Urteil des OVG Niedersachsen vom 08.07.2014

OVG Lüneburg: prognostische beurteilung, konzept, zustellung, schulpflicht, befreiung, anerkennung, erfüllung, genehmigungsverfahren, volksschule, vollstreckung

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Genehmigung einer Ersatzschule - sonstige
Beschwerde
1. Zur Vollstreckung eines gerichtlichen Bescheidungsurteils bei Weigerung
der Behörde, über einen Antrag auf Genehmigung der Errichtung und des
Betriebs einer Grundschule als Ersatzschule unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
2. Eine Schule, welche dem Konzept staatlicher Grundschulen
entsprechend nur die ersten vier Klassen umfasst, kann wegen der
Vorgaben des Art. 7 Abs. 5 GG von vorneherein nur in der Gestalt einer
Ersatzschule betrieben werden; für die Einrichtung einer Ergänzungsschule
bleibt daneben kein Raum.
3. Eine Fiktivgenehmigung nach § 160 Satz 3 NSchG in Verbindung mit § 42
a VwVfG enthält die nach § 7 Abs. 5 GG erforderliche Anerkennung eines
besonderen pädagogischen Interesses nicht; hierfür fehlt es an einer
Anordnung der Genehmigungsfiktion in Art. 7 Abs. 5 GG selbst.
OVG Lüneburg 2. Senat, Beschluss vom 08.07.2014, 2 OB 148/14
Art 7 Abs 5 GG, § 144 SchulG ND, § 158 SchulG ND, § 160 SchulG ND, § 172 VwGO
Tenor
Die Beschwerden der Vollstreckungsschuldnerin gegen die Beschlüsse des
Verwaltungsgerichts Hannover - 6. Kammer - vom 1. April und vom 9. Mai
2014 2014 werden zurückgewiesen.
Die Vollstreckungsschuldnerin trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
Gründe
I.
Die Vollstreckungsschuldnerin wendet sich gegen die auf Antrag der
Vollstreckungsgläubigerin ergangene gerichtliche Androhung und Festsetzung
eines Zwangsgeldes wegen Säumigkeit in Bezug auf ein zu Lasten der
Vollstreckungsschuldnerin ergangenes Bescheidungsurteil.
Mit dem in Rede stehenden, am 25. September 2013 verkündeten und am 6.
November 2013 zugestellten Urteil hatte das Verwaltungsgericht die
Vollstreckungsschuldnerin und damalige Beklagte (im Folgenden: Beklagte)
auf Untätigkeitsklage dazu verpflichtet, über einen Antrag der
Vollstreckungsgläubigerin und damaligen Klägerin (im Folgenden: Klägerin)
auf Genehmigung der Errichtung und des Betriebs der privaten Grundschule
"A." als Ersatzschule unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
erneut zu entscheiden. Ursprünglich hatte die Klägerin die Genehmigung einer
"E. " beantragt. Nach einem gerichtlichen Erörterungstermin legte sie mit
Schriftsatz vom 28. November 20 ein geändertes pädagogisches Konzept für
eine "A." vor, das sich nunmehr allein noch an der Montessori-Pädagogik
orientierte, und benannte hierzu mit entsprechenden Unterlagen Lehrkräfte; bei
der bisher vorgesehenen finanziellen und sächlichen Ausstattung sollte es
verbleiben. Das Verwaltungsgericht setzte das Verfahren mit Beschluss vom
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29. Januar 2013 bis zum 29. April 2013 aus, um der Beklagten die Möglichkeit
zu eröffnen, die noch ausstehende Entscheidung über die "Grundschule A."
nachzuholen. Mit Bescheid vom 16. Mai 2013 lehnte die Beklagte den Antrag
ab, weil ein besonderes pädagogisches Interesse nicht hinreichend dargelegt
worden sei. Zeitgleich mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung fragte das
Verwaltungsgericht bei der Beklagten an, ob und ggf. mit welcher Maßgabe
diese - neben der Frage des pädagogischen Interesses - die übrigen in den §§
144 und 145 NSchG genannten Voraussetzungen für die Genehmigung der
"Grundschule A." als Ersatzschule als erfüllt ansehe. Ferner wies es einige Zeit
später die Klägerin darauf hin, dass ein Plan, aus welchem sich die für die
Startphase der Schule maßgebende Zahl der Lehrkräfte der entsprechenden
Fachrichtungen und deren Verteilung auf die Fächer des
Grundschulunterrichts ableiten lasse, noch nicht vorgelegt worden sei. Die
Beteiligten ergänzten daraufhin jeweils ihren Vortrag.
In seinem darauf ergangenen Bescheidungsurteil ging das Verwaltungsgericht
davon aus, dass die im Verlauf des Klageverfahrens vorgenommene
Klageänderung mit Einwilligung der Beklagten vorgenommen worden, im
Übrigen zur Vermeidung einer erneuten Klageerhebung aus
prozessökonomischen Gründen aber auch sachdienlich sei. In der Sache
bejahte es das Vorliegen eines besonderen pädagogischen Interesses im
Sinne des Art. 7 Abs. 5 GG. Soweit im Übrigen bestimmte Fragen zur
personellen und sachlichen Ausstattung der Schule noch offen seien, könne
die Erfüllung der fraglichen Anforderungen durch Nebenbestimmungen
sichergestellt werden. Die im Rahmen der Frage der Eignung als Schulträger
zwischen den Beteiligten kontroverse Frage, ob der tatsächlich
aufgenommene Schulbetrieb nach den §§ 158, 160 NSchG
(Ergänzungsschule mit fiktiver Befreiung von der Schulpflicht) als legal
betrachtet werden könne, lasse sich nicht eindeutig zu Lasten der Klägerin
entscheiden.
Auf Antrag der Klägerin vom 10. März 2014 setzte das Verwaltungsgericht der
Beklagten mit Eingangsverfügung vom 11. März 2014 entsprechend § 172
Abs. 2 VwGO eine Frist von 14 Tagen ab Zustellung zur Vermeidung einer
Vollstreckung. Unter dem gleichen Datum forderte die Beklagte die Klägerin
zur Information über den Stand der Planung und zur Vorlage noch fehlender
Unterlagen auf; hierzu formulierte sie fünfzehn konkrete Einzelfragen. Diese
Vorgänge waren auch Gegenstand einer unter dem Datum vom 19. März 2014
verfassten schriftlichen Beantwortung einer Kleinen Anfrage
(Landtagsdrucksache 17/1361).
Die Klägerin hielt hierauf dem Verwaltungsgericht gegenüber an ihrem Antrag
fest und vertrat den Standpunkt, die Informationen überwiegend bereits
gegeben zu haben; im Übrigen seien die angefragten Angaben nicht
genehmigungsrelevant. In ihrer Antragserwiderung bekräftigte die Beklagte
demgegenüber ihre Auffassung, die bislang vorgelegten Unterlagen seien
defizitär. Ihr notwendiger Umfang ergebe sich bereits aus einem amtlichen
Merkblatt, das der Klägerin bekannt sein müsse.
Mit dem ersten der beiden angegriffenen Beschlüsse - dieser vom 1. April
2014 - setzte das Verwaltungsgericht der Beklagten eine Frist von einem
Monat ab Zustellung zur Erfüllung ihrer Verpflichtung zur Neubescheidung aus
dem Urteil vom 25. September 2013 und drohte insoweit ein Zwangsgeld in
Höhe von 5.000 EUR an. Zur Begründung führte es aus, die allgemeinen
Vollstreckungsvoraussetzungen des § 172 VwGO lägen vor. Es stelle einen
Fall grundloser Säumnis dar, dass die Beklagte noch nicht neu beschieden
habe. Mit der Einwendung, dass die Klägerin zunächst noch ihre
Genehmigungsunterlagen zu ergänzen habe, sei die Beklagte nach § 767
Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 167 Abs. 1 VwGO ausgeschlossen, weil eine
hierfür vorauszusetzende Änderung der Sach- und Rechtslage nicht
eingetreten sei. Eine weitere Erfüllungsfrist komme - zumal unter
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Berücksichtigung des aus der Dienstleistungsrichtlinie folgenden
Beschleunigungsgebots - nach Ablauf von 3 Monaten nach Eintritt der
Rechtskraft nicht mehr in Betracht.
Auf die hiergegen gerichtete, am 10. April zunächst ohne Begründung
eingegangene Beschwerde der Beklagten setzte das Verwaltungsgericht
dieser eine Frist zur Vorlage der Beschwerdebegründung bis zum 25. April
2014. Mit Schriftsatz vom 23. April 2014 bat letztere um Fristverlängerung, weil
die Bearbeiterin von der Fristsetzung wegen Urlaubs erst am 22. April 2014
Kenntnis bekommen habe. Die Erwiderung müsse mit dem Niedersächsischen
Kultusministerium abgestimmt werden; die Rückmeldung von dort stehe noch
aus.
Mit Schriftsatz vom 28. April 2014 vertrat die Beklagte sodann den Standpunkt,
sie habe die ihr auferlegte Verpflichtung zur Neubescheidung noch nicht
erfüllen können. Erst mit Vorlage der schriftlichen Entscheidungsgründe sei es
möglich gewesen, nachzuvollziehen, weshalb ihr Ablehnungsbescheid
aufgehoben worden sei und welche Rechtsauffassung das Gericht zugrunde
gelegt habe. Rechtskräftig sei das Urteil erst am 6. Dezember 2013 geworden.
Die Anerkennung des von ihr im Ausgangsverfahren verneinten besonderen
pädagogischen Interesses sei Voraussetzung für die Aufnahme eines
Genehmigungsverfahrens. Sie sei deshalb berechtigt, jetzt die noch fehlenden
Unterlagen und Informationen einzufordern. Die zuvor vorgelegten Unterlagen
seien zum Teil nicht mehr aktuell, z.B. hinsichtlich der einzusetzenden
Lehrkräfte und des zu nutzenden Gebäudes.
Mit seinem ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 9. Mai 2014 half das
Verwaltungsgericht der Beschwerde nicht ab, lehnte den in der
Beschwerdebegründung enthaltenen Antrag auf einstweilige Einstellung der
Vollstreckung ab und setzte das Zwangsgeld in Höhe von 5.000 EUR fest. Zur
Begründung führte es aus, die Beklagte stelle die zeitlichen Abläufe
unzutreffend dar. Das neue pädagogische Konzept habe sich nicht erst aus
einem Schriftsatz vom 28. November 2013 ergeben, sondern datiere vom 28.
November 2012 und sei der Beklagten umgehend zugeleitet worden.
Unzutreffend sei auch die Darstellung, es habe während des gerichtlichen
Verfahrens keinen Anlass gegeben, noch fehlende Unterlagen und
Informationen nachzufordern. Vielmehr habe die Kammer angesichts der bis
dahin nur eingeschränkten Prüfung des Genehmigungsantrags den
Rechtsstreit durch Aufklärungsverfügungen des Berichterstatters vom 25. Juli
und 18. September 2013 spruchreif gemacht. Aus den Entscheidungsgründen
ergebe sich im Übrigen, dass offene Fragen hinsichtlich räumlicher und
organisatorischer Voraussetzungen durch Beifügung entsprechender
Nebenbestimmungen auszuräumen seien. Die Erfüllungsfrist sei nicht zu kurz
bemessen.
Zu ihrer gegen die Zwangsgeldfestsetzung gerichteten Beschwerde vertrat die
Beklagte die Auffassung, sie sei nicht säumig gewesen. Das
Bescheidungsurteil sei keine vier Monate vor Ergehen des ersten Beschlusses
rechtskräftig geworden. In der Zwischenzeit habe sie die vorgelegten
Unterlagen gesichtet und geprüft, um die Genehmigungsreife herbeizuführen.
Erst auf richterlichen Hinweis habe die Klägerin ihr pädagogisches Konzept
von einer E. auf eine Montessori-Schule umgestellt und das jetzige Konzept
fast wortgleich aus der Präsentation des Montessori Bildungshauses F.
abgeschrieben, ohne es mit Unterlagen und Belegen für die konkret geplante
eigene Schule zu unterfüttern. Deshalb sei ihr mit Schreiben vom 11. März
2014 mitgeteilt worden, welche Informationen und Unterlagen noch fehlten.
Hierzu sei sie befugt gewesen, denn § 26 Abs. 1 VwVfG überlasse es in den
vom Gegenstand des Verfahrens gezogenen Grenzen grundsätzlich der nach
pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Entscheidung der Behörde, welche
Mittel sie zur Erforschung des Sachverhalts anwende und welche Aspekte sie
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in die Prüfung einbeziehe. Damit sei sie weder säumig noch untätig geblieben.
Mangels Vorlage der angeforderten Unterlagen sei der Antrag nach wie vor
nicht entscheidungsreif.
Auch das Gericht sei nach den Entscheidungsgründen nicht der Meinung
gewesen, dass das Schulkonzept seitens der Beklagten hinreichend mit dem
grundsätzlichen Vorrang der öffentlichen Grundschule abgewogen und die
sich daraus ergebende Negativprognose nachvollziehbar begründet worden
sei. Die Feststellung, ob die besondere pädagogische Bedeutung der Schule
vorliege, obliege allein ihr, der Beklagten. Die Erwägungen des Gerichts seien
dabei zu berücksichtigen, die Entscheidungskompetenz liege aber allein bei
der Behörde. Eigene Erwägungen, mit denen sich das Gericht bislang nicht
befasst habe, könnten nicht außer Acht gelassen werden. Die Übersendung
eines bloß abgeschriebenen Konzepts während des Gerichtsverfahrens reiche
für die Beurteilung des Vorliegens eines besonderen pädagogischen
Interesses nicht aus. Das Gericht dürfe sich nicht an die Stelle der
Genehmigungsbehörde setzen.
Das Gericht sei zwar davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine
Genehmigung grundsätzlich vorlägen. Es sei aber selbst von der
Erforderlichkeit einer Fortführung des Genehmigungsverfahrens
ausgegangen. Deshalb leuchte es nicht ein, wenn das Gericht nunmehr davon
ausgehe, dass über den Antrag ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen
sachgerecht entschieden werden könne. Durch den Erlass von
Nebenbestimmungen könne das Verfahren nicht beschleunigt werden. Sie
habe bei der Anwendung des § 36 VwVfG im Übrigen Ermessen. Auflagen
und Nebenbestimmungen seien hier nicht zweckmäßig. Sie ergäben allenfalls
Sinn für Unterlagen, die erst nach Aufnahme des Schulbetriebes vorgelegt
werden könnten, nicht aber für Umstände, die vor der Entscheidung geprüft
werden müssten.
Wenn ungeachtet dessen sofort über den Genehmigungsantrag entschieden
werden müsse, könne die Entscheidung nur negativ ausfallen; dies liege nicht
im Interesse der Klägerin.
Die Klägerin tritt dem entgegen.
II.
Die Beschwerden bleiben ohne Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen des
Verwaltungsgerichts sind nicht zu beanstanden.
Die Voraussetzungen des § 172 VwGO liegen vor. Insbesondere ist die
Beklagte einer ihr im Urteil des Verwaltungsgerichts auferlegten Verpflichtung
nicht nachgekommen. Zu den hiernach vollstreckbaren Urteilen gehören auch
Bescheidungsurteile, wie sich schon aus der Bezugnahme auf § 113 Abs. 5
VwGO ergibt. Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich,
dass die Bescheidung ihrem konkreten Ausspruch nach nicht
vollstreckungsfähig wäre. Die Beklagte verkennt insoweit die Reichweite der
mit dem Bescheidungsurteil bereits eingetretenen Bindungswirkung. Sie beruft
sich darauf, dass ihr allein - nicht dem Gericht - die abschließende
Entscheidung über die Anerkennung des besonderen pädagogischen
Interesses obliege und dass sie deshalb auch ein weiteres
Verwaltungsverfahren zur Ermittlung der hierfür maßgeblichen
Voraussetzungen durchzuführen habe. Das trifft indes nicht zu:
Maßgeblich für die Reichweite der eingetretenen Bindungswirkung ist
zunächst nicht, was das Verwaltungsgericht hätte entscheiden dürfen oder
müssen, sondern was es tatsächlich entschieden hat. Hier hat das
Verwaltungsgericht abschließend entschieden, dass ein besonderes
pädagogisches Interesse im Sinne des Art. 7 Abs. 5 GG vorliege. Wenn sich
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die Beklagte dieser Auffassung nicht anschließen wollte, hätte sie einen Antrag
auf Zulassung der Berufung stellen müssen. Da sie das Urteil jedoch hat
rechtskräftig werden lassen, ist sie nicht mehr berechtigt, über die
Anerkennung eines besonderen pädagogischen Interesses im Sinne des Art.
7 Abs. 5 GG selbst noch einmal zu befinden. Sie kann nur noch vom Gericht
nicht abschließend beurteilte periphere Fragen - wie die erforderliche
Ausstattung der Schule - einer weiteren Überprüfung unterziehen, ist allerdings
auch insoweit gehalten, die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu
respektieren, dass die Beifügung von Nebenbestimmungen ein geeignetes
Instrument zur Absicherung der Rechtmäßigkeit der Genehmigung sei. Das
schließt nicht aus, dass sie die Genehmigung erneut ablehnt. Dass dies - wie
die Beklagte meint - nicht im Sinne der Klägerin liegen könnte, rechtfertigt
weitere Verzögerungen nicht, weil es auch im Interesse der Klägerin liegen
kann, eine erneute Ablehnungsentscheidung, deren Ergehen nach dem Inhalt
der Schriftsätze der Beklagten nicht überraschend wäre, baldmöglichst einer
gerichtlichen Überprüfung zuzuführen.
Unzutreffend ist auch die Auffassung der Beklagten, "das positive Vorliegen
des besonderen pädagogischen Interesses sei Voraussetzung für die
Aufnahme eines Genehmigungsverfahrens" (Schriftsatz vom 28. April 2014).
Zwar ist auch das Verwaltungsgericht in seinem zugrunde liegenden Urteil
davon ausgegangen, dass die Schulbehörde im Genehmigungsverfahren
nach den §§ 143 ff. NSchG über die Zulassungsschranke des Art. 7 Abs. 5 GG
vorab entscheiden und von einer Prüfung der weiteren
Genehmigungsvoraussetzungen absehen könne, wenn es bereits an einem
besonderen pädagogischen Interesse fehle. Das entspricht fraglos einem
bestehenden Bedürfnis und kann in beiderseitigem Einverständnis von
Antragsteller und Behörde auch bedenkenfrei so gehandhabt werden. Eine
ausdrückliche Rechtsgrundlage dafür, eine solche "Taktung" von
Genehmigungsverfahren auch gegen den Willen des Antragstellers
vorzunehmen, ist jedoch nicht ersichtlich; einen diesbezüglichen
"Vorbescheid" kennt das niedersächsische Schulgesetz nicht. § 2 Abs. 3 Nr. 3
NVwVfG iVm § 10 VwVfG, wonach das Verwaltungsverfahren an bestimmte
Formen nicht gebunden, sondern einfach, zweckmäßig und zügig
durchzuführen ist, bietet ebenfalls keine tragfähige Grundlage für ein solches
Vorgehen, denn auch im Hinblick auf die damit bezweckte Verfahrenseffizienz
allein können nicht berechtigte Interessen des Antragstellers des
Verwaltungsverfahrens beiseite geschoben werden. Grundsätzlich verbleibt es
deshalb dabei, dass der Antrag den Prüfungsumfang bestimmt: Ist die
Genehmigung einer privaten Volksschule ohne Einschränkungen beantragt,
muss er deshalb auch von vornherein insgesamt geprüft werden. Das schließt
zwar nicht aus, dass die Behörde einen Ablehnungsbescheid nur auf
bestimmte Versagungsgründe stützt wie das Nichtvorliegen eines besonderen
pädagogischen Interesses. Es ist ihr aber verwehrt, in Fällen wie dem
vorliegenden daraus zusätzliche Bearbeitungsfristen plausibel zu machen.
Selbst wenn aber der Beklagten nach § 10 VwVfG das Recht zugestanden
hätte, ihre Prüfung zunächst auf das Vorliegen eines besonderen
pädagogischen Interesses zu beschränken, hätte sie spätestens auf die
Aufklärungsverfügung des Verwaltungsgerichts vom 25. Juli 2013 tätig werden
müssen, mit welcher um Stellungnahme gebeten worden war, ob und ggf. mit
welcher Maßgabe sie die übrigen in den §§ 144 und 145 NSchG genannten
Voraussetzungen für die Schulgenehmigung als erfüllt ansehe. Die Beklagte
hätte schon früher, aber jedenfalls hierauf - möglicherweise mit guten Gründen
- argumentieren können, der Austausch des Schulkonzepts stelle eine im
Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO nicht sachdienliche Klageänderung dar. Dies hat
sie jedoch nicht getan, sondern in der Sache Stellung genommen und damit
nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 91 Abs. 2
VwGO in die Klageänderung eingewilligt. Unter diesen Umständen entsprach
es jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht mehr dem Gedanken der
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Verfahrenseffizienz im Sinne des § 10 VwVfG, weiterhin von einer
abschließenden Überprüfung der Genehmigungsvoraussetzungen
abzusehen.
Im Übrigen geht die Beklagte der Sache nach zu Unrecht davon aus, dass
eine verbindliche verwaltungsgerichtliche Letztentscheidung über das
Vorliegen des besonderen pädagogischen Interesses aufgrund des ihr
insoweit eingeräumten Entscheidungsspielraums nicht möglich sei. Es ist zwar
anerkannt, dass die Entscheidung nach Art. 7 Abs. 5 GG nicht in vollem
Umfang gerichtlich überprüfbar ist; die Gerichte hätten insofern die vom
Grundgesetz vorgegebene Kompetenzverteilung zu respektieren (BVerfG,
Beschl. v. 16.12.1992 - 1 BvR 167/87 -, BVerfGE 88, 40 = DVBl. 1993, 485,
juris Rdnr. 44 ff.). Das bedeutet aber nicht, dass die Gerichte generell gehindert
wären, sich über die behördliche Nichtanerkennung des besonderen
pädagogischen Interesses hinwegzusetzen. Ebenso wie in allen anderen
Fällen eingeschränkter gerichtlicher Kontrolldichte erfordert die Gewährleistung
effektiven Rechtsschutzes, dass jedenfalls deutliche Fehlgriffe der Behörden
von den Gerichten abschließend korrigiert werden können. Ob diese
Voraussetzungen hier vorlagen, bedarf aufgrund der Rechtskraft des
verwaltungsgerichtlichen Urteils keiner Entscheidung.
Die Beklagte ist der ihr auferlegten Verpflichtung zur Neubescheidung bis zu
den angegriffenen Beschlüssen nicht in angemessener Zeit (nicht einmal bis
heute) nachgekommen, so dass hier ein Fall "grundloser Säumnis" vorlag und
noch vorliegt. Soweit die Beklagte darauf verweist, ihr sei das
Bescheidungsurteil erst am 6. November 2013 zugegangen, ist richtig, dass es
für die Vollstreckbarkeit auf den Zeitpunkt der Zustellung des vollständig
abgefassten Urteils ankommt (vgl. z.B. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v.
2.6.2014 - 3 I 1.14 -, juris). Dies hindert jedoch nicht daran, bei der Bemessung
der sich daran anschließenden angemessenen Frist auch auf Umstände aus
der Zeit vor der Zustellung mit abzustellen:
Hier hatte die Beklagte das Genehmigungsverfahren und das gerichtliche
Verfahren zu keiner Zeit nachhaltig gefördert; der ergangene Bescheid war vor
dem Hintergrund der bis dahin verstrichenen Zeit inhaltsarm. Richtig ist zwar,
dass zunächst der Antragsteller im Zulassungsverfahren die "Darlegungslast"
für das von ihm zur Prüfung gestellte pädagogische Interesse hat. Es ist nicht
Sache der Unterrichtsverwaltung, nach einem denkbaren pädagogischen
Konzept für eine beantragte private Grundschule erst selbst zu suchen oder
nur skizzenhaft vorgestellte Konzeptionen anhand allgemein verfügbarer
pädagogischer Erkenntnisse auszudeuten; der Antragsteller muss das von
ihm entwickelte Konzept vielmehr auf das konkrete Vorhaben bezogen so
substantiiert darlegen, dass der Unterrichtsverwaltung ein Vergleich mit
bestehenden pädagogischen Konzepten und eine prognostische Beurteilung
seiner Erfolgschancen und der möglicherweise mit ihm verbundenen Risiken
und Gefahren für die Entwicklung der Schüler ohne weiteres möglich ist
(BVerfG, Beschl. v. 16.9.1992, a.a.O., juris Rdnr. 30). Die
Unterrichtsverwaltung muss jedoch auch ihrerseits nachvollziehbar darlegen,
auf welche Tatsachen und Erfahrungen aus ihrer eigenen Sphäre und auf
welche wissenschaftlichen Erkenntnisse Dritter sie zur prognostischen
Beurteilung zurückgreift (BVerfG, Beschl. v. 16.9.1992, a.a.O., juris Rdnr. 54).
Diese Anforderungen werden von dem fraglichen Bescheid aber kaum
eingelöst.
Darüber hinaus hätte sich die Beklagte bereits deutlich vor der Zustellung des
Urteils auf die schon durch die Aufklärungsverfügung des Verwaltungsgerichts
vom 25. Juli 2013 erkennbar gewordene Rechtsauffassung des
Verwaltungsgerichts einstellen können. Selbst wenn der Beklagten nicht
vorzuhalten ist, dass sie nicht auf die Verkündung des Urteils gewartet hat, die
nicht im Anschluss an die auf 11.30 Uhr anberaumte mündliche Verhandlung
erfolgte, sondern ("im Verlauf des Sitzungstages") um 14:00 Uhr, konnte sie
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auch anhand des Tenors, der nach Verkündung am 25. September 2013 ohne
Weiteres abgefragt werden konnte, im Wesentlichen schon abschätzen, wie
die Sache ausgegangen war.
Unter diesen Umständen hatte die Beklagte nach der Zustellung des Urteils
am 6. November 2013 bis zum Ergehen der Zwangsgeldandrohung vom 1.
April 2014 hinreichend Anlass und Zeit für eine Neubescheidung. Auch die
Höhe des festgesetzten Zwangsgeldes begegnet keinen Bedenken.
Der Umstand, dass die Klägerin sich selbst berühmt, die zur Genehmigung
gestellte Schule bereits legal (als Ergänzungsschule) führen zu dürfen und sie
den Schulbetrieb auch tatsächlich aufgenommen hat, gibt dem Senat zur
Vermeidung zukünftiger Rechtsstreitigkeiten Anlass zu den folgenden
Hinweisen:
Der Betrieb der „Grundschule A.“ als Ergänzungsschule dürfte entgegen der
Auffassung der Klägerin nicht in Einklang mit den einschlägigen rechtlichen
Bestimmungen stehen. Die Zulassung einer privaten Volksschule - wie sie hier
in Rede steht - richtet sich nach der bundesverfassungsrechtlichen Vorschrift
des Art. 7 Abs. 5 GG. Ebenso wie die allgemeinen
bundesverfassungsrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen des Art. 7
Abs. 4 GG (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 30.1.2013 - 6 C 6.12 -, BVerwGE 145,
333 = NVwZ-RR 2013, 363) steht diese Bestimmung nicht zur
landesrechtlichen Disposition. Sie stellt nicht bloß eine verfahrensrechtliche
Regelung im Gewande einer Verfassungsnorm dar, sondern enthält eine
sozialstaatliche und egalitär-demokratischem Gedankengut verpflichtete
Absage an Klassen, Stände und sonstige Schichtungen und verfolgt nach wie
vor den Zweck, die Kinder aller Volksschichten zumindest in den ersten
Klassen grundsätzlich zusammenzufassen und private Volks- oder
Grundschulen nur zuzulassen, wenn der Vorrang der öffentlichen Schulen aus
besonderen Gründen zurücktreten muss (BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 - 1
BvR 167/87 -, BVerfGE 88, 40 = DVBl. 1993, 485, juris Rdnr. 27). Die Länder
dürfen ergänzende verfahrensrechtliche Bestimmungen erlassen;
insbesondere bleibt es landesrechtlicher Regelung vorbehalten, wie der
(notwendige) Zusammenhang zu dem in Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG
angesprochenen Genehmigungsverfahren hergestellt wird (BVerfG, a.a.O. juris
Rdnr. 29). Unzulässig und unmittelbar verfassungswidrig wären dagegen
Regelungen, welche der angesprochenen verfassungsrechtlichen Zielrichtung
ihre Wirkung nähmen. Da der niedersächsische Gesetzgeber sich darauf
beschränkt hat, innerhalb des Abschnitts "Ersatzschulen" mit § 144 Abs. 1
Satz 2 NSchG die Vorschrift des Art. 7 Abs. 5 GG als maßgebend zu
bezeichnen, hat er den damit gezogenen Rahmen nicht überschritten. Auch
andere, diese Verfassungsnorm nicht unmittelbar in Bezug nehmende
Bestimmungen des niedersächsischen Schulgesetzes dürfen hiernach nicht
so ausgelegt werden, dass Raum für eine Umgehung des Art. 7 Abs. 5 GG
verbleibt.
Auf dieser Grundlage ist es von der Rechtsprechung nicht beanstandet
worden, dass in der Praxis Privatschulen, die mehr als die ersten vier Klassen
umfassen (vgl. zu dieser Problematik auch BVerwG, Beschl. v. 28.11.2012 - 6
B 46.12 -, juris), nicht als Ersatzschulen, sondern als Ergänzungsschulen im
Sinne des § 158 NSchG unter Befreiung von der Schulpflicht nach § 160
NSchG betrieben worden sind und werden (vgl. z.B. VG Hannover,
Gerichtsbescheid v. 24.7.2003 - 6 B 1906/03 -, juris). Dies entspricht auch
Bedürfnissen der Praxis. Eine solche Handhabung ist aber nur dann nicht
verfassungswidrig, wenn die Befreiung von der Schulpflicht - bezogen auf die
ersten vier Schuljahre - von der vollen Erfüllung der Anforderungen des Art. 7
Abs. 5 GG abhängig gemacht wird. Eine Schule, welche - wie hier - dem
Konzept staatlicher Grundschulen entsprechend nur die ersten vier Klassen
umfasst, kann wegen der Vorgaben des Art. 7 Abs. 5 GG von vorneherein nur
in der Gestalt einer Ersatzschule betrieben werden; für die Einrichtung einer
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Ergänzungsschule bleibt daneben kein Raum.
Jedenfalls wäre aber auch hier - hielte man die Errichtung einer
Ergänzungsschule für zulässig - die Befreiung von der Schulpflicht von der
vollen Erfüllung der Anforderungen des Art. 7 Abs. 5 GG abhängig zu machen,
woran es im vorliegenden Fall fehlt. Eine Fiktivgenehmigung nach § 160 Satz
3 NSchG in Verbindung mit § 42 a VwVfG enthält die hiernach erforderliche
Anerkennung eines besonderen pädagogischen Interesses nicht; hierfür fehlt
es an einer Anordnung der Genehmigungsfiktion in Art. 7 Abs. 5 GG selbst.
Eine fiktive Befreiung von der Schulpflicht allein stellt deshalb keine den
verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Grundlage für die
Aufnahme des Schulbetriebs dar, sondern ist für die Zulässigkeit des Betriebs
einer privaten Volksschule unbeachtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung
eines Streitwerts bedarf es nicht, da sowohl für die erste als auch für zweite
Instanz jeweils eine streitwertunabhängige Festgebühr nach Nr. 5301 und Nr.
5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO).