Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.03.2004

OVG NRW: unternehmen, vorläufiger rechtsschutz, begriff, krankenwagen, kennzeichnung, alter, eintrag, personenbeförderung, genehmigung, rechtsverletzung

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 2691/03
Datum:
17.03.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 2691/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 L 1572/03
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der
von der Antragstellerin dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg. Das
Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, dem Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem
Verfahren 7 K 3793/02 (VG Gelsenkirchen) zu untersagen, Mietwagengenehmigungen
nach dem Personenbeförderungsgesetz für Kraftfahrzeuge zu erteilen, die im
Fahrzeugschein als Sonderkraftfahrzeuge Krankenkraftwagen zugelassen sind, zu
Recht abgelehnt.
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Anders als das Verwaltungsgericht hält der Senat eine Antragsbefugnis der
Antragstellerin für das geltend gemachte Begehren auf der Grundlage der sog.
"Möglichkeitstheorie" für gegeben. So wie den mit dem Rettungsdienst betrauten
Sanitätsorganisationen ein besonderer Schutz gegenüber anderen Unternehmen, die
ebenfalls am Rettungsdienst teilnehmen wollen, zukommt,
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vgl. EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 - C- 475/99 -, DVBl. 2001, 182,
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begründen die der Antragstellerin erteilten Genehmigungen nach § 18 Rettungsgesetz
NRW eine dem Art. 12 Abs. 1 GG unterfallende Schutzposition,
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vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 1999 - 3 C 20.98 -, DVBl. 2000,124, und vom 26.
Oktober 1995 - 3 C 10.94 -, Buchholz 418.15 Nr. 5,
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mit einem daraus ableitbaren Anspruch darauf, dass der Antragsgegner keine
Genehmigungen an andere Unternehmen erteilt, die unzulässigerweise den nach dem
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Rettungsgesetz genehmigten Bereich der Antragstellerin tangieren. Das Begehren der
Antragstellerin ähnelt, weil die Erteilung von Genehmigungen zum (liegenden)
Krankentransport an andere Unternehmen ihre berufliche Betätigungsmöglichkeit in
diesem Bereich berührt, der Situation bei einem Konkurrentenstreit. Im Hinblick auf das
Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), das sich nicht nur
auf die Einräumung der Möglichkeit beschränkt, die Gerichte gegen Akte der
öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern darüber hinaus dem Bürger einen Anspruch auf
eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle gibt, erfordert die Verwirklichung der
Berufsfreiheit eine dem Grundrechtsschutz angemessene Verfahrensgestaltung und
müssen die Gerichte den betroffenen Grundrechten auch tatsächlich Wirksamkeit
verschaffen.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Juni 1990 - 13 B 1283/90 -, GewArchiv 1991, 23
und vom 6. Dezember 1993 - 13 E 503/93 - zu ähnlichen Konstellationen bei der
Vergabe von Taxikonzessionen; BVerfG, Beschlüsse vom 14. Januar 2004 - 1 BvR
506/03 - zur Antragsbefugnis eines nicht in den Krankenhausplan aufgenommenen
Krankenhauses, vom 12. Juni 1990 - 1 BvR 355/86 -, BVerfGE 82, 209, 227,
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Dies wäre nicht gewährleistet, wenn in Fällen der vorliegenden Art die Möglichkeit der
Rechtsverletzung und dementsprechend die Antragsbefugnis verneint würde. Zwar ist
mit der Bejahung der Antragsbefugnis die tragende Begründung des
Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss hinfällig. Dies führt jedoch nicht dazu,
dass der Beschwerde stattzugeben ist.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. März 2002 - 7 B 315/02 -, NVwZ 2002, 1390;
BayVGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 - 1 CS 03/60 -, NVwZ 2004, 251.
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Auch wenn an die Voraussetzungen zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen, fehlt es im Rahmen des
glaubhaft zu machenden Anordnungsgrundes an dem besonderen bzw. qualifizierten
Rechtsschutzinteresse für das Begehren der Antragstellerin. Grundsätzlich ist nach der
Systematik der VwGO gegen (belastende) Verwaltungsakte allein nachträglicher
Rechtsschutz und im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes, wie sich dem § 123 Abs.
5 VwGO entnehmen lässt, ein Vorrang desselben nach §§ 80, 80a VwGO gegenüber
dem nach § 123 VwGO vorgesehen. Vorläufiger vorbeugender Rechtsschutz kommt
demgemäss nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es dem Rechtsschutzsuchenden
nicht zumutbar ist, den Erlass des Verwaltungsakts bzw. die Rechtsverletzung
abzuwarten und sodann die nach der Verwaltungsgerichtsordnung gegebenen
Rechtsbehelfe und Rechtsmittel (Widerspruch, Anfechtungsklage und Anträge nach §
80, 80a VwGO) auszuschöpfen. Einstweiliger Rechtsschutz ist hingegen dann zu
gewähren, wenn schon die kurzfristige Hinnahme der befürchteten Handlungsweise
geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten in besonders schwerwiegender Weise
zu beeinträchtigen. Dies ist anzunehmen, um der Schaffung vollendeter, später nicht
mehr rückgängig zu machender Tatsachen zuvorzukommen, und wenn anders dem
Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen
Grundrechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt
werden kann.
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Vgl. BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 15.08.2002 - 1 BvR
1790/00 -, DVBl. 2003, 257; BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987 - 3 C 53.85 -, BVerwGE,
77, 207, 212; OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, NVwZ 2001,
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1315; BayVGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 1998 - 7 ZE 98.3115 -, NVwZ-RR 1999,
641, und vom 28. April 1992 - 21 CE 92.949 -, NVwZ-RR 1993, 54; VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 24. Mai 1994 - 10 S 451/94 -, DVBl. 1994, 1250.
Eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne, die den Erlass der begehrten einstweiligen
Anordnung rechtfertigen würde, ist bei der Antragstellerin nicht zu bejahen. Die
Antragstellerin hat zwar, wie ihrer Klageschrift vom 12. August 2002 im Verfahren 7 K
3793/02 VG Gelsenkirchen zu entnehmen ist, gegen anderen Unternehmen erteilte
Genehmigungen nach § 49 PBefG Widerspruch eingelegt, hält aber einen Anspruch auf
Beseitigung der erteilten Genehmigungen nicht für gegeben. Schon diese Einstellung
lässt erkennen, dass die Antragstellerin jedenfalls eine mit der für rechtswidrig
gehaltenen Genehmigungspraxis des Antragsgegners verbundene Existenzgefährdung
nicht befürchtet, so dass insoweit vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz zur Abwehr
unzumutbarer Nachteile nicht geboten ist. Dies gilt auch im Hinblick auf den
behaupteten Umsatzrückgang, der auf den Einsatz der fraglichen Fahrzeuge durch
andere Unternehmen zurückzuführen sei. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass
aufgrund deren Eintragung als "Krankenkraftwagen" im Fahrzeugschein mit den
"abgerüsteten" Krankenwagen anderer Unternehmen tatsächlich auch Fahrten
durchgeführt werden, die eigentlich den im Rettungsdienst eingesetzten Fahrzeugen
vorbehalten sind, jedoch erfolgen diese Fahrten unzulässigerweise und in Abweichung
von den den Unternehmen erteilten Genehmigungen nach § 49 PBefG mit der darin
enthaltenen - zutreffenden - Nebenbestimmung, dass die Genehmigung zum
Liegendtransport von Personen, die keiner sachgemäßen Betreuung bedürfen,
berechtigt. Ein insoweit rechtswidriges Verhalten der Inhaber der Genehmigungen nach
§ 49 PBefG rechtfertigt aber nicht vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz gegen die
Behörde, gerichtet darauf, die Erteilung derartiger Genehmigungen zu unterlassen.
Dass die Antragstellerin wahrscheinlich von den Genehmigungen nach § 49 PBefG an
andere Unternehmen nichts erfährt , erfordert - weil dies der übliche Fall bei der
Erteilung von Genehmigungen/Erlaubnissen mit einer möglichen anschließenden
Drittanfechtung ist - ebenfalls nicht die Gewährung vorbeugenden vorläufigen
Rechtsschutzes.
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Nach dem Vorstehenden bedarf es nicht mehr der Entscheidung, ob für das Begehren
der Antragstellerin auch ein Anordnungsanspruch zu bejahen wäre. In der Sache hält
der Senat aber folgende Überlegung für erwägenswert:
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Für die in Frage stehenden Genehmigungen gilt das Personenbeförderungsgesetz (§ 1
Abs. 2 Nr. 2 PBefG). Als "Krankenkraftwagen" werden dabei begrifflich Fahrzeuge
angesehen, die für Krankentransport oder Notfallrettung besonders eingerichtet und
nach dem Fahrzeugschein als Krankenkraftwagen anerkannt sind (vgl. § 4 Abs. 6
PBefG, § 3 Abs. 1 RettG NRW). Das Anknüpfungskriterium der Anerkennung als
Krankenkraftwagen im Fahrzeugschein erfordert eine Heranziehung
zulassungsrechtlicher Bestimmungen bzw. legt eine solche nahe. Die Erfordernisse für
Eintragungen im Fahrzeugschein ergeben sich aus den §§ 23 ff. StVZO bzw. der
Fahrzeugregisterverordnung - FRV - in Zusammenhang mit der zu § 25 StVZO
ergangenen "Richtlinie zum Fahrzeugbrief" mit dem darin enthaltenen systematischen
Verzeichnis der Fahrzeug- und Aufbauarten.
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Die - im Verfahren genannte - EG-Richtlinie 70/156/EWG vom 6. Februar 1970, die nach
ihrem Art. 1 im Übrigen nicht für die Genehmigung von Einzelfahrzeugen gilt, enthält mit
dem Begriff "Krankenwagen" (Anhang II A Nr. 5.3, C Nr. 5 der Richtlinie) einen Begriff,
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der nicht wortgleich ist mit dem Begriff "Krankenkraftwagen" im Sinne des
Personenbeförderungs- und des Rettungsrechts, deutet aber mit der besonderen
Zweckbestimmung des "Krankenwagens" als für die Personenbeförderung ausgelegte
und gebaute Kraftfahrzeuge mit mindestens vier Rädern, die zur Beförderung Kranker
oder Verletzter ausgerüstet sind, auf eine spezielle Personenbeförderung (im Gegensatz
zu einer Güterbeförderung oder einer Anhänger- Kennzeichnung nach Anhang II A Nrn.
2, 3 der Richtlinie) hin. In den Kommentierungen zum Personenbeförderungsgesetz
bzw. zum Rettungsgesetz (vgl. Bidinger, Personenbeförderungsrecht, Lieferung 1/03, B,
§ 4, Anm. 9; Fielitz/Grätz, Personenbeförderungsgesetz, Stand: Dezember 2003, § 4
Rdnr. 8; Prütting, Rettungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl., § 3 Rdnr. 1) wird
ausgeführt, dass der Eintrag im Fahrzeugschein als Krankenkraftwagen eine
Ausrüstung nach der (früheren) DIN 75080 bzw. nach der jetzigen Europäischen Norm
EN 1789: 1999 erfordert und in der Praxis für Notarztwagen, Rettungswagen und
Krankentransportwagen, also für im Rahmen des Rettungsdienstes eingesetzte
Fahrzeuge verwendet wird, und dass ein Kraftfahrzeug den Eintrag im Fahrzeugschein
als Krankenkraftwagen nur dann erhält, wenn es als Rettungstransportwagen (RTW)
oder als Krankentransportwagen (KTW) anzusehen ist. Die EN 1789 unterscheidet die
Fahrzeugtypen A 1, A 2, B und C, wobei die Typ A 1- und A 2-Fahrzeuge nicht schon
von vornherein für den Einsatz im öffentlichen Rettungsdienst geeignet sind. Die in
Frage stehenden "abgerüsteten" Krankenkraftwagen kommen danach für den Einsatz
im öffentlichen Rettungsdienst nicht in Betracht.
Vor dem Hintergrund, dass der Begriff des "Krankenkraftwagens" in der Praxis für die
Fahrzeuge verwendet wird, die als Notarztwagen, Rettungswagen oder
Krankentransportwagen im Bereich des Rettungsdienstes zum Einsatz kommen, ist
dementsprechend die Angabe "Krankenkraftwagen" im Fahrzeugschein für
"abgerüstete" Krankenkraftwagen alter Art zumindest missverständlich. Es spricht
vielmehr Vieles dafür, die Angabe "Krankenkraftwagen" im Fahrzeugschein auf die
Fahrzeuge zu beschränken, die für den Einsatz im öffentlichen Rettungsdienst geeignet
und vorgesehen sind, und für die abgerüsteten Krankenkraftwagen alter Art die
Kennzeichnung "Pkw, geschlossen" mit der entsprechenden Zahl von "Sitz- bzw.
Liegeplätzen" vorzunehmen. Dass dem ministerielle Erlasse - die für das Gericht
ohnehin nicht verbindlich wären - entscheidend entgegenstehen, ist nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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