Urteil des OVG Niedersachsen vom 12.03.2013

OVG Lüneburg: achtung des privatlebens, schutz des privatlebens, integration, rechtliches gehör, emrk, aufenthaltserlaubnis, lebensgemeinschaft, sport, geburt, erlass

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Zum Verhältnis der Altfall-/Bleiberechtsregelungen zu §
25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK
Erfüllt ein Ausländer, der dem Anwendungsbereich der §§ 104a, 104b
AufenthG, des § 25a AufenthG oder der nachfolgenden
Bleiberechtsregelungen (Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport
und Integration, Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen im Anschluss an die
gesetzliche Altfallregelung nach § 104a, Anordnung nach § 23 Abs. 1 des
Aufenthaltsgesetzes (Bleiberechtsregelung 2009), Erlass v. 11.12.2009 -
42.12.-12230/1-8 (§ 23); Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport,
Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Bleiberechtsreglung
2009 (nach § 23 Abs. 1 i.V.m. § 104a Aufenthaltsgesetz erteilte
Aufenthaltserlaubnisse), Erlass v. 19.12.2011 - 42.12-12230.1-8 (§ 23))
unterfällt, die in diesen Bestimmungen formulierten Voraussetzungen für eine
aufenthaltsrechtsbegründende Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse
nicht, ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1
AufenthG zum Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK regelmäßig
ausgeschlossen.
OVG Lüneburg 8. Senat, Beschluss vom 12.03.2013, 8 LA 13/13
§ 104a AufenthG, § 104b AufenthG, § 23 Abs 1 AufenthG, § 25 Abs 5 S 1 AufenthG,
§ 25a AufenthG, § 8 AufenthG, Art 8 MRK, Art 6 GG, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO, § 124
Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO
Gründe
Die Anträge der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts, mit dem dieses ihre Klage auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis und Aufhebung des dies ablehnenden Bescheides des
Beklagten vom 23. Januar 2012 abgewiesen hat, und auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren bleiben ohne Erfolg.
Die Klägerinnen haben ihren Berufungszulassungsantrag auf die
Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der
erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und des
Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gestützt. Diese
Zulassungsgründe sind zum Teil schon nicht in einer den Anforderungen des §
124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt und liegen im Übrigen
nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im
Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn aufgrund der
Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des
Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung
sprechende Gründe zutage treten (vgl. Senatsbeschl. v. 11.2.2011 - 8 LA
259/10 -, juris Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das
Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der
angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7
AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).
Die Klägerinnen wenden gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen der
Voraussetzungen für eine Verlängerung ihrer nach § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m.
der Bleiberechtsregelung 2009 befristet bis zum 31. Dezember 2011 erteilten
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Aufenthaltserlaubnisse verneint. Das Verwaltungsgericht habe nicht
berücksichtigt, dass es sich bei dem Wohnort der Klägerinnen, Esens, und den
gesamten Landkreis Wittmund um eine sehr strukturschwache Gegend handelt,
in der tourismusbedingt nahezu nur Saisonarbeit möglich sei. Aufgrund der
Schwangerschaft der Klägerin zu 1. bei ihrer Rückkehr nach Esens im
November 2010 sei es ihr weder tatsächlich möglich noch zumutbar gewesen,
eine unterhaltssichernde Beschäftigung zu finden. Auch nach der Geburt der
Klägerin zu 2. sei dies schwierig gewesen. Gleichwohl sei es der Klägerin zu 1.
im Jahr 2012 gelungen, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Entgegen der Annahme
des Verwaltungsgerichts könne aus diesen Umständen auf eine positive
Erwerbsperspektive der Klägerin zu 1. geschlossen werden.
Diese Einwände stellen die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts,
der Klägerin zu 1. könne die für eine Verlängerung der nach § 23 Abs. 1
AufenthG i.V.m. der Bleiberechtsregelung 2009 erteilten Aufenthaltserlaubnis
erforderliche günstige Integrationsprognose nicht gestellt werden, nicht in Frage.
Die der Klägerin zu 1. nach § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. der sog.
Bleiberechtsregelung 2009 (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres,
Sport und Integration, Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen im Anschluss an
die gesetzliche Altfallregelung nach § 104a, Anordnung nach § 23 Abs. 1 des
Aufenthaltsgesetzes (Bleiberechtsregelung 2009), Erlass v. 11.12.2009 - 42.12.-
12230/1-8 (§ 23)) befristet bis zum 31. Dezember 2011 erteilte
Aufenthaltserlaubnis kann nach der allgemeinen Regelung des § 8 Abs. 1
AufenthG verlängert werden, wenn die sich aus der Bleiberechtsregelung 2009
ergebenden Voraussetzungen auch über den 31. Dezember 2011 hinaus erfüllt
werden. Erforderlich ist mithin insbesondere, dass der Ausländer sich
nachweislich um die Sicherung des Lebensunterhalts durch Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit bemüht und ihm auch deshalb eine günstige
Integrationsprognose gestellt werden kann, also auf der Grundlage der
nachgewiesenen Erwerbsbemühungen in nächster Zeit eine vollständige
Lebensunterhaltssicherung zu erwarten ist. Für alleinerziehende Ausländer,
denen es nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nicht zuzumuten ist, eine
Beschäftigung aufzunehmen, ist der vorübergehende Bezug öffentlicher
Leistungen bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes unschädlich,
wenn aufgrund bisheriger Beschäftigungen oder nachgewiesener Bemühungen
zur Aufnahme einer Beschäftigung die Annahme gerechtfertigt ist, dass eine
vollständige Sicherung des Lebensunterhalts in Zukunft durch Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit erreicht werden kann (vgl. Niedersächsisches Ministerium für
Inneres und Sport, Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen nach der
Bleiberechtsreglung 2009 (nach § 23 Abs. 1 i.V.m. § 104a Aufenthaltsgesetz
erteilte Aufenthaltserlaubnisse), Erlass v. 19.12.2011 - 42.12-12230.1-8 (§ 23)).
Diese Voraussetzungen sind hier - unabhängig davon, ob auf die Sachlage im
Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung oder im Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abgestellt
wird - nicht erfüllt.
Der vorübergehende Bezug öffentlicher Leistungen steht der Annahme einer
positiven Integrationsprognose für die Klägerin zu 1. zwar nicht von vorneherein
entgegen, solange ihre am D. 2011 geborene Tochter, die Klägerin zu 2., das 3.
Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die bisherigen Beschäftigungen der
Klägerin zu 1. oder deren nachgewiesene Bemühungen zur Aufnahme einer
Beschäftigung rechtfertigen indes nicht die Annahme, dass eine vollständige
Sicherung des Lebensunterhalts in Zukunft durch Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit erreicht werden kann. So hat die Klägerin zu 1. zwar 2006 einen
Hauptschulabschluss erlangt, anschließend ein Berufsvorbereitungsjahr
absolviert und hiermit eine Grundlage für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
geschaffen. Sie hat diese Grundlage aber bis heute nicht hinreichend genutzt.
Eine Berufsausbildung hat die Klägerin zu 1. bisher nicht abgeschlossen. Dabei
geht ihr Hinweis auf die Strukturschwäche des Landkreises Wittmund fehl. Denn
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ihr sind in den vergangenen sechs Jahren immerhin zwei Ausbildungsplätze
angeboten worden, und zwar zur Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk ab
August 2009 (Bl. 144 Beiakte A) und zur Bäckereifachverkäuferin ab August
2010 (Bl. 166 Beiakte A). Die erste Ausbildung hat die Klägerin zu 1. nach kurzer
Zeit abgebrochen und die zweite Ausbildung gar nicht erst angetreten.
Nachvollziehbare Gründe hierfür sind nicht ersichtlich. Darüber hinaus hat die
Klägerin zu 1. bis 2009 nur Praktika in geringfügigem zeitlichem Umfang
absolviert (siehe Lebenslauf der Klägerin zu 1., Bl. 160 Beiakte A, und Vermerk
des Beklagten v. 29.3.2012, Bl. 289 Beiakte C). Weitere Bemühungen um eine
Arbeitsstelle in diesem Zeitraum sind nicht erkennbar. Erst ab Dezember 2009
sind Bewerbungen der Klägerin zu 1. um eine Arbeitsstelle dokumentiert (Bl. 155
f. Beiakte A), worauf sie von Januar bis Juli 2010 auch ein bezahltes Praktikum
in einer Bäckerei ableisten konnte (Bl. 166 Beiakte A). Nach dem Umzug zu
ihrem Freund nach E. im August 2010 (Bl. 179 f. Beiakte A) nahm sie zwar eine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in der Küche des F. auf (Bl. 184
Beiakte A). Dieses Arbeitsverhältnis kündigte die Klägerin zu 1. indes kurze Zeit
später und zog an ihren jetzigen Wohnort zurück (Bl. 193 Beiakte A). Dort wurde
am 14. Mai 2011 ihre Tochter geboren. Das Erwerbsverhalten der Klägerin zu 1.
ist bis zu diesem Zeitpunkt von wenig Konstanz geprägt. Nachhaltige
Bemühungen um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz fehlen. Stattdessen sind
bloße Praktika oder sehr kurzfristige Beschäftigungen durchlaufen worden, ohne
dass eine eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes gelungen wäre.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände vermag der Senat auch in der nach
der Geburt der Klägerin zu 2. von April bis Oktober 2012 ausgeübten
Beschäftigung in einem Restaurant, bei der die Klägerin zu 1. ein monatliches
Einkommen in Höhe von netto 1.200 EUR erzielte (Bl. 287, 306 Beiakte C),
keine belastbaren Anhaltspunkte für eine zukünftig vollständige Sicherung des
Lebensunterhalts durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu erkennen, zumal
das Arbeitsverhältnis ab November 2012 nur noch auf 400-EUR-Basis
fortgeführt wird (Bl. 302, 308 Beiakte C).
Die Klägerinnen wenden gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung weiter ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen
der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs.
5 Satz 1 AufenthG verneint. Eine faktische Verwurzelung der Klägerin zu 1. in
die hiesigen Lebensverhältnisse sei nur wegen der vermeintlich nicht
gelungenen wirtschaftlichen Integration nicht angenommen worden. Die
zugrunde liegende Gewichtung sei falsch, denn sie lasse außer Acht, dass die
Klägerin zu 1. mehr als einundzwanzig Jahre weitgehend rechtmäßig im
Bundesgebiet lebe und hier ihre Sozialisation erfahren habe. Das
Verwaltungsgericht habe auch nicht erörtert, dass der Vater der Klägerin zu 1.
von ihrer Mutter ermordet worden sei und die Klägerin zu 1. sich hierauf von ihrer
Mutter abgewandt habe. Dieses für die Klägerin zu 1. schwer zu verarbeitende
Erlebnis erschwere auch eine etwaige Rückkehr nach Montenegro erheblich.
Die Familie des verstorbenen Vaters der Klägerin zu 1. werfe ihr vor, nach dem
Mord nicht nach Montenegro zurückgekehrt zu sein. Zur Familie ihrer Mutter
bestehe kein Kontakt mehr. Im Hinblick auf die Klägerin zu 2. habe das
Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt, dass im Zeitpunkt der Geburt beide
Elternteile über eine Aufenthaltserlaubnis verfügten und daher von Amts wegen
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG hätte erteilt werden müssen.
Zudem bestehe eine nach Art. 6 GG schutzwürdige Eltern-Kind-Beziehung der
Klägerin zu 2. zu ihrem im Bundesgebiet lebenden Vater. Dieser sei bei der
Geburt anwesend gewesen, habe danach ein Jahr mit seiner Tochter und der
Kindesmutter in einem Haushalt gelebt und sich intensiv um seine Tochter
gekümmert. Auch heute, nach der räumlichen Trennung von den Klägerinnen
telefoniere er nahezu täglich mit der Klägerin zu 1. und informiere sich über
seine Tochter. Unmittelbare Kontakte seien allein wegen der bekannten
Schwierigkeiten im Umgang zwischen der Klägerin zu 1. und seiner Familie
selten.
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Diese Einwände begründen keine Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des
Verwaltungsgerichts, die Klägerinnen erfüllten die Voraussetzungen für die
Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht.
Nach dieser Bestimmung kann einem Ausländer, der vollziehbar
ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder
tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse
in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine rechtliche Unmöglichkeit in diesem
Sinne kann sich etwa aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben,
zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit
Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8
EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind.
Die Klägerinnen können sich nicht mit Erfolg auf ein inlandsbezogenes
Abschiebungsverbot aus Art. 8 EMRK berufen.
Dem steht nach der Rechtsprechung des 11. Senats des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 31.10.2012 - 11 ME 275/12 -, juris Rn. 6),
der sich der beschließende Senat anschließt, schon die Systematik des
Aufenthaltsgesetzes entgegen. Der Gesetzgeber hat sich der Situation der im
Bundesgebiet aufgewachsenen Ausländer ohne gesicherten Aufenthaltsstatus
ausdrücklich angenommen und zunächst in den §§ 104a, 104b AufenthG und
nachfolgend in § 25a AufenthG Bedingungen für die Gewährung eines
dauerhaften Aufenthaltsrechts aus humanitären Gründen formuliert. Mit der
gesetzlichen Altfallregelung des § 104a AufenthG sollte dem Bedürfnis der seit
Jahren im Bundesgebiet geduldeten und hier integrierten Ausländer nach einer
dauerhaften Perspektive in Deutschland Rechnung getragen und diejenigen
begünstigt werden, die faktisch und wirtschaftlich im Bundesgebiet integriert sind
und sich rechtstreu verhalten haben (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung,
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065, S. 201 f.). Geduldete, die
ihren Lebensunterhalt noch nicht eigenständig durch Erwerbstätigkeit sichern,
jedoch die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllen, konnten eine
Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten. Diese gilt nach § 104a Abs. 1 Satz 3
AufenthG als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes
und schließt eine Aufenthaltsverfestigung aus. Da eines der Ziele dieser
Altfallregelung darin bestand, eine dauerhafte Zuwanderung in die
Sozialsysteme zu vermeiden, setzte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
bzw. die Erteilung über den 31. Dezember 2009 hinaus voraus, dass im
zurückliegenden Zeitraum des Besitzes der Aufenthaltserlaubnis der
Lebensunterhalt überwiegend eigenständig durch Erwerbstätigkeit gesichert
gewesen ist. Die so eröffneten Möglichkeiten der Bewährung sind durch die
Erlasse des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration
vom 11. Dezember 2009 (Bleiberechtsregelung 2009) und vom 19. Dezember
2011 (Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Bleiberechtsreglung
2009) nochmals erweitert worden. Darüber hinaus konnten nach § 104b
AufenthG in die hiesigen Lebensverhältnisse integrierte Kinder geduldeter
Ausländer ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erlangen. Der nachfolgende
stichtagsunabhängige § 25a AufenthG gewährt Jugendlichen und
Heranwachsenden ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, wenn diese aufgrund
ihrer bisherigen Integrationsleistungen die Gewähr bieten, dass sie sich in die
hiesigen Lebensverhältnisse einfügen werden. Ziel dieser gesetzlichen
Regelungen ist es, die humanitären Probleme insbesondere in Deutschland
aufgewachsener ausländischer Kinder zu lösen und diesen eigenständige
Perspektiven für ein integrationsabhängiges Aufenthaltsrecht zu schaffen (vgl.
Gesetzentwurf der Bundesregierung, a.a.O., S. 204; Stellungnahme des
Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes
zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von
Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher
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Vorschriften, BT-Drs. 17/4401, S. 16). Mit diesen ausdrücklich gesetzlich
normierten Voraussetzungen für die Erteilung einer auch von der Integration des
Ausländers in die hiesigen Lebensverhältnisse abhängigen Aufenthaltserlaubnis
ist es unvereinbar, einem Ausländer, der - wie die Klägerinnen - dem
Anwendungsbereich der §§ 104a, 104b AufenthG, des § 25a AufenthG oder der
nachfolgenden Bleiberechtsregelungen unterfällt, aber insbesondere die in
diesen Bestimmungen formulierten Voraussetzungen für eine
aufenthaltsrechtsbegründende Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse
nicht erfüllt, unter Rückgriff auf das in Art. 8 EMRK ganz allgemein verbürgte
Recht auf Achtung des Privatlebens gleichwohl ein Aufenthaltsrecht zu
gewähren.
Unabhängig davon erfüllen die Klägerinnen auch die tatbestandlichen
Voraussetzungen eines inlandsbezogenen Abschiebungsverbotes nach Art. 8
EMRK nicht.
Im Hinblick auf den Schutz des Privatlebens kommt einer aufenthaltsrechtlichen
Entscheidung eine Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann
zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und
wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im
Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann (vgl. Senatsbeschl. v.
27.1.2010 - 8 ME 2/10 -, juris Rn. 11; Hessischer VGH, Beschl. v. 15.2.2006 - 7
TG 106/06 -, juris Rn. 25; Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl., Art. 8 Rn. 25a m.w.N.).
Fehlt es hieran, liegt schon kein Eingriff in die Rechte des Art. 8 Abs. 1 EMRK
vor; einer Rechtfertigung nach den Maßgaben des Art. 8 Abs. 2 EMRK bedarf es
nicht.
Ob der Ausländer ein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen
kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland ab (vgl. Senatsurt.
v. 19.3.2012 - 8 LB 5/11 -, juris Rn. 43 m.w.N.). Gesichtspunkte für die
Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest
mehrjährige rechtmäßige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche
Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen
Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Arbeits- oder
Ausbildungsplatzes, in einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln, um den
Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes
ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und
fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck kommt (vgl. Senatsbeschl. v. 12.8.2010 -
8 PA 182/10 -, juris Rn. 5 f.; v. 7.4.2010 - 8 PA 45/10 -, juris Rn. 15).
Hieran gemessen besteht eine schutzwürdige Verwurzelung der Klägerin zu 1.
im Bundesgebiet nicht. Sie wurde 1988 in Podgorica geboren. Seit 1991 lebt sie
im Bundesgebiet. Hier hat sie im Wesentlichen ihre Sozialisation erfahren. Sie
spricht die deutsche Sprache und ist bis auf geringfügige Verfehlungen (vgl. Bl.
71, 150 Beiakte A), die einer Integration nicht entgegenstehen, nicht
strafrechtlich in Erscheinung getreten. Anhaltspunkte für eine feste soziale
Eingebundenheit der Klägerin zu 1. in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie
etwa in einem regelmäßigen Kontakt zu Freunden oder Bekannten außerhalb
der eigenen Familie, einer Betätigung in Vereinen oder einem sonstigen
sozialen oder bürgerschaftlichen Engagement bestehen, ergeben sich aus
ihrem Vorbringen indes nicht. Auch eine wirtschaftliche Integration ist der
Klägerin zu 1. bisher nicht gelungen. Sie hat zwar der gesetzlichen Schulpflicht
genüge getan. Dabei sind allerdings gerade zum Ende des Schulbesuchs
erhebliche Zeiten unentschuldigten Fehlens festzustellen (vgl. Bl. 90 Beiakte A).
Eine Berufsausbildung, als nahezu unerlässliche Grundlage einer erfolgreichen
wirtschaftlichen Integration, hat die Klägerin zu 1. trotz bestehender
Möglichkeiten nicht absolviert. Zur Sicherung ihres Lebensunterhalts war sie
dann auch nahezu die gesamte Zeit ihres Aufenthalts im Bundesgebiet auf
öffentliche Sozialleistungen angewiesen. Dass sich diese Situation in
absehbarer Zeit nachhaltig ändern könnte, ist nicht erkennbar und für den
beanspruchten Schutz nach Art. 8 EMRK auch unerheblich. Denn für die
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Beurteilung der Schutzwürdigkeit eines Privatlebens nach dieser Bestimmung ist
nicht die Chance auf oder gar das bloße Bemühen um eine zukünftige
wirtschaftliche Integration maßgeblich, sondern der derzeit erreichte Grad der
tatsächlichen Integration, aus dem sich eine faktische Verwurzelung im
Bundesgebiet ergeben muss. Ebenso ist nicht entscheidungserheblich, ob den
Ausländer insoweit ein Verschulden trifft und er deshalb eine nur unzureichende
Integration - aus welchen Gründen auch immer - zu vertreten hat (vgl.
Senatsbeschl. v. 6.7.2010 - 8 ME 128/10 -; Niedersächsisches OVG, Beschl. v.
24.3.2009 - 10 LA 377/08 -, juris Rn. 19 m.w.N.). Die damit allein verbleibende,
ohne Frage lange Dauer des Aufenthalts in Deutschland führt hingegen nicht zu
einer von Art. 8 EMRK geschützten Verwurzelung in Deutschland (vgl. EGMR,
Urt. v. 7.10.2004 - 33743/03 -, NVwZ 2005, 1043 (Dragan u.a. ./. Deutschland),
das eine Familie betraf, die seit vierzehn Jahren ihren Aufenthalt im
Bundesgebiet hatte), zumal dieser Aufenthalt der Klägerin zu 1. weitgehend nur
geduldet gewesen ist und die zuletzt erteilten und verlängerten
Aufenthaltserlaubnisse auf Probe eine Aufenthaltsverfestigung nicht zu
begründen vermögen.
Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens durch eine
aufenthaltsrechtliche Entscheidung kann zum anderen dann vorliegen, wenn
dem Ausländer die (Re-)Integration in die Lebensverhältnisses seines
Heimatlandes unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. EGMR, Urt. v. 5.7.2005 -
46410/99 -, InfAuslR 2005, 450 f. (Üner ./. Niederlande)).
Dabei geht der Senat davon aus, dass tatsächliche Bindungen an das
Heimatland bei der Klägerin zu 1. allenfalls rudimentär vorhanden sind. Hieraus
folgt aber nur, dass die Eingewöhnung in die dortigen Lebensverhältnisse
schwierig sein wird. Anhaltspunkte dafür, dass diese unmöglich oder
unzumutbar ist, bestehen für den Senat indes nicht. Die Klägerin zu 1. ist voll
erwerbsfähig und keiner politischen Verfolgung ausgesetzt. Gefährdungen
durch befürchtete Übergriffe von Familienangehörigen ihres ermordeten Vaters
oder der Mutter sind nicht nachgewiesen und wären vorrangig auch als in einem
Asylfolgeverfahren zu beurteilendes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot
zu berücksichtigen. Nach ihren eigenen Angaben spricht die Klägerin zu 1.
zudem serbisch und “jugoslawisch“ (vgl. Bl. 156 Beiakte A). Sie befindet sich mit
24 Lebensjahren auch in einem Alter, indem das Erlernen einer Sprache, das
Einfügen in neue und unbekannte soziale Strukturen und der damit verbundene
Aufbau eines neuen Privatlebens regelmäßig zumutbar und möglich sind.
Die am D. 2011 geborene Klägerin zu 2. teilt als minderjähriges Kind der
Klägerin zu 1. grundsätzlich deren aufenthaltsrechtliches Schicksal (sog.
familienbezogene Gesamtbetrachtung, vgl. Niedersächsisches OVG, Urt. v.
29.1.2009 - 11 LB 136/07 -, juris Rn. 75 m.w.N.). Steht dem mit dem Kind in einer
familiären Lebensgemeinschaft verbundenen Elternteil wegen dessen
mangelnder Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik
Deutschland über Art. 8 EMRK i.V.m. § 25 Abs. 5 AufenthG ein Aufenthaltsrecht
nicht zu, so ist davon auszugehen, dass auch ein Minderjähriger, der im
Bundesgebiet geboren wurde oder dort lange Zeit gelebt hat, grundsätzlich auf
die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden
Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann. Anhaltspunkte, die im
vorliegenden Fall eine abweichende Betrachtung erfordern würden, bestehen für
den Senat auch unter Berücksichtigung eines etwa zeitweise bestehenden
Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 Satz 2 AufenthG
nicht.
Die Klägerin zu 2. kann sich auch nicht mit Erfolg auf ein inlandsbezogenes
Abschiebungsverbot aus Art. 6 GG berufen.
Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen)
Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es
dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise
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auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.6.1997 - 1 C 9.95 -,
BVerwGE 105, 35, 39 f.; Senatsbeschl. v. 25.5.2010 - 8 ME 113/10 -;
Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 20.5.2009 - 11 ME 110/09 -, juris Rn. 10;
GK-AufenthG, Stand: Juni 2012, § 60a Rn. 133 f.; Hailbronner, Ausländerrecht,
Stand: Mai 2012, AufenthG, § 60a Rn. 27 jeweils m.w.N.). Der Schutz des Art. 6
Abs. 1 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie
das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG,
Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42). Er knüpft dabei
nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist
vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern,
mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl.
Senatsbeschl. v. 2.2.2011 - 8 ME 305/10 -, InfAuslR 2011, 151; v. 27.7.2009 - 8
PA 106/09 -).
Hier hat die Klägerin zu 2. nicht nachgewiesen, dass eine solche familiäre
Lebensgemeinschaft zwischen ihr und ihrem im Bundesgebiet lebenden Vater,
dem bosnischen Staatsangehörigen G., tatsächlich (noch) besteht. Die Klägerin
zu 2. hat zwar in ihrem ersten Lebensjahr mit beiden Elternteilen in einem
Haushalt und auch in einer familiären Lebensgemeinschaft gelebt. Nach der
Trennung der Kindeseltern ist der Kindesvater indes aus diesem Haushalt
ausgezogen; er ist nicht sorgeberechtigt und pflegt lediglich Umgangskontakte
zu der Klägerin zu 2.
Bei derartigen bloßen Umgangskontakten unterscheidet sich die Eltern-Kind-
Beziehung zwar typischerweise deutlich von dem Verhältnis des Kindes zur
täglichen Betreuungsperson. Dass der Umgangsberechtigte nur
ausschnittsweise am Leben des Kindes Anteil nehmen kann und keine
alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären
Lebensgemeinschaft aber nicht grundsätzlich entgegen. Je nach den
Umständen des Einzelfalls kann vielmehr gerade die Ausübung des
Umgangsrechts die Erfüllung der Elternfunktion im Sinne des Art. 6 Abs. 1 und
Abs. 2 Satz 1 GG unter den für den umgangsberechtigten Elternteil nicht
änderbaren Beschränkungen bedeuten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.1.2009 - 2
BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387: 14tägige betreute Besuchskontakte zwischen
nicht sorgeberechtigtem Vater und dem bei der Mutter lebenden zweijährigen
Kind; BVerfG, Beschl. v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, juris, Rn. 39: 14tägige
Besuchskontakte zwischen tlw. sorgeberechtigtem Vater und dem in einer
Pflegefamilie lebenden zweijährigen Kind; BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005 - 2 BvR
1001/04 -, FamRZ 2006, 187: 14tägige Besuchskontakte zwischen nicht
sorgeberechtigtem Vater und dem bei der Mutter lebenden fünfjährigen Kind).
Denn die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare
Betreuungsbeiträge der Eltern geprägt, sondern auch durch die geistige und
emotionale Auseinandersetzung. Ist daher die Gemeinschaft zwischen einem
Elternteil und seinem minderjährigen Kind getragen von tatsächlicher
Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes und besteht ein
regelmäßiger Umgang des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst
Üblichen entspricht, kann von einer familiären Gemeinschaft ausgegangen
werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.12.2008, a.a.O., juris Rn. 35; Beschl. v.
8.12.2005, a.a.O., S. 188 f.).
Derart konkrete Erziehungs- und Betreuungsbeiträge, welche die tatsächliche
Übernahme von Elternverantwortung für die Klägerin zu 2. dokumentieren
würden, ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen indes nicht. Der
Kindesvater hatte zuletzt im Mai 2012 persönlichen Kontakt zu der Klägerin zu 2.
Die darüber hinaus gehenden regelmäßigen Telefonate mit der Kindesmutter
mögen ein Interesse des Kindesvaters am Leben seiner Tochter aufzeigen. Sie
begründen aber nicht die - für eine nach Art. 6 GG schutzwürdige familiäre
Gemeinschaft erforderliche - tatsächliche Anteilnahme am Leben und
Aufwachsen des Kindes und Übernahme von Elternverantwortung.
Besteht damit zwischen der Klägerin zu 2. und ihrem Vater schon keine
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schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft, kann der Senat dahinstehen
lassen, ob beide eine solche nur im Bundesgebiet führen könnten oder es dem
Kindesvater unter Berücksichtigung seiner aufenthaltsrechtlichen Situation
zumutbar wäre, gemeinsam mit der Klägerin zu 2. in Montenegro oder Bosnien-
Herzegowina zu leben.
Aus dem Zulassungsvorbringen der Klägerinnen ergibt sich auch ein die
Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel nach § 124 Abs. 2
Nr. 5 VwGO in Form der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht.
Sie machen geltend, das Verwaltungsgericht habe ihr tatsächliches Vorbringen
zum Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Verlängerung und
Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, insbesondere der Schwierigkeiten bei
der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, der besonderen familiären Umstände nach
der Ermordung des Vaters der Klägerin zu 1. und der Ursachen für die nur
eingeschränkten Umgangskontakte zwischen der Klägerin zu 2. und ihrem
Vater, nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und in den
Entscheidungsgründen verarbeitet.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die
Gerichte auch, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu
nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dies soll sicherstellen, dass die
gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in
unterlassener Kenntnisnahme und mangelnder Berücksichtigung des
Sachvortrags eines Beteiligten haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.1985 - 1 BvR
933/84 -, BVerfGE 70, 215, 218; BVerwG, Beschl. v. 16.6.2009 - 3 B 3.09 -, juris
Rn. 2). Es ist aber grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht seiner
diesbezüglichen Verpflichtung nachkommt. Eine Versagung rechtlichen Gehörs
ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände des Einzelfalls
deutlich machen, dass dies wider Erwarten nicht geschehen ist (vgl. BVerfG,
Beschl. v. 1.2.1978 - 1 BvR 426/77 -, BVerfGE 47, 182, 187; BVerwG, a.a.O.).
Solche besonderen Umstände haben die Klägerinnen mit ihrem
Zulassungsvorbringen schon nicht dargelegt. Sie sind für den Senat auch nicht
offensichtlich.
Der weitergehende Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß §
166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO unbegründet, weil dem
Berufungszulassungsantrag, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen
ergibt, hinreichende Erfolgsaussichten nicht zukommen.