Urteil des OVG Niedersachsen vom 29.09.2014

OVG Lüneburg: niedersachsen, eugh, formelles recht, öffentliche sicherheit, irreführende werbung, aeuv, rechtswidrigkeit, veranstalter, obg, bayern

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Untersagung der Vermittlung und Bewerbung von
Sportwetten
1. Der verschuldensunabhängige Haftungsanspruch nach § 80 Abs. 1 Satz 2
Nds. SOG ist nicht auf gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen begrenzt, die
aufgrund einer Regelung im Nds. SOG ergangen sind.
2. Das in Niedersachsen unter dem Lotteriestaatsvertrag vom 22. Juni 2004
bestehende Sportwettenmonopol verletzte die unionsrechtliche
Niederlassungs und Dienstleistungsfreiheit (hier: Zeitraum bis zum
31.10.2007).
OVG Lüneburg 11. Senat, Urteil vom 29.09.2014, 11 LC 378/10
Art 49 Abs 1 AEUV, Art 56 Abs 1 AEUV, § 14 Abs 1 LottG ND
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 10. Kammer - vom 19. Juni
2006 wird geändert.
Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 28. September
2005 bis zum 31. Oktober 2007 rechtswidrig gewesen ist.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Bescheides
des Beklagten, mit dem ihm die Vermittlung von Sportwetten an einen privaten
Wettanbieter untersagt worden ist.
Der Kläger vermittelte in seinen beiden früheren Betriebsstätten in E., F. G.,
und H., I.. J., Sportwetten an die Firma Happybet in Österreich bzw.Goalbetter
(UK) Limited mit Sitz in Großbritannien, die ebenso wie der Kläger nicht über
eine im Inland erteilte Erlaubnis verfügten. Mit sofort vollziehbarem Bescheid
vom 28. September 2005 untersagte der Beklagte dem Kläger, Sportwetten für
in Niedersachsen nicht konzessionierte Veranstalter oder Anbieter in seinen
Geschäftsräumen zu vermitteln und zu bewerben (Anordnung zu I.) und drohte
ihm für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Untersagung die Festsetzung
eines Zwangsgeldes von 10.000 EUR an (Anordnung zu II.). Die Untersagung
stützte der Beklagte auf § 14 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über
das Lotterie- und Wettwesen (NLottG) i.V.m. § 12 des Lotteriestaatsvertrages
(LoStV). Zur Begründung führte er aus: Die Vermittlung von Sportwetten an in
Niedersachsen nicht konzessionierte Veranstalter sei nicht erlaubt. Eine
Genehmigung könne dem Kläger wegen des staatlichen Sportwettenmonopols
nicht erteilt werden. Die Untersagung der Vermittlungstätigkeit, die sich auch
auf die Bewerbung des Wettangebotes beziehe, sei ermessensgerecht. Die
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Androhung des Zwangsmittels beruhe auf Vorschriften des Niedersächsischen
Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG).
Gegen den am 5. Oktober 2005 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 31.
Oktober 2005 unter Hinweis darauf, dass er lediglich noch die
Wettannahmestelle in E. betreibe, Klage erhoben. Zu deren Begründung hat er
vorgetragen, dass die Firma Happybet Sportwetten GmbH eine nach Kärntner
Landesrecht zugelassene Anbieterin von Sportwetten sei. Diese Erlaubnis sei
aus Gründen des Gemeinschaftsrechts im Inland anzuerkennen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 28. September 2005 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat seinen Bescheid verteidigt.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. Juni 2006 die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Untersagung finde ihre
Rechtsgrundlage in den in dem Bescheid genannten Vorschriften. Die von
dem Bescheid erfasste Tätigkeit des Klägers beziehe sich auf ein Glücksspiel
im Sinne des § 284 StGB. Es sei verfassungsgemäß und mit
Gemeinschaftsrecht vereinbar, die Vermittlung von Sportwetten unter einen
gesetzlichen (präventiven) Erlaubnisvorbehalt zu stellen. Auf die dem
Wettunternehmen Happybet in Österreich erteilte Erlaubnis könne sich der
Kläger nicht berufen, weil auf die rechtlichen Verhältnisse in Niedersachsen
abzustellen sei. Der Hinweis auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts führe
nicht weiter. Ob das Sportwettenmonopol mit dem Grundgesetz und dem
Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, müsse nicht in diesem Verfahren, in dem es
um eine Untersagung gehe, geklärt werden. Für ein Einschreiten gegen eine
ungenehmigte Tätigkeit reiche bereits der Verstoß gegen formelles Recht aus.
Gegen das am 7. September 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.
September 2006 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt
und zunächst sein Anfechtungsbegehren fortgeführt. Am 30. September 2006
hat der Senat den Rechtsstreit unter dem vormaligen Aktenzeichen 11 LC
295/06 bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in den
verbundenen Rechtssachen - C-316/07 u.a. - ausgesetzt. Unter Bezugnahme
auf Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom 8. September 2010 ist das
Verfahren am 21. September 2010 wieder aufgenommen worden. Mit
Erklärung vom 1. November 2012 hat das Niedersächsische Ministerium für
Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, das in der Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31.
Dezember 2013 für die Glücksspielaufsicht zuständig war, den Bescheid vom
28. September 2005 auf den 30. Juni 2012 befristet.
Nach Aufgabe des Geschäftslokals in E., F. G., begehrt der Kläger nunmehr
die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides des Beklagten vom 28.
September 2005. Zur Begründung trägt er vor: Er habe die Wettvermittlung in
dem Geschäftslokal in E. am 26. Januar 2007 aufgegeben. Danach sei ihm
zwar das Mietverhältnis aufgrund von Mietrückständen außerordentlich
gekündigt worden. Es sei aber nicht unrealistisch anzunehmen, dass der
Vermieter im Falle einer Aufhebung des Untersagungsbescheides innerhalb
des Zeitraumes bis zum 31. Oktober 2007 bereit gewesen wäre, den bereits
gekündigten Mietvertrag wieder in Kraft zu setzen. Durch die erzwungene
Einstellung der Wettvermittlung sei ihm die Existenzgrundlage entzogen
worden. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag sei zulässig und begründet. Er
habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des
Bescheides in dem genannten Zeitraum. Ein Präjudizinteresse liege vor, weil
jedenfalls das Bestehen eines verschuldensunabhängigen
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Haftungsanspruches nach § 80 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG nicht von vornherein
offensichtlich ausgeschlossen sei. Er habe auch ein Rehabilitierungsinteresse.
Es bestehe die Gefahr, dass ihm in künftigen Verwaltungsverfahren
entgegengehalten werde, für seine wirtschaftliche Notlage selbst verantwortlich
zu sein, und deshalb seine persönliche Zuverlässigkeit in wirtschaftlicher
Hinsicht angezweifelt werde. Der Antrag sei auch begründet. Der
Untersagungsbescheid sei ermessensfehlerhaft gewesen, weil das
Sportwettenmonopol in Niedersachsen unter der Geltung des
Lotteriestaatsvertrages sowohl verfassungs- als auch unionsrechtswidrig
gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 10. Kammer -
vom 19. Juni 2006 abzuändern und festzustellen, dass der
Bescheid des Beklagten vom 28. September 2005 bis zum 31.
Oktober 2007 rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er erwidert: Der Bescheid vom 28. September 2005 habe sich erst mit seiner
Befristung auf den 30. Juni 2012 erledigt. In dem Bescheid sei eine allgemeine
Untersagung ausgesprochen worden, die nicht auf die in dem Bescheid
genannten beiden Geschäftslokale beschränkt gewesen sei. Der Kläger habe
kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des
erledigten Verwaltungsaktes. Die von dem Kläger in Bezug genommene
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 20.6.2013 - 8 C
10.12 -) zu der mit § 80 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG vergleichbaren Vorschrift des
39 Abs. 1 b des nordrhein-westfälischen Ordnungsbehördengesetzes (OBG
NW) sei auf die niedersächsische Rechtslage nicht übertragbar. Die dortige
Beklagte habe ihren Untersagungsbescheid auf die polizeirechtliche
Generalklausel in § 14 OBG NW i.V.m. § 284 StGB gestützt, während der in
dem hiesigen Verfahren umstrittene Bescheid vom 28. September 2005 auf
der Grundlage der gegenüber der polizeirechtlichen Generalklausel in § 11
Nds. SOG spezielleren Vorschrift des § 14 Abs. 1 NLottG ergangen sei. § 80
Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG eröffne keinen weitreichenden
verschuldensunabhängigen Staatshaftungsanspruch, der sämtliche
gefahrenabwehrende Maßnahmen von Ordnungsbehörden in das
Haftungsregime einbeziehe. Eine solche Sichtweise führte zum Unterlaufen
der Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruches. Die Rechtsgrundlagen
des besonderen Ordnungsrechts enthielten regelmäßig keine Verweisung auf
die Haftungsnormen des allgemeinen Ordnungsrechts. Außerdem erfasse §
80 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG nicht eine Haftung wegen legislativen Unrechts.
Der Antrag sei auch nicht begründet. Im Gegensatz zu der Fallkonstellation,
die dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 2014 - 8 C 42.12 -
zugrunde gelegen habe, sei der angegriffene Untersagungsbescheid nicht mit
dem Verstoß gegen das Sportwettenmonopol, sondern mit dem Erfordernis
begründet worden, den Verstoß gegen das NLottG und den
Lotteriestaatsvertrag zu beenden und einen rechtmäßigen Zustand
wiederherzustellen. Lediglich am Ende des Bescheides sei der Hinweis
gegeben worden, dass die untersagte Tätigkeit gegen § 16 NLottG verstoße.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers, über die im Einverständnis der Beteiligten nach §
101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist
zulässig und begründet.
Die Klage ist mit dem im Berufungsverfahren gestellten
Fortsetzungsfeststellungsantrag gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig.
Nach der genannten Vorschrift muss sich der der Anfechtungsklage
zugrundeliegende Verwaltungsakt erledigt haben. Glücksspielrechtliche
Untersagungen erledigen sich als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung
grundsätzlich fortlaufend für den jeweils abgelaufenen Zeitraum. Ein Verbot
wird durch Zeitablauf gegenstandslos, weil es nicht rückwirkend befolgt oder
durchgesetzt werden kann (BVerwG, Urteil vom 16.5.2013 - 8 C 14.12 -,
BVerwGE 146, 303, juris, Rn. 18). Eine Erledigung tritt allerdings nicht ein,
wenn die Untersagung für den abgelaufenen Zeitraum gegenwärtig noch
nachteilige Rechtswirkungen für den Betroffenen entfaltet (BVerwG, Urt. v.
20.6.2013 - 8 C 17.12 -, juris). Das ist hier nicht der Fall, weil der
Untersagungsbescheid nicht die Rechtsgrundlage für eine noch rückgängig zu
machende Vollstreckung des Beklagten bildet. Das in dem Bescheid vom 28.
September 2005 angedrohte Zwangsgeld ist nicht festgesetzt worden.
Es unterliegt keinen Bedenken, dass der Kläger seinen
Fortsetzungsfeststellungsantrag auf den Zeitraum vom Erlass des
Untersagungsbescheides bis zum 31. Oktober 2007 befristet hat. Die
Möglichkeit der Fortführung einer Anfechtungsklage gegen einen
Dauerverwaltungsakt als Fortsetzungsfeststellungsklage für die Vergangenheit
endet mit der endgültigen Erledigung des Verwaltungsaktes (BVerwG, Urt. v.
20.6.2013 - 8 C 47.12 -, juris, Rn. 16). Ob die mit der Anfechtungsklage
bekämpfte beschwerende Regelung entfallen ist, richtet sich nach dem
Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes (Bayerischer VGH, Urt. v. 18.4.2012 -
10 B 10.2596 -, juris, Rn. 37). Ist die Untersagung auf eine konkrete
Betriebsstätte bezogen, erledigt sie sich erst, wenn die Betriebsstätte endgültig
aufgegeben wird (BVerwG, Urt. v. 20.6.2013 - 8 C 10.12 -, BVerwGE 147,47,
juris, Rn. 14). Bei dem Bescheid vom 28. September 2005 handelt es sich um
eine betriebsstättenbezogene Untersagung, die sich am 31. Oktober 2007
endgültig erledigt hat.
Der Bescheid vom 28. September 2005 ist dahin auszulegen, dass er lediglich
die Untersagung der sportwettenbezogenen Tätigkeit des Klägers in dem
Geschäftslokal in H., das bereits vor Klageerhebung aufgegeben wurde, und in
der Betriebsstätte in E. regelt. Im Tenor des Bescheides, auf den maßgeblich
abzustellen ist, wird dem Kläger unter I. untersagt, Sportwetten für in
Niedersachsen nicht konzessionierte Veranstalter oder Anbieter in seinen
Geschäftsräumen in der Straße F. G. in E. und in der I.. J. in H. zu vermitteln
und zu bewerben. Andere Betriebsstätten, ob sie nun im Bereich des
Beklagten bereits bestehen oder eventuell beabsichtigt sind, werden im
Bescheidtenor nicht erwähnt. In dem Betreff des Bescheides wird zwar als
Regelungsgegenstand die Untersagung der Vermittlung und der Bewerbung
von Sportwetten für in Niedersachsen nicht konzessionierte Veranstalter „auf
dem Gebiet des Landes Niedersachsen“ angesprochen. In dem Tenor des
Bescheides hat diese Absicht einer allgemeinen Regelung für Niedersachsen
jedoch keinen Niederschlag gefunden. Gleiches gilt für die Begründung des
Bescheides. In den Angaben zum Sachverhalt werden die
Ermittlungsergebnisse zu den beiden im Tenor des Bescheides genannten
Betriebsstätten zusammengefasst. Der anschließenden rechtlichen
Begründung ist nicht zu entnehmen, dass die Untersagung landesweit gelten
soll. Am Ende der Begründung wird ausgeführt, dass die Untersagung auch für
den Fall des Wechsels zu einem anderen, ebenfalls in Niedersachsen nicht
konzessionierten Anbieter gelte. Hingegen wird nicht dargelegt, dass sich der
Bescheid auch für den Fall eines Betriebsstättenwechsels Wirkung beilegen
will. Soweit in dem Bescheidtenor zu I. die beiden Geschäftslokale in einem
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selbständigen, durch zwei Gedankenstriche umfassten Einschub angeführt
werden, der mit dem Adverb „derzeit“ eingeleitet wird, könnte diese
Formulierung zwar dafür sprechen, dass von der Untersagung nicht nur
Geschäftsräume erfasst werden sollen, die gegenwärtig von dem Kläger
genutzt werden. Hierzu hätte allerdings in dem Bescheidtenor und auch in den
Gründen des Bescheides deutlicher ausgeführt werden müssen, dass sich die
Untersagung auf alle Betriebsstätten auf dem Gebiet des Landes
Niedersachsen beziehen soll.
Mit Ablauf des 31. Oktober 2007 hat sich der Untersagungsbescheid vom 28.
September 2005 endgültig erledigt. Zu diesem Zeitpunkt verlor der Kläger den
Zugriff auf die Betriebsstätte am Standort F. G. in E.. Die Wettvermittlung in
diesem Geschäftslokal stellte er nach eigenen Angaben bereits am 26. Januar
2007 ein. Zu einem nicht mehr genau zu ermittelnden Datum wurde dem
Kläger anschließend wegen vorhandener Mietrückstände das Mietverhältnis
außerordentlich gekündigt und das Geschäftslokal zum 1. November 2007
anderweitig vermietet. Der Kläger macht geltend, im Falle einer Aufhebung des
Untersagungsbescheides nach der Kündigung des Mietverhältnisses wäre der
Vermieter möglicherweise bereit gewesen, das Mietverhältnis mit ihm
fortzusetzen. Erst nach dem 31. Oktober 2007 habe er nicht mehr über ein
geeignetes Geschäftslokal verfügt und hätten ihm die finanziellen Mittel für
eine Neuanmietung gefehlt. Der Beklagte ist diesem Vortrag nicht
entgegengetreten. Mit dem Kläger ist deshalb auszugehen, dass sich der
Verwaltungsakt erst am 31. Oktober 2007 endgültig erledigt hat.
Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der
Rechtswidrigkeit des Untersagungsbescheides. Es besteht zwar kein
Rehabilitierungsinteresse, da der Beklagte in seinem Bescheid zur
Rechtfertigung seines Einschreitens darauf abstellt, dass die Vermittlung von
Sportwetten unerlaubt sei und damit lediglich den objektiven Tatbestand des §
284 Abs. 1 StGB in Bezug nimmt. Der stigmatisierende Vorwurf schuldhaft
strafrechtswidrigen Verhaltens wird dadurch nicht erhoben (BVerwG, Urt. v.
16.5.2013 - 8 C 14.12 -, a.a.O., juris, Rn. 25). Anhaltspunkte dafür, dass in
künftigen Verwaltungsverfahren die persönliche Zuverlässigkeit des Klägers in
wirtschaftlicher Hinsicht mit Blick auf das gegen ihn betriebene
Insolvenzverfahren angezweifelt werden könnte, sind nicht ersichtlich.
Außerdem kann der Beklagte dieser Befürchtung durch eine Erklärung des
Inhalts, er werde etwaige Monopolverstöße in der Vergangenheit zukünftig
nicht als Anhaltspunkt für eine Unzuverlässigkeit von Konzessionsbewerbern
oder Bewerbern um eine Vermittlungserlaubnis werten (vgl. hierzu BVerwG,
Urt. v. 16.5.2013 - 8 C 14.12 -, a.a.O., juris, Rn. 28), entgegentreten. Zudem ist
der Zusammenhang zwischen der Aufgabe der Geschäftstätigkeit des Klägers
im Jahr 2007 und dem Insolvenzverfahren fraglich, weil letzteres erst im Jahr
2010 eröffnet wurde.
Der Kläger kann sich aber auf ein Präjudizinteresse berufen. Dazu genügt,
dass die beabsichtigte Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen nicht
offensichtlich aussichtslos ist. Offensichtlich aussichtslos ist eine
Staatshaftungsklage, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem
denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins
Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (BVerwG, Urt. v. 20.6.2013 - 8 C
10.12 -, a.a.O., juris, Rn. 17). Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges genügt
nach dieser Rechtsprechung nicht.
Es kann auf sich beruhen, ob im vorliegenden Fall ein -
verschuldensabhängiger - Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 Satz 1 GG, §
839 BGB oder ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch in Betracht
kommt. Ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 80 Abs. 1 Satz 2
Nds. SOG ist jedenfalls nicht von vornherein offensichtlich ausgeschlossen.
Nach der genannten Vorschrift ist einer Person ein angemessener Ausgleich
zu gewähren, wenn sie durch eine rechtswidrige Maßnahme der
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Verwaltungsbehörde oder der Polizei einen Schaden erleidet. Bei Erlass des
Untersagungsbescheides handelte der Beklagte als Verwaltungsbehörde im
Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG.
Zu Unrecht meint der Beklagte, dass der Haftungstatbestand in § 80 Abs. 1
Satz 2 Nds. SOG auf gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen begrenzt ist, die
aufgrund einer Regelung im Nds. SOG ergangen sind. Nach dieser
einschränkenden Auslegung, die teilweise auch in der Rechtsprechung und
Kommentarliteratur befürwortet wird (vgl. OLG Bremen, Urt. v. 13.2.2013 - 1 U
6/08 -, juris, Rn. 103, zu § 56 BremPolG; Rachor, in: Lisken/Denninger,
Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Buchst. M, Rn. 6 ff.) soll eine
rechtswidrige Maßnahme, die von einer Verwaltungsbehörde im Rahmen
anderer, ihr übertragener Aufgaben, z. B. im Rahmen der Bauüberwachung
oder - wie hier - der Glücksspielaufsicht, in Ausführung anderer
Rechtsvorschriften - hier § 14 Abs. 1 NLottG - ergangen ist, vom
Geltungsbereich der Vorschrift nicht erfasst werden. Der Senat teilt diese
Einschätzung nicht. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den
Bestimmungen des Nds. SOG um ein geschlossenes Regelungssystem
handeln könnte, welches Schadensausgleichspflichten nur bei einem
gefahrenabwehrrechtlichen Tätigwerden auf der Grundlage dieses Gesetzes
vorsieht, sind weder aus den von dem Beklagten zitierten Gesetzesmaterialien
(LT-Drs. 9/1090, Seite 106 zu § 57 des Entwurfes) noch sonst ersichtlich.
Nach dem Wortlaut der Norm ist Voraussetzung, dass eine
Verwaltungsbehörde eine rechtswidrige Maßnahme erlassen hat. Der
Gesetzgeber hat in § 80 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG nicht den eher
einschränkend zu verstehenden Begriff der Gefahrenabwehrbehörde (vgl. § 64
Abs. 1 Satz 2 HSOG) oder Ordnungsbehörde (vgl. § 39 Abs. 1 Buchst. b OBG
NW, § 68 Abs. 1 Satz 2 PolG Rheinland-Pfalz) gewählt, sondern den weiten
Begriff der Verwaltungsbehörde. Ein Haftungsanspruch ist deshalb immer
dann in Betracht zu ziehen, wenn eine Verwaltungsbehörde auf dem Gebiet
des Gefahrenabwehrrechts eine rechtswidrige Maßnahme erlassen hat,
unabhängig davon, ob sie diese aufgrund des Nds. SOG oder aufgrund
anderer Vorschriften, zum Beispiel nach der Niedersächsischen Bauordnung
(NBauO) oder nach dem Niedersächsischen Naturschutzgesetz (NNatSchG),
erlassen hat (OLG Celle, Urt. v. 18.12.2007 - 16 U 92/07 -, juris, Rn. 42 und 43;
Saipa, Nds. SOG, Loseblattsammlung, Stand: Dezember 2013, § 80 Rn. 2;
Ipsen, Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Aufl., Rn. 630;
Hermanns, NdsVBl. 2008, 273; Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl., §
70, Rn. 189; Götz, AgrarR 1984, 1). Eine Ausnahme ist lediglich zu machen,
wenn die anderen Rechtsvorschriften eigene Haftungsregelungen enthalten
oder diese ausdrücklich die Anwendung der Haftungstatbestände im Nds.
SOG sperren. Davon ist bei den Bestimmungen des NLottG nicht auszugehen.
Entgegen der Annahme des Beklagten kann nicht mit der erforderlichen
Offensichtlichkeit davon ausgegangen werden, dass 80 Abs. 1 Satz 2 Nds.
SOG nur die Haftung für enteignungsgleiche Eingriffe regeln soll und damit
nicht eine Entschädigung für legislatives Unrecht einschließlich der
Anwendung rechtswidriger Normen (sog. Beruhensfälle) gewährt. Diese Frage
muss gegebenenfalls im zivilgerichtlichen Staatshaftungsprozess geklärt
werden (BVerwG, Urt. v. 20.6.2013 - 8 C 10.12 -,a.a.O., juris, Rn. 20, zu § 39
Abs. 1 Buchst. b OBG NW).
Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Untersagungsbescheid des
Beklagten war in dem zur Überprüfung gestellten Zeitraum rechtswidrig. Für
die materiell-rechtliche Beurteilung ist die Rechtslage in der Zeit vom Erlass
des Untersagungsbescheides vom 28. September 2005 bis zu seiner
endgültigen Erledigung am 31. Oktober 2007 maßgeblich. Als Verwaltungsakt
mit Dauerwirkung ist die glücksspielrechtliche Untersagung während ihres
Wirkungszeitraumes an der jeweils aktuellen Rechtslage zu messen (BVerwG,
Urt. v. 20.6.2013 - 8 C 10.12 -, a.a.O., juris, Rn. 25). Der Beklagte hat seine
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Untersagung auf § 14 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über das
Lotterie- und Wettwesen (NLottG) i.V.m. § 12 Abs. 1 des am 1. Juli 2004 in
Kraft getretenen Lotteriestaatsvertrages (LoStV) gestützt. Nach diesen
Bestimmungen, die in dem zur Überprüfung gestellten Zeitraum galten, kann
nicht nur die Veranstaltung, sondern auch die Vermittlung von unerlaubten
Sportwetten untersagt werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen beider
Regelungen sind gegeben, weil der Kläger Sportwetten vermittelte, obwohl
weder er noch das Wettunternehmen, dessen Wetten er vertrieb, über eine
inländische Erlaubnis verfügte. Mangels unionsrechtlicher Harmonisierung des
Glücksspielrechts war der Beklagte nicht verpflichtet, die dem
Wettunternehmen in Österreich erteilte Erlaubnis anzuerkennen (EuGH, Urt. v.
8.9.2010 - Rs. C-316/07 u.a. -, NVwZ 2010, 1409, juris, Rn. 112).
Die Entscheidung, die hiernach unerlaubte Tätigkeit zu untersagen, stand
nach beiden Rechtsgrundlagen im Ermessen des Beklagten. Der Beklagte hat
das ihm zustehende Untersagungsermessen fehlerhaft ausgeübt. Er hat in
dem angegriffenen Bescheid die Untersagung maßgeblich damit begründet,
dass dem Kläger wegen des staatlichen Sportwettenmonopols eine Erlaubnis
zur Vermittlung von Sportwetten an andere Unternehmen als den
Monopolanbieter, die Toto-Lotto Niedersachsen GmbH (TLN), nicht erteilt
werden könne. Diese Erwägungen waren rechtsfehlerhaft. Die
Monopolregelung (vgl. § 5 Abs. 4 LoStV) war in dem maßgeblichen Zeitraum
nicht anwendbar. Sie genügte nicht den unionsrechtlichen
Kohärenzanforderungen und beschränkte dadurch unverhältnismäßig die dem
Kläger nach Unionsrecht zustehenden Grundfreiheiten der
Niederlassungsfreiheit (Art. 49 Abs. 1 AEUV) und der Dienstleistungsfreiheit
(Art. 56 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV).
Eine Beschränkung der vorgenannten Grundfreiheiten muss das
Diskriminierungsverbot beachten sowie nach Art. 51 f. i.V.m. Art. 62 AEUV
oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und
geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten, unionsrechtlich
legitimen Ziels zu gewährleisten. Außerdem darf sie nicht über das
hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (BVerwG, Urteil
v. 20.6.2013 - 8 C 10.12 -, a.a.O., juris, Rn. 28, und vom 24.11.2010 - 8 C
14.09 -, BVerwGE 138, 201, juris, Rn. 62). Nach der Rechtsprechung des
EuGH können glücksspielrechtliche Monopolregelungen aus zwingenden
Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, zu denen u.a. die Ziele
des Schutzes der Verbraucher und der Sozialordnung, der Vermeidung von
Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen
einschließlich der Ziele der Suchtbekämpfung sowie des Jugend- und
Spielerschutzes gehören (EuGH, Urt. v. 8.9.2010 - Rs. C-46/08 -, NVwZ 2010,
1422, juris, Rn. 45, und Urt. v. 8.9.2010 - Rs. C-316/07 u.a. -, a.a.O., juris, Rn.
79). Bei der Festlegung der umzusetzenden Ziele steht den Mitgliedstaaten ein
weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie dürfen ihre Glücksspielpolitik ihrer eigenen
Wertordnung entsprechend ausrichten und das angestrebte Schutzniveau
selbst bestimmen. Die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit der
erlassenen Maßnahmen sind allein im Hinblick auf die verfolgten Ziele und das
angestrebte Schutzniveau zu beurteilen. Eine Monopolregelung, die auf die
Bekämpfung der Spielsucht und den Spielerschutz als zwingende Gründe des
Allgemeininteresses gestützt wird, ist nur verhältnismäßig, wenn sie ebenso
wie ihre Anwendung in der Praxis geeignet ist, die Verwirklichung dieser Ziele
in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur
Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt (EuGH, Urt. v. 8.9.2010 - Rs. C-46/08 -
, a.a.O., juris, Rn. 64, und BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 8 C 14.09 -, a.a.O.,
juris, Rn. 77).
Innerhalb des Kohärenzgebotes sind zwei Anforderungen zu unterscheiden.
Der Mitgliedstaat muss die unionsrechtlich legitimen Ziele im
Anwendungsbereich der Monopolregelung tatsächlich verfolgen. Er darf nicht
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scheinheilig legitime Ziele vorgeben, in Wahrheit aber andere - namentlich
fiskalische - Ziele anstreben, die die Beschränkung nicht legitimieren können.
Diese allein auf den Monopolsektor bezogene Anforderung (Binnenkohärenz)
gebietet, die normative Ausgestaltung und die praktische Handhabung des
Monopols konsequent an den unionsrechtlich legitimen Zielen auszurichten
(EuGH, Urt. v. 8.9.2010 - Rs. C-316/07 u.a. -, a.a.O., juris, Rn. 83, 88 ff. und 98;
BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 8 C 2.10 -, NVwZ 2011, 1328, juris, Rn. 45). Sie
unterscheidet sich insoweit nicht von dem verfassungsrechtlichen Erfordernis
einer normativen Ausgestaltung und Praxis, die konsequent an den
überragend wichtigen Gemeinwohlzielen des Monopols ausgerichtet ist
(BVerfG, Urt. v. 28.3.2006 - 1 BvR 1054/01 -, BVerfGE 115, 276, juris).
Nach der zweiten aus dem Kohärenzgebot abgeleiteten Anforderung, die über
den Monopolsektor hinausgeht, darf die Geeignetheit der Monopolregelung zur
Verwirklichung eines mit ihr (tatsächlich) verfolgten unionsrechtlich legitimen
Ziels nicht durch eine gegenläufige Glücksspielpolitik des Mitgliedstaates in
anderen Glücksspielbereichen konterkariert werden (BVerwG, Urt. v.
20.6.2013 - 8 C 10.12 -, a.a.O., juris, Rn. 32). Die Monopolregelung ist
inkohärent, wenn die zuständigen Behörden eine den Monopolzielen
zuwiderlaufende Politik betreiben oder dulden und dies zur Folge hat, dass
das der Errichtung des Monopols zugrunde liegende Ziel mit ihm nicht mehr
wirksam erreicht werden kann (EuGH, Urt. v. 8.9.2010 - Rs. C-316/07 u.a. -,
a.a.O., juris, Rn. 106; BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 8 C 2.10 -, NVwZ 2011, 1328,
juris, Rn. 45).
An diesen Anforderungen gemessen ist der Untersagungsbescheid des
Beklagten in dem Zeitraum seit seinem Erlass bis zum 31. Oktober 2007
rechtswidrig gewesen. Die Ausübung des durch § 14 Abs. 1 Satz 1 NLottG
i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LoStV eröffneten Ermessens war fehlerhaft,
weil das Sportwettenmonopol, mit dem die Untersagung begründet wurde,
gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot in Bezug auf seine erste
Anforderung verstieß. Soweit der Beklagte demgegenüber im
Berufungsverfahren vorträgt, er habe seine Untersagung nicht mit dem
Sportwettenmonopol begründet, sondern das Verbot mit dem Erfordernis
begründet, den Verstoß gegen das NLottG und den LoStV zu beenden,
übersieht er, dass in der Begründung des Bescheides (Seite 2 unter Nr. 2)
ausgeführt wird, die Vermittlung sei unerlaubt und könne in Ermanglung eines
Genehmigungstatbestandes auch nicht genehmigt werden. Sportwetten
könnten in Niedersachsen nur durch ein Wettunternehmen veranstaltet
werden, das wie TLN mit der sog. Oddset-Wette über eine entsprechende
Konzession verfüge. Außerdem nimmt der Bescheid auf Seite 3 am Ende im
Rahmen der Ermessenserwägungen Bezug auf die Strafvorschrift des § 16
NLottG und gibt hierzu den Hinweis, dass der Kläger ohne behördliche
Genehmigung gewerbsmäßig für einen in Niedersachsen nicht zugelassenen
Wettanbieter Sportwetten vermittle.
Das niedersächsische Sportwettenmonopol unter Geltung des
Lotteriestaatsvertrages erfüllte nicht die erste der beiden genannten
Kohärenzanforderungen. Nach seiner normativen Ausgestaltung und der
damaligen Praxis diente die Monopolregelung nicht den an sich
unionsrechtlich legitimen Zielen der Suchtbekämpfung sowie des Spieler- und
Jugendschutzes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zum staatlichen Monopol für Sportwetten (Oddset-Sportwette) in Bayern (Urteil
vom 28.3.2006 - 1 BvR 1054/01 -, a.a.O., 276, juris) enthielt der
Lotteriestaatsvertrag in § 1 Nr. 1 und § 4 zwar Bestimmungen zu diesen
unionsrechtlich ebenso wie verfassungsrechtlich wegen der Berufsfreiheit
nach Art. 12 Abs. 1 GG gebotenen Zielen. Es fehlten aber Regelungen, und
zwar sowohl in dem Lotteriestaatsvertrag als auch in dem bayrischen
Ausführungsgesetz, die gewährleisteten, dass das Monopolangebot auch in
der Praxis konsequent an den Zielen der Suchtbekämpfung und des Jugend-
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und Spielerschutzes ausgerichtet wurde (BVerfG, Urteil vom 28.3.2006 - 1 BvR
1054/01 -, a.a.O., juris, Rn. 127 ff.; BVerwG, Urt. v. 20.6.2013 - 8 C 42.12 -,
juris, Rn. 28 ff.). Insbesondere gab es nicht Vorschriften, die die Grenzen
zulässiger Werbung aufzeigten. Verfassungsrechtlich war die Werbung für das
Monopolangebot mit den legitimen Zielen des Monopols nur zu vereinbaren,
wenn sie sich auf sachliche Hinweise und Informationen über legale
Wettangebote beschränkte und die vorhandene Nachfrage hin zu dem
staatlichen Wettangebot kanalisierte. Dagegen durfte sie nicht expansiv auf
eine Vergrößerung der Nachfrage gerichtet sein und zur Teilnahme am
Glücksspiel ermuntern oder anreizen (BVerfG, Urteil vom 28.3.2006 - 1 BvR
1054/01 -, a.a.O., juris, Rn. 127 ff.; BVerwG, Urt. v. 20.6.2013 - 8 C 42.12 -,
juris, Rn. 29). Die Erfüllung dieser Anforderungen war seinerzeit in Bayern nicht
rechtlich gesichert. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts für die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen unter
dem Lotteriestaatsvertrag (BVerfG, Kammerbeschl. v. 7.12.2006 - 2 BvR
2428/06 -, NJW 2007, 1521, juris, Rn. 26; BVerwG, Urt. v. 20.6.2013 - 8 C
10.12 -, a.a.O., juris, Rn 66; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 20.6.2011 - 4 A
17/08 -, juris, Rn. 207).
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist für den
hier maßgeblichen Zeitraum in allen wesentlichen Punkten auf die in
Niedersachsen damals geltende Rechtslage übertragbar. Sie weist gegenüber
der Rechtslage in Bayern und Nordrhein-Westfalen keine substantiellen
Unterschiede auf (Senatsbeschl. v. 19.12.2006 - 11 ME 253/06 -, NdsVBl.
2007, 70, juris. Rn. 9). Das staatliche Monopol für Sportwetten bestand auch in
Niedersachsen. Weder der Lotteriestaatsvertrag noch das NLottG enthielt
Bestimmungen, die eine konsequente Ausrichtung an den Zielen der
Suchtbekämpfung sowie des Spieler- und Jugendschutzes gewährleisteten.
Auch in Niedersachsen mangelte es an Bestimmungen, die eine Beachtung
der Grenzen zulässiger Werbung gewährleisteten. § 4 Abs. 3 LoStV verbot
zwar eine irreführende Werbung, verhinderte aber nicht eine ausschließlich am
Ziel expansiver Vermarktung orientierte Werbung.
Die Ausgestaltung des Sportwettenmonopols in Niedersachsen war nicht nur
mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar. Es widersprach auch der
unionsrechtlichen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Die vom
Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Anforderungen an eine konsequent
an den genannten Zielen orientierte rechtliche Ausgestaltung des
Sportwettenmonopols decken sich insoweit mit den unionsrechtlichen
Vorgaben. Unionsrechtlich muss die Schaffung eines Monopols mit der
Errichtung eines normativen Rahmens einhergehen, mit dem sich
gewährleisten lässt, dass der Inhaber des Monopols tatsächlich in der Lage
sein wird, das festgelegte Ziel mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieses
Ziels quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist und einer strikten
behördlichen Kontrolle unterliegt, in kohärenter und systematischer Weise zu
verfolgen (EuGH, Urt. v. 8.9.2010 - Rs. C-316/07 u.a. -, a.a.O., juris, Rn. 83).
Daran fehlte es in dem hier maßgeblichen Zeitraum. Angesichts des zutage
getretenen verwaltungsrechtlichen Regelungsdefizites war insbesondere die
Erfüllung der unionsrechtlichen Anforderungen an eine maßvolle und an dem
Ziel des Verbraucherschutzes, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das
Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, orientierte Werbung
rechtlich nicht gesichert. Unzulässig war es, dem Wetten durch Hinweise auf
eine gemeinnützige Verwendung der Einnahmen ein positives Image zu
verleihen oder die Anziehungskraft des Wettens durch zugkräftige
Werbebotschaften zu erhöhen, die bedeutende Gewinne vorspiegeln (EuGH,
Urt. v. 8.9.2010 - Rs. C-316/07 u.a. -, a.a.O., juris, Rn. 103 und 106).
Die Anwendung des unter dem Lotteriestaatsvertrag in Niedersachsen
geltenden Sportwettenmonopols in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum
ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil das Bundesverfassungsgericht in seinen
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Entscheidungen zur Rechtslage in Bayern und Nordrhein-Westfalen für einen
Übergangszeitraum bis längstens 31. Dezember 2007 die weitere Anwendung
des verfassungswidrigen Rechts bis zu einer Neuregelung unter bestimmten
Maßgaben zugelassen hat. Soweit der Beklagte geltend macht, er habe die
Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts, unverzüglich ein Mindestmaß an
Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der
Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung des
Monopols andererseits herzustellen (BVerfG, Urteil vom 28.3.2006 - 1 BvR
1054/01 -, a.a.O., juris, Rn. 157), ausweislich des fortlaufend fortgeschriebenen
Maßnahmenkataloges umgesetzt, kommt es hierauf nicht an. Soweit der Senat
in der Vergangenheit in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine
andere Auffassung vertreten hat (Senatsbeschl. v. 19.12.2006 - 11 ME 253/06
-, a.a.O., juris, Rn. 10, und v. 2.5.2007 - 11 ME 106/07 -, NdsVBl. 2007, 216,
juris, Rn. 17), hält er hieran nicht mehr fest.
Die vorübergehende Hinnahme eines verfassungswidrigen Zustandes für den
Übergangszeitraum beseitigte nicht das europarechtliche Regelungsdefizit.
Unionsrechtlich war die übergangsweise Anwendung der unverhältnismäßigen
Monopolregelung nicht gerechtfertigt (BVerwG, Urt. v. 20.6.2013 - 8 C 10.12 -,
a.a.O., juris, Rn. 68, und Urt. v. 20.6.2013 - 8 C 42.12 -, juris, Rn. 32; OVG
Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 20.6.2011 - 4 A 17/08 -, juris, Rn. 213 ff.). Nach der
genannten Rechtsprechung kann die übergangsweise Anwendung
unionsrechtlicher Vorschriften nur nach Maßgabe des Unionsrechts legitimiert
werden. Die Voraussetzungen dafür lagen nicht vor (EuGH, Urt. v. 8.9.2010 -
Rs. C-409/06 -, NVwZ 2010, 1419, juris, Rn. 67).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr.
10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht
vor.