Urteil des OVG Niedersachsen vom 21.07.2014

OVG Lüneburg: zeugnisverweigerungsrecht, politische partei, vergehen, analogie, vorrang, pressefreiheit, versammlung, datenschutz, öffentlich, veranstaltung

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Presserechtliches Zeugnisverweigerungsrecht
Einem Pressevertreter steht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
grundsätzlich kein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich eigener
(berufsbezogener) Wahrnehmungen zu.
OVG Lüneburg 10. Senat, Beschluss vom 21.07.2014, 10 OB 49/14
§ 53 Abs 1 S 1 Nr 5 StPO, § 148 VwGO, § 98 VwGO, § 383 ZPO, § 387 ZPO
Tenor
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Lüneburg - 5. Kammer - vom 2. Juni 2014 wird
zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen
Erfolg.
Die Beschwerde ist zulässig.
Das gilt unabhängig davon, ob die Entscheidung über das Recht, das Zeugnis
zu verweigern (§§ 98 VwGO, 383 ff. ZPO), durch Beschluss zu treffen ist, wie
das Verwaltungsgericht angenommen hat (ebenso Geiger, in: Eyermann,
VwGO, 13. Aufl., § 98, Rn. 9; Kreuter-Kirchhof, in: Gärditz, VwGO, § 98, Rn. 29,
Fn. 64, jeweils m. w. N.), oder ob ein Zwischenurteil ergehen muss (§§ 98
VwGO, 387, 303 ZPO; vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 8.9.1977 - 5 B 128/76 -,
OVGE 33, 431 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 98, Rn. 11, m. w. N.). In
beiden Fällen ist als Rechtsmittel die Beschwerde statthaft (§ 146 Abs. 1
VwGO, § 98 VwGO i. V. m. § 387 Abs. 3 ZPO, vgl. auch zum Folgenden: OVG
Berlin, Beschl. v. 9.2.1994 - 8 L 3.94 -, OVGE BE 20, 216 ff.; hier zit. nach
juris). Bei dieser Sachlage bedurfte es auch keiner Durchführung eines
förmlichen Abhilfeverfahrens (vgl. Happ, in: Eyermann, a. a. O., § 148, Rn. 1,8;
Jeromin, in: Gärditz, a.a.O., § 148, Rn. 10).
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das vom Beschwerdeführer in
Anspruch genommene umfassende Zeugnisverweigerungsrecht besteht nicht.
Ein solches Weigerungsrecht ergibt sich zunächst nicht aus der von ihm
geltend gemachten fehlenden Bestimmtheit des Beschlusses vom 2. Juni
2014. Dabei braucht nicht geklärt zu werden, ob hierüber im diesem
Zwischenstreit überhaupt zu entscheiden ist. Jedenfalls ist die - in § 98 VwGO
für den Inhalt eines Beweisbeschlusses in Bezug genommene - Vorschrift des
§ 359 Nr. 1 ZPO im Hinblick auf den im Verwaltungsgerichtsprozess geltenden
Untersuchungsgrundsatz nur entsprechend anzuwenden. Es bedarf deshalb
in einem verwaltungsgerichtlichen Beweisbeschluss nicht der Bezeichnung
konkreter Tatsachen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Beweisbeschluss die
Richtung erkennen lässt, in der das Gericht die Beweisaufnahme für nötig
erachtet (BVerwG, Beschl. v. 2.12.1987 - 9 B 229/87 -, Buchholz 310 § 98 Nr.
32, juris, sowie für das finanzgerichtliche Verfahren auch BFH, Beschl. v.
22.6.2006 - V B 155/05 -, juris). Hieran gemessen reichte es, soweit es nach §
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98 VwGO i. V. m. § 358 ZPO überhaupt eines Beweisbeschlusses bedurfte,
vorliegend aus, in dem Beschluss als Thema die Tatsache zu benennen, ob
“auf der Versammlung der Klägerin gehaltene Redebeiträge akustisch
wahrnehmbar waren“.
Zu diesem Beweisthema steht dem Kläger das von ihm geltend gemachte
umfassende Zeugnisverweigerungsrecht nicht zu.
Da das Verwaltungsgericht zum gleichen Thema bereits mehrere andere
Zeugen über ihre jeweils eigenen Eindrücke vernommen hat, soll auch der
Beschwerdeführer als Zeuge über eigene Wahrnehmungen und nicht als
Zeuge vom Hörensagen über die Wahrnehmung Dritter aussagen.
Insoweit steht ihm nach dem Wortlaut des gemäß § 98 VwGO entsprechend
anwendbaren, hier allein in Betracht kommenden § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO
ersichtlich kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Das dort geregelte
Weigerungsrecht beschränkt sich auf die u.a. einem Redakteur im Hinblick auf
seine Tätigkeit gemachte Mitteillungen Dritter, schließt aber eigene
(berufsbezogene) Wahrnehmungen nicht ein.
Die insoweit weitergehende Regelung des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 und
3 StPO ist auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht im Wege der
Analogie übertragbar. Es fehlt schon die dafür erforderliche planwidrige
Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat im Jahr 2002 durch das Gesetz zur
Änderung der Strafprozessordnung (BGBl. I 2002, S. 682) das bis dahin (vgl.
zur vorherigen Rechtslage die Darstellung bei Löffler/Ricker, Handbuch des
Presserechts, 6. Aufl., 2012, S. 212 f.) bundeseinheitlich in den
Verfahrensordnungen normierte Zeugnisverweigerungsrecht bewusst nur für
das Strafverfahrensrecht erweitert und damit zugleich das entsprechende
strafprozessuale Beschlagnahmerecht begrenzt, aber weder damals noch
seitdem die dadurch bedingten Unterschiede in den Verfahrensordnungen
verkannt. Zudem mangelt es auch an der für eine Analogie weiterhin
erforderlichen Ähnlichkeit der Regelungsbereiche. Das auf selbst
recherchiertes Material erweiterte strafprozessuale
Zeugnisverweigerungsrecht besteht nämlich nach § 53 Abs. 1 und 2 StPO
nicht umfassend. Vielmehr unterliegt es den Schranken des § 53 Abs. 2 Satz 2
StPO, von denen wiederum in Satz 3 eine teilweise Rückausnahme enthalten
ist. Die Ausnahme in Satz 2 stellt u.a. darauf ab, ob die Aussage des
Betroffenen zur Aufklärung eines Verbrechens oder enumerativ genannter
Vergehen beitragen soll. Die Aufklärung von Straftaten ist jedoch grundsätzlich
nicht Aufgabe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Ebenso wenig lässt
sich aus der Aufzählung in § 53 Abs. 2 Satz 2 StPO sonst ein klarer und
handhabbarer Maßstab für die Frage entnehmen, welchen
verwaltungsgerichtlichen Verfahren bei einer entsprechenden Anwendung ggf.
eine so hohe Bedeutung beizumessen wäre wie der Aufklärung von
Verbrechen oder den genannten Vergehen im Strafverfahren. Schließlich
ginge auch die Annahme fehl, verwaltungsgerichtlichen Verfahren komme
generell nur ein so geringes Gewicht zu, dass bei entsprechender Anwendung
des § 53 Abs. 2 Satz 2 StPO stets ein Verweigerungsrecht zu bejahen sei. Ob
einer analogen Anwendung der Norm zusätzlich entgegensteht, dass sie
bereits für den ausdrücklich geregelten Bereich des Strafverfahrens zu weit
gehe (vgl. insbesondere Kunert, NStZ 2002, 169 ff.), kann deshalb offen
bleiben.
Es überschreitet den Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung, das
presserechtliche Zeugnisverweigerungsrecht im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren über die in § 98 VwGO i. V. m. § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geregelten
Fälle hinaus richterrechtlich selbst generell zu erweitern (vgl. BVerfG, Beschl.
v. 1.10.1987 - 2 BvR 1434/86 -, BVerfGE 77, 65 ff., juris, Rn. 29). Dagegen
spricht zusätzlich , dass das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 12.10.2011
- 2 BvR 236/08, 2 BvR 237/08, 2 BvR 422/08 -, BVerfGE 129, 208 ff., juris, Rn.
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268, m. w. N) “für Presse- und Medienvertreter bereits mehrfach betont hat,
dass ein genereller und keiner Abwägung unterliegender Schutz gegenüber
strafprozessualen Maßnahmen nicht in Betracht kommt, weil bei der
Gewichtung der Medienfreiheit im Verhältnis zu dem Gebot funktionstüchtiger
Strafrechtspflege keinem der verfolgten Interessen abstrakt ein eindeutiger
Vorrang gebührt. Der Gesetzgeber ist weder gehalten, noch steht es ihm frei,
der Presse- und Rundfunkfreiheit den absoluten Vorrang vor anderen
wichtigen Rechtsgütern einzuräumen, wie etwa dem hier in Rede stehenden
Gebot der Wahrheitserforschung im Strafprozess“. Dieser Grundsatz steht
auch der sinngemäß vom Beschwerdeführer vertretenen Annahme entgegen,
Medienvertretern stehe in verwaltungsgerichtlichen Verfahren generell ein
Recht zur Zeugnisverweigerung u.a. hinsichtlich berufsbezogener eigener
Wahrnehmungen zu.
Ob stattdessen eine dahingehende Erweiterung des
Zeugnisverweigerungsrechts im Einzelfall zur Wahrung der Pressefreiheit
geboten sein kann und möglich ist, braucht vorliegend nicht geklärt zu werden.
Denn ein solcher Fall ist nicht gegeben. Der Beschwerdeführer soll zu der
Frage aussagen, ob er die auf der Versammlung der Klägerin gehaltenen
Redebeiträge akustisch wahrnehmen konnte. Die Frage nach der
Wahrnehmbarkeit der Redebeiträge ist in einem mit seinem Namenskürzel
versehenen Bericht in der Landeszeitung mit den Worten (verneinend)
beantwortet worden, “die Reden der NPD-Funktionäre gingen unter“. Beruht
diese Angabe auf eigenen Wahrnehmungen des Beschwerdeführers, so hat er
gerichtlich nur das zu bestätigen, was unter seinem Namen bereits
veröffentlich worden ist. In der Pflicht, als Zeuge eine Aussage zu bestätigen
oder auch inhaltlich zu widerrufen, die der betroffene Pressevertreter bereits
zuvor öffentlich gemacht hat, ist keine Verletzung der Pressefreiheit zu
erkennen; auf die Frage, wem die Angabe jeweils dient, kommt es dabei nicht
an (vgl. BGH, Beschl. v. 4.1.2012 - VI ZB 2/12 -, NJW-RR 2013, 159 f.; juris,
Rn. 12 ff.; Greger, in: Zöller, ZPO-Kommentar, 30. Aufl., § 383, Rn. 15). Dass §
383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO kein Zeugnisverweigerungsrecht über die Richtigkeit
eines in der Presse schon veröffentlichten Zitats erfasst, ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. den inhaltlich bereits vom
Verwaltungsgericht zit. Beschluss d. BVerfG v. 13.9.2001 - 1 BvR 1398/01 -,
NJW 2002, 592 f; juris, Rn. 9). Soweit die Angabe in dem Bericht der
Landeszeitung vom 17. Januar 2013 hingegen nur eine Aussage von
Hörensagen darstellt und nicht auf eigener Wahrnehmung durch den Kläger
beruht, er sich auch sonst nicht erinnern kann, kann er hierauf verweisen.
Dass das Gericht dann vom Kläger ggf. weitere, nach § 98 VwGO i. V. m. dem
entsprechend anwendbaren § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geschützte Informationen
über diese Dritte, deren Eindrücke er in seinem Artikel wiedergegeben habe,
wissen möchte, ist nicht zu erkennen und berechtigte den Kläger im Übrigen
auch nur zur Zeugnisverweigerung insoweit, nicht aber - wie dargelegt - zum
o.a. Beweisthema.
Ob es auf das Beweisthema und gerade die Aussage des Beschwerdeführers
für die Entscheidung über die Klage ganz oder teilweise überhaupt ankommt
und welches Gewicht dieser Aussage zukommen kann, hat nicht der Senat in
diesem Zwischenverfahren, sondern das für das Hauptsacheverfahren
zuständige Gericht zu entscheiden. Denn es hat in dem angegriffenen
Beschluss mit grundsätzlich bindender Wirkung für den Senat (vgl. für das
vergleichbare Verhältnis im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO:
BVerwG, Beschl. v. 28.3.2006 - 20 F 1/05 - DVBl 2006, 851 ff.; Buchholz 310 §
99 VwGO Nr. 40; juris, Rn. 13) die Entscheidungserheblichkeit der weiteren
Beweiserhebung bejaht.
Lediglich ergänzend wird deshalb darauf verwiesen, dass die vom
Beschwerdeführer vorgenommene Gewichtung seiner Zeugenaussage nicht
geteilt wird. Die im Hauptsacheverfahren streitige Frage, ob die kurz vor der
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Landtagswahl 2013 durchgeführte Veranstaltung der Klägerin als politische
Partei durch Lärm von Dritten massiv gestört und hiergegen zu Unrecht von
einem der beiden Beklagten nicht eingeschritten worden ist bzw.
entsprechende Schutzvorkehrungen nicht getroffen worden sind, ist nicht von
geringer Bedeutung. Ebenso wenig besteht für den Beschwerdeführer durch
die Aussagepflicht als Zeuge zukünftig die von ihm heraufbeschworene Gefahr
von Übergriffen, wenn er als Zeuge nur die Richtigkeit seines vorherigen
Zeitungsberichts bestätigt. Dem Beschwerdeführer steht nicht das Recht zu,
eine Aussage wegen der Befürchtung zu verweigern, sie führe mutmaßlich zu
einem von ihm unerwünschten Ergebnis des Klageverfahrens.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert ist nicht
festzusetzen, da gemäß Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nur eine
Festgebühr in Höhe von 50 EUR angefallen ist.