Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.02.2001

OVG NRW: vollziehung, zwangsgeld, erlass, zustand, obg, beseitigungsverfügung, androhung, form, bauwerk, auflage

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 E 811/00
Datum:
21.02.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 E 811/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 9 M 12/00
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Dem Vollstreckungsschuldner wird ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,-
DM für den Fall angedroht, dass er nicht bis zum 25. April 2001 durch für
sofort vollziehbar erklärte Ordnungsverfügungen
jeweils unter Androhung eines Zwangsgeldes
a) dem Beigeladenen zu 1. H. M. aufgibt, die Balkonanlage an der
Südostseite des Hauses, S. grund 21, 32805 H. -B. M. , bis zum 15. Juni
2001 vollständig zu beseitigen
und
b) der Beigeladenen zu 2. H. M. dementsprechend aufgibt, die
Maßnahme zu a) zu dulden.
Der Vollstreckungsschuldner und die Beigeladenen - diese als
Gesamtschuldner - tragen die Kosten des Verfahrens in beiden
Rechtszügen je zur Hälfte.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.500,- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
2
Nach § 172 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag unter Fristsetzung ein
Zwangsgeld bis zweitausend Deutsche Mark androhen, wenn eine Behörde in den
Fällen des § 113 Abs. 5 VwGO der ihr im Urteil auferlegten Verpflichtung nicht
nachkommt. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
3
Der Vollstreckungsschuldner ist der ihm durch Urteil des Verwaltungsgerichts Minden
vom 23. Mai 1996 auferlegten Verpflichtung nicht nachgekommen, dem Beigeladenen
zu 1. H. M. aufzugeben, die Balkonumbauung an dessen Haus zu beseitigen. Diese
Verpflichtung bezieht sich auf die Balkonanlage insgesamt, also auf die sie
abstützenden Holzpfeiler, die Balkonbodenplatte, die Balkonbrüstung, die
Fensterelemente einschließlich der Blendrahmen sowie die Überdachung
einschließlich der sie tragenden Holzpfeiler. Dieses Verständnis des Urteilstenors folgt
aus den zu seiner Auslegung heranzuziehenden Entscheidungsgründen des Urteils
erster Instanz und des Berufungsurteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 17. April 1998 (11 A 3653/96). In den Entscheidungsgründen
des Berufungsurteils heißt es dazu (Urteilsabdruck Blatt 12): "Ziel der
Ordnungsverfügung, die der Beklagte zu erlassen hat, hat es zu sein, auf dem
Grundstück des Beigeladenen baurechtswidrige Zustände zu beseitigen.
Baurechtswidrig ist, wie dargelegt, der Vorbau insgesamt, nicht aber nur ein einzelner
konkreter Bauteil." Ungeachtet der Verpflichtung des Vollstreckungsschuldners, den
vollständigen Abriss des Anbaus anzuordnen, ist es dem Beigeladenen - wie der Senat
bereits in seinem zitierten Urteil vom 17. April 1998 ausgeführt hat (Urteilsabdruck Blatt
16) - allerdings unbenommen, als Austauschmittel (§ 21 Satz 2 OBG NRW) den
Rückbau auf ein insgesamt rechtlich zulässiges und deshalb genehmigungsfähiges
Maß anzubieten. Dies setzt einen Antrag des Betroffenen voraus, der nur bis zum Ablauf
einer dem Betroffenen für die Ausführung der Verfügung gesetzten Frist, anderenfalls
bis zum Ablauf der Klagefrist, gestellt werden kann. Des Weiteren obliegt es dem
Bauherrn, die für die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit erforderlichen bautechnischen
Unterlagen vorzulegen,
4
BVerwG, Beschluss vom 30. August 1996 - 4 B 117.96 -, BRS 58, Nr. 90; OVG NRW,
Beschluss vom 18. März 1997 - 10 A 853/93 -, BRS 59, Nr. 209.
5
Einen solchen Antrag hat der Beigeladene zu 1. nach Aktenlage bislang nicht gestellt.
6
Davon ausgehend, ist der Vollstreckungsschuldner der ihm durch die Urteile des
Verwaltungsgerichts Minden vom 23. Mai 1996 und des beschließenden Gerichts vom
17. April 1998 auferlegten Verpflichtung, dem Beigeladenen zu 1. den vollständigen
Abbruch des Anbaus aufzugeben, bis heute nicht nachgekommen. Vielmehr hat er dem
Beigeladenen zu 1. durch Ordnungsverfügung vom 23. September 1999 lediglich
aufgegeben, die vollständige Balkonumbauung oberhalb der Balkonbrüstung (z.B.
durch die Herausnahme der eingesetzten Fensterelemente) und den ca. 0,25 m breiten
Dachüberstand des Daches der Balkonumbauung zu beseitigen bzw. beseitigen zu
lassen. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass der Beigeladene zu
1. auch dieser Verfügung, die hinter der nach den Urteilen des Verwaltungsgerichts
Minden vom 23. Mai 1996 und des beschließenden Gerichts vom 17. April 1998
gebotenen zurückbleibt, bislang nicht in vollem Umfang Rechnung getragen hat, obwohl
der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ordnungsverfügung
in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben ist,
7
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juni 2000 - 10 B 699/00 -.
8
Die verfügte Herausnahme der Fensterelemente bezieht sich nicht nur auf die
Fensterflügel, sondern schließt die Blendrahmen ein. Der Beigeladene zu 1. hat aber
die Blendrahmen nach den Feststellungen des Vollstreckungsschuldners anlässlich der
Baukontrolle vom 31. August 2000 nicht herausgenommen. Dies wird durch die vom
Vollstreckungsgläubiger überreichten Lichtbilder vom 10. September 2000 bestätigt.
9
Die dem Vollstreckungsschuldner durch die Urteile des Verwaltungsgerichts Minden
und des beschließenden Gerichts vom 17. April 1998 auferlegte Verpflichtung ist durch
die vom Beigeladenen zu 1. aufgrund der Ordnungsverfügung des
Vollstreckungsschuldners vom 23. September 1999 bislang ergriffenen Maßnahmen
nicht etwa gegenstandslos geworden. Der Geltungsumfang einer titulierten
Verpflichtung ist durch Auslegung des Urteilstenors zu ermitteln. Bezieht sich die
Verpflichtung auf den Abriss eines nachbarrechtswidrigen Gebäudes oder
Gebäudeteils, so erledigt sie sich noch nicht durch dessen Teilrückbau bzw. Teilabriss.
Sie besteht vielmehr bis zur vollständigen Beseitigung des Gebäudes bzw.
Gebäudeteils fort und kann auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers dahingehend
durchgesetzt werden. Das teilrückgebaute bzw. teilabgerissene Gebäude ist gegenüber
dem ursprünglich vorhandenen kein Aliud sondern lediglich ein wesensgleiches Minus.
Dies gilt unabhängig davon, ob das Bauvorhaben nach dem Teilrückbau bzw. Teilabriss
Nachbarrechte noch verletzt. Ist ein Nachbarrechtsverstoß nach dem Teilrückbau bzw.
Teilabriss nicht mehr gegeben, so steht es dem Bauherrn allerdings frei, diese
Maßnahmen als Austauschmittel nach § 21 Satz 2 OBG NRW anzubieten.
10
Davon ausgehend hat sich die dem Vollstreckungsschuldner durch die Urteile des
Verwaltungsgerichts Minden vom 23. Mai 1996 und des beschließenden Gerichts vom
17. April 1998 auferlegte Verpflichtung nicht erledigt. Der Beigeladene zu 1. hat den
Anbau in - allerdings unvollständiger - Befolgung der Ordnungsverfügung des
Vollstreckungsschuldners vom 23. September 1999 lediglich teilweise zurückgebaut
bzw. abgerissen und nicht - wie eigentlich geboten - vollständig entfernt. Der
Beigeladene zu 1. hat nämlich nur den Überstand des Daches der Balkonumbauung
beseitigt und die Fensterflügel herausgenommen. Der vorhandene Zustand bleibt damit
hinter dem Zustand zurück, der aufgrund der Urteile herzustellen ist. Entgegen der
Ansicht des Verwaltungsgerichts kommt es nach den oben formulierten Grundsätzen
nicht darauf an, ob das Vorhaben in seiner jetzigen Form materiell rechtmäßig ist. Die
vom Verwaltungsgericht für dessen Auffassung zitierten Entscheidungen des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
11
OVG NRW, Beschlüsse vom 8. September 1992 - 11 B 3495/92 -, NWVBl 1993, 97 ff,
und vom 13. Februar 1997 - 10 E 45/97 -, BRS 59, Nr. 227 = DÖV 1997, 749,
12
betreffen andere Sachverhalte. Ihnen lagen Konstellationen zugrunde, in denen das von
der titulierten Verpflichtung betroffene Bauvorhaben nachträglich geändert und nicht
etwa teilweise rückgebaut oder abgerissen worden ist. In diesen Fällen stellt sich die
Frage nach der Identität der baulichen Anlage mit dem zuvor vorhandenen Bauwerk in
anderer Weise.
13
War der Vollstreckungsschuldner der ihm obliegenden Verpflichtung nicht
nachgekommen, so hatte das Gericht das Zwangsgeld unter Fristsetzung anzudrohen,
14
vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage 2000 (keine Ermessensentscheidung des
15
Gerichts).
Die dem Vollstreckungsschuldner obliegende Verpflichtung war - wie aus der
Beschlussformel ersichtlich - zu konkretisieren.
16
Der titulierten Verpflichtung, dem Beigeladenen aufzugeben, die Balkonumbauung an
seinem Hause zu beseitigen, kommt der Vollstreckungsschuldner nicht schon dadurch
nach, dass er eine bauaufsichtliche Verfügung erlässt, auf die hin dann nichts oder
jedenfalls nicht alles Notwendige geschieht, sondern, falls erforderlich, erst dadurch,
dass er diese Verfügung notfalls im Wege des Verwaltungszwangs durchsetzt.
17
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 1992 - 10 E 1357/91 -, NVwZ-RR 1992,
518 f.
18
Dies schließt gegebenenfalls die Anordnung der sofortigen Vollziehung der
Ordnungsverfügung sowie den Erlass etwa erforderlicher Duldungsverfügungen ein.
Das zugrunde gelegt, ist dem Vollstreckungsschuldner ein Zwangsgeld in Höhe von DM
2.000,- für den Fall der Nichtbefolgung der aus der Beschlussformel ersichtlichen
Verpflichtungen anzudrohen. Die Verpflichtung hat sich auch auf die Anordnung der
sofortigen Vollziehung der gegen den Beigeladenen zu 1. gerichteten
Ordnungsverfügung und die Androhung eines Zwangsgeldes sowie den Erlass einer
dementsprechenden Duldungsverfügung gegenüber der Beigeladenen zu 2. H. M. zu
erstrecken. Das Verhalten des Beigeladenen zu 1. lässt den Schluss zu, dass er ohne
Vollstreckungsdruck nicht bereit sein wird, der gegen ihn zu richtenden
Bauordnungsverfügung nachzukommen. Denn er hat die Ordnungsverfügung des
Vollstreckungsschuldners vom 23. September 1999 erst nach der unter dem 24. Februar
2000 erfolgten Anordnung der sofortigen Vollziehung anlässlich des
Vollstreckungsverfahrens 9 M 21/99 (VG Minden) - und auch dann nur teilweise - erfüllt.
Ebenso ist davon auszugehen, dass die Beigeladene zu 2. als Miteigentümerin des von
der Beseitigungsverfügung berührten Bauvorhabens ohne eine dementsprechende an
sie gerichtete Ordnungsverfügung nicht bereit sein wird, die Durchsetzung der
Beseitigungsverfügung gegenüber dem Beigeladenen zu 1. zu dulden. Dies folgt
daraus, dass die Beigeladene zu 2. gegen die an sie gerichtete Duldungsverfügung vom
3. Dezember 1998 Widerspruch eingelegt hat und der Vollstreckungsschuldner deshalb
schon Veranlassung hatte, unter dem 23. August 1999 die sofortige Vollziehung der
Duldungsverfügung vom 3. Dezember 1998 gegenüber der Beigeladenen zu 2.
anzuordnen.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung
des Streitwerts folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Streitwert für das
Vollstreckungsverfahren nach § 172 VwGO entspricht dem des vorangegangenen
Erkenntnisverfahrens,
20
OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 1997 - 10 E 45/97 -, BRS 59, Nr. 227 = DÖV
1997, 749 (insoweit dort nicht abgedruckt); VGH Mannheim, Beschluss vom 12. Juli
2000 - 13 S 352/00 -, NVwZ-RR 2001, 72.
21
Denn das nach § 13 Abs. 1 S. 1 GKG für die Streitwertbemessung maßgebliche
Interesse des Vollstreckungsgläubigers an der Durchsetzung des Anspruchs ist nicht
minder groß als das Interesse an seiner Feststellung im Erkenntnisverfahren.
Unerheblich für die Streitwertfestsetzung in Verfahren nach § 172 VwGO ist
22
demgegenüber die Höhe des anzudrohenden Zwangsgeldes. Dieses ist Zwangsmittel,
nicht aber das eigentliche Ziel des Vollstreckungsverfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
23