Urteil des OVG Niedersachsen vom 18.03.2014

OVG Lüneburg: recht auf akteneinsicht, akteneinsichtsrecht, vertretung, ngo, überwachung, auskunftsrecht, unterrichtung, verwaltung, kontrolle, entstehungsgeschichte

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Kommunalrecht (Akteneinsichtsrecht)
Das kommunale Akteneinsichtsrecht gemäß § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG
bedarf der Darlegung eines Überwachungszweckes.
OVG Lüneburg 10. Senat, Urteil vom 18.03.2014, 10 LB 91/13
§ 56 S 2 KomVerfG ND, § 58 Abs 4 S 3 KomVerfG ND
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts
Braunschweig - 1. Kammer - vom 25. April 2013 geändert. Die Klage wird
abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckungsschuldnerin kann die vorläufige Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger
zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen des Kommunalverfassungsstreits darum,
ob das Akteneinsichtsrecht nach § 58 Abs. 4 Satz 3 des Niedersächsischen
Kommunalverfassungsgesetzes (im Folgenden: NKomVG) die Darlegung
eines Überwachungszweckes erfordert.
Die Klägerin beantragte beim Beklagten mit Schreiben vom 26. Oktober 2012,
ihr durch ihren Vorsitzenden Akteneinsicht in insgesamt vier bestimmt
bezeichnete Verträge der Stadt mit der Richard-Borek-Stiftung samt aller
Zusätze, Änderungen und Ergänzungen zu gewähren. Zur Begründung führte
sie aus, es gelte zu überwachen und zu kontrollieren, ob diese Verträge
innerhalb des Kompetenzbereichs derer lagen, die sie abgeschlossen hätten
und ob sie weiter inhaltlich zum Nutzen und Vorteil der Bürgerinnen und Bürger
der Stadt aufgesetzt worden seien.
Mit zwei Schreiben vom 4. Dezember 2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab,
weil es an der Darlegung eines konkreten Kontrollinteresses fehle. Das Recht
auf Akteneinsicht diene als Kontrollrecht des Rates ausschließlich dem Zweck
der Überwachung der Durchführung von Beschlüssen und des sonstigen
Ablaufs der Verwaltungsangelegenheiten. Diese Zweckgebundenheit folge
aus der Systematik des § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG. Die Klägerin müsse
zudem schlüssig begründen, welche Anhaltspunkte es für die
Kontrollnotwendigkeit gebe. Der Kontrollzweck könne von der Verwaltung nur
dann überprüft werden, wenn nicht allein der Gesetzestext formelhaft
wiederholt oder nur pauschal oder pro forma ein Kontrollzweck benannt werde,
für den es keinen hinreichend konkreten Anlass bzw. kein konkretes
Kontrollinteresse gebe.
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Mit Schreiben vom 12. Dezember 2012 wandte sich die Klägerin gegen die
Rechtsauffassung des Beklagten und wiederholte ihr Akteneinsichtsbegehren,
zu dessen Begründung sie auf die Kontrollpflicht des Rates sowie darauf
hinwies, dass Transparenz und Kontrolle der Verwaltung geeignet seien,
vorbeugend „Schlamperei, Korruption und Begünstigung einer Verwaltung“
entgegenzuwirken.
Unter dem 20. Dezember 2012 lehnte der Beklagte die Akteneinsicht erneut im
Wesentlichen mit der Begründung ab, das Begehren sei ausschließlich darauf
angelegt, allgemeine Informationen im Rahmen der kommunalpolitischen
Arbeit zu beschaffen, die nach dem Gesetz allein dem Auskunftsrecht
einzelner Abgeordneter nach § 56 Satz 2 NKomVG vorbehalten sei. Ein
überprüfbarer Kontrollzweck sei nicht plausibel dargelegt worden. Diese
rechtliche Bewertung sei in einer vergleichbaren Angelegenheit vom
Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport mit Schreiben vom 28.
September 2012 bestätigt worden.
Die Klägerin hat am 7. Januar 2013 Klage erhoben. Sie hat zunächst
sinngemäß beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr Akteneinsicht in die
von ihr benannten vier Verträge zu gewähren. Zur Begründung hat sie ihr
bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend ausgeführt, dass die
Akteneinsichtnahme gerade den Zweck verfolge, nähere Informationen zu den
Verträgen zu erhalten. Solange ihr der Inhalt der Verträge aber vorenthalten
werde, könne sie detailliertere Angaben zum Überwachungszweck nicht
machen. Im Klageverfahren hat die Klägerin mit Schreiben vom 14. März 2013
weitere „konkrete Gründe aus öffentlich zugänglichen Medienberichten“
geltend gemacht. Danach gelte es zu kontrollieren, dass zwischen dem
namentlich bezeichneten Münzhändler und dem Beklagten, die
„Männerfreunde aus Politik und Wirtschaft“ seien, keine Geschäftspraktiken
bestünden, welche die „Grenzen der Legalität tangieren“. Des Weiteren sei zu
überwachen, ob „grenzwertige Geschäftspraktiken aus dem Münzhandel“ auf
die vom Beklagten abgeschlossenen Verträge mit dem Münzhändler
übertragen würden. Daraufhin hat der Beklagte ihr Akteneinsicht in die
Vorgänge gewährt.
Die Klägerin hat ihren Klagantrag umgestellt und beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte bereits aufgrund ihres Antrags vom 26.
Oktober 2012 verpflichtet war, ihr Einsicht in die Akten mit den vier
genannten Verträgen zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat seine Rechtsauffassung vertieft und ergänzend vorgetragen, dass er an
den Erlass des Innenministeriums gebunden und der von der Klägerin
ursprünglich angeführte Überwachungszweck „aus der Luft gegriffen“ sei.
Auch sei das Akteneinsichtsrecht im Zusammenhang mit dem Auskunftsrecht
des einzelnen Ratsmitglieds zu betrachten. Ein einzelnes Ratsmitglied hätte
vom Oberbürgermeister zunächst Auskunft verlangen und im Anschluss daran
mit Hilfe eines sich eventuell daraus ergebenden konkreten Kontrollanlasses
Akteneinsicht verlangen können.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit der angegriffenen Entscheidung
stattgegeben. Es hat zur Zulässigkeit ausgeführt, dass die Klage nach
Klageänderung als Feststellungsklage zulässig sei. Sie betreffe ein
feststellungsfähiges Rechtsverhältnis nach § 43 VwGO, weil anhand eines
konkreten Sachverhaltes zwischen den beteiligten Organen der Stadt
Braunschweig streitig sei, ob die Einsichtnahme in die Akten schon aufgrund
der ursprünglichen Antragstellung hätte gewährt werden müssen. Die Klägerin
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besitze ferner das erforderliche Feststellungsinteresse, obgleich der Beklagte
die mit der zunächst erhobenen Leistungsklage erstrebte Akteneinsicht
zwischenzeitlich gewährt habe und das Rechtsverhältnis insoweit einen
vergangenen Streit betreffe. Denn der Konflikt habe noch Wirkungen für die
Zukunft. Der Beklagte habe angekündigt, er werde auch zukünftig Anträge auf
Akteneinsicht ablehnen, wenn keine aus seiner Sicht hinreichende Darlegung
des Kontrollanlasses für ein Akteneinsichtsgesuch erfolge. Bei einer
Wiederholungsgefahr sei regelmäßig ein Feststellungsinteresse gegeben. Vor
diesem Hintergrund scheitere die Zulässigkeit auch nicht an der Subsidiarität
der Feststellungsklage. Der Klägerin dürfe aus Gründen der Effektivität ihrer
Funktionsrechte nicht zugemutet werden, den nächsten Konflikt abzuwarten,
um (erst) dann (erneut) eine gerichtliche Klärung anstreben zu können. In der
Sache hat das Verwaltungsgericht zur Begründung ausgeführt, dass das
kommunale Akteneinsichtsrecht nicht von einem „Kontrollzweck“ abhängig sei.
Es könne vielmehr auch zu („reinen“) Informationszwecken ausgeübt werden.
Dies folge insbesondere aus der Entstehungsgeschichte des kommunalen
Akteneinsichtsrechts.
Der Senat hat auf Antrag des Beklagten mit Beschluss vom 11. November
2013 -10 LA 28/13 - die Berufung zugelassen, weil der Rechtssache aufgrund
der Frage, „ob § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG eine voraussetzungslose
Akteneinsicht der Vertretung bzw. von Minderheiten eröffnet oder ob der
niedersächsische Gesetzgeber seit 1982 jeweils an einer Darlegung der
gesetzlich vorgegebenen Überwachungszwecke festgehalten hat“,
grundsätzliche Bedeutung zukomme.
Zur Begründung der Berufung trägt der Beklagte vor, die Zweckgebundenheit
des Akteneinsichtsrechts folge aus der Systematik der drei Sätze des § 58
Abs. 4 NKomVG. Satz 1 regele allgemein die Überwachungsaufgabe des
Rates. Die Sätze 2 (Auskunftsrecht) und 3 (Akteneinsichtsrecht) legten fest, mit
welchen Mitteln der Rat diese Überwachungsaufgabe wahrnehmen könne.
Demzufolge seien die Rechte des § 58 Abs. 4 NKomVG nicht schrankenlos,
sondern würden durch diese Zweckdienlichkeit beschränkt. Die Darlegung des
Überwachungszweckes habe die Verwaltung daher zu prüfen. Eine Umkehr
des Verhältnisses von Kontrollierten zu Kontrollierenden im Sinne einer
Kontrolle des Rates durch die Verwaltung könne darin nicht erblickt werden.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verstoße dieses
Verständnis nicht gegen das Demokratie- und Rechtstaatsprinzip, weil die
Bundes- und Landesparlamente mit der kommunalen Vertretung nicht
vergleichbar seien. Anders als staatliche Parlamente übten
Gemeindevertretungen und Kreistage weder Gesetzgebungstätigkeit aus,
noch seien sie an der Regierungsbildung beteiligt. Der kommunalen Vertretung
komme daher nicht die gleiche Rechtsstellung wie den Abgeordneten der
Länder und des Bundes zu.
Auch lasse sich der Gesetzeshistorie nicht entnehmen, dass das
Akteneinsichtsrecht gemäß § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG unabhängig von
einem Überwachungszweck gewährt werde. Der Gesetzentwurf zur
Kommunalreform von 1982 habe ausdrücklich Bezug genommen auf den
Bericht der Niedersächsischen Sachverständigenkommission zur
Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts vom April 1978. Danach
habe der Gesetzgeber den § 40 Abs. 3 NGO lediglich im Hinblick auf den
Minderheitenrechtsschutz neu regeln wollen. Ursprünglich sei das
Akteneinsichtsrecht des Rates ausdrücklich zusammen mit dem
Auskunftsrecht des Rates zum Zwecke der Kontrolle in dem Satz 2 geregelt
worden. Die Formulierung des Akteneinsichtsrechts ausschließlich in dem
Satz 3 sei auf den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst zurückzuführen, der
vorgeschlagen habe, den Inhalt des Abs. 3 kürzer und präziser zu formulieren.
Ein Wegfall des Erfordernisses eines Überwachungszweckes sei damit nicht
bezweckt gewesen. Ebenso wenig habe der Gesetzgeber mit der Änderung
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der Niedersächsischen Gemeindeordnung im Jahr 1996 auf dieses Erfordernis
verzichten wollen. Der Gesetzgeber habe lediglich das Auskunftsrecht des
einzelnen Ratsmitglieds zum Zwecke der eigenen Unterrichtung in Satz 3 des
§ 40 Abs. 3 NGO einfügen wollen. Auch in den nachfolgenden
Gesetzesänderungen bis hin zur heute gültigen Normierung habe sich an der
Gesetzessystematik zum Akteneinsichtsrecht nichts geändert. Sogar der
Wortlaut des § 40 Abs. 3 Satz 3 NGO und des § 58 Abs. 4 Satz 4 NKomVG
seien identisch geblieben.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Braunschweig
vom 25. April 2013 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag. Sie ist der Auffassung, den Antrag auf
Akteneinsicht mit ihrem Vorbringen vom 26. Oktober 2012 und 12. Dezember
2012 hinreichend dargelegt zu haben. Ungeachtet dessen sei die Angabe
eines Überwachungszweckes nicht erforderlich. Da die Ratsfraktion keine
Ermittlungsbehörde sei, dürfe die Äußerung von „konkreter
Verdachtsmomenten “ nicht zur Voraussetzung für das Akteneinsichtsrecht
gemacht werden. “Eine Kontrolle der Kontrolleure“ könne nicht die Regel sein.
Es lasse sich eine derartige Darlegungspflicht konkreter Überwach-
ungszwecke ferner nicht der Entstehungsgeschichte des Akteneinsichtsrechts
seit 1808 entnehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des
Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten A und B verwiesen,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat Erfolg. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat,
ist die Klage nach Klageänderung als Feststellungklage gemäß § 43 VwGO
zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
Das Akteneinsichtsrecht gemäß § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG dient dem Zweck
der Überwachung (dazu unter I.). Dieser Zweck ist hinreichend konkret
darzulegen (dazu unter II.).
I. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts muss das
Akteneinsichtsrecht gemäß § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG dem Zweck der
Überwachung dienen. Das ergibt sich aus dessen Systematik zu den Sätzen 1
und 2 dieses Absatzes, die in ihrem Wortlaut wie folgt lauten:
(1) Die Vertretung überwacht die Durchführung ihrer Beschlüsse sowie
den sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. (2) Sie kann
zu diesem Zweck vom Hauptausschuss und von der
Hauptverwaltungsbeamtin oder dem Hauptverwaltungsbeamten die
erforderlichen Auskünfte verlangen. (3) Wenn ein Viertel der Mitglieder
der Vertretung oder eine Fraktion oder Gruppe dies verlangt, ist
einzelnen Abgeordneten Einsicht in die Akten zu gewähren.
Nach Überzeugung des Senats weist Abs. 4 dieser Vorschrift der Vertretung
eine Überwachungsaufgabe zu, welche sie entweder durch das erforderliche
Auskunftsverlangen (Satz 2) oder durch das Akteneinsichtsrecht (Satz 3)
wahrnimmt. Dabei müssen sowohl das Auskunftsverlangen als auch das
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Akteneinsichtsrecht dem Zweck der Überwachung dienen (Thiele, NKomVG,
2011, § 58 Ziffer 4, S. 161; Ipsen-Koch, NKomVG, 2011, § 58 Rn. 79; a.A.
Blum, NKomVG, Stand Juli 2013, § 58 Rn. 131). Denn § 58 Abs. 4 Satz 1
NKomVG macht deutlich, dass die in den Sätzen 2 und 3 nachfolgenden
Rechte des Rates allein dem Zweck dienen, dem Rat die Überwachung der
Durchführung seiner Beschlüsse sowie die Überwachung des sonstigen
Ablaufs der Verwaltungsangelegenheiten zu ermöglichen. Der Umstand allein,
dass der Wortlaut des § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG den Überwachungszweck
nicht nennt, rechtfertigt daher nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts,
dass das Akteneinsichtsrecht ebenso wie das Auskunftsrecht nach § 56 Satz
2 NKomVG als allgemeines „Informations- und Aufklärungsrecht “ ausgestaltet
und ein Überwachungszweck daher entbehrlich sei.
Das gegenteilige Auslegungsergebnis des Verwaltungsgerichts lässt sich
weder systematisch in Hinblick auf § 56 Sätze 1 und 2 NKomVG (dazu unter
1.) noch aus der Entstehungsgeschichte des § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG
(dazu unter 2.) begründen.
1. § 56 NKomVG regelt in den Sätzen 1 und 2 das Antrags- und
Auskunftsrecht jedes Mitglieds der Vertretung. Nach Satz 2 dieser Vorschrift
kann jede oder jeder Abgeordnete von der Hauptverwaltungsbeamtin oder
dem Hauptverwaltungsbeamten Auskünfte in allen Angelegenheiten der
Kommune verlangen; dies gilt nicht für Angelegenheiten, die der
Geheimhaltung unterliegen (§ 6 Abs. 3 Satz 1). § 56 NKomVG fordert
demnach keinen Überwachungszweck (vgl. Senatsurteil vom 4. März 2014 -
10 LB 93/13 -). Das Akteneinsichtsrecht ist indes nicht Gegenstand dieser
Vorschrift. Aus diesem Grund kann § 56 Satz 2 NKomVG auch kein „Beleg“ für
die Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts sein, dass „es keinen
Sinn [macht], der Vertretung als Ganzes (weiterhin) nur einen prinzipiell
beschränkten Auskunftsanspruch zuzubilligen, der von einem hinreichend
dargelegten Überwachungs-Anlass abhängig wäre“. Das gleiche gilt auch für
die weitere Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, dass „mit dem
prinzipiell unbeschränkten Informationsrecht für die Abgeordneten und einem
nicht lediglich anlassbezogenen Verständnis der Überwachungsfunktion der
Vertretung nicht zuletzt aus systematischen Gründen auch eine
Zweckbeschränkung des Akteneinsichtsrechts entfallen [muss] “. Denn gerade
die Systematik spricht - wie aufgezeigt - deutlich gegen diese Auffassung.
2. Etwas anderes folgt ferner nicht aus der Entstehungsgeschichte des § 58
Abs. 4 Satz 3 NKomVG.
a) Der Gesetzgeber war mit der Einführung des § 40 Abs. 3 Satz 4 NGO zum
1. Juli 1982 ausweislich der Landtagsdrucksache 9/1961 (S. 25) dem
Vorschlag der Sachverständigenkommission, einem Viertel der gesetzlichen
Zahl der Ratsmitglieder durch Einräumung eines Einsichtsrechts Zugang zu
den Akten zu verschaffen, lediglich unter dem Gesichtspunkt des
Minderheitenschutzes gefolgt. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei
dem Akteneinsichtsrecht zugleich das Erfordernis des Überwachungszweckes
entfallen lassen wollte, lassen sich der Landtagsdrucksache 9/1961 nicht
entnehmen.
b) Des Weitern folgt aus der Gesetzesänderung im Jahr 1996 nichts anderes.
Zwar hatte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Reform des
niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts im Jahr 1996 auch die
Empfehlung der Enquete-Kommission, „Beschränkungen der Auskunfts- und
Akteneinsichtsrechte auf den Kontrollzweck aufzuheben und diese Rechte
gleichermaßen als allgemeine Informationsbeschaffung wie als Kontrollrechte
auszugestalten“, umsetzen wollen. Doch lässt dieser Umstand allein nicht den
Schluss zu, dass dem Rat das Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht nach § 40
Abs. 3 NGO unabhängig von einem Überwachungszweck zustand. Der
Landtagsdrucksache ist lediglich zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der
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Einfügung des neuen Satz 3 in § 40 Abs. 3 NGO das Auskunftsrecht des
einzelnen Ratsmitglieds zu Zwecken der eigenen Unterrichtung regeln wollte
(LT-Drs. 13/1450, S. 15, 16). Dafür, dass der Gesetzgeber dem Rat das
Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht nach § 40 Abs. 3 NGO ungeachtet eines
Überwachungszweckes einräumen wollte, gibt es keinen Beleg. Dagegen
spricht schon der Wortlaut des § 40 Abs. 3 Sätze 1 bis 4 NGO a.F., der wie
folgt lautete:
(1) Der Rat überwacht die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den
sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. (2) Er kann zu
diesem Zweck von dem Verwaltungsausschuss und von der
Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister die erforderlichen Auskünfte
verlangen. (3) Zum Zwecke der Überwachung und zum Zwecke der
eigenen Unterrichtung kann jede Ratsfrau und jeder Ratsherr von der
Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister die erforderlichen Auskünfte in
allen Angelegenheiten der Gemeinde verlangen. (4) Auf Verlangen von
einem Viertel der Mitglieder des Rates oder von einer Fraktion oder
Gruppe ist einzelnen Ratsfrauen oder Ratsherren Einsicht in die Akten zu
gewähren.
Danach stand lediglich der einzelnen Ratsfrau und dem einzelnen Ratsherrn
ein Auskunftsrecht zum Zwecke der eigenen Unterrichtung zu. Die Auskunfts-
und Akteneinsichtsrechte des Rates sahen den Zweck der eigenen
Unterrichtung hingegen nicht vor. Vielmehr normierte Satz 1 dieser Vorschrift,
dass der Rat die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den sonstigen Ablauf
der Verwaltungsangelegenheiten überwacht. Der Überwachungszweck wurde
für Auskünfte von Seiten des Rates im Sinne des Satzes 2 dieser Vorschrift
ausdrücklich vorausgesetzt. Da § 40 Abs. 3 Satz 4 NGO bereits die
Akteneinsichtnahme des Rates geregelt hat und sachlich in einem
unmittelbaren Sachzusammenhang zu dem vom Kontrollzweck abhängigen
Auskunftsverlangen des Rates (Satz 2) stand, durfte das Recht des Rates auf
Akteneinsichtnahme auch nach der NGO 1982 nur zu Kontrollzwecken
wahrgenommen werden.
c) Ebenso wenig lässt sich aus der Einführung des - „anders motivierten und
konstruierten“ - Auskunftsanspruches einzelner Abgeordneter nach § 56 Satz
2 NKomVG ableiten, dass die Akteneinsicht der Vertretung (nunmehr)
unabhängig eines Überwachungszweckes gewährt wird (so aber Blum,
NKomVG, Stand Juli 2013, § 58 Rn. 131). Denn der Gesetzgeber hat das
Recht jeder Ratsfrau und jedes Ratsherrn auf Auskunftserteilung auch zum
Zwecke der eigenen Unterrichtung (§ 40 Abs. 3 Satz 3 NGO a.F.) lediglich aus
dem aktuell geltenden § 58 Abs. 4 NKomVG herausgelöst und nunmehr in §
56 NKomVG aufgenommen. Dabei hat er auf ein zusätzliches Auskunftsrecht
jeder bzw. jedes Ratsmitglieds zum Zweck der Überwachung ganz verzichtet.
Aufgrund des Wegfalls des Satz 3 (§ 40 Abs. 3 NGO) ist das Recht auf
Akteneinsicht nach § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG systematisch sogar näher an
das Auskunftsrecht der Vertretung nach Satz 2 dieser Vorschrift herangerückt,
welches ausdrücklich nur zu Zwecken der Überwachung ausgeübt werden
darf. Hätte der Gesetzgeber das Akteneinsichtsrecht der Vertretung zukünftig
auch zum Zwecke der eigenen Unterrichtung einräumen wollen, hätte dies
einer ausdrücklichen Regelung bedurft. Daran fehlt es hier.
II. Die Klägerin hat bei ihrem Antrag auf Akteneinsichtnahme vom 26. Oktober
2012 den erforderlichen Zweck der Überwachung nicht hinreichend dargelegt.
Denn dies setzt im Grundsatz voraus, dass die Begründung über pauschale,
nichtssagende bzw. den Gesetzestext wiederholende Aussagen hinausgeht.
Anderenfalls bliebe es bei einer bloßen Behauptung „ins Blaue hinein“, dass
die Akteneinsicht zum Zweck der Überwachung des sonstigen Ablaufs der
Verwaltungsangelegenheiten erfolge, und liefe es auf eine allgemeine
Informationsbeschaffung hinaus. Welche Anforderungen an die Darlegung des
Überwachungszweckes zu stellen sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Dabei ist
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zu berücksichtigen, dass die Akteneinsichtnahme unter Umständen erst die
Möglichkeit verschafft, über einen Verwaltungsvorgang Informationen im Detail
zu erhalten.
Den Anforderungen an die Darlegung des Überwachungszwecks wird der
Antrag der Klägerin vom 26. Oktober 2012 nicht gerecht. Dieser beschränkt
sich im Wesentlichen auf die konkrete Bezeichnung des Gegenstandes des
Akteneinsichtsgesuchs. Hinsichtlich des Überwachungszweckes führt die
Klägerin lediglich aus, dass es zu überwachen und zu kontrollieren gelte, ob
die Vertragsschließenden innerhalb ihres „Kompetenzbereichs“ gehandelt
hätten und die Verträge „zum Nutzen und Vorteil der Bürgerinnen und Bürger
aufgesetzt wurden“. Umstände dafür, dass der Kompetenzbereich
überschritten bzw. die Verträge nicht zum Vorteil der Bürgerinnen und Bürger
wären, hat die Klägerin nicht im Ansatz vorgetragen. Folglich sind ihre
Ausführungen zum Überwachungszweck zu pauschal gehalten und nicht
geeignet, einen Überwachungszweck hinreichend darzulegen.
Die Frage, ob das Vorbringen der Klägerin vom 12. Dezember 2012 bzw. vom
14. März 2013 den Anforderungen an die Begründung des
Überwachungszwecks genügt hat, ist vom Senat nicht zu beantworten. Denn
Gegenstand der Feststellungsklage ist lediglich der Antrag vom 26. Oktober
2012.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.