Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.03.2006

OVG NRW: verfahrenskosten, unterliegen, datum, angestelltenverhältnis, anfechtung, ergänzung, zukunft, anerkennung, hauptsache, ausnahme

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 A 349/05
Datum:
31.03.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 A 349/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 K 5750/02
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Beklagten abgelehnt.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00
Euro festgesetzt.
G r ü n d e:
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Die Berufung ist nicht zuzulassen. Die von dem Beklagten geltend gemachten
Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) greifen nicht durch.
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Die gerichtliche Prüfung im Zulassungsverfahren richtet sich an den in dem Antrag auf
Zulassung der Berufung angesprochenen Gesichtspunkten aus.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 17. September 2003 - 6 A 4428/02 -, unter Hinweis auf OVG NRW, Beschlüsse
vom 9. Juli 1997 - 12 A 2047/97 -, Deutsches Verwaltungsblatt 1997, 1342, und vom 20.
Oktober 1998 - 18 B 69/98 -.
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Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe
darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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Nach diesem Maßstab ergeben sich keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs.
2 Nr. 1 VwGO darin, dass das Verwaltungsgericht (unter Abweisung der
weitergehenden Klage und unter Aufhebung der erstinstanzlichen Verfahrenskosten
gegeneinander) das beklagte Land zu Recht verpflichtet hat, über das
Verbeamtungsgesuch der Klägerin vom 16. Mai 2002 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Klägerin, die am 28. Juni
1994 das 35. Lebensjahr vollendete, steht seit dem 10. August 1998 als Lehrerin in
einem unbefristeten Angestelltenverhältnis im öffentlichen Schuldienst des beklagten
Landes. Mit der Klage verfolgt sie das von ihr mit Datum vom 16. Mai 2002 unter
Hinweis auf eine ihr nach ihrer Auffassung zuzuerkennende Schwerbehinderung
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gestellte Verbeamtungsgesuch weiter. Das Verwaltungsgericht hat der Klage in dem
oben dargestellten Umfang stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Die
Weigerung des beklagten Landes, die Klägerin zu verbeamten, sei rechtswidrig. Die
Klägerin habe zwar bei ihrer Einstellung in den öffentlichen Schuldienst die für ihre
Verbeamtung grundsätzlich geltende laufbahnrechtliche Höchstaltersgrenze von 35
Jahren ( § 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 der Laufbahnverordnung - LVO - in der Fassung
der Änderungsverordnung vom 11. November 1997, GV NRW 396 sowie - unverändert -
in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 11. April 2000, GV NRW 380)
überschritten. Nach § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO dürften jedoch schwerbehinderte
Laufbahnbewerber vor vollendetem 43. Lebensjahr eingestellt oder übernommen
werden; diese Vorschrift greife zu Gunsten der Klägerin ein. Das Versorgungsamt habe
ihr (aufgrund eines entsprechenden Anerkenntnisses vor dem Landessozialgericht für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. September 2004) eine Schwerbehinderung
rückwirkend ab Dezember 2001, also schon vor dem Zeitpunkt der Vollendung ihres 43.
Lebensjahres am 28. Juni 2002, zuerkannt. Somit stehe einer Verbeamtung der Klägerin
eine laufbahnrechtliche "Überalterung" nicht entgegen, zumal sie in ihrem vor
Vollendung des 43. Lebensjahres gestellten Verbeamtungsgesuch sowie im
Widerspruchsverfahren auf die Möglichkeit einer rückwirkenden Zuerkennung der
Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen habe. Aus heutiger Sicht habe der
Beklagte ihre Verbeamtung somit nicht wegen "Überalterung" ablehnen dürfen.
Das beklagte Land macht geltend: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts
könne eine nach der Einstellung eingetretene Schwerbehinderung nicht zu einem
Anspruch auf Verbeamtung führen. Etwas Dahingehendes entspreche nicht dem Zweck
des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO. Die Schwerbehinderteneigenschaft müsse bereits vor dem
Zeitpunkt der Einstellung (in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis) vorgelegen haben. Ein
späteres "Zuwachsen" der Schwerbehinderteneigenschaft bei einem bereits in einem
unbefristeten Angestelltenverhältnis Beschäftigten könne eine Einstellung in das
Beamtenverhältnis auf Probe während dieser Zeit nicht "herbeiführen".
Dementsprechend beabsichtige der Verordnungsgeber, Satz 6 des § 6 Abs. 1 LVO nach
dem Wort "werden" um den Halbsatz
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"...sofern die Schwerbehinderung bereits vor Vollendung des im Einzelnen
festgesetzten Höchstalters bestanden hat."
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zu ergänzen. Das solle lediglich der Klarstellung dienen und den bereits bestehenden
Zweck der Vorschrift verdeutlichen.
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Aus diesen Argumenten ergeben sich keine ernstlichen Zweifel daran, dass das
Verwaltungsgericht der Klage durch Verpflichtung des beklagten Landes, über das
Verbeamtungsgesuch der Klägerin unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts
erneut zu entscheiden (also eine Verbeamtung der Klägerin nicht an der
laufbahnrechtlichen Höchstaltersgrenze scheitern zu lassen), zu Recht teilweise
stattgegeben hat.
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Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass das beklagte Land der Klägerin
nicht entgegenhalten kann, sie sei laufbahnrechtlich überaltert. Zu ihren Gunsten greift
die (bereits in der LVO in der erwähnten Fassung der Änderungsverordnung vom 11.
November 1997, a. a. O., enthaltene) Bestimmung des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO ein.
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Die Klägerin ist seit Dezember 2001 schwerbehindert. Zu diesem Zeitpunkt war sie 42
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Jahre alt. Demzufolge durfte (und darf) sie nach den laufbahnrechtlichen Bestimmungen
über das Höchstalter gemäß ihrem ebenfalls im Alter von 42 Jahren gestellten und noch
nicht bestandskräftig beschiedenen Verbeamtungsgesuch vom 16. Mai 2002 als
Beamtin eingestellt werden.
Dem steht nicht entgegen, dass der Klägerin die Schwerbehinderteneigenschaft erst
nach Vollendung ihres 43. Lebensjahres (aufgrund des erwähnten Anerkenntnisses der
Versorgungsverwaltung vom 14. September 2004) rückwirkend zuerkannt wurde. Der
Senat hat zu dieser Frage in einem Urteil vom 4. Dezember 2002 - 6 A 728/00 -
ausgeführt:
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"Die Vorschrift (des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO) setzt bezüglich der Einhaltung des
Höchstalters bei der Einstellung eines schwerbehinderten Laufbahnbewerbers allein
voraus, dass das 43. Lebensjahr noch nicht vollendet worden ist. In Fällen der
vorliegenden Art ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung maßgebend. Umstände, die erst nach der
angefochtenen Verwaltungsentscheidung eintreten, können deshalb auf deren
Rechtmäßigkeit Einfluss haben. Das ist hier der Fall. Wegen der während des
erstinstanzlichen Klageverfahrens anerkannten Schwerbehinderung der Klägerin, die
auf einen Zeitpunkt vor Vollendung des 43. Lebensjahres zurückreichte, ist die auf eine
Überschreitung des Höchstalters für die Verbeamtung gestützte und im gerichtlichen
Verfahren aufrechterhaltene Verwaltungsentscheidung nachträglich rechtswidrig
geworden. Denn der Beklagte hätte seit jenem Zeitpunkt seine Weigerung, dem
Einstellungsbegehren zu entsprechen, nicht mehr auf die "Überalterung" der Klägerin
stützen dürfen."
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Daran wird nach erneuter Überprüfung festgehalten. Der Auffassung des Beklagten,
dies entspreche nicht dem Zweck des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO, folgt der Senat nicht. Zwar
ist in den Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich maßgeblich, ob der
Laufbahnbewerber zum Zeitpunkt seiner Einstellung in den öffentlichen Dienst - hier:
zum 10. August 1998 - die für eine Verbeamtung geltende laufbahnrechtliche
Höchstaltersgrenze noch nicht überschritten hat. Hier besteht jedoch nach den obigen
Ausführungen eine Ausnahme, weil für die Klägerin die Höchstaltersgrenze des § 6
Abs. 1 Satz 6 LVO von 43 Jahren gilt und sie das 43. Lebensjahr erst am 28. Juni 2002
vollendete.
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Die vom Beklagten angekündigte Ergänzung des § 6 Abs.1 Satz 6 LVO um den
Halbsatz "... sofern die Schwerbehinderung bereits vor Vollendung des im Einzelnen
festgesetzten Höchstalters bestanden hat" ist für die Entscheidung des vorliegenden
Rechtsstreits nicht von Bedeutung. Entgegen der Auffassung des Beklagten würde es
nicht lediglich eine Klarstellung des Inhalts des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO beinhalten, wenn
in Zukunft die Schwerbehinderteneigenschaft schon in die Zeit vor Vollendung des im
Einzelnen festgesetzten Höchstalters, im Falle der Klägerin also in die Zeit vor
Vollendung ihres 35. Lebensjahres, zurückreichen müsste.
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Des Weiteren hat der Beklagte nicht dargelegt, dass die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Die grundsätzliche Bedeutung
muss durch Anführung einer konkreten, sich aus dem vorliegenden Rechtsstreit
ergebenden und für die Entscheidung des angestrebten Berufungsverfahrens
erheblichen Rechtsfrage sowie durch Hinweis auf den Grund, der die Anerkennung der
grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll, dargelegt werden.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juni 2004 - 6 A 676/04 -, unter Hinweis auf
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 6. Dezember 1995 - 2 B 116.95 -, zu § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Beklagte bezeichnet als obergerichtlich
klärungsbedürftig,
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ob eine nachträglich anerkannte Schwerbehinderung zu einer Verbeamtung nach
bereits erfolgter Einstellung führen kann.
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Diese Rechtsfrage ist durch das oben teilweise zitierte Urteil des Senats vom 4.
Dezember 2002 - 6 A 728/00 -bereits geklärt. Der Hinweis des Beklagten, die
aufgeworfene Rechtsfrage habe Auswirkungen über den Einzelfall hinaus, vermag für
sich gesehen eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ohnehin nicht zu
begründen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Dem Antrag der Klägerin, die
Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts dahin zu ändern, dass der Beklagte die
gesamten erstinstanzlichen Verfahrenskosten zu tragen habe, ist nicht zu entspre-chen.
Nach der nunmehrigen Rechtsprechung des Senats,
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vgl. OVG NRW, Urteil voml 16. März 2004 - 6 A 1524/02 - ,
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wäre allerdings das teilweise Unterliegen der Klägerin im ersten Rechtszug als ein
Unterliegen nur zu einem geringeren Teil anzusehen und wäre von der durch § 155
Abs. 1 Satz 3 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch zu machen, die erstinstanz-lichen
Verfahrenskosten dem Beklagten ganz aufzuerlegen. Dem steht jedoch § 158 Abs. 1
VwGO entgegen: Da die Klägerin gegen die Entscheidung in der Hauptsache kein
Rechtsmittel eingelegt hat, ist ihre Anfechtung der Entscheidung des Verwal-
tungsgerichts über die Kosten unzulässig.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 5 Nr. 2 des
Gerichtskostengesetzes (GKG) in der seit dem 1. Juli 2004 geltenden Fassung (vgl. § 72
Nr. 1 GKG).
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts
rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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