verbot einer Zufahrt von und zur T.-----straße zu verstehen. Zwar
mag die Absicht des Plangebers, die Nachbarschaft eines "betriebsamen" Grundstücks vor
den hiervon ausgehenden Verkehrsbeeinträchtigungen zu schützen, die Anordnung eines
Zu- und Abfahrtsverbotes für dieses Grundstück rechtfertigen. Die ausdrückliche
Festsetzung eines solchen Verbotes wäre im Verfahren zur Aufstellung des
Bebauungsplanes G 274 aber schon deswegen zu erwarten gewesen, weil sowohl dem
Planverfasser als auch dem Rat die rechtliche Möglichkeit wohlbewusst war, ein
Zufahrtsverbot ausdrücklich auszusprechen; das zeigen schon die im Text zum
Bebauungsplan enthaltenen ergänzenden Bestimmungen für Zuwegungen und Zufahrten
zur L.---- straße 9 (Text C. Zu B 2 Nr. 4 und 5). Für das Erfordernis einer ausdrücklichen
Festsetzung sprechen auch die ambivalenten Folgen eines Zufahrtsverbotes: Ein solches
Verbot schränkt die Position des betroffenen Grundstückseigentümers über das übliche
Maß hinaus ein und ist zudem geeignet, Erschließungsbeitragslasten von dem betroffenen
Grundstück auf die Nachbargrundstücke "abzuschieben".
Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 1991, a.a.O. (betr. die Steigerung der Anforderungen an
die Erschließung).
Die Ausführungen der Planbegründung zu Erschließungskosten (unter G.) lassen aber
nicht erkennen, dass der Rat sich mit dem Problem einer "Kostenverlagerung" überhaupt
befasst hätte; auch dies spricht gegen die Annahme, der Plangeber habe ein Zu- und
Abfahrtsverbot an der T.-----straße regeln wollen.
Die vom Verwaltungsgericht (und auch dem Beklagten) angeführte Begründung zur
Zweiten Änderung des Bebauungsplans G 274 ergibt demgegenüber kein gewichtiges
Argument für die Festsetzung eines Zu- und Abfahrtsverbotes. Der Umstand, dass dieser
Änderungsplan ausdrücklich nicht die Grundzüge der Planung berühren will, spricht gegen
die Annahme, durch diesen Änderungsplan sei erstmals eine Regelung über den
Anschluss des Flurstücks 684 an die T.-----straße getroffen worden; dieser Änderungsplan
erscheint auch als grundsätzlich ungeeignet, für die Auslegung der ursprünglichen
Fassung des Bebauungsplans G 274 zu dienen, weil der Änderungsplan erst nach Erlass
des Ursprungsplanes "in die Welt gekommen" ist. Schließlich erbringt die Festsetzung der
T.-----straße als "Wohnstraße mit Parkmöglichkeiten" kein Argument, das im Sinne eines
Zufahrtsverbotes den Ausschlag geben könnte. Das gilt schon deshalb, weil die
Charakterisierung als "Wohnstraße" nach dem Bebauungsplan G 274 die Anlage von
Stellplätzen und Garagen auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen mit Ausnahme
der Vorgartenflächen zulässt (Text C. Zu B 1), mithin grundsätzlich auch die Anlegung von
Zufahrten nicht hindert. Überdies hat die im Nutzungsplan eingetragene Unterteilung der
öffentlichen Verkehrsflächen sowie ihrer einzelnen Bestandteile nur nachrichtliche
Bedeutung (Text C Zu B 3 Nr. 1), lässt also die Möglichkeit offen, die T.-----straße im
Bereich des Flurstücks 684 so auszubauen, dass Lastkraftwagen ohne weiteres auch von
dieser Straße aus auf das Grundstück fahren können.
Ist demnach anzunehmen, dass ein Zu- und Abfahrtsverbot an der T.-----straße nicht
besteht und dass demgemäß diese Straße all das an Erschließung erbringt, was sowohl
zur gewerblichen als auch zur wohnlichen Nutzung des Flurstücks 684 allenfalls gefordert
werden kann, so braucht der Senat nicht mehr auf die weitere Darlegung des
Verwaltungsgerichts einzugehen, die vorliegende Nutzungsfestsetzung für dieses
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Grundstück führe zu einer tatsächlichen und rechtlichen "Verklammerung" von
gewerblicher Nutzung und Wohnnutzung in der Weise, dass ihretwegen eine
Auffahrmöglichkeit auch schon für ein Erschlossensein hinsichtlich der im ersten
Obergeschoss zugelassenen Wohnnutzung zu fordern wäre. Ebenso kann offenbleiben, ob
das Erschlossensein eines gewerblich zu nutzenden Grundstücks in einem allgemeinen
Wohngebiet generell eine Auffahrmöglichkeit voraussetzt oder ob dies (zumindest) im
vorliegenden Fall nach dem einschlägigen Bebauungsplan gefordert ist.
Der Beklagte hat bei der Verteilung, die der umstrittenen Beitragsfestsetzung zugrunde
liegt, für das Flurstück 684 auch zu Recht einen Artzuschlag wegen gewerblicher Nutzung
angesetzt und keine Eckermäßigung gewährt. Nach den Feststellungen des
Verwaltungsgerichts existierte nämlich bei Entstehung der Beitragspflicht eine etwa 2 m
breite Lücke in der Randbepflanzung dieses Grundstücks, die von Fußgängern bei ihren
Einkaufsgängen zum Verbrauchermarkt auch benutzt wurde. Da es sich hierbei um einen
Verkehr handelt, wie er für einen Verbrauchermarkt typisch ist, kann mit Bezug auf das
Flurstück 684 keine Rede davon sein, der mit der gewerblichen Tätigkeit typischerweise
verbundene Verkehr unterbleibe gänzlich aus der Sicht der abzurechnenden
Anliegerstraße.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1998, a.a.O.; vgl. hingegen den vom OVG Lüneburg im
Urteil vom 17. August 2000 - 9 L 4119/98 -, NVwZ-RR 2001, 399, entschiedenen Fall, in
dem eine gewerbliche Nutzung von der abgerechneten Anlage her tatsächlich nicht
stattfand.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO, § 167 Abs. 1
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO sowie § 132 Abs. 2 VwGO.