Urteil des HessVGH vom 03.06.1986

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, verfügung, öffentliches interesse, tschg, unternehmen, hessen, sicherheit, tierschutzgesetz, vollziehung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 TH 35/86
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 5 VwGO, § 2 Abs 1
TierSchG
(Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Verbots der
Legehennenhaltung in Batteriekäfiganlagen)
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners bleibt erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat
zu Recht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des von der
Antragstellerin gegen die vorliegend umstrittene Verfügung eingelegten
Rechtsbehelfs wiederhergestellt.
Nach der vorgenannten Gesetzesvorschrift kann das Gericht der Hauptsache in
Fällen, in denen die Verwaltungsbehörde die sofortige Vollziehung einer
Maßnahme im öffentlichen Interesse nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet hat,
die aufschiebende Wirkung wiederherstellen, wobei es eine Abwägung zwischen
den von der Behörde ins Feld geführten, für den Sofortvollzug einer Anordnung
sprechenden öffentlichen Interessen und dem Interesse des Antragstellers daran
vorzunehmen hat, daß die Maßnahme bis zur endgültigen Gerichtsentscheidung
im Klageverfahren nicht vollzogen wird. Insoweit ist zu beachten, daß im Grundsatz
Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung entfalten (§ 80 Abs. 1
VwGO), die Anordnung des Sofortvollzugs daher nach dem Rechtsschutzsystem
der Verwaltungsgerichtsordnung die Ausnahme darzustellen hat. (BVerfGE 35, 382
<402>). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann die Erfolgsaussicht
des gegen den streitigen Bescheid betriebenen Klageverfahrens als ein Element
im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung angesehen werden. Ist
nämlich bereits im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit
Sicherheit absehbar, daß der streitige Bescheid im Klageverfahren aufgehoben
werden wird, so kann dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Regelfall schon auf
Grund dieser Prognose stattgegeben werden, weil nämlich ein öffentliches
Interesse am Sofortvollzug eines Bescheides, der letztlich keinen Bestand haben
wird, nicht anerkannt werden kann. Im Hinblick darauf, daß im Rahmen des
zwangsläufig summarischen Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO der Ausgang eines
sich möglicherweise über mehrere Instanzen erstreckenden Klageverfahrens aber
häufig nicht mit letzter Sicherheit abzuschätzen ist, wird ein Erfolg des Eilantrags
im Hinblick auf das zu erwartende Ergebnis des Klageverfahrens nur in Betracht
kommen, wenn sich die Maßnahme schon bei summarischer Überprüfung als o f f
e n s i c h t l i c h r e c h t s w i d r i g erweist. Umgekehrt spricht allerdings eine
bereits im Eilverfahren feststellbare o f f e n s i c h t l i c h e R e c h t m ä ß i g k e i
t der angegriffenen Verfügung allein noch nicht für die Erfolglosigkeit des Antrags
auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, da auch offensichtlich
rechtmäßige Verwaltungsakte nach der aufgezeigten Systematik der
Verwaltungsgerichtsordnung nicht schon allein wegen ihrer Rechtmäßigkeit des
Sofortvollzugs fähig sind; vielmehr erfordert das Gesetz auch in solchen Fällen
stets das Vorliegen eines den Sofortvollzug rechtfertigenden und über das
Interesse am Erlaß des Verwaltungsakts hinausgehenden öffentlichen Interesses,
dem allerdings im Hinblick auf die offensichtliche Rechtmäßigkeit des
Verwaltungsakts im Vergleich zum privaten Interesse des Betroffenen an der
Beibehaltung der aufschiebenden Wirkung ein erhebliches Gewicht zukommt.
Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zur Gewährung vorläufigen
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Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zur Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes kann der Senat die angefochtene Verfügung jedenfalls n i c h t als
o f f e n s i c h t l i c h r e c h t m ä ß i g einstufen. Dabei mag dahinstehen, ob
den Bedenken der Antragstellerin zu folgen ist, wonach der Erlaß der umstrittenen,
auf § 2 TSchG gestützten Anordnung über das Verbot der Käfighaltung von
Legehennen durch den Antragsgegner dem Grundsatz der Gewaltenteilung und
dem Prinzip der Bundestreue zuwiderlaufe, weil der Antragsgegner sich Befugnisse
anmaße, die allein dem in § 13 TSchG genannten Verordnungsgeber zustünden;
unerörtert mag auch bleiben, ob die angegriffene Verfügung im Hinblick darauf
rechtlichen Bedenken begegnet, daß der Rat der Europäischen Gemeinschaft am
25. März 1986 eine Richtlinie zur Festsetzung von Mindestanforderungen zum
Schutz von Legehennen in Käfigbatteriehaltung erlassen hat (Amtsblatt EG Nr. L
95/45).
Jedenfalls kann - selbst wenn sich der Senat hinsichtlich der vorstehenden
Erwägungen der Rechtsauffassung der Antragstellerin nicht anschließen würde - im
Rahmen des zwangsläufig summarischen Eilverfahrens nicht mit der für die
Annahme einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit notwendigen Sicherheit davon
ausgegangen werden, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen der
Ermächtigungsnorm des § 2 TSchG in Ansehung der Batteriekäfighaltung von
Legehennen im Betrieb der Antragstellerin unter Beachtung der individuellen
Besonderheiten dieses Betriebes erfüllt sind. Zwar sind auch nach Ansicht des
Senats Zweifel daran, ob Legehennen in den streitigen Batteriekäfigen im Sinne
des § 2 Abs. 1 TSchG "verhaltensgerecht untergebracht" sind und ob das
"artgemäße Bewegungsbedürfnis" dieser Tiere nicht dauernd und in einer Weise
eingeschränkt ist, daß ihnen vermeidbare Schmerzen, Leiden oder Schäden
zugefügt werden, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Andererseits kann
nicht außer acht gelassen werden, daß - worauf schon das
Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 36, 47 <57>; BVerfGE 48, 376 1<389> wie
auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urteil vom 12. März 1985 -
10 S 1891/82 -
NuR 1985 S. 325>) zutreffend hingewiesen haben - das Tierschutzgesetz nach
seiner Gesamtkonzeption nicht anstrebt, Tieren jegliche Beeinträchtigung ihres
Wohlbefindens zu ersparen. Vielmehr wird das Gesetz beherrscht von dem letztlich
im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verankerten Leitgedanken, Tieren "nicht ohne
vernünftigen Grund" (vgl. § 1 Satz 2 TSchG) Schmerzen, Leiden oder Schäden
zuzufügen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber, wie die Begründung zum
Regierungsentwurf des Tierschutzgesetzes verdeutlicht (BTDS VI/2559 S. 9), einen
Ausgleich gesucht zwischen den ethischen Forderungen nach möglichst
umfassendem Schutz der der Obhut des Menschen anvertrauten Tiere einerseits
und den wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Notwendigkeiten andererseits. Im
Bereich der Intensivhaltung von Nutztieren obliegt es daher den das
Tierschutzgesetz anwendenden Behörden und Gerichten, im Einzelfall eine
Abwägung zwischen den widerstreitenden Belangen vorzunehmen, wobei
insbesondere das Maß der Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Tiere in
Abhängigkeit von der jeweiligen Form der Nutztierhaltung einerseits sowie die
ernährungs- und volkswirtschaftliche Bedeutung der jeweiligen Betriebsweise
andererseits angemessen berücksichtigt werden müssen (vgl. VGH Baden-
Württemberg, a.a.O.). Daß die insoweit angesprochene vielschichtige und
einschlägige Fachkreise seit Jahren beschäftigende Problematik nicht in einem
Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichsam "übers Knie gebrochen" werden
kann, dürfte auf der Hand liegen. Wie sehr diese Fragen in Kreisen der
Wissenschaft umstritten sind, verdeutlichen hinreichend die von den Beteiligten
dieses Rechtsstreits jeweils für ihre Auffassung ins Feld geführten kontroversen
Sachverständigenäußerungen, denen teilweise ein rein
verhaltenswissenschaftlicher Ansatz, teilweise eine tiermedizinische und tier- und
nahrungsmittelhygienische Betrachtungsweise zugrunde liegt, was die Verwertung
derartiger wissenschaftlicher Erkenntnisse zusätzlich erschwert. Hinzu kommt, daß
offenbar auch mit der Freilandhaltung der Legehennen, aber auch mit der
sogenannten Volierenhaltung gewisse gesundheitliche Risiken und
Befindensstörungen für die Tiere verbunden sind, was einer näheren Aufarbeitung
im Klageverfahren bedürfte. Wie sehr die Entscheidung der hier angesprochenen
Frage letztlich von der Auswertung unterschiedlicher Sachverständigenäußerungen
abhängig sein dürfte, verdeutlichen auch die unter Benennung zahlreicher
Wissenschaftler gestellten Beweisanträge beider Beteiligter in den mittlerweile in
Gang gekommenen Klageverfahren. Jedenfalls ist der Stand der wissenschaftlichen
Diskussion derzeit nach dem vom Senat in diesem Eilverfahren gewonnenen
Erkenntnisstand nicht so eindeutig und zweifelsfrei, daß ein generelles Verbot der
Batteriekäfighaltung von Legehennen auch schon bei bloß summarischer
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Batteriekäfighaltung von Legehennen auch schon bei bloß summarischer
Überprüfung des angefochtenen Bescheids als o f f e n s i c h t l i c h r e c h t m ä
ß i g bezeichnet werden könnte.
Daher braucht auch auf die weitere Frage nicht abschließend eingegangen zu
werden, ob gegen die Rechtmäßigkeit der umstrittenen Anordnung auch deshalb
Bedenken bestehen, weil es der Antragsgegner bisher unterlassen hat,
konsequent und planmäßig gegen sämtliche Betriebe in Hessen vorzugehen, in
denen Legehennen in Batteriekäfiganlagen gehalten werden. Nach derzeitigem
Erkenntnisstand des Senats sind Verbotsverfügungen des Antragsgegners bisher
nur an etwa 15 Großbetriebe gerichtet worden, die über einen Bestand an
Legehennen von - rund gerechnet - mehr als 20.000 verfügen. Der Antragsgegner
räumt ein, daß in Hessen daneben etwa 60 bis 70 Betriebe mit einem
Legehennenbestand von etwa 5.000 bis 20.000 existieren und ungefähr 350 bis
400 Betriebe mit bis zu 5.000 Legehennen. Im Hinblick darauf, daß diese
Unternehmen von belastenden Verfügungen der vorliegend umstrittenen Art
bisher nicht betroffen wurden, könnte ein Verstoß gegen Art. 3 GG in Betracht
kommen; der Einwand des Antragsgegners, die zuständigen Behörden seien aus
Zeitgründen und im Hinblick auf den damit zusammenhängenden Arbeitsaufwand
nicht in der Lage gewesen, gegen alle Betriebe gleichzeitig vorzugehen, vermag
demgegenüber wohl nur schwer zu überzeugen, da seit Erlaß der gegen die
Antragstellerin ergangenen Verfügung viele Monate vergangen sind, ohne daß die
zuständigen Behörden offenbar Versuche unternommen haben, durch gleiche
Behandlung identischer Sachverhalte dem Gebot des Art. 3 GG Rechnung zu
tragen. Auf entsprechendes Befragen des Gerichts hat sich der Antragsgegner
auch außerstande gesehen hinsichtlich seiner weiteren Vorgehensweise zumindest
einen Zeitplan anzugeben. Insoweit bestehen in der Tat Bedenken, ob von einem
planmäßigen und zielgerichteten und damit dem Gebot der Gleichbehandlung
entsprechenden Vorgehen des Antragsgegners gesprochen werden kann. Ob die
Größe des jeweiligen Betriebs als wesentliches und die Annahme willkürlichen
Vorgehens ausschließenden Unterscheidungskriterium anerkannt werden kann,
erscheint im vorliegenden Zusammenhang zumindest fraglich, wenn man
berücksichtigt, daß die nicht von belastenden Verfügungen der vorliegend
umstrittenen Art betroffenen Betriebe, unter denen sich offenbar auch
Großbetriebe mit bis zu 20.000 Legehennen befinden, insgesamt über einen
Legehennenbestand verfügen dürften, der den Gesamtbestand der von den
Verbotsmaßnahmen des Antragsgegners erfaßten Betriebe deutlich übersteigen
dürfte. Hier stellt sich mit aller Deutlichkeit die Frage einer sachlich nicht
gerechtfertigten und damit vom Gleichbehandlungsgebot nicht getragenen
Wettbewerbsverzerrung innerhalb dieses Betriebszweiges. Ob demgegenüber dem
Argument, der Antragsgegner habe zunächst den Ausgang der Verfahren zur
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes oder gar erst der Klageverfahren abwarten
wollen, was politisch und unter Kostengesichtspunkten durchaus verständlich sein
mag, erhebliche Bedeutung zukommen kann, mag zumindest fraglich erscheinen,
denn die mit Verfahren der vorliegenden Art befaßten Gerichte haben die
Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme unter Heranziehung des Art. 3 GG
im Zeitpunkt ihrer jeweiligen Entscheidung zu überprüfen, so daß die unbestimmte
Aussicht, der Antragsgegner werde dem Gleichheitssatz später Rechnung tragen,
unter rechtlichen Aspekten bedeutungslos sein dürfte. Da der Antragsgegner von
Verfassungs wegen gezwungen ist, wesentlich gleiche Sachverhalte gleich zu
behandeln, dürfte für ungleich belastende Maßnahmen, mit denen zunächst nur
der Ausgang von Rechtsschutzverfahren gleichsam "getestet" werden soll, im
Bereich der grundrechtsgebundenen Hoheitsverwaltung kein Raum sein.
Die insoweit angesprochene Problematik mag allerdings letztlich im Rahmen
dieses Eilverfahrens dahinstehen, da bereits zuvor festgestellt wurde, daß wegen
bestehender Zweifel am Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des
§ 2 TSchG jedenfalls von einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit der angegriffenen
Verfügung nicht gesprochen werden kann.
Andererseits besteht auch kein Anlaß, im Rahmen des vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens mit seiner zwangsläufig nur summarischen Überprüfung
der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Anordnung diese als o f f e n s i c h t l i c h r
e c h t s w i d r i g zu charakterisieren. Einer Feststellung dieser Art, die - könnte
sie getroffen werden - zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des
Rechtsbehelfs der Antragstellerin führen müßte, bedarf es schon deshalb nicht,
weil die Notwendigkeit einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sich -
wie die folgenden Ausführungen verdeutlichen werden - aus der Abwägung der für
den Sofortvollzug sprechenden Gründe mit den Interessen der Antragstellerin an
den Sofortvollzug sprechenden Gründe mit den Interessen der Antragstellerin an
der Beibehaltung des Suspensiveffekts des § 80 Abs. 1 VwGO ergibt. Diese
Gewichtung der einander gegenüberstehenden Interessen, die in Fällen, in denen
das Gericht weder eine offensichtliche Rechtmäßigkeit noch eine offensichtliche
Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verfügung feststellen kann, über Erfolg oder
Mißerfolg des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO entscheidet, fällt vorliegend
zugunsten der Antragstellerin aus. Der Antragsgegner hat nicht zur Überzeugung
des Senats darlegen können, daß das von ihm ausgesprochene Verbot der
Legehennenhaltung in Batteriekäfiganlagen abweichend vom Regelfall aus
überwiegendem öffentlichem Interesse sofort und ohne daß die rechtskräftige
gerichtliche Entscheidung im Klageverfahren abgewartet werden könnte, vollzogen
werden muß. Insoweit fällt insbesondere ins Gewicht, daß mit dem Sofortvollzug
der umstrittenen Verfügung für die Antragstellerin vollendete Tatsachen von
weitreichender Bedeutung geschaffen würden, ohne daß es insoweit entscheidend
darauf ankäme, ob die Maßnahme tatsächlich zu einer Existenzgefährdung des
Unternehmens führen würde, wie die Antragstellerin behauptet. Allein der
Umstand, daß - insbesondere wenn der bisherige Bestand an Legehennen
aufrechterhalten werden soll - umfangreiche Neu- und Umbaumaßnahmen mit
Investitionen in großer Höhe als Folge der Anordnung des Antragsgegners
vorzunehmen wären, macht deutlich, daß der Sofortvollzug der Anordnung, deren
Rechtmäßigkeit noch nicht einer abschließenden verbindlichen Klärung durch die
zuständigen Gerichte unterzogen wurde, erhebliche Belastungen für die
betroffenen Betriebe mit sich brächte. Hinzu kommt, daß die Antragstellerin -
müßte sie der Anordnung des Antragsgegners sofort nachkommen - einem
erheblichen Konkurrenzdruck durch diejenigen Eieranbieter ausgesetzt wäre, die
nicht Adressaten entsprechender Verfügungen des Antragsgegners waren, zumal
der Antragsgegner bisher noch keine Ansätze in Richtung auf ein planmäßiges und
zielgerichtetes Vorgehen auch gegenüber anderen als den bisher betroffenen
Unternehmen hat erkennen lassen. Die nicht betroffenen Legehennenhalter in
Hessen, insbesondere aber auch Eierlieferanten aus angrenzenden Bundesländern
- die Antragstellerin spricht von großen Unternehmen in Baden-Württemberg und
Südniedersachsen - könnten nach wie vor billige Eier aus Batteriekäfighaltung auf
den Markt bringen, während die Antragstellerin gezwungen wäre, ihre Eier unter
Berücksichtigung der ihr nur noch erlaubten kostenintensiveren Betriebsform zu
einem höheren Preis zu verkaufen. Selbst wenn man unterstellte, daß derzeit ein
nicht unerhebliches Abnahmepotential für Eier von frei laufenden Hühnern in der
Bevölkerung vorhanden ist, so könnte doch nicht mit annähernder Sicherheit
abgeschätzt werden, ob dieses Interesse so groß ist, daß Großbetriebe wie der der
Antragstellerin und der anderen bereits von Verbotsverfügungen betroffenen
Unternehmungen Abnehmer für ihre erhebliche Eiererzeugung zu finden in der
Lage sind oder ob nicht andere Unternehmen mit Batteriekäfighaltung im großen
Umfang in die entstandene Marktlücke drängen. Angesichts dieser zu
befürchtenden, möglicherweise irreparablen Nachteile eines Sofortvollzugs der
angegriffenen Verbotsverfügung muß das öffentliche Interesse an der sofortigen
Durchsetzung der Maßnahme zurücktreten, da an das Gewicht dieses für den
Sofortvollzug sprechenden öffentlichen Interesses um so höhere Anforderungen zu
stellen sind, je mehr der Sofortvollzug zu vollendeten und nur noch schwer
revidierbaren Tatsachen führen würde. Was das für eine sofortige Durchsetzung
der Verbotsverfügung sprechende öffentliche Interesse angeht, so verkennt der
Senat im übrigen keineswegs das vom Antragsgegner verfolgte Anliegen, einen
konsequenten Tierschutz zumindest in kleinem, weil auf wenige Unternehmen in
Hessen bezogenem Rahmen zumindest einzuleiten und insofern auch ein
politisches Signal für die für die Durchführung des Tierschutzgesetzes zuständigen
Stellen zu setzen. Andererseits darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß die
Batteriekäfighaltung von Legehennen die am häufigsten anzutreffende
Haltungsform darstellt, in welcher über 80 % der etwa 300 Millionen Legehennen in
Deutschland und Europa gehalten werden. Diese Betriebsform ist in Deutschland
seit etwa 20 Jahren in ständigem Vordringen begriffen. Sie wurde von staatlicher
Seite jahrelang beanstandungsfrei geduldet und verschiedentlich sogar durch
Empfehlungen von Offizialberatern ausdrücklich gefördert (vgl. Deslaers,
Gesetzgebung und Gesetzesanwendung in der Bundesrepublik Deutschland und in
der EG, in: Tierschutz und Tierhaltung, dargestellt am Beispiel der Geflügelhaltung,
1985,S. 43 <547>). Das heute geltende Tierschutzgesetz, auf dessen § 2 der
Antragsgegner seine für sofort vollziehbar erklärte Verbotsverfügung stützt,
besteht, was diese Ermächtigungsgrundlage angeht, unverändert seit dem Jahre
1972, ohne daß der Antragsgegner gegen die den zuständigen Stellen auch schon
früher in allen Einzelheiten bekanntgewesene Betriebsform der
Batteriekäfighaltung in der vorliegend umstrittenen Weise vorgegangen wäre.
Dieses Verhalten, mag es auch entscheidend von der Erwartung bestimmt
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Dieses Verhalten, mag es auch entscheidend von der Erwartung bestimmt
gewesen sein, der zuständige Bundesminister werde in angemessener Frist von
der ihm in § 13 TSchG übertragenen Ermächtigung Gebrauch machen und eine
Rechtsverordnung über die Intensivhaltung von Nutztieren erlassen, spricht
deutlich gegen die Notwendigkeit, die nunmehr ergangene Verbotsverfügung,
bevor sie in einem ordnungsgemäßen verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren
überprüft wurde, mit einschneidenden Konsequenzen für die betroffenen Betriebe
sofort zu vollziehen. Hinzu kommt, daß der Antragsgegner die Notwendigkeit der
sofortigen Beendigung des den Legehennen nach seiner Ansicht zugefügten
Leidens offenbar selbst nicht als überaus dringlich ansieht, hat er es doch bislang -
wie bereits im Zusammenhang mit den Darlegungen zu Art. 3 GG ausgeführt -
unterlassen, auch gegen weitere Unternehmen vorzugehen, soweit deren Bestand
an Legehennen die Grenze von 20.000 nicht überschreitet. Auch angesichts dieses
eigenen Verhaltens des Antragsgegners vermag der Senat die Anordnung des
Sofortvollzugs der umstrittenen Verbotsverfügung nicht zu bestätigen.
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von der Antragstellerin
gegen die umstrittene Anordnung eingelegten Rechtsbehelfs erfaßt notwendig
auch die vom Antragsgegner angeordnete und bis zum Inkrafttreten der
Verbotsverfügung geltende Übergangsregelung (Reduzierung des
Legehennenbestands pro Käfig). Ist nämlich der Sofortvollzug des Verbots weiterer
Batteriekäfighaltung von Legehennen ausgeschlossen, so entfällt damit
zwangsläufig auch die Berechtigung und Notwendigkeit, die zeitlich befristete, weil
ausdrücklich nur bis zum Inkrafttreten des Verbots der Batteriekäfighaltung
geltende Übergangsregelung sofort zu vollziehen. Diese teilt vielmehr notwendig
das rechtliche Schicksal der Verbotsverfügung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 14 Abs. 1
Gerichtskostengesetz (GKG) in Verbindung mit §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Danach hat das Gericht den Streitwert nach der sich aus dem Antrag der
Antragstellerin für diese ergebenden Bedeutung der Sache n a c h E r m e s s e
n zu bestimmen. Wenn der bisherige Sach- und Streitstand für diese Bestimmung
keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist ein Streitwert von 4.000,-- DM
anzunehmen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG). Im Hinblick darauf, daß die vorliegend
umstrittene Anordnung für die Antragstellerin von erheblicher wirtschaftlicher
Tragweite ist, kommt allerdings dieser sogenannte Auffangstreitwert von 4.000,--
DM nicht in Betracht, da die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin zweifellos
mit diesen Betrag nicht ausreichend bewertet ist. Vielmehr ist davon auszugehen,
daß die Antragstellerin, was zunächst die im Bescheid getroffene Ü b e r g a n g s r
e g e l u n g angeht, durch die angeordnete Reduzierung ihres
Legehennenbestandes pro Käfig bei weitgehend gleichbleibendem Arbeitsaufwand
selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, daß insoweit entsprechende
Anschaffungskosten für Huhn und Futterkosten entfallen, eine deutliche
Erlösminderung hinnehmen müßte. Nach dem Vorbringen der Bevollmächtigten
der Antragstellerin in einem Teil der vom Senat entschiedenen
Beschwerdeverfahren, dem der Antragsgegner nicht substantiiert widersprochen
hat, würde die für eine bestimmte Übergangszeit angeordnete Reduzierung des
Käfigbestandes zu einer Erhöhung der Produktionskosten pro Ei um 0,5 Pfennig
führen. Da die Antragstellerin bei Erlaß des umstrittenen Bescheides über einen
Legehennenbestand von etwa 90.000 verfügte, die sie infolge der
Übergangsregelung bei unterstellter gleichbleibender Käfigzahl auf etwa 72.000
hätte reduzieren müssen, ergäbe sich für die von den 72.000 Legehennen
produzierten Eier unter Berücksichtigung des Umstandes, daß ein Huhn pro Jahr
etwa 250 Eier legt, eine Erhöhung der Produktionskosten um insgesamt 90.000,--
DM. Insoweit ist aber wiederum zu berücksichtigen, daß die im angefochtenen
Bescheid angeordnete Übergangsregelung sich nur auf die nach Erlaß des
Bescheides erstmals erforderliche Neubelegung der Käfige bezieht, so daß nicht
ohne weiteres von einer ganzjährigen Produktionseinbuße der vorgenannten Art
ausgegangen werden kann. Im übrigen kommt als weiterer Unsicherheitsfaktor bei
Bemessung des Streitwerts die Frage hinzu, ob und inwieweit es der
Antragstellerin gelingen könnte, auf Grund der konkreten Marktsituation, in der sie
wirtschaftlich tätig ist, eine geringfügige Erhöhung der Produktionskosten an den
Verbraucher weiterzugeben, wodurch sich die finanziellen Auswirkungen der
angeordneten Übergangsregelung weiter mindern würden. Unter Beachtung aller
dieser Gesichtspunkte erscheint es dem Senat bei Ausübung des eingeräumten
Ermessens angemessen, den Streitwert für ein gegen die Übergangsregelung
betriebenes Klageverfahren auf die Hälfte des vorgenannten Betrages, mithin also
auf 45.000,-- DM festzusetzen.
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Was die vom Antragsgegner schließlich getroffene Anordnung des Verbots der
Batteriekäfighaltung von Legehennen für die Zeit nach Ablauf der eingeräumten
Übergangsfrist angeht, so läßt sich die Bedeutung der Sache für die
Antragstellerin - dies räumen auch die Beteiligten ein - nur schwer abschätzen.
Hier wirken in die betriebswirtschaftliche Ermittlung der finanziellen Auswirkungen
der Verbotsverfügung verschiedene Umstände hinein, wie etwa die Frage, ob und
inwieweit die bisherige Legehennenanlage der Antragstellerin ohnehin
erneuerungsbedürftig war, oder die Frage, inwieweit es der Antragstellerin gelingen
könnte, die als Folge der Verbotsverfügung notwendig werdenden
Investitionskosten auf den Verbraucher abzuwälzen. Gerade was die letztere Frage
angeht, so wird diese Abwälzungsmöglichkeit wesentlich von der Bereitschaft des
Verbrauchers zur Zahlung eines höheren Preises für Eier von freilaufenden
Hühnern abhängen. Möglicherweise könnte es der Antragstellerin auch gelingen,
die offenbar zunehmende Bereitschaft des Verbrauchers, Eier von frei laufenden
Hühnern zu kaufen, auch wenn diese geringfügig teurer sind, sich in einer solchen
Weise nutzbar zu machen, daß sogar eine Gewinnsteigerung im Vergleich zum
bisherigen Zustand eintreten könnte. Auf jeden Fall ist es nach Auffassung des
Senats nicht angemessen, die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin, was
das Verbot der Batteriekäfighaltung von Legehennen angeht, mit den reinen
Investitionskosten für einen notwendig werdenden Um- bzw. Neubau ihrer Anlagen
gleichzusetzen, zumal der Antragstellerin insoweit ein Gegenwert in Form der
neuerrichteten Einrichtungen erwachsen würde. Unter Berücksichtigung aller
dieser Unsicherheiten scheint es dem Senat in Ausübung des ihm eingeräumten
Ermessens angemessen, im Falle der Antragstellerin, die - wie ausgeführt - bei
Erlaß der umstrittenen Verfügung über einen Legehennenbestand von etwa
90.000,-- verfügte, die Bedeutung der Sache in einem Klageverfahren mit 90.000,-
- DM zu bewerten.
Ergäbe sich somit in einem von der Antragstellerin gegen die vorliegend
umstrittene Verfügung betriebenen Klageverfahren ein Gesamtstreitwert von
135.000,-- DM, so muß dieser Streitwert im Hinblick darauf, daß das vorliegende
Verfahren nur ein solches auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist,
angemessen reduziert werden. Im Hinblick darauf, daß die gegenüber der
Antragstellerin ergangene Anordnung geeignet ist, im Falle ihres Sofortvollzugs
weitgehend vollendete und auch im Falle des Obsiegens der Antragstellerin im
Klageverfahren nur noch schwer revidierbare Tatsachen zu schaffen, kommt
allerdings lediglich eine Reduzierung um ein Drittel in Betracht, so daß insgesamt
für das vorliegende Verfahren ein Streitwert von 90.000,-- festzusetzen ist. Zur
entsprechenden Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertentscheidung ist der
Senat nach § 25 Abs. 1 Satz 3 GKG berechtigt.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.