Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 09.08.2004

OVG NRW (antragsteller, verwaltungsgericht, beschwerde, studienjahr, daten, medizin, veränderung, berechnung, zahl, rechnung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 C 1265/04
Datum:
09.08.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 C 1265/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 4 Nc 722/03
Tenor:
Die im Rubrum aufgeführten Verfahren werden zur gemeinsamen
Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen 13 C 1265/04
verbunden.
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der jeweilige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird
abgelehnt.
Die Kosten beider Rechtszüge tragen jeweils die Antragsteller/in.
Der Streitwert wird für das jeweilige Beschwerdeverfahren auf 300,-
EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässigen Beschwerden, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur
im Rahmen der Darlegungen des Beschwerdeführers entscheidet, sind begründet. Der
zur Zuweisung eines Studienplatzes im Studiengang Medizin im 3. Fachsemester (FS)
des Wintersemesters 2003/04 (WS 03/04) an die Antragsteller/in verpflichtende
Beschluss des Verwaltungsgerichts hält einer insoweit eingeschränkten Überprüfung
nicht stand. Die Antragsteller/in haben einen Anordnungsanspruch, nämlich einen
Anspruch auf Auskehrung eines verfügbaren Studienplatzes im streitbefangenen
Fachsemester nach den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten des WS 03/04
nicht glaubhaft gemacht.
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Das Verwaltungsgericht hat die Zulassungszahl für das 3. med. FS im WS 03/04 aus der
Zulassungszahl 329 für das 1. med. FS des WS 02/03 abgeleitet, in dem es auf diese
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Kohorte für jeden Fachsemesterübergang die Verbleibequote 94,47 % angesetzt hat;
die sich so ergebenden 294 Plätze seien mit 291 Rückmeldern nicht ausgeschöpft.
Dieser Rechenvorgang entspricht nicht dem System der für die Ermittlung von
Zulassungszahlen maßgeblichen Kapazitätsverordnung. Soweit das
Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass für die Ruhr-Universität Bochum (RUB) die
Zulassungszahl für höhere Fachsemester in der Vergangenheit stets auf der Grundlage
der für das vorherige Studienjahr (1. FS) festgesetzten Studienplatzzahl verringert um
einen semesterlichen Schwund, ausgedrückt durch die sog. Verbleiberquote ermittelt
worden sei, ist solches den vorliegenden Kapazitätsberechnungsunterlagen der
Wissenschaftsverwaltung nicht zu entnehmen.
Nach dem auch vom Verwaltungsgericht herangezogenen § 22 Abs. 2 KapVO gelten
die Regelungen dieser Verordnung entsprechend für die Festsetzung von
Zulassungszahlen für höhere Semester. Gemäß § 6 KapVO wird die jährliche
Aufnahmekapazität auf Grund der personellen Ausstattung nach Anlage 1 unter
Anwendung von Curricularnormwerten errechnet. Diese Berechnung wird gemäß § 5
Abs. 1 KapVO auf der Grundlage der Daten eines Stichtags ermittelt, der nicht mehr als
neun Monate vor Beginn des Berechnungszeitraums - des Studienjahrs bestehend aus
Wintersemester und Sommersemester - liegt. Das streitbefangene Fachsemester ist Teil
des Berechnungszeitraums 03/04; auch seine Ausbildungskapazität richtet sich daher
zwangsläufig gemäß § 5 Abs. 1 KapVO nach den Daten des Stichtags, hier des 1. März
2003, bzw. nach den Daten der letzten Korrekturmöglichkeit Ende September 2003 (§ 5
Abs. 3 KapVO). Die angegebene Vorschriftenkette erlaubt den vom Verwaltungsgericht
vorgenommenen Rückgriff auf die Zulassungszahl des 1. med. FS des WS 02/03 und
damit mittelbar auf die Daten jenes Stichtags aus 2002 nicht. Dementsprechend legt die
Kapazitätsverordnung der Ermittlung der Zulassungszahl für ein höheres Fachsemester
nicht die Entwicklung seiner entsprechenden Anfängerkohorte zu Grunde, sondern
betrachtet die im Studienjahr bildlich als Säulen übereinanderstehenden verschiedenen
Kohorten der Fachsemester, so dass im Studienjahr über alle Fachsemester des
Studiengangs hinweg ein abstrakter Student Nachfrage in Höhe des
Curriculareigenanteils auf der Basis einer für alle Fachsemester geltenden
Ausbildungsordnung hält. Dass in der Hochschulwirklichkeit für Eingangssemester
geänderte Ausbildungsregelungen greifen können, nimmt die Kapazitätsverordnung aus
Praktikabilitätsgründen und zur Vermeidung von eventuellen Überlasten in höheren
Semestern in Kauf. Mit der entsprechenden Anwendung der Regelungen der
Kapazitätsverordnung auf höhere Fachsemester gelten für diese auch die
Überprüfungstatbestände, so die Schwundausgleichsberechnung auf der Grundlage der
§§ 14 Abs. 4 Nr. 3, 16 KapVO. Bei dieser steht in der Regel einer
schwundentsprechenden Erhöhung der Zulassungszahl des 1. FS eine ausgleichende
Veränderung der Zulassungszahlen der höheren Fachsemester gegenüber, so dass die
Summe der schwundveränderten Zulassungszahlen aller Fachsemester eines
Studienjahrs dem Produkt aus dem Berechnungsergebnis nach dem Zweiten Abschnitt
der Kapazitätsverordnung und der Zahl der Fachsemester entspricht. Soweit das
"Hamburger Modell" die Entwicklung der Stärke der jeweiligen Kohorten über die
Fachsemester - bildlich schräg fortlaufend - betrachtet und insoweit Übergangsquoten
bildet, kann dessen Methodik schon deshalb nicht zur Ableitung der Zulassungszahl
eines höheren Fachsemesters aus einer Anfängerkohorte eines Vorjahrs unter
Anwendung von Verbleibequoten führen, weil es lediglich der nachrangigen
Überprüfung nach dem Dritten Abschnitt dient.
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Aus all dem folgt, dass ein im Vergleich zum Vorjahr verringertes Berechnungsergebnis
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des Zweiten Abschnitts der Kapazitätsverordnung auch eine Verringerung der
Zulassungszahlen der höheren Fachsemester bedingt. Ob das grundsätzlich auch für
höhere Fachsemester geltende Berechnungsergebnis des Zweiten Abschnitts in jedem
Fall zwingend einer Überprüfung in Form einer ausgleichenden Veränderung nach
unten im Hinblick auf eine schwundbedingte Zulassungszahlenerhöhung im 1. FS zu
unterziehen ist, kann hier offen bleiben.
Nach allen nach der Rechtsauffassung des Senats in Betracht kommenden
Berechnungsmöglichkeiten ist die Ausbildungskapazität im 3. FS des WS 03/04 im
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Studiengang Medizin mit 291 Rückmeldern ausgeschöpft; ein auszukehrender
verfügbarer Studienplatz ist deshalb nicht feststellbar.
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Die Wissenschaftsverwaltung hat die festgesetzte Zulassungszahl 257 für das
streitbefangene Semester der Methodik der Kapazitätsverordnung entsprechend aus
dem von ihr gefundnen Berechnungsergebnis des Zweiten Abschnitts der
Kapazitätsverordnung unter Ansatz des Schwundausgleichsfaktors (SF) 1/0,92 ermittelt.
Von ihr ausgehend wäre die Ausbildungskapazität mit 291 Rückmeldern ohne Zweifel
ausgeschöpft.
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Das Verwaltungsgericht hat in Parallelverfahren betreffend das 1. FS des WS 03/04 die
Berechnung der Wissenschaftsverwaltung überprüft und ist zu einem
Berechnungsergebnis des Zweiten Abschnitts von 272 gelangt, was der Methodik der
Kapazitätsverordnung entsprechend bei schwundbedingter Veränderung mittels SF
1/0,92 zu 296 Plätzen im 1. FS und zu 264 Plätzen im 3. FS führte. Auch dann wäre die
Ausbildungskapazität im streitbefangenen Semester mit 291 Rückmeldern erschöpft.
Das wäre selbst dann der Fall, wenn man mit Rücksicht auf die auf das streitbefangene
Semester zukommende zahlenstärkere Kohorte aus dem 1. FS des WS 02/03 das vom
Verwaltungsgericht gefundene Berechnungsergebnisses des Zweiten Abschnitts nicht
mittels des o.a. SF veränderte und die Zulassungszahl des streitbefangenen Semesters
auf 272 festsetzte.
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Wollte man allerdings eine Aufteilung des vorklinischen Curricularanteils 2,42
entsprechend der vom Antragsgegner auf Nachfrage des Senats in Parallelverfahren
betreffend das 1. FS angegebenen - im Studienjahr 2003/04 erfolgten bzw. für die
Folgesemester geplanten - Beteiligung der Lehreinheiten Vorklinische Medizin und
Klinisch-theoretische und Klinisch-praktische Medizin am Lehrangebot gemäß dem o. a.
Curricularnormwert vornehmen, führte das - entgegen der Rechnung des
Verwaltungsgerichts - zu einem Eigenanteil von nicht unter 1,91. Dieser führte bei sonst
unveränderter Rechnung erst bei einem bereinigten Lehrangebot von mindestens 287
DS zu einem 292. Platz im 3. FS. Dass die Wissenschaftsverwaltung beim bereinigten
Lehrangebot ein Mehr von 31,51 DS - gegenüber den vom Verwaltungsgericht
angesetzten 255,49 DS - übersehen hätte, ist weder von Seiten der Antragsteller/in
vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Die Antragsteller/in haben in beiden Instanzen nichts vorgetragen, was Anlass für eine
Überprüfung auf der Lehrangebotsseite oder für eine ihnen noch günstigere Berechnung
auf der Nachfrageseite geben könnte; zu der Beschwerde des Antragsgegners haben
sie keine Stellung genommen. Ausgehend von der Rechtsauffassung des Senats und
den obigen alternativen Kapazitätsberechnungen besteht kein Anlass für eine weitere
Aufklärung von Amts wegen.
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Soweit die Antragsteller/in erstinstanzlich hilfsweise ihre Studienzulassung zum 1. FS
bzw. die Teilnahme an einem Vergabeverfahren für das 1. FS begehrt haben, können
sie solches, selbst wenn dieses Begehren mit der erfolgreichen Beschwerde des
Antragsgegners wieder aufleben könnte, nicht - mehr - beanspruchen. Sie haben weder
eine eigene Beschwerde erhoben noch in der Beschwerde des Antragsgegners einen
eigenen hilfsweisen Sachantrag verfolgt. Vor allem aber sind die vom
Verwaltungsgericht gefundenen acht freien Studienplätze im 1. FS - sollte es bei dieser
Zahl verbleiben oder auf die Beschwerde des Antragsgegners zu einer niedrigeren Zahl
kommen - vergeben und stehen nicht mehr zur Verfügung, so dass eine Beteiligung der
Antragsteller/in an deren Vergabe dem Antragsgegner unmöglich wäre; Unmögliches
kann nicht beansprucht werden. Dass auf die Beschwerden einiger Bewerber/innen der
Parallelverfahren betreffend das 1. FS mehr als acht verfügbare Plätze gefunden
werden könnten, ist nicht glaubhaft. Ein 297. Platz ergäbe sich erst bei einem
gegenüber dem Ansatz des Verwaltungsgerichts um 4,76 DS höheren bereinigten
Lehrangebot. Dafür haben die Antragsteller/in weder etwas vorgetragen noch glaubhaft
gemacht und ist auch sonst nichts ersichtlich.
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Ist nach alledem das Anordnungsbegehren der Antragsteller/in in der Beschwerde nicht
glaubhaft gemacht, ist der angefochtene Beschluss zu ändern und der Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung mit der Kostenfolge für beide Instanzen aus § 154 Abs. 1
VwGO abzulehnen.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 GKG a. F. i. V. m. § 72 Nr. 1
GKG i. d. F. KostRMoG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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