Urteil des HessVGH vom 27.04.1994

VGH Kassel: fürsorgepflicht, wiederwahl, magistrat, dienstliches verhalten, flugblatt, amtsführung, vergleich, verfügung, privatperson, unverzüglich

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 UE 2110/90
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 73 Abs 1 BG HE, § 91 Abs
1 S 2 BG HE
(Erstattung der Rechtsverfolgungskosten eines Beamten
aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des
Dienstherrn)
Tatbestand
Der Kläger ist seit dem 15. März 1982 Bürgermeister der Beklagten. Vor Ende
seiner ersten Amtsperiode war in der Stadtverordnetenversammlung der
Beklagten umstritten, ob die Stelle des Bürgermeisters neu auszuschreiben oder
die Wiederwahl des Klägers zuzulassen sei. In ihrer Sitzung am 1. Oktober 1987
entschied sich die Stadtverordnetenversammlung für die Wiederwahl, die auf dem
29. Oktober 1987 festgesetzt wurde. Kurz zuvor (Ende September 1987) hatte der
SPD-Ortsverein ein Flugblatt verbreitet, in welchem dem Kläger u. a. im
Zusammenhang mit Beanstandungen des Rechnungshofs "Unregelmäßigkeiten"
beim Abrechnungsverfahren mit der HLT-Gesellschaft für Forschung, Planung und
Entwicklung GmbH, einem Entwicklungsträger und Treuhänder der Beklagten,
vorgeworfen wurden.
Am 5. Oktober 1987 beantragte der Kläger beim Landgericht Marburg den Erlaß
einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, dem SPD-Ortsverein die Verbreitung
der Behauptung "Was der Bürgermeister durch diese Unregelmäßigkeiten in den
letzten Jahren 'gespart' hat, muß jetzt nachgezahlt werden", zu verbieten. Zur
Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 13. Oktober
1987 schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich der Verfügungsbeklagte
unter anderem verpflichtete, die beanstandete Behauptung nicht weiter zu
verbreiten; die Kosten des Verfahrens bei einem Streitwert von 10.000,00 DM
wurden gegeneinander aufgehoben.
Am 30. Oktober 1987 reichte der Kläger die ihm übersandten Gerichts- und
Anwaltskostenrechnungen (60,50 DM bzw. 1.888,98 DM) beim Haupt- und
Personalamt der Beklagten ein, das die Zahlung veranlaßte.
Auf eine entsprechende Anfrage der SPD-Fraktion der
Stadtverordnetenversammlung antwortete der Kläger am 18. März 1988, der
Vergleich habe Kosten von insgesamt 1.949,48 DM verursacht, die von der Stadt
getragen worden seien; dem Magistrat sei vom Ergebnis des Vergleichs nicht
berichtet worden. Am 14. Juli 1988 zahlte der Kläger nach Einholung einer
Rechtsauskunft des Hessischen Städte- und Gemeindebundes den Betrag von
1.949,48 DM an die Stadtkasse der Beklagten zurück. Mit Schreiben vom 20. Juli
1988 beanspruchte der Kläger die Rückerstattung der verauslagten Anwalts- und
Gerichtskosten, die er vorläufig zurückgezahlt habe, um dem Vorwurf eines formell
fehlerhaften Verhaltens entgegenzutreten. Der Magistrat der Beklagten lehnte in
seiner Sitzung vom 22. August 1988 gestützt auf eine Rechtsauskunft der
Kommunalaufsicht den Antrag des Klägers ab und setzte den Kläger mit Schreiben
vom 29. August 1988 hiervon in Kenntnis. Der Kläger erhob Widerspruch und trug
vor, die Beklagte sei verpflichtet, ihn als Beamten vor unsachlicher Kritik und
ehrverletzenden Angriffen in Schutz zu nehmen. Ein derartiger Schutz müsse auch
im nachhinein gewährt werden, und zwar durch Erstattung der Kosten, die den
Beamten bei der Abwehr von Angriffen entstanden seien. Es sei nicht erforderlich
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Beamten bei der Abwehr von Angriffen entstanden seien. Es sei nicht erforderlich
gewesen, vor der Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes einen
Magistratsbeschluß herbeizuführen. Der Einschaltung des Magistrats komme im
Rahmen von Ansprüchen aus der Fürsorgeverpflichtung kein Gewicht zu.
Der Anhörungsausschuß beim Landrat des Landkreises empfahl, dem Widerspruch
abzuhelfen und vertrat die Auffassung, der Kläger habe den Rechtsstreit als
Privatperson und nicht in seiner Funktion als Bürgermeister geführt, so daß es
eines vorherigen Magistratsbeschlusses nicht bedurft hätte. Der Magistrat der
Beklagten wies jedoch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1989 den
Widerspruch des Klägers zurück und führte aus, dieser habe sich fehlerhaft
verhalten, indem er den Magistrat nicht zuvor beteiligt habe. Die Rückzahlung des
Betrages und die Antragstellung seien erst aufgrund entsprechender öffentlicher
Diskussionen erfolgt.
Am 10. August 1989 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung
vorgetragen, er sei im Oktober 1987 auf sofortige gerichtliche Hilfe angewiesen
gewesen. Für die Erstattungsfähigkeit der von ihm verauslagten Kosten komme es
nicht darauf an, daß er die erforderlichen Sofortmaßnahmen aufgrund eines
eigenen Entschlusses veranlaßt habe. Dadurch sei die Schutzpflicht des
Dienstherrn nicht erloschen. Er sei anstelle des Dienstherrn tätig geworden. Sein
Anspruch auf Fürsorge sei in einen Anspruch auf Beistandsgewährung
umgewandelt worden. Wenn ihm aufgrund einer für den Dienstherrn in
Wahrnehmung dessen Fürsorgepflicht geleisteten Tätigkeit ein
Erstattungsanspruch erwachse, so könne dessen Geltendmachung kein
treuwidriges Verhalten darstellen. Treuwidrig handele vielmehr die Beklagte, wenn
sie sich auf eine angebliche Verzögerung berufe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide des Magistrats der Beklagten vom
29. August 1988 und vom 12. Juli 1989 zu verpflichten, die von ihm verauslagten
Rechtsanwalts- und Gerichtskosten in Höhe von 1.949,48 DM zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei nach § 70 Abs. 2 Hessische
Gemeindeordnung (HGO) verpflichtet gewesen, die Zustimmung des Magistrats
einzuholen, da ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung kein Geschäft
der laufenden Verwaltung sei. Überdies habe der Kläger fast 10 Monate lang
gegen die Berichtspflicht nach § 70 Abs. 3 HGO verstoßen. Auch aus diesem
Grunde sei die Beklagte nicht verpflichtet, die Verfahrenskosten zu übernehmen.
Auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn könne der Kläger seinen Anspruch
gleichfalls nicht stützen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 31. Mai 1990 - V/1 E 885/89 - die Klage
mit folgender Begründung abgewiesen: Zwar habe der Dienstherr nach § 92 Abs. 1
Satz 2 HBG den Beamten bei seiner amtlichen Tätigkeit und in seiner Stellung als
Beamter zu schützen und Schaden von ihm abzuwenden, unter anderem auch
dann, wenn der Beamte wegen seiner dienstlichen Tätigkeit durch unwahre
Berichte in den Medien angegriffen werde. Diese Schutzpflicht des Dienstherrn
trete nur dann zurück, wenn es an der Unterstützungswürdigkeit des Beamten
fehle. Einem Kostenerstattungsanspruch stehe nicht entgegen, daß der Kläger
seinen Amtspflichten aus § 70 Abs. 2 und 3 HBO zuwidergehandelt haben könnte;
denn diese Vorschriften seien nicht anwendbar, weil der Kläger den Erlaß einer
einstweiligen Verfügung nicht als Vertreter der Beklagten, sondern als Privatperson
beantragt und auch den Vergleich vor dem Landgericht als Privatperson
geschlossen habe. Die grundsätzlich bestehende Schutzpflicht nach § 92 Abs. 1
HBG sei jedoch dadurch entfallen, daß der Kläger anstelle des Dienstherrn tätig
geworden sei und die Fürsorgepflicht selbst wahrgenommen habe. Dadurch habe
er dem Dienstherrn die Möglichkeit genommen, seinerseits Maßnahmen zum
Schutz des Klägers zu ergreifen, die durchaus nicht in der Inanspruchnahme
vorläufigen Rechtsschutzes hätten bestehen müssen. Vielmehr habe der
Dienstherr die Möglichkeit gehabt, sich zunächst auf Verhandlungen mit dem SPD-
Ortsverein mit dem Ziel der Unterbindung einer weiteren Verbreitung des
Flugblattes zu beschränken. Demgegenüber habe der Kläger sich zu Unrecht für
berechtigt gehalten, für den Dienstherrn aufzutreten.
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Ein Not- oder Eilfall, der eine Ausnahme rechtfertigen könne, sei nicht erkennbar.
Zwar habe der Kläger ein berechtigtes Interesse daran gehabt, vor einer
Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung über seine Wiederwahl die
Weiterverbreitung des fraglichen Flugblattes zu unterbinden. Im Zeitpunkt der
Antragstellung habe jedoch bereits festgestanden, daß seine Wiederwahl am 29.
Oktober 1987 stattfinden werde. Damit sei dem Kläger genügend Zeit verblieben,
den wöchentlich tagenden Magistrat einzuschalten und dessen
Schutzmaßnahmen abzuwarten. Auch der Umstand, daß der politische Gegner im
Magistrat der Beklagten die Mehrheit besessen habe, habe den Kläger nicht
berechtigt, dem Magistrat die Möglichkeit angemessener Schutzmaßnahmen zu
nehmen. Erst nach einer Weigerung wäre der Kläger berechtigt gewesen, selbst
tätig zu werden und Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Nur in einem solchen
Fall wäre der Anspruch auf Fürsorge nach § 92 Abs. 1 HBG mit dem Anspruch auf
Kostenerstattung identisch gewesen. Dieser stehe im allgemeinen nur solchen
Bediensteten zu, die ihrerseits mit einem gerichtlichen Verfahren überzogen
worden seien. Hinzu komme, daß der Kläger nicht unverzüglich nach dem
Abschluß des gerichtlichen Vergleichs den Magistrat der Beklagten um
Genehmigung seines Vorgehens ersucht habe. Die Verpflichtung, den Dienstherrn
unverzüglich von Maßnahmen in Kenntnis zu setzen, die er selbst für den
Dienstherrn durchgeführt habe, ergebe sich aus der Treuepflicht des Beamten.
Unter diesen Umständen stelle es ein treuwidriges Verhalten dar, daß der Kläger
das Haupt- und Personalamt zur Zahlung angewiesen habe. Nach § 69 HBG habe
der Beamte jede Einflußnahme auf andere Bedienstete zur Verfolgung eigener
Ziele zu vermeiden. Gegen diese Verpflichtung zur uneigennützigen Amtswaltung
habe der Kläger verstoßen, indem er als Amtsperson die Anwalts- und
Gerichtskostenrechnungen mit der Bitte um Veranlassung weitergeleitet habe.
Damit habe er den Anschein erweckt, als wolle er sein Amt eigennützigen Zwecken
dienstbar machen. Diesen Anschein hätte er vermeiden können, indem er die
Einschaltung des Haupt- und Personalamts seinem Stellvertreter überlassen
hätte.
Gegen dieses seinen Prozeßbevollmächtigten am 4. Juli 1990 zugestellte Urteil
richtet sich die am 12. Juli 1990 eingegangene Berufung. Zur Begründung wird
vorgetragen, es erscheine lebensfremd, den Kläger auf Vermittlungsbemühungen
des Magistrats zu verweisen, bevor der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Verfügung gestellt wurde. Da der SPD-Ortsverein das beanstandete Flugblatt
bereits flächendeckend verteilt habe, hätte jegliches Zuwarten zu einer
Intensivierung der Rechtsbeeinträchtigung des Klägers führen können. In dieser
Situation sei es für ihn zum Schutz seiner Amtsehre und seiner Rechte als
Bürgermeister nicht zuzumuten gewesen, die politisch andersdenkende
Magistratsmehrheit mit einem Fürsorgeersuchen zu konfrontieren. Durch derartige
offenkundig aussichtslose Vermittlungs- und Schlichtungsbemühungen wären
darüber hinaus die Erfolgsaussichten des zivilrechtlichen Eilverfahrens geschmälert
worden. Er habe auch nicht eigenmächtige Eigenfürsorge geübt. Vielmehr habe er
lediglich den notwendigen und rechtmäßigen Versuch unternommen, seine
Amtsehre gegen beeinträchtigende parteipolitische Diffamierungen zu schützen.
Darin sei weder ein nur privates noch ein hoheitliches Handeln zu sehen; vielmehr
seien Amt und Person in einer solcher Situation verschränkt. Jegliche wirksame
Reaktion habe möglichst rasch erfolgen müssen. Die Weiterleitung der
Kostenrechnungen könne ihm nicht als Treuepflichtverletzung angelastet werden,
zumal er dieses Verhalten nachträglich korrigiert habe. Wäre der Magistrat im
Anschluß an den Vergleich unverzüglich informiert worden, so hätte er keine
andere Wahl gehabt, als dem Kläger die Erstattung der zur Rechtsverfolgung
notwendigen Kosten zuzubilligen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 31. Mai 1990 - V/1 E 885/89 -
abzuändern, den Bescheid des Magistrats der Beklagten vom 29. August 1988
und dessen Widerspruchsbescheid vom 12. August 1989 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, die vom Kläger verauslagten Rechtsanwalts- und
Gerichtskosten in Höhe von 1.949,48 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, im Rahmen der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht habe es in
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Sie macht geltend, im Rahmen der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht habe es in
ihrem pflichtgemäßem Ermessen gestanden, über das Ob und Wie ihres
Tätigwerdens zu entscheiden. Dies ergebe sich aus der Gestaltungsfreiheit des
Dienstherrn bei der Ausübung seiner Schutz- und Fürsorgepflichten. Dieser
Grundsatz gelte unabhängig von politischen Mehrheiten. Indem der Kläger die
Fürsorgepflicht selbst wahrgenommen habe, habe er seinem Dienstherrn die
Möglichkeit einer pflichtgemäßen Ermessensausübung genommen. Die sofortige
gerichtliche Hilfe sei weder notwendig noch unabweisbar gewesen. Der Kläger sei
verpflichtet gewesen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Entstehung von
Kosten für den Dienstherrn zu vermeiden. Auch eine besondere Eilbedürftigkeit
habe nicht bestanden. Der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, innerhalb kurzer
Zeit eine Entscheidung des Magistrats herbeizuführen. Der gerichtliche Vergleich
hätte in dieser Form ebensogut das Ergebnis von Schutzmaßnahmen des
Dienstherrn sein können. Auf sein Fürsorgerecht habe der Kläger jedoch
verzichtet, indem er durch die unmittelbare Weiterleitung der Kostenrechnungen
verhindert habe, daß der Dienstherr von seinem Begehren auf Fürsorge Kenntnis
erhielt. Erst Monate später sei die entsprechende Mitteilung erfolgt. Auch darin
liege ein treuwidriges Verhalten, mit dem der Kläger seinen
Kostenerstattungsanspruch verwirkt habe. Es sei jedenfalls seine Amtspflicht als
Bürgermeister gemäß § 70 Abs. 3 HGO gewesen, den Magistrat unverzüglich zu
unterrichten. Der Kläger habe seine Amtsbefugnisse mißbraucht, um als
Privatperson seine Verfahrenskosten aus öffentlichen Mitteln zu decken. Ein
Erstattungsanspruch könne nicht mehr bestehen, nachdem der Kläger sich die
ihm möglicherweise zustehende Fürsorgeleistung hinter dem Rücken des
Magistrats selbst habe zukommen lassen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats
ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte des
Landgerichts Marburg/Lahn - 6 O 115/87 - Bezug genommen, die Gegenstand der
Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann über die Berufung aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die auf Erstattung von
Rechtsanwalts- und Gerichtskosten gerichtete Verpflichtungsklage des Klägers im
Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid der
Beklagten ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten
(vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht der geltend gemachte
Erstattungsanspruch dem Grunde nach nicht zu, so daß dahinstehen kann, ob
eine auf fehlerfreie Ermessensausübung gerichtete Bescheidungsklage (§ 113 Abs.
5 Satz 2 VwGO) die statthafte Klageart gewesen wäre.
Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt nur § 91 Abs. 1 Satz
2 Hessisches Beamtengesetz (HBG) in Betracht. Danach schützt der Dienstherr
den Beamten bei seiner amtlichen Tätigkeit und in seiner Stellung als Beamter.
Diese auf der allgemeinen Fürsorgepflicht des Dienstherrn beruhende
Schutzpflicht kann sich auch auf den Schutz vor ehrverletzenden Angriffen
erstrecken. Sie soll den Beamten allerdings nur vor solchen Belastungen oder
Nachteilen bewahren, die ihm ausschließlich aus seiner Rechtsstellung als
Beamter oder aus seiner dienstlichen Tätigkeit erwachsen. Nach dem Zweck der
Fürsorgepflicht kann der Dienstherr nur dann zu einem fürsorglichen Eingreifen
zum Schutz des Beamten veranlaßt sein, wenn dem ehrverletzenden Angriff ein
Sachverhalt zugrundeliegt, der das beamtenrechtliche Dienstverhältnis betrifft
(vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Dezember 1982 - 6 C 98.80 -, Buchholz 235 § 17
BBesG Nr. 3). Nur in Angelegenheiten, die die Rechts- und Pflichtenstellung des
Beamten betreffen, ist der Dienstherr zur Ausübung eines angemessenen
Schutzes verpflichtet; bei Angriffen auf die Ehre des Beamten also nur dann, wenn
dienstliches Verhalten oder die dienstliche Stellung des Beamten Gegenstand des
Angriffs und die Integrität der Amtsführung bzw. des Beamten als Amtsperson Ziel
der Verteidigung sind (einhellige Auffassung; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil
vom 30. März 1982, ZBR 1983, 41 - LS -; Scheerbarth/Höffken, Beamtenrecht, 5.
Aufl. § 17 II d, S. 379; Schütz, Beamtenrecht, Kommentar, 5. Aufl., II C Rdnrn. 16,
18 zu § 85 LBG NW; Weimar, Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn zum Schutz des
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18 zu § 85 LBG NW; Weimar, Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn zum Schutz des
Beamten gegenüber Dritten, DÖD 1964, 91, 92).
Unter diesen Voraussetzungen kann es zum gebotenen Schutz der
pflichtgemäßen Amtsführung sowie des Persönlichkeitsrechts des Beamten
gehören, daß der Dienstherr Unterstützung in gerichtlichen Verfahren durch volle
oder teilweise Übernahme der Kosten einer angemessenen Rechtsverteidigung
gewährt (vgl. Plog/Wiedow/ Beck/Lemhöfer, BBG, Stand: Mai 1993, Rdnr. 20 zu § 79
BBG; Weimar a.a.O. S. 92), an der ein dienstliches Interesse bestehen muß (so
Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 3. Auflage, Rdnr. 284 m.w.N.).
Besteht ein solches dienstliches Interesse nicht, weil die Rechtsverfolgung
hauptsächlich oder überwiegend privaten Zwecken dient, etwa wenn der Beamte in
seiner persönlichen Ehre ohne Bezug zu seinem Amt gekränkt worden ist, so
liegen die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs aus Gründen der
Schutzpflicht des Dienstherrn nicht vor.
Bei Anwendung dieser Maßstäbe steht dem Kläger der geltend gemachte
Anspruch nicht zu. Der Senat vermag auch unter Berücksichtigung des
Berufungsvorbringens nicht festzustellen, daß die dem Kläger erwachsenen
Anwalts- und Gerichtskosten ihren Ursprung in der Sphäre des Dienstes gehabt
haben.
Das Verwaltungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß der
Kläger den Erlaß einer einstweiligen Verfügung nicht als Vertreter der Beklagten,
sondern als Privatperson beantragt hat und daß auch der Vergleichsabschluß
keine Amtshandlung darstellte. Gleichwohl hat das Verwaltungsgericht einen
Zusammenhang zwischen den ehrverletzenden Äußerungen im Flugblatt des SPD-
Ortsvereins und der dienstlichen Tätigkeit des Klägers als Bürgermeister der
Beklagten gesehen und deshalb eine grundsätzliche Schutzpflicht des Dienstherrn
gegenüber dem Kläger bejaht. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht
beizutreten.
Zwar ist nicht zu verkennen, daß in dem beanstandeten Flugblatt ausschließlich
auf Sachverhalte Bezug genommen wird, die sich während der ersten Amtsperiode
des Klägers seit 1985 in seinem dienstlichen Zuständigkeitsbereich als
Bürgermeister ereignet haben. Das Flugblatt ist nach Inhalt und Aufbau darauf
gerichtet, Verhaltensweisen anzuprangern, mit denen sich der Kläger nach der
Kommunalwahl 1985 nach Meinung der Verfasser vom Willen der Mehrheit der
Stadtverordnetenversammlung entfernt und diesen ignoriert habe. Hinsichtlich der
Amtsführung im engeren Sinne des Kontaktes zu Bediensteten wird ein Vergleich
mit einem langjährigen Vorgänger des Klägers gezogen. Auch die vom Kläger im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren beanstandete Textpassage betrifft ein
Verhalten, das zu den dienstlichen Aufgaben des Klägers als Bürgermeister
gehörte (Abrechnung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen mit der HLT).
Eine Gesamtbetrachtung des Flugblatts als Gegenstand des Rechtsstreits, für den
der Kläger Kostenerstattung begehrt, zeigt jedoch eine über Kritik an der
Amtsführung des Klägers hinausgehende Zielsetzung. Wie der Kläger im
Antragsschriftsatz seiner Bevollmächtigten an das Landgericht Marburg vom 2.
Oktober 1987 selbst hat darlegen lassen, war die SPD zusammen mit der
Magistratsmehrheit seinerzeit bestrebt, die unmittelbare Wiederwahl des Klägers
zu verhindern und eine Ausschreibung der Stelle des Bürgermeisters nach § 42
Abs. 1 Satz 2 Hessische Gemeindeordnung (HGO) zu erwirken. Das Flugblatt stellt
offenkundig eine Wahlkampfmaßnahme dar. Dies ergibt sich zum einen aus dem
Text selbst, der seinen Überschriften zufolge ("Warum nicht für Manfred Vollmer" -
"Unsere Ablehnung der Wiederwahl stützt sich auf sachliche Gründe") darstellen
sollte, aus welchen Gründen die SPD nicht für eine Wiederwahl des Klägers eintrat.
Zum anderen geht dies aus dem zeitlichen Zusammenhang hervor. Das Flugblatt
wurde Ende September 1987, also unmittelbar vor der über das Ob der Wiederwahl
entscheidenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 1. Oktober 1987
verteilt.
Diese Zwecksetzung des Flugblatts als Wahlkampfmaßnahme begründet einen
erheblichen Unterschied zu solchen Angriffen auf die Amtsführung eines
Bürgermeisters, die diesen unmittelbar als Amtsperson und nicht als politischen
Gegner treffen sollen. Denn auch die Gegenwehr des Klägers, für die er
Kostenerstattung aus Gründen der Fürsorgepflicht begehrt, entspricht ihrerseits in
vollem Umfang dieser Zwecksetzung. Der Rechtsstreit vor dem Landgericht stellt
sich ebenfalls als Wahlkampfmaßnahme dar. Durch sofortiges und entschiedenes
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sich ebenfalls als Wahlkampfmaßnahme dar. Durch sofortiges und entschiedenes
Auftreten gegen einen bestimmten, von ihm als besonders erheblich erachteten
Vorwurf sollte nicht das Amt des Klägers oder der Kläger als Amtswalter verteidigt
werden, sondern es sollten die Aussichten des Klägers auf Wiederwahl gewahrt
werden. Auch die Tatsache, daß der Kläger in Person und nicht als Bürgermeister,
vertreten durch den Ersten Beigeordneten (vgl. § 47 Satz 1 HGO) als
Verfügungskläger in Erscheinung getreten ist, deutet darauf hin, daß er sich
persönlich als Wahlbewerber und nicht als Amtswalter betroffen fühlte. Daraus
ergibt sich zugleich die Dringlichkeit der Angelegenheit für den Kläger; denn wäre
das Flugblatt zu einem beliebigen Zeitpunkt während seiner ersten Amtsperiode
ohne Zusammenhang mit dem unmittelbar bevorstehenden Wahltermin verbreitet
worden, so wäre auch aus seiner Sicht ein sofortiger Antrag auf Erlaß einer
einstweiligen Verfügung nicht zwingend erforderlich gewesen.
Die Handlungsweise des Klägers ist insgesamt von seiner Position als
Wahlbewerber geprägt; denn auf diese Position richtete sich der nach seiner
Auffassung ehrverletzende Angriff. Nur so ist es auch zu erklären, daß der
anwaltlich vertretene Kläger im einstweiligen Verfügungsverfahren von vornherein
lediglich das Rechtsschutzziel verfolgte, dem Verfügungsbeklagten die weitere
Verbreitung einer bestimmten Behauptung zu untersagen. Das mag für
Wahlkampfzwecke genügen. Hätte sich der Kläger dagegen wirklich in seiner
Amtsführung zu Unrecht kritisiert und als Amtsträger herabgesetzt gesehen, so
hätte ein nachhaltiger Schutz seiner Integrität als Amtsperson nur durch einen
Widerruf bewirkt werden können.
An dieser Bewertung ändert der Umstand nichts, daß der Kläger seine Wiederwahl
als Amtsträger betrieben hat und zwangsläufig "aus dem Amt" tätig geworden ist.
Insofern besteht bei der Beurteilung der Frage, ob sein Rechtsschutzbegehren
dem Schutz des Amtes oder der Sicherung der Wiederwahl zu dienen bestimmt
war, kein Unterschied zwischen einem externen Bewerber und einem Amtsinhaber.
Denn es liegt auf der Hand, daß letzterer vor allem solche Angriffsflächen bietet,
die mit seiner Amtsführung einhergehen; werden diese im Wahlkampf zum Ziel
kritischer Meinungsäußerungen, so tritt der beamtenrechtliche Schutz der
Integrität des Amtes regelmäßig in den Hintergrund. Im Vordergrund steht die
Betroffenheit der Person des Wahlbewerbers.
Fehlt es somit an dem erforderlichen Bezug des Sachverhalts, der die Kosten
verursacht hat, zum Dienstverhältnis des Klägers als Bürgermeister, so kommt
eine Erstattung unter dem Gesichtspunkt der beamtenrechtlichen Schutzpflicht
des Dienstherrn nicht in Betracht.
Selbst wenn man jedoch einen Vorrang dienstlicher Belange bei der
Rechtsverteidigung des Klägers anerkennen würde, so stünde einem Anspruch des
Klägers, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, das Verbot der
unzulässigen Rechtsausübung unter dem Gesichtspunkt eines eigenmächtigen
Handelns des Klägers anstelle seines Dienstherrn entgegen.
Der Dienstherr hat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden, wie er
der Schutzpflicht genügen will (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 3 März 1982
a.a.O; Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer a.a.O. Rdnr. 20 zu § 79 BBG; Schütz a.a.O.
Rdnr. 16 zu § 85 LBGNW). Das Ermessen war im vorliegenden Fall nicht auf die
Führung eines Rechtsstreits als einzige dem Zweck der Ermessensermächtigung
entsprechende Entscheidung reduziert. Vielmehr bestand ein
Ermessensspielraum, der verschiedene rechtliche Möglichkeiten eines
Tätigwerdens des Magistrats zum Schutze des Klägers offen ließ. Dabei ist neben
den vom Verwaltungsgericht zutreffend dargelegten Möglichkeiten einer
Vermittlung (S. 8 des Urteilsabdrucks) als Eilmaßnahme auch eine
Presseerklärung in Erwägung zu ziehen, mit der der Magistrat sich schützend vor
den Kläger hätte stellen können. Auf die Frage, ob der Kläger von der politischen
andersdenkenden Magistratsmehrheit einen wirksamen Schutz erwarten konnte,
kommt es im Gegensatz zu seiner Auffassung nicht an; maßgeblich ist allein, daß
der Kläger den Dienstherrn nicht übergehen durfte, weil diesem zur Wahrnehmung
der Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger ein Spielraum rechtlich
zulässiger Handlungsmöglichkeiten eröffnet war. Als Amtsinhaber war es dem
Kläger auch unter dem Gesichtspunkt eines Interessenkonflikts (§ 73 Abs. 1 HBG)
verwehrt, selbst zur Wahrung seiner vermeintlichen Rechte tätig zu werden. Im
übrigen nimmt der Senat hinsichtlich des Verbotes einer unzulässigen
Rechtsausübung durch den Kläger auf die zutreffende Begründung des
angefochtenen Urteils Bezug (S. 8 - 9, 2. Absatz des Urteilsabdrucks) und sieht
angefochtenen Urteils Bezug (S. 8 - 9, 2. Absatz des Urteilsabdrucks) und sieht
insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 130 b
VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.