Urteil des OVG Niedersachsen vom 13.01.2014

OVG Lüneburg: verordnung, mitgliedstaat, zugang, beruf, güterverkehr, hauptsache, markt, verwaltungsgerichtsbarkeit, gewissheit, subunternehmer

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Zur Versagung der Gemeinschaftslizenz mangels
Zuverlässigkeit des Kraftfuhrunternehmers
OVG Lüneburg 7. Senat, Beschluss vom 13.01.2014, 7 ME 110/13
§ 2 GBZugV, Art 6 EGV 1071/2009
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Hannover - 5. Kammer - vom 29. Oktober 2013 wird
zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf
15.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Hannover vom 29.10.2013, mit dem es seinen Antrag, die
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zur
Erteilung einer (vorläufigen) Gemeinschaftslizenz für den
grenzüberschreitenden gewerblichen Güterverkehr zu verpflichten, abgelehnt
hat, hat keinen Erfolg.
Rechtsgrundlage für die Erteilung der Gemeinschaftslizenz ist die Verordnung
(EG) 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
21.10.2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des
grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs - im Folgenden: VO (EG)
1072/2009 -, die die Verordnung (EWG) 881/92 des Rates vom 26.3.1992 über
den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für
Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder
mehrere Mitgliedstaaten ersetzt hat. Nach Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 1072/2009
wird die Gemeinschaftslizenz von einem Mitgliedstaat gemäß der Verordnung
jedem gewerblichen Güterkraftverkehrsunternehmer erteilt, der in diesem
Mitgliedstaat gemäß den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und den
innerstaatlichen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats niedergelassen ist
und in dem Niederlassungsmitgliedstaat gemäß den Rechtsvorschriften der
Gemeinschaft und den innerstaatlichen Rechtsvorschriften dieses
Mitgliedstaats über den Zugang zum Beruf des Verkehrsunternehmers zur
Durchführung des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs berechtigt ist.
Den Zugang zum Beruf des Verkehrsunternehmers zur Durchführung des
grenzüberschreitenden Güterverkehrs regelt u.a. die Verordnung (EG)
1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.10.2009 zur
Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des
Kraftverkehrsunternehmers und zur Aufhebung der Richtlinie 96/26/EG des
Rates - im Folgenden: VO (EG) 1071/2009 –. Die Anforderungen für die
Ausübung des Berufs des Kraftverkehrsunternehmers sind in Art. 3 VO (EG)
Nr. 1071/2009 näher bestimmt. Nach dessen Abs. 1 müssen Personen, die
den Beruf des Kraftverkehrsunternehmers ausüben, über eine tatsächliche
und dauerhafte Niederlassung in einem Mitgliedstaat verfügen, zuverlässig
sein, eine angemessene finanzielle Leistungsfähigkeit und die geforderte
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fachliche Eignung besitzen. Die Voraussetzungen der erforderlichen
Zuverlässigkeit regelt Art. 6 VO (EG) 1071/2009. Nach Art. 6 Abs. 1
Unterabsatz 3 Buchstabe a VO (EG) 1071/2009 darf die Zuverlässigkeit nicht
zwingend in Frage gestellt sein, etwa durch Verurteilungen oder Sanktionen
aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die dort näher
bezeichneten geltenden einzelstaatlichen Vorschriften, etwa über Entgelt- und
Arbeitsbedingungen der Branche (Unterpunkt iii), oder gegen
Gemeinschaftsvorschriften, insbesondere im Bereich des Zugangs zum Markt
des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (Unterpunkt v). Im Anhang IV
der Verordnung sind gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchstabe a Unterabsatz 1 VO (EG)
1071/2009 zudem schwerste Verstöße gegen die Gemeinschaftsvorschriften
aufgeführt, die nach Art. 6 Abs. 2 Buchstabe a Unterabsatz 4 VO (EG)
1071/2009 bei Verneinung einer unverhältnismäßigen Reaktion zur
Aberkennung der Zuverlässigkeit führen. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchstabe b
Unterabsatz 1 Satz 1 VO (EG) 1071/2009 erstellt außerdem die Kommission
eine Liste der Kategorien, Arten und Schweregrade der gegen
Gemeinschaftsvorschriften begangenen schwerwiegenden Verstöße, die
neben den in Anhang IV aufgeführten Verstößen zur Aberkennung der
Zuverlässigkeit führen können.
Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um Mindestvoraussetzungen, wie
sich aus der Formulierung in Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 3 der VO ("Die in
Unterabsatz 1 genannten Voraussetzungen umfassen mindestens Folgendes:
...") und daraus ergibt, dass Abs. 2 nur auf Abs. 1 Unterabsatz 3 Buchstabe b
Bezug nimmt. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 1071/2009 lässt damit Raum für
weitergehende - national - zu bestimmende Zuverlässigkeitsanforderungen
(vgl. OVG NW, Beschl. v. 10.12.2013 - 13 A 2914/12 -, juris Rn. 6 u. v.
12.04.2013 – 13 B 255/13 -, juris Rn. 11). Ausgehend hiervon bestimmt § 2
Abs. 1 der Berufszugangsverordnung für den Güterkraftverkehr vom
21.12.2011 (BGBl. I S. 3120), zuletzt geändert durch Artikel 7 der Verordnung
vom 05.11.2013 (BGBl. I S. 3920) – im Folgenden: GBZugV -, dass der
Unternehmer und der Verkehrsleiter zuverlässig iSd Art. 6 der Verordnung
(EG) 1071/2009 (nur) dann sind, wenn keine Tatsachen dafür vorliegen, dass
bei der Führung des Unternehmens gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen
oder bei dem Betrieb des Unternehmens die Allgemeinheit geschädigt oder
gefährdet wird. Rechtskräftige Verurteilungen des Unternehmers oder des
Verkehrsleiters sind zur Bejahung der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1
GBZugV ebenso wenig erforderlich, wie gegen diese ergangene
unanfechtbare Bußgeldbescheide. Abweichendes folgt nicht aus § 2 Abs. 2
oder 3 GBZugV. Abs. 2 gibt unter Verweis auf Anhang IV der Verordnung (EG)
1071/2009 lediglich vor, dass unter den dort benannten Voraussetzungen „in
der Regel“ von der Unzuverlässigkeit auszugehen ist; aus der Formulierung
"insbesondere" in Abs. 3 ist zu entnehmen, dass die Annahme einer
Unzuverlässigkeit nicht ausgeschlossen ist, auch wenn es an einer
rechtskräftigen Verurteilung oder einem unanfechtbaren Bußgeldbescheid
gegen den Unternehmer oder den Verkehrsleiter (noch) fehlt.
Für die Zuverlässigkeitsbeurteilung nach § 2 Abs. 1 GBZugV ergibt sich
daraus, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung (vgl. BayVGH, Beschl. v. 24.01.2011 - 11 CS 11.37
-, juris) die Prognose gerechtfertigt sein muss, dass der Unternehmer auch in
Zukunft nicht die Gewähr dafür bietet, das Transportgewerbe ordnungsgemäß
zu führen. Dazu bedarf es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht nur
unerheblicher und vereinzelter Rechtsverstöße und/oder Gefährdungen; Art. 6
Abs. 1 der VO (EG) 1071/2009 erfordert zudem, das Verhalten des
Unternehmers und seiner Verkehrsleiter zu berücksichtigen.
Bei dieser rechtlichen Ausgangslage kann dem Antragsteller im
Beschwerdeverfahren die von ihm begehrte (vorläufige) Gemeinschaftslizenz
für den grenzüberschreitenden gewerblichen Güterverkehr unter zeitweiser
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Vorwegnahme der Hauptsache im Wege der einstweiligen Anordnung nicht
zugesprochen werden. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der
Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt eine
Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht.
Soweit der Antragsteller vorträgt, der Vorwurf seiner fehlenden Zuverlässigkeit
sei aufgrund des Vorfalls vom 03.06.2013, bei dem der Fahrer eines seiner
Fahrzeuge an der polnischen Zollstelle Koroszcyn eine verfälschte
Fahrerbescheinigung vorlegte, nicht begründet, vermag der Senat dem nicht
zu folgen. Die Darstellung, der eingesetzte Fahrer sei krankheitsbedingt
unvorhergesehen ausgefallen, der von diesem gestellte „Ersatzmann“ habe
die – im Übrigen äußerst plump – verfälschte Fahrerbescheinigung ohne sein
Wissen eingesetzt, ihm sei nicht mitgeteilt worden, „… dass der (Ersatz-)
Fahrer ein weißrussischer Staatsangehöriger … (sei), noch dass er eine
„Fahrergemeinschaft“ benötige und selbst in Besitz einer solchen
Fahrerbescheinigung (sei)“, vielmehr sei er - der Antragsteller - selber „…
getäuscht und hintergangen worden“, „offensichtlich (gebe) es organisierte
kriminelle Gruppen, die Kraftfahrer vermutlich gegen entsprechende Vergütung
mit derartigen Bescheinigungen ausstatte(te)n“, erscheint wenig glaubhaft.
Zutreffend weist das Verwaltungsgericht daraufhin, dass vor dem Hintergrund
der Behauptung des Antragstellers, die im Jahr 2010 seiner Firma für den
Fahrer B. ausgestellte Fahrerbescheinigung sei von diesem nicht zurück
gegeben worden, nicht nachvollziehbar erscheint, wieso gerade diese
Bescheinigung eben zum Zeitpunkt eines – vorher nicht absehbaren –
angeblichen Notfalles an der polnischen Grenze aufgetaucht sein sollte, um
als Substrat für die Verfälschung dienen zu können. Der Senat nimmt zur
Vermeidung von weiteren Wiederholungen auf die Ausführungen des
Verwaltungsgerichts Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Der sich daraus ergebende Vorwurf gegenüber dem Antragsteller, im
grenzüberschreitenden Güterverkehr unter Verstoß gegen Vorschriften des
Gemeinschaftsrechts Fahrer einzusetzen, für die eine gültige
Fahrerbescheinigung nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 1072/2009 nicht ausgestellt
worden ist, wiegt schwer, auch wenn bisher nur ein einzelner Vorfall belegt ist.
Darüber hinaus ist – ausgehend von dem Vortrag des Antragstellers – offenbar
eine unzulässige Weitergabe einer beglaubigten Abschrift der
Gemeinschaftslizenz erfolgt. Überdies erscheint nach den Einlassungen des
Antragstellers im Verwaltungsverfahren nicht zweifelsfrei, ob die betriebliche
Praxis des Einsatzes „selbstständiger Kraftfahrer … wie ein Subunternehmer“
mit den gemeinschaftsrechtlichen und den nationalen arbeits- und
sozialrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Bei dieser Sachlage kann bei der
vorliegend nur möglichen summarischen Prüfung jedenfalls gegenwärtig nicht
mit der für die faktische Vorwegnahme der Hauptsache notwendigen
Gewissheit auf seine für die Erteilung der Gemeinschaftslizenz erforderliche
Zuverlässigkeit (Art. 3 Buchst. b VO (EG) 1071/2009; § 2 Abs. 1 und 3
GBZugV) geschlossen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und
orientiert sich an Ziffer 1.5 Satz 1 und Ziffer 47.1. des Streitwertkataloges 2013
für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
(http://www.bverwg.de/medien/pdf/streitwertkatalog.pdf).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).