Urteil des HessVGH vom 28.02.1986

VGH Kassel: unzucht mit kindern, ausweisung, psychiatrische behandlung, rechtliches gehör, öffentliche sicherheit, untersuchungshaft, australien, verfügung, hallenbad, einreise

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
7. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 UE 1892/85
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Leitsatz
Einzelfall, in dem die Ausländerbehörde einen wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
bestraften Australier sowohl mit spezial- als auch mit generalpräventiven Erwägungen
zu Recht ausgewiesen hat.
Tatbestand
Der am 06.04.1935 in Budapest (Ungarn) geborene, ledige Kläger ist australischer
Staatsangehöriger. Im Alter von 9 Jahren kam er mit seinen Eltern nach
Deutschland; 1949 wanderte die Familie nach Australien aus.
Nach seinen Angaben ist der Kläger in Australien insgesamt achtmal strafrechtlich
in Erscheinung getreten, nämlich drei- bis viermal wegen Exhibitionismus und im
übrigen wegen Verkehrsdelikten. Anläßlich einer dieser Verurteilungen wurde ihm
in den sechziger Jahren aufgegeben, sich wegen seiner pädophilen Neigungen in
psychiatrische Behandlung zu begeben; die Behandlung blieb jedoch ohne Erfolg.
Ab 1974 unternahm der Kläger als Tourist verschiedene Reisen, und zwar
insbesondere nach Europa. 1978 wurde er in Österreich wegen Unzucht mit
Kindern zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe, 1979 wegen sittlicher Gefährdung
Unmündiger erneut verurteilt. Ein 1980 in der Schweiz rechtshängiges Verfahren
wegen Unzucht mit Kindern endete nach Angaben des Klägers mit einem
Freispruch.
Am 19.03.1981 reiste der Kläger als Tourist in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Am 10.09.1981 suchte er in Frankfurt am Main in der I.-Straße ein Hallenbad auf.
Er wandte sich im Schwimmbecken an zwei damals zehnjährige Mädchen, denen
er zunächst seine Taucherbrille überließ . Anschließend nahm er an einem der
Mädchen sexuelle Handlungen vor. Am 16.09.1981 wurde der Kläger deswegen in
Untersuchungshaft genommen. Durch Urteil vom 25.02.1982 - 43 Js 25750/81 -
(rechtskräftig seit 23.09.1982) verurteilte das Landgericht Frankfurt am Main den
Kläger wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem
Jahr und drei Monaten. Am 24.09.1982 wurde der Kläger aus der
Untersuchungshaft entlassen, jedoch bis 06.10.1982 in Abschiebehaft genommen.
Bereits mit Verfügung vom 04.10.1982 - ausgehändigt am 06.10.1982 - hatte die
Beklagte den am 27.09.1982 hierzu angehörten Kläger für die Dauer von zehn
Jahren - beginnend mit dem Tage der Ausreise aus der Bundesrepublik
Deutschland einschließlich des Landes Berlin ausgewiesen, ihn aufgefordert, das
Bundesgebiet bis zum 10.10.1982, 24.00 Uhr, zu verlassen, und ihm für den Fall,
daß er dieser Aufforderung nicht Folge leiste, die Abschiebung angedroht. Zur
Begründung wurde ausgeführt: Der Kläger habe sich nach Ablauf von drei Monaten
nach seiner Einreise am 19.03.1981 illegal im Bundesgebiet aufgehalten und sei
auch nicht amtlich gemeldet gewesen. Hierdurch und durch sein am 25.02.1982
abgeurteiltes Verhalten habe der Kläger zu erkennen gegeben, daß er nicht gewillt
sei, die bestehende Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beachten.
Durch seine Verurteilung sei ein Ausweisungstatbestand erfüllt. Da er bereits in
Australien einschlägig in Erscheinung getreten sei, bestehe die Gefahr, daß er sich
auch künftig nicht an die deutschen Gesetze halten und dadurch die öffentliche
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auch künftig nicht an die deutschen Gesetze halten und dadurch die öffentliche
Sicherheit gefährden werde. Außerdem sei die Ausländerbehörde gehalten, den
ständigen Versuchen von ausländischen Staatsangehörigen, sich illegal im
Bundesgebiet aufzuhalten, nachhaltig entgegenzutreten. Bei alledem sei die
Ausweisung des Klägers im öffentlichen Interesse geboten.
Mit Schreiben vom 07.10.1982, das am 08.10.1982 einging, erhob der Kläger
Widerspruch. Er trug vor: Er habe sich nicht illegal im Bundesgebiet aufgehalten,
da er nach seiner Einreise am 19.03.1981 nur sehr kurz geblieben und erst im
August 1981 erneut eingereist sei. Die angefochtene Verfügung gehe auch nicht
hinreichend auf seine, des Klägers, Persönlichkeit ein. Des weiteren sei die
Ausreisefrist zu kurz bemessen.
Am 28.12.1982 hielt sich der Kläger im Hallenbad der Nordweststadt in Frankfurt
am Main auf; dort nahm er im Schwimmbecken vor zwei damals zehnjährigen
Mädchen exhibitionistische Handlungen vor. Noch im Dezember 1982 oder Anfang
1983 verließ der Kläger das Bundesgebiet; im Frühjahr oder Frühsommer 1984
reiste er erneut ein. Am 01.06.1984 wurde er in Karben im Hallenbad
festgenommen, als er dort - so die Anklageschrift vom 02.10.1984 (43 Js
22566/84) - zwei damals vierzehn- bzw. fünfzehnjährige Mädchen belästigt sowie
im Schwimmbecken an den Massagedüsen onanierende Bewegungen vollführt
habe. Der Kläger befand sich zunächst vom 01. bis 24.06.1984 wegen des Vorfalls
am 28.12.1982 in Untersuchungshaft; anschließend verbüßte er vom 25.06. bis
17.09.1984 die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom
25.02.1982 und wurde sodann vom 18.09.1984 bis 23.07.1985 erneut wegen des
Vorfalls vom 28.12.1982 in Untersuchungshaft genommen. Nachdem das
Verfahren betreffend den Vorfall am 01.06.1984 am 26.11.1984 gem. § 154 Abs. 2
StPO eingestellt worden war, weil die Strafe neben der in dem Verfahren betreffend
den Vorfall am 28.12.1982 zu erwartenden Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht
falle, wurde der Kläger durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom
21.02.1985 - 43 Js 408/83 - Ns - bezüglich des letztgenannten Vorfalls wegen
sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Auf die
Revision des Klägers hob das Oberlandesgericht Frankfurt am Main durch Beschluß
vom 23.07.1985 - 1 Ss 220/85 - das vorgenannte Urteil auf und verwies die Sache
zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main zurück; gleichzeitig wurde der Vollzug weiterer
Untersuchungshaft als nicht mehr verhältnismäßig angesehen und der
entsprechende Haftbefehl aufgehoben. Durch Urteil der 8. Strafkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 18.12.1985 wurde der Kläger in bezug auf
den Vorfall am 28.12.1982 erneut wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu
einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen erhob der Kläger wiederum
Revision, über die noch nicht entschieden ist.
Bereits am 17.08.1984 war der Bevollmächtigte des Klägers zur mündlichen
Verhandlung vor dem Widerspruchsausschuß für den 27.09.1984, 11.20 Uhr,
geladen worden. Am Verhandlungstage teilte der Bevollmächtigte des Klägers
gegen 8.45 Uhr telefonisch mit, daß er den Termin wegen eines um 11.00 Uhr
stattfindenden Gerichtstermins nicht wahrnehmen könne. Der
Widerspruchsausschuß erachtete den Bevollmächtigten des Klägers als nicht
ausreichend entschuldigt und wertete dessen Anruf als Verzicht auf die Anhörung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.1985 - zugestellt am 06.03.1985 - wies der
Regierungspräsident in Darmstadt den Widerspruch des Klägers gegen die
Ausweisungsverfügung mit folgenden Erwägungen zurück: Die Ausweisung sei
schon aus generalpräventiven Gründen erforderlich, weil zum einen die
Kriminalitätsrate unter Ausländern gerade im Ballungsraum des Rhein-Main-
Gebiets überdurchschnittlich hoch sei und weil zum anderen bei
Sittlichkeitsvergehen dem Abschreckungsgedanken besondere Bedeutung
zukomme. Die Ausweisung sei aber vor allem aus spezialpräventiven Erwägungen
geboten, weil der Kläger exhibitionistisch-pädophile Neigungen besitze, die schon
im Ausland zu einschlägigen Verurteilungen geführt hätten. Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit stehe der Ausweisung nicht entgegen, denn der Kläger sei in
seinem Heimatland ansässig und habe sich nur wenige Monate im Bundesgebiet
aufgehalten.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 03.04.1985, der am folgenden
Tage einging, Klage. Zur Begründung vertiefte er sein Vorbringen aus dem
Vorverfahren.
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Der Kläger beantragte,
die Verfügung der Beklagten vom 04.10.1982 und den Widerspruchsbescheid
des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 28.02.1985 aufzuheben.
Die Beklagte beantragte unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen
Bescheide,
die Klage abzuweisen.
Durch Gerichtsbescheid vom 09.07.1985 wies das Verwaltungsgericht die Klage
ab. Zur Begründung führte es aus: Der Kläger habe infolge der rechtskräftigen
Verurteilung vom 25.02.1982 den Ausweisungstatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 2
AuslG erfüllt. Den ihr dadurch eröffneten Ermessensspielraum habe die
Ausländerbehörde nicht fehlerhaft ausgefüllt. Sie habe weder wesentliche
Tatsachen unbeachtet gelassen noch eine sachwidrige Interessenabwägung
getroffen. Es erscheine sachgerecht, daß auf die hohe Rückfallgefahr bei dem
Kläger verwiesen und dies damit begründet worden sei, daß er schon in Australien
einschlägig in Erscheinung getreten sei. Hinzu komme, daß der Kläger auch gegen
Vorschriften des Melderechts verstoßen habe. Die Ausweisung sei - gestützt auf §
10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG - unabhängig davon gerechtfertigt, ob der Kläger sich seit
März 1981 ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalte oder - wie er vortrage - im
August 1981 erneut eingereist ist. Jedenfalls im Widerspruchsbescheid sei auch
eine ausreichende Würdigung der Person des Klägers und seiner persönlichen
Verhältnisse vorgenommen; hierauf werde verwiesen. Auch die
Abschiebungsandrohung begegne keinen rechtlichen Bedenken; die gesetzte Frist
erscheine gerade noch ausreichend.
Der Gerichtsbescheid wurde den Beteiligten am 14.08.1985 zugestellt. Der Kläger
befand sich zu dieser Zeit im Anschluß an die seit 23.07.1985 beendete
Untersuchungshaft wiederum in Abschiebehaft. Am 21.08.1985 wurde der Kläger
aus der Abschiebehaft entlassen. Er wurde darauf hingewiesen, daß er das
Bundesgebiet innerhalb von 14 Tagen zu verlassen habe und daß ihm zur
Wahrnehmung des neuen Hauptverhandlungstermins in der Strafsache betreffend
den Vorfall am 28.12.1982 das kurzfristige Betreten des Bundesgebiets erlaubt
werde. In der Folgezeit reiste der Kläger - möglicherweise - nach Ungarn aus.
Mit Schriftsatz vom 16.09.1985, der am selben Tage (einem Montag) eingegangen
ist, hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten gegen den Gerichtsbescheid
vom 09.07.1985 Berufung eingelegt.
Er macht geltend: Die Ausweisung sei zu Unrecht mit spezialpräventiven
Erwägungen begründet worden; eine Rückfallgefahr sei in seiner Person nicht
gegeben, da er nicht mehr pädophil veranlagt sei (Beweis:
Sachverständigengutachten). Er habe außerdem einen Anspruch darauf, während
des Revisionsverfahrens in der bereits mehrfach erwähnten Strafsache im
Bundesgebiet zu verbleiben, um ein milderes Urteil oder einen Freispruch zu
erzielen. Gegen melderechtliche Vorschriften habe er während seiner Aufenthalte
im Bundesgebiet nicht verstoßen. Im übrigen sei sein rechtliches Gehör verletzt
worden, weil der Termin vor dem Widerspruchsausschuß trotz Verhinderung seines
Bevollmächtigten nicht vertagt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den angefochtenen Gerichtsbescheid aufzuheben und nach dem
erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie auf den angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug und
trägt ergänzend vor: Die Ausweisung sei zu Recht auf die Verurteilung wegen des
Vorfalls am 10.09.1981 gestützt worden. Dadurch, daß der Kläger nach Erlaß der
Ausweisungsverfügung noch zweimal einschlägig in Erscheinung getreten sei,
werde die Richtigkeit der Entscheidung bekräftigt. Die Ausweisungsverfügung habe
also keinen erkennbaren positiven Eindruck auf den Kläger auszuüben vermocht.
Zur Teilnahme an der erneuten Revisionsverhandlung könne ihm bei Bedarf
kurzfristig die Einreise gestattet werden; dieser Aspekt berühre jedoch die
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kurzfristig die Einreise gestattet werden; dieser Aspekt berühre jedoch die
Rechtmäßigkeit der Ausweisung nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die
eingereichten Schriftsätze Bezug genommen. Die Behördenakten der Beklagten
(2 Hefter), die Akten VI/2 H 5120/82 und VI/2 H 760/85 des Verwaltungsgerichts
Frankfurt am Main sowie die Akte 7 R 1945/85 des Hess. Verwaltungsgerichtshofs
haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemacht worden. Zur Vervollständigung des Sachverhalts wird auch auf ihren
Inhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung - die sich gemäß der in der mündlichen Verhandlung
erfolgten Klarstellung auf die Ausweisung beschränkt, die durch die Ausreise des
Klägers gegenstandslos gewordene Abschiebungsandrohung also nicht einschließt
- ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger rügt zu Unrecht eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs im
Anhörungsverfahren. Abgesehen davon, daß formelle Fehler im
Anhörungsverfahren ganz generell nicht zur Rechtswidrigkeit des später
ergehenden Widerspruchsbescheides führen (vgl. Hess. VGH, U. v. 09.12.1980, II
OE 88/78), vermag der Senat ein Fehlverhalten des Widerspruchsausschusses
nicht zu erkennen. Der Bevollmächtigte des Klägers war nämlich fast sechs
Wochen vor dem Termin geladen worden und teilte erst am Terminstag seine
Verhinderung mit, ohne zum Ausdruck zu bringen, daß diese auf einem ganz
kurzfristig eingetretenen Ereignis beruht habe.
Die angefochtenen Bescheide sind auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn er
wegen einer Straftat verurteilt worden ist.
Der Kläger wurde durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25.02.1982
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt, die er zwischenzeitlich verbüßt hat.
Die Beklagte hat ihr demzufolge eröffnetes Ermessen in rechtlich nicht zu
beanstandender Weise mit spezialpräventiven Erwägungen begründet und hierbei
zu Recht auf die - vom Kläger selbst im Rahmen des Strafverfahrens angegebenen
- einschlägigen früheren Verurteilungen und die daraus zu schließende
Rückfallgefahr abgestellt. Insoweit wird von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe abgesehen und auf die Gründe der angefochtenen
Entscheidung Bezug genommen (Art. 2 § 6 EntlG). Dafür, daß die erwähnten
ausländischen Verurteilungen dem Verwertungsverbot nach §§ 51, 58 BZRG
unterfallen könnten (vgl. hierzu Senat, U. v. 20.09.1985 - 7 UE 879/84 -), ist nichts
ersichtlich. Vielmehr spricht dagegen, daß der Kläger im Rahmen des
Strafverfahrens betreffend den Vorfall am 10.09.1981 selbst Angaben über die
früheren einschlägigen Verurteilungen gemacht und sein Bevollmächtigter
konkrete Anhaltspunkte, die auf den Eintritt der Tilgungsreife schließen lassen
könnten - wie etwa den jeweiligen Tag der Verurteilungen sowie Art und Höhe der
jeweiligen Strafe - , nicht mitgeteilt hat. Im übrigen spricht auch der Umstand, daß
der Kläger offenbar kurzfristig immer wieder von neuem verurteilt wurde, gegen
den Eintritt der Tilgungsreife, da sich die Tilgungsfrist dadurch jeweils verlängerte
(vgl. § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG). Unter diesen Umständen mußten sich dem Senat
Ermittlungen im vorliegenden Zusammenhang nicht aufdrängen.
Die Prognose der Ausländerbehörde hat der Kläger bereits wenige Monate nach
Erhalt der Ausweisungsverfügung und (Teil-)Verbüßung der Freiheitsstrafe
bestätigt, indem er - wovon auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in
seinem Beschluß vom 23.07.1985 ausgeht - in einem Schwimmbad sein
Geschlechtsteil aus der Badehose heraushängen ließ und Kindern zeigte (vgl. zur
Zulässigkeit der bestätigenden Heranziehung später eingetretener Umstände
BVerwG, Beschluß vom 29.11.1978, Buchholz 402.24, Nr. 57 zu § 10 AuslG, sowie
Senat, Urteil vom 18.11.1976 - VII OE 86/75 - und Beschluß vom 11.07.1979 - VII
OE 20/79 -). Ein weiterer einschlägiger Vorfall ereignete sich am 01.06.1984, durch
den die negative Einschätzung der Ausländerbehörde erneut bestätigt worden ist.
Der Umstand, daß das hierauf bezügliche Verfahren gem. § 154 Abs. 2 StPO zur
Einstellung gelangte, hindert seine Berücksichtigung im vorliegenden
Zusammenhang nicht (vgl. BVerwG, Beschluß vom 18.02.1981 - 1 B 845/80 - u.
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Zusammenhang nicht (vgl. BVerwG, Beschluß vom 18.02.1981 - 1 B 845/80 - u.
Urteil vom 05.05.1982, Buchholz 402.84, Nr. 32 zu § 2 AuslG). Im übrigen
ereigneten sich die beiden Verstöße vor dem - für diesen Rechtsstreit
maßgeblichen (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 20.05.1980, E 60, 133, 135 ff.) -
Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, und sie waren den
Verwaltungsbehörden - ausweislich der beigezogenen Behördenakten - auch
schon vorher bekannt. Abgesehen davon sind die Verwaltungsgerichte bei der
Überprüfung der Prognose nicht auf die der Verwaltung im Zeitpunkt des Erlasses
des Widerspruchsbescheides bekannten Tatsachen beschränkt; sie dürfen
vielmehr alle bis dahin existenten Fakten berücksichtigen (Senat, Urteil vom
28.06.1979 - VII OE 99/76 -). Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, daß
die pädophilen Neigungen des Klägers mindestens am 01.06.1984 noch derart
ausgeprägt waren, daß ihn weder die teilweise vollzogene Freiheitsstrafe noch das
Bewußtsein, den Strafrest evtl. noch verbüßen zu müssen, noch das laufende
Ausweisungsverfahren davon abhalten konnten, wiederum einschlägig in
Erscheinung zu treten. Dafür, daß sich hieran bis zum Erlaß des
Widerspruchsbescheides etwas geändert haben könnte, fehlen konkrete
Anhaltspunkte. Solche teilte der Kläger, obwohl seither ein Jahr verstrichen ist,
weder dem Verwaltungsgericht noch im Berufungsverfahren mit. Die bloße
Behauptung des Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat, der Kläger sei nicht mehr pädophil, ist nicht geeignet, die sich aus
dessen bisherigem Verhalten rechtfertigende negative Prognose zu erschüttern.
Hierzu hätte es mindestens der Vorlage einer fachpsychiatrischen Stellungnahme
oder der Angabe von faßbaren Einzelumständen bedurft, die eine Änderung der
Veranlagung des Klägers hätten möglich erscheinen lassen. Hierzu war der
Bevollmächtigte des Klägers auch auf Nachfrage nicht imstande. Deshalb
brauchte der Senat dem offensichtlich nur der Prozeßverschleppung dienenden
Antrag, Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben,
nicht zu entsprechen (vgl. Kopp, VwGO, 6. Aufl. 1984, § 86 VwGO, Rdnr. 21).
Abgesehen davon könnte der Senat die behauptete Wesensänderung des Klägers
vor Erlaß des Widerspruchsbescheides sogar zu dessen Gunsten als wahr
unterstellen. Dann wäre die Ausweisung zwar nicht mehr mit spezialpräventiven
Erwägungen zu begründen. Die Verwaltung hätte aber jedenfalls im
Widerspruchsbescheid - und damit noch rechtzeitig - ihr Ermessen in rechtlich
nicht zu beanstandender Weise auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt.
Eine auf mehrere Einzelerwägungen abstellende - insbesondere eine spezial- und
generalpräventiv motivierte - behördliche Entscheidung ist schon dann
rechtmäßig, wenn einer von diesen Gründen sie trägt und wenn - wie aus dem
Widerspruchsbescheid deutlich zu entnehmen ist nach dem Ermessen der
Behörde nicht nur alle Gründe gemeinsam die Entscheidung rechtfertigen sollen
(vgl. BVerwG, B. v. 02.02.1979, Buchholz 402.24, Nr. 59 zu § 10 AuslG, u. U. vom
19.05.1981, E 62, 215, 221 f., sowie Meyer, NVwZ 1984, 13, 17 Fußn. 73). So liegt
der Fall hier; die Widerspruchsbehörde hat zu Recht darauf hingewiesen, daß bei
Sittlichkeitsdelikten dem Abschreckungsgedanken besonderes Gewicht zukommt
(vgl. BVerwG, U. vom 03.05.1973, E 42, 133, 139). Derartige Vergehen haben ein
so hohes ordnungsrechtliches Gewicht, daß die beabsichtigte Abschreckung
anderer Ausländer vor der Begehung solcher Straftaten nicht ermessensfehlerhaft
ist. Es kann auch nicht generell gesagt werden, daß bei kontinuierlicher
Ausweisungspraxis eine nach der Lebenserfahrung wirksame Abschreckung in
bezug auf Sittlichkeitsdelikte nicht möglich sei. Wohl mag es krankhaft veranlagte
Personen geben, die - wie etwa der Kläger - nicht einmal durch die eigene
Ausweisung, also erst recht nicht durch die Ausweisung Dritter, von ihren
Verhaltensweisen abzubringen sind. Der Täterkreis beschränkt sich bei
Sittlichkeitsvergehen aber nicht ausschließlich auf Personen, die ihren Sexualtrieb
nicht unter Kontrolle halten können. In bezug auf den verbleibenden Anteil
potentieller Täter kann generalpräventiv motivierten Ausweisungen der
Abschreckungseffekt nicht abgesprochen werden.
Ob sich die Ausweisung des Klägers - wie in der Ausweisungsverfügung der
Beklagten geschehen - zusätzlich auf illegalen Aufenthalt und/oder Verstöße
gegen melderechtliche Vorschriften stützen ließe, braucht der Senat nicht zu
prüfen. Denn abgesehen davon, daß die Widerspruchsbehörde ausschließlich § 10
Abs. 1 Nr. 2 AuslG herangezogen hat, ist - wie oben dargelegt - eine auf mehrere
Gründe gestützte behördliche Entscheidung schon dann rechtmäßig, wenn - wie
hier - mindestens einer von diesen sie trägt und wenn - wie auch insoweit dem
Widerspruchsbescheid zu entnehmen ist - nach dem Ermessen der Behörde nicht
nur alle Gründe gemeinsam die Entscheidung rechtfertigen sollen.
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht der auf zehn Jahre befristeten
Ausweisung des ledigen Klägers angesichts seiner im Bundesgebiet nicht
verfestigten persönlichen Lebensumstände ebenfalls nicht entgegen. Auch
insoweit kann gem. Art. 2 § 6 EntlG auf die Gründe des angefochtenen
Gerichtsbescheides - und damit mittelbar auf die entsprechenden Ausführungen
im Widerspruchsbescheid - verwiesen werden. Der Hinweis des Klägers auf das
noch rechtshängige Revisionsverfahren ändert hieran nichts. Abgesehen davon,
daß erst die nach Erlaß des Widerspruchsbescheides erfolgte Einlegung der
Revision gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18.12.1985
dazu geführt hat, daß eine erneute Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt
am Main ergehen muß, rechtfertigt dies nicht den weiteren Aufenthalt des Klägers
im Bundesgebiet. Vielmehr wird seinem Interesse dadurch in ausreichendem
Umfang Genüge getan, daß ihm die Beklagte bereits anläßlich der Haftentlassung
zugesichert und erneut im Rahmen des vorliegenden Verfahrens in Aussicht
gestellt hat, ihm werde gem. § 15 Abs. 2 AuslG ausnahmsweise erlaubt, das
Bundesgebiet zur Teilnahme an einer Verhandlung in der noch rechtshängigen
Strafsache zu betreten.
Nach alledem ist die Berufung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO
zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der
Kosten folgt aus §§ 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11 und 711
Satz 1 ZPO.
Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, weil keine der
Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.