Urteil des HessVGH vom 28.07.2010

VGH Kassel: gesetzlicher vertreter, eintragung im handelsregister, geschäftsführer, steuerberater, verfügung, privatvermögen, stadt, gewerbesteuer, gesellschafter, liquidität

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 A 1865/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 90 AO 1977, § 34 Abs 1
AO 1977
(Gewerbesteuerhaftung; Auswirkungen der Verletzung von
Mitwirkungspflichten; Pflichtverletzung eines
Gesellschafters einer GmbH bei Tilgung von Schulden der
GmbH mittels Privatvermögen)
Leitsatz
Die Verletzung der Mitwirkungspflicht des § 90 AO kann zu einer
Beweismaßverringerung führen, in Folge derer der Steuergläubiger auch zum Nachteil
des Mitwirkungsverpflichteten einen Sachverhalt zugrunde legen kann, für den eine
gewisse Wahrscheinlichkeit spricht.
Der Geschäftsführer einer GmbH verletzt seine Pflicht aus § 34 Abs. 1 AO, wenn er bei
unzulänglicher Liquidität der Gesellschaft Schulden der Gesellschaft aus privaten Mitteln
tilgt, ohne den Grundsatz der anteiligen Tilgung zu beachten.
Tenor
Soweit die Haftungssumme des streitgegenständlichen Haftungsbescheids den
Betrag von 65.208,23 € übersteigt, wird das Verfahren eingestellt.
In diesem Umfang ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt vom 28.
Oktober 2004 - 10 E 2076/02 (1) - wirkungslos.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Druckerei D-GmbH, die seit
1999 nicht mehr werbend tätig ist. Mit Steuerhaftungsbescheid und
Zahlungsaufforderung vom 15. November 2001 nahm die Beklagte den Kläger für
Gewerbesteuerrückstände der GmbH für den Zeitraum 1995 bis 1999
einschließlich Zinsen in Höhe von 212.246,-- DM = 108.519,65 € in Anspruch,
nachdem die Beklagte den Kläger zuvor erfolglos aufgeforderte hatte, die mit
Schreiben vom 25. September 2001(Blatt 67 des Verwaltungsvorgangs)
angeforderten Unterlagen vorzulegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es
dem Kläger als gesetzlicher Vertreter der GmbH oblegen habe, deren steuerliche
Pflichten zu erfüllen. Diese Pflichten habe er verletzt, da er keine Angaben darüber
gemacht habe, warum die fälligen Steuern nicht beglichen worden seien; es sei
deshalb von einer Benachteiligung der Beklagten gegenüber der Tilgung der
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deshalb von einer Benachteiligung der Beklagten gegenüber der Tilgung der
Verbindlichkeiten anderer Gläubiger auszugehen.
Gegen diesen Haftungsbescheid hat der vormalige Bevollmächtigte des Klägers
am 5. Dezember 2001 Widerspruch erhoben und die Auffassung vertreten, die
gesetzlichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Geschäftsführers
lägen nicht vor, weil dieser weder vorsätzlich noch grob fahrlässig die ihm
obliegenden Pflichten verletzt habe. Der Kläger habe der Beklagten bereits vor
geraumer Zeit angeboten, die rückständigen Steuern nach der Beendigung des
Schadensersatzprozesses gegen den ehemaligen Steuerberater der
Steuerschuldnerin unverzüglich zu tilgen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2002 hat der Magistrat der Beklagten den
Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger hafte
als gesetzlicher Vertreter der GmbH persönlich für die Steuerschulden der
Gesellschaft, weil er durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der
ihm obliegenden Verpflichtungen Steueransprüche der Beklagten nicht erfüllt
habe. Während des gesamten Verfahrens habe er keine Angaben über die
Verwendung der der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Mittel gemacht.
Insbesondere seien die angeforderten Bilanzen, die Gewinn- und
Verlustrechnungen, die Kassenbücher und die Bankauszüge nicht vorgelegt
worden. Aus einem Schreiben des Steuerberaters E. vom 14. Februar 2000 an
Rechtsanwalt F. folge, dass der Gesellschaft nicht unerhebliche
Steuererstattungen aus geänderten Umsatzsteuerbescheiden zugeflossen seien.
In einer fernmündlichen Unterredung habe der Steuerberater zudem erklärt,
Steuerrückstände beim Finanzamt Offenbach-Stadt seien vollständig getilgt
worden. Ausweislich des Schreibens des Rechtsanwalts F. an das Landgericht
Hanau vom 22. März 2000 handele es sich dabei um einen Betrag von mindestens
220.231,47 DM Körperschaftssteuern inklusive Zinsen und Solidaritätszuschlag.
Des Weiteren müsse davon ausgegangen werden, dass auch die Lohnsteuer
vollständig an das Finanzamt Gelnhausen abgeführt worden sei. Folglich müsse die
Beklagte von einer Benachteiligung gegenüber der Tilgung der Verbindlichkeiten
anderer Gläubiger ausgehen. Damit habe der Kläger die elementaren Pflichten
eines Geschäftsführers grob fahrlässig verletzt. Auch die Inanspruchnahme des
Klägers begegne keinen Bedenken. Der Erlass eines Haftungsbescheides könne
bei Uneinbringlichkeit der Erstschuld nur unter ganz außergewöhnlichen
Umständen ermessensfehlerhaft sein. Solche Umstände seien jedoch nicht
ersichtlich. Die Steuerschuld sei gegenwärtig bei der Gesellschaft durch
Vollstreckungsmaßnahmen nicht zu realisieren. Der Kläger habe die Tilgung des
Rückstandes durch die Gesellschaft in Aussicht gestellt, wenn eine anhängiger
Schadensersatzprozesses gegen den ehemaligen Steuerberater der Gesellschaft
erfolgreich ende. Angesichts der Ungewissheit in zeitlicher Hinsicht und hinsichtlich
des Prozessausgangs sei der Erlass eines Haftungsbescheides
ermessensfehlerfrei, zumal der Kläger die Steuerschuldnerin bei einem
erfolgreichen Ausgang des Schadensersatzprozesses in Regress nehmen könne.
Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger ausweislich der
Postzustellungsurkunde am 2. Mai 2002 zugestellt.
Mit Urteil des Landgerichts Hanau vom 12. November 2003 - 1 / 4 O 1146/97 -
wurde der ehemalige Steuerberater der Steuerschuldnerin auf die Widerklage der
D-GmbH zur Zahlung 180.796,97 € nebst Zinsen verurteilt. Im Übrigen wurde
festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten diejenigen Steuern zu
ersetzen, die diese wegen der vorstehend ausgeurteilten
Schadensersatzleistungen im Sinne einer Mehrung ihres Betriebsvermögens zu
zahlen hat. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht
B-Stadt mit Urteil vom 31. März 2005 - 3 U 245/03 - zurückgewiesen. Mit
Abtretungsvertrag vom 4. Januar 2001 hat die Steuerschuldnerin diese
Schadensersatzforderung an den Kläger abgetreten.
Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2002, per Telefax bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt
am gleichen Tage eingegangenen, hat der Kläger Klage erhoben. Mit Schriftsatz
vom 9. Dezember 2002 hat der Kläger die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
der Klage gegen den Haftungsbescheid der Beklagten beantragt. Diesen Antrag
im Verfahren 10 G 5334/02 hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17.
Januar 2003 abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde hat der Senat mit
Beschluss vom 20. August 2003 im Verfahren 5 TG 358/03 zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 23. März 2004 hat der vormalige Bevollmächtigte des Klägers
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Mit Schriftsatz vom 23. März 2004 hat der vormalige Bevollmächtigte des Klägers
zur Begründung der Klage ausgeführt, mit Bescheiden vom 3. Dezember 1999, 5.
und 17. September und 22. Oktober 2001 habe die Beklagte Gewerbesteuer für
die Jahre 1995 bis 1999 festgesetzt. Diese Gewerbesteuerschuld habe am 15.
November 2001 212.246 DM = 108519,66 € einschließlich Zinsen betragen. Der in
dieser Höhe erlassene Haftungsbescheid gegen den Kläger sei rechtswidrig, da die
von der Beklagten erhobenen Vorwürfe gegen den Kläger unzutreffend seien.
Zutreffend sei, dass die Lohnsteuerrückstände beim Finanzamt Gelnhausen
beglichen worden seien. Dies sei jedoch aus privaten Mitteln des Klägers und nicht
aus Mitteln der Steuerschuldnerin erfolgt. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen
wäre, läge eine Benachteiligung der Beklagten gegenüber dem Finanzamt
Gelnhausen nicht vor. Denn bei der Lohnsteuer handele es sich um einen bei der
Lohnzahlung zurückbehaltenen Teil des Lohnes des Arbeitnehmers, der die
Lohnsteuer schulde. Der Arbeitgeber ziehe die Lohnsteuer nur treuhänderisch für
den Arbeitnehmer ein. Die Lohnsteuer als Abzugssteuer sei deshalb stets
vorrangig vor sonstigen Verbindlichkeiten an das Finanzamt abzuführen. Darüber
hinaus hätten am 11. Januar 2001 Steuerrückstände der Steuerschuldnerin
gegenüber dem Finanzamt Offenbach am Main-Stadt in Höhe von 396.676,07 DM
bestanden; die Summe habe im Wesentlichen die Körperschaftsteuer für die Jahre
1995 bis 2000 betroffen. Der Kläger habe diese Steuerrückstände am 11. Januar
2001 aus seinem Privatvermögen beglichen. Ferner habe am 23. April 2001 aus
einer Betriebsprüfung ein Körperschaftsteuersteuerrückstand der
Steuerschuldnerin die für das Jahr 1995 in Höhe von 153.280,07 DM bestanden.
Diesen Steuerrückstand habe der Kläger am 23. April 2001 aus seinem
Privatvermögen beglichen. Für den Zeitraum von 1989 bis 1992 habe das
Finanzamt Offenbach am Main-Stadt eine Umsatzsteuererstattung in Höhe von
insgesamt 53.051,- DM gewährt und mit einer Steuerforderung in Höhe von 478,-
DM aufgerechnet. Der verbleibende Erstattungsbeitrag sei auf ein Konto der
Steuerschuldnerin bei der Kreissparkasse Gelnhausen überwiesen worden. Diese
habe die Erstattungsbeträge mit dem negativen Saldo auf dem Konto in Höhe von
132.803,- DM verrechnet. Vor diesem Hintergrund scheide eine Haftung des
Klägers aus, da er seine steuerlichen Pflichten weder vorsätzlich noch grob
fahrlässig verletzt habe. Im Übrigen sei der Haftungsbescheid
ermessensfehlerhaft, soweit die Beklagte den Kläger wegen
Gewerbesteuerrückständen und Zinsen für das Jahr 1995 in Anspruch nehme,
obwohl ihr materiell Gewerbesteuer für dieses Jahr nicht zustehe. Der Beklagten
sei bekannt gewesen, dass es der Steuerberater G. versäumt habe, gegen die
Verlustfestsetzung des Finanzamtes Offenbach am Main-Stadt Einspruch
einzulegen und deshalb der tatsächliche Verlust der Steuerschuldnerin nicht
berücksichtigt worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
den Haftungsbescheid der Beklagten vom 15. November 2001 und den
Widerspruchsbescheid vom 30. April 2002 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt der Bevollmächtigte der Beklagten vor, Gründe, die die
Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides in Zweifel ziehen könnten, seien nicht
vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Soweit der Kläger nunmehr
vortragen lasse, er habe die Steuerrückstände aus privaten Mitteln geleistet, sei
dies zwar nach § 48 AO zulässig. Jedoch könne er daraus nicht ableiten, dass
dadurch eine Benachteiligung der Beklagten nicht eingetreten sei. Denn es sei bei
einer solchen Leistung eines Dritten zur Erfüllung von Ansprüchen aus dem
Steuerschuldverhältnis für das Interesse des Steuergläubigers ohne Bedeutung,
wer diese Leistung bewirke. Von Bedeutung sei ausschließlich, dass die Leistung
gegenüber der Landesfinanzverwaltung bewirkt worden sei, gegenüber der
städtischen Finanzverwaltung jedoch nicht.
Mit Urteil vom 28. Oktober 2004 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen
und zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid bzw. deren
erläuternden Ergänzungen in der Klageerwiderung verwiesen.
Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 3. November 2004
zugestellt. Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2004 - per Telefax bei dem
Verwaltungsgericht Frankfurt am Main am gleichen Tage eingegangenen - hat der
Bevollmächtigte des Klägers die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
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Bevollmächtigte des Klägers die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts beantragt.
Mit Beschluss vom 4. Februar 2005 - 5 UZ 3710/04 - hat der Senat auf Antrag des
Klägers die Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zugelassen. Das
Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen 5 UE 406/05 fortgeführt. Der Beschluss
des Senats vom 4. Februar 2005 wurde dem vormaligen Bevollmächtigten des
Klägers am 14. Februar 2005 zugestellt. Auf den Antrag dieses Bevollmächtigten
vom 14. März 2005 wurde die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 14. April
2005 und auf weiteren Antrag vom 11. April 2005 bis zum 14. Mai 2005 verlängert.
Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2005 - per Telefax bei dem Hessischen
Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tage eingegangenen - begründet der
Bevollmächtigte des Klägers die zugelassene Berufung und nimmt Bezug auf die
Ausführungen im Schriftsatz vom 3. Januar 2005 und den Inhalt der Klageschrift
erster Instanz. Wie aus den mit der Klagebegründung überreichten Unterlagen
(Jahresabschluss zum 31. Dezember 2000, Gewinn- und Verlustrechnung vom 1.
Januar bis 31. Dezember 2000, Bankauszüge betreffend die Konten 1033052 und
1000023 bei der Kreissparkasse Gelnhausen für die Zeiträume 6. Januar 2000 bis
zum 15. Februar 2001 bzw. vom 6. Januar 2000 bis zum 16. Februar 2001) zu
ersehen sei, habe die Steuerschuldnerin über keine ausreichenden Mittel verfügt,
mit denen sie die Gewerbesteuerrückstände hätte begleichen können. Die
Steuerrückstände bei den Finanzämtern Offenbach am Main-Stadt und
Gelnhausen habe der Kläger aus privaten Mitteln beglichen. Entgegen der
Auffassung des Bevollmächtigten der Beklagten - und offensichtlich auch des
Verwaltungsgerichts - habe er mit diesen Zahlungen keine steuerlichen Pflichten
der Steuerschuldnerin verletzt. Zwar hätten die Zahlungen gemäß § 48 AO zum
Erlöschen der Ansprüche aus den Steuerschuldverhältnissen geführt, jedoch keine
Benachteiligung der Beklagten im haftungsrechtlichen Sinne bewirkt. Nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs setze die Haftung des gesetzlichen
Vertreters einer juristischen Person wegen Gläubigerbenachteiligung nach §§ 191,
69 AO voraus, dass der gesetzliche Vertreter die vorhandenen Mittel der
juristischen Person, die er zu verwalten habe, bei deren Unzulänglichkeit zu einer
nicht in etwa gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger verwende. Erbringe der
gesetzliche Vertreter dagegen Zahlungen aus seinem eigenen Vermögen, liege
hierin eine überobligationsmäßige Leistung, die keine im Sinne des § 69 AO
vorwerfbare Gläubigerbenachteiligung darstelle.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom
28. Oktober 2004, den Haftungsbescheid der Beklagten vom 15. November 2001
und den Widerspruchsbescheid vom 30. April 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Zur Begründung führt der Bevollmächtigte der Beklagten aus, die im Klage- und
Berufungsverfahren vorgebrachten Einwände begründeten keine Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides. Denn der Kläger habe die ihm
obliegenden Pflichten als Geschäftsführer der GmbH mindestens grob fahrlässig
verletzt. Sein Vortrag, er habe Lohnsteuerzahlungen aus seinem Privatvermögen
geleistet, könne ihm vom Vorwurf der Pflichtverletzung nicht entlasten. Zwar
könnten Steuerrückstände zulässigerweise auch aus privaten Mitteln ausgeglichen
werden. Anerkanntermaßen sei es in diesem Zusammenhang für den
Steuergläubiger aber rechtlich unerheblich, wer zur Erfüllung von Ansprüchen aus
dem Steuerschuldverhältnis leiste. Entscheidend sei im Hinblick auf die
Benachteiligung allein, dass der Kläger die gegenüber der Landesfinanzverwaltung
geschuldeten Steuern bewirkt habe, gegenüber der städtischen Finanzverwaltung
aber nicht. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22.
November 2005 - VII R 21/05 - ist er der Auffassung, dass auch aus § 34 Abs. 1
Satz 2 AO nicht gefolgert werden könne, dass aus dem Privatvermögen geleistete
Zahlungen im Rechtssinne nicht aus solchen Mitteln bestritten würden, die der
Vertreter der Steuerschuldnerin "verwalte". Ein Gesellschafter, der Schulden der
Gesellschaft begleiche, stelle dadurch mittelbar der Gesellschaft Vermögensmittel
in einer Weise zur Verfügung, die es rechtfertigten, die Gesellschaft steuerrechtlich
genauso wie bei der entsprechenden Verwendung (gesellschafts-)eigener Mittel zu
behandeln. Schuldhaft pflichtwidrig habe der Kläger aber bereits gehandelt, als er
gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht habe, er könne die
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gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht habe, er könne die
Gewerbesteuerschuld nicht begleichen, solange nicht die
Schadensersatzansprüche der Steuerschuldnerin gegen ihren früheren
Steuerberater durchgesetzt worden seien. Schuldhaft pflichtwidrig handele ein
GmbH-Geschäftsführer, der sich auf zukünftig zu erwartende Steuererstattungen,
aus denen er meine, die Steuer zahlen zu können, verlasse. Dieser Grundsatz
müsse erst Recht Geltung beanspruchen, wenn ein Geschäftsführer zivilrechtlich
noch durchzusetzende Ansprüche für die Steuerzahlung aufwenden wolle. Denn
der Durchsetzung selbst titulierter zivilrechtlicher Schadensersatzforderungen
stünden nicht selten Hindernisse entgegen, die eine Realisierung vereitelten. In
tatsächlicher Hinsicht sei darauf hinzuweisen, dass trotz des Urteils des
Landgerichts Hanau vom 27. August 2003 bis zum heutigen Tage keine Tilgung
der hier in Rede stehenden Gewerbesteuerrückstände erfolgt sei. Keiner
Entscheidung bedürfe deshalb die Frage, ob - wie der Kläger meine - die
Lohnsteuer vorab zu tilgen sei, wie es einer verbreitet in der Finanzrechtsprechung
vertretenen Auffassung entspreche. Die Pflichtverletzung, die dem Kläger
vorzuwerfen sei, liege nämlich bereits darin, dass er sich auf ein höchst
ungewisses Ereignis, nämlich eine mögliche Schadensersatzzahlung verlassen
habe, aus der er meine, die Steuern zahlen zu können. Schließlich sei die
Pflichtverletzung des Klägers auch kausal für den eingetretenen Haftungsschaden.
In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass ein Geschäftsführer einer
Gesellschaft nicht Vereinbarungen mit einer kontoführenden Bank zustimmen
dürfe, die den Fiskus einseitig schlechter stelle. Der Geschäftsführer verletze seine
öffentlich-rechtliche Pflicht, für die Abführung einbehaltener Steuern zu sorgen
auch dann, wenn er sich stillschweigend damit einverstanden erkläre, dass die
Bank durch Auswahl der ihr erteilten Überweisungsaufträge ein solches Ergebnis
herbeiführe.
Nach einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor dem
Berichterstatter am 29. September 2006 wurde auf Antrag der Beteiligten mit
Beschluss vom 24. Oktober 2006 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 3. September 2008 hat der Bevollmächtigte der Beklagten
beantragt, das durch Beschluss des Senats vom 24. Oktober 2006 zum Ruhen
gebrachte Verfahren wieder aufzunehmen; das Verfahren wird nunmehr unter dem
Aktenzeichen 5 A 1865/08 geführt.
Mit Schriftsätzen vom 22. September 2009 und 15. April 2010 haben die
Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle
des Senats erteilt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 7. Juli 2010 haben die Beteiligten
übereinstimmend die Erledigung der Hauptsache erklärt, soweit die
Haftungssumme im streitgegenständlichen Bescheid vom 15. November 2001
den Betrag von 65.208,23 € übersteigt.
In einem nicht nachgelassenen Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom
23. Juli 2010, in dem dieser anregt, erneut in die mündliche Verhandlung
einzutreten, führt er aus, dass die auf den in der mündlichen Verhandlung
angesprochenen Konten verzeichneten Provisionseinnahmen aus Versicherungen
der GmbH zuzuordnen seien, da ausweislich des Handelsregisters dort als
Geschäftszweck der GmbH neben dem Druck von Verlagserzeugnissen auch die
Vermittlung von Industrieversicherungen eingetragen sei. Die Zahlungen an das
Finanzamt Offenbach am Main in Höhe von 153.082,07 DM, 396.676,07 DM und
2341 DM seien von dem Konto der Firma A. & Sohn geleistet worden. Zutreffend
sei zwar, dass das Finanzamt das Konto der Steuerschuldnerin gepfändet habe,
falsch sei aber die Annahme, dass Zahlungsverkehr wegen dieser Kontopfändung
über ein Konto des Einzelunternehmers abgewickelt worden sei. Schließlich
ergäben sich aus den Umsatzsteuerbescheiden vom 25. Januar 1999 für das
Steuerjahr 1989 und vom 28. Januar 1999 für das Steuerjahr 1990 Restguthaben
in Höhe von insgesamt 32.544,- DM, die auf das Konto der GmbH bei der
Kreissparkasse Gelnhausen geflossen und verrechnet worden seien. Gleiches gelte
ausweislich des anliegend vorgelegten Bankbelegs Nr. 30 vom 9. März 1999 für
einen Betrag von 325,- DM. Weitere Erstattungen an die Kreissparkasse
Gelnhausen habe es nicht gegeben. Der Geschäftsführer habe über diese
Eingänge nicht verfügen können; die Beträge seien von der Kreissparkasse
verrechnet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten (3 Bände) sowie 1 Hefter Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung über die mit Beschluss vom 4. Februar 2005 - 5 UZ 3710/04 -
zugelassene Berufung des Klägers ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch
den Berichterstatter anstelle des Senats (§§ 87a Abs. 2 und 3
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
In dem Umfang der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist
das Verfahren einzustellen und auszusprechen, dass das Urteil des
Verwaltungsgerichts insoweit wirkungslos ist (§§ 92 Abs. 3, 173 VwGO, § 269 Abs. 3
Zivilprozessordnung - ZPO - in entsprechender Anwendung).
Die Berufung des Klägers ist in dem Umfang des noch rechtshängigen Verfahrens
zulässig, sie ist insbesondere fristgerecht begründet worden.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat
die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Haftungsbescheid des Beklagten
vom 15. November 2001 und den Widerspruchsbescheid vom 30. April 2002 zu
Recht abgewiesen.
Auf der Grundlage des § 191 Abs. 1 Abgabenordnung - AO - in Verbindung mit § 69
AO haften die im §§ 34 , 35 AO bezeichneten Personen, wenn Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der
ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder nicht oder
nicht rechtzeitig erfüllt werden.
Der Kläger war als Geschäftsführer der Druckerei D.-GmbH deren gesetzlicher
Vertreter (§ 35 Abs. 1 GmbHG) und hatte daher deren steuerliche Pflichten zu
erfüllen (§ 34 AO). Zu den steuerlichen Pflichten der Vertretenen gehören
insbesondere die steuerlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten. Dem Kläger -
ausweislich der Handelsregistereintragung vom 6. Dezember 1988
alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der D.-GmbH, oblag es, die
steuerlichen Pflichten gegenüber der Beklagten zu erfüllen, und zwar die Zahlung
von Gewerbesteuer für den Zeitraum 1995 bis 1999 in Höhe von 212.246 DM =
108 1519,65 €. Diese Steuern sind zum Fälligkeitstermin nicht und bis zum
heutigen Tage nicht vollständig entrichtet worden.
Der Kläger hat die steuerlichen Pflichten der GmbH auch grob fahrlässig verletzt.
Grob fahrlässig im Sinne des § 69 Satz 1 AO handelt, wer die Sorgfalt, zu der er
nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande
ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt. Dabei ist jedoch in Rechnung zu
stellen, dass sich derjenige, der eine der in §§ 34, 35 bezeichneten Funktionen
übernimmt, sich die zu deren Erfüllung notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten
verschaffen muss (Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 10. Auflage 2009, § 69 Rdnr.
37). Die Verpflichtung, aus den verfügbaren Mitteln der vom Kläger vertretenen
Gesellschaft Steuerschulden zu tilgen, gehört jedoch zu den elementaren
Verpflichtungen, für die es keiner besonderen steuerlichen Kenntnisse bedarf.
Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, die GmbH verfüge nicht
über Mittel, die Steuern sofort zu tilgen. Dabei ist hinsichtlich der Liquidität der
Gesellschaft zunächst darauf hinzuweisen, dass die Pflicht, für die Entrichtung der
Steuern aus dem Vermögen des Steuerschuldners zu sorgen, nicht erst mit
Fälligkeit der Steuer entsteht, wenn derartige Steueransprüche zu erwarten sind.
Den Vertreter trifft vielmehr eine Vermögensvorsorgepflicht, d. h., er hat bereits
vor Fälligkeit der Steuern die Mittel des Steuerschuldners so zu verwalten, dass
dieser zur pünktlichen Zahlung erst später fällig werdender Steuerschulden in der
Lage ist (Rüsken, a.a.O., Rdnr. 55 mit umfangreichen Nachweisen der
finanzgerichtlichen Rechtsprechung). Sofern die Mittel zur Tilgung sämtlicher
Verbindlichkeiten nicht ausreichen, ist der Geschäftsführer zwar nur verpflichtet,
die rückständigen Steuern in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die
Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern, sog. Grundsatz der anteiligen
Tilgung (Rüsken, a.a.O., Rdnr. 58 mit umfangreichen Nachweisen der
finanzgerichtlichen Rechtsprechung).
Die Frage, ob der Kläger seine steuerlichen Pflichten als Vertreter der GmbH
verletzt hat, ob ihm verfügbare Mittel und diese in ausreichendem Maß zur
Verfügung gestanden haben, und ob und in welcher Höhe es unter
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Verfügung gestanden haben, und ob und in welcher Höhe es unter
Berücksichtigung der "anteiligen Tilgungsquote" zu einem Steuerausfall
gekommen ist, unterliegt grundsätzlich der Feststellungslast der
Steuergläubigerin, hier also der Beklagten. Sie hat gemäß § 88 AO die Pflicht, den
maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, wobei sich die
Ermittlungstiefe nach den Umständen des Einzelfalls und den Mitwirkungspflichten
der Beteiligten (§ 90 Abs. 1 AO) beurteilt. Die Mitwirkung des Klägers an der
Ermittlung des Sachverhalts war hier erforderlich, da für die Frage der
Pflichtverletzung und zur Feststellung des Haftungsumfangs Auskünfte notwendig
sind, die Fragen nach den finanziellen Mittel der Gesellschaft, den
Gesamtverbindlichkeiten und der anteiligen Gläubigerbefriedigung im
Haftungszeitraum zum Gegenstand haben, die ohne seine Mitwirkung nicht
beantwortet werden können.
Diesen Anforderungen ist der Kläger nicht gerecht geworden, obwohl er hierzu
wiederholt aufgefordert worden ist. So hat die Beklagte den Kläger bereits mit
Schreiben 25. September 2001 unter Fristsetzung bis zum 22. Oktober 2001
aufgefordert, darzulegen, warum die fälligen Steuern nicht beglichen
wurden/werden, und wie die der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Mittel zur
Begleichung von Verbindlichkeiten verwandt wurden/werden. Des Weiteren wurde
um Vorlage der entsprechenden Bilanzen, der Gewinn- und Verlustrechnungen,
der Kassenbücher und von Bankauszügen gebeten. Auf diese Aufforderung
reagierte der Kläger mit dem Hinweis, dass die Gesellschaft gegenwärtig nicht
über Mittel verfüge, die Steuern sofort zu tilgen; dies könne erst nach Beendigung
des Schadensersatzprozesses gegen ihren ehemaligen Steuerberater erfolgen.
Auch den weiteren Aufforderungen vom 11. Dezember 2001 und 21. April 2008
kam der Kläger nur unvollständig nach. Als Anlage zur Klagebegründung wurde
zwar der Jahresabschluss zum 31. Dezember 2000, die Gewinn- und
Verlustrechnung für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2000
sowie die Bankauszüge von zwei Konten der GmbH für den Zeitraum vom 6.
Januar 2000 bis zum 15. Februar 2001 bzw. 16. Februar 2001 vorgelegt. Im
Übrigen reagierte der Kläger jedoch lediglich auf die dem Beklagten bekannt
gewordenen Tatsachen, dass der GmbH nicht unerhebliche
Umsatzsteuerrückvergütungen zugeflossen seien und dass die
Lohnsteuerrückstände gegenüber dem Finanzamt Gelnhausen und die
Körperschaftsteuerrückstände gegenüber dem Finanzamt Offenbach am Main
vollständig getilgt worden seien.
Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte nach dem für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides maßgeblichen Zeitpunkt des
Abschlusses des Widerspruchsverfahrens (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
23. Januar 2003 - 2 S 1311/02 -, ESVGH 53, 132 [135] mit weiteren Nachweisen)
von einer hundertprozentigen Haftungsquote des Klägers ausgehen. Zwar führt
die Verletzung der Mitwirkungspflicht nicht zu einer Beweislastumkehr zulasten des
Steuerpflichtigen. Jedoch wird das Beweismaß für die die Beweislast tragende
Steuergläubigerin verringert, wenn die notwendigen Mitwirkungspflichten
unzureichend erfüllt werden. Aus dieser Verringerung des Beweismaßes folgt, dass
auch zum Nachteil des Mitwirkungsverpflichteten ein Sachverhalt zu Grunde gelegt
werden kann, für den nach den Ermittlungen der Steuergläubigerin eine gewisse
Wahrscheinlichkeit spricht. In dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des
Haftungsbescheides maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des
Widerspruchsbescheides konnte die Beklagte davon ausgehen, dass der GmbH
hinreichende Mittel zur Tilgung aller (Steuer-) Schulden zur Verfügung standen.
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Gewerbesteuerschulden
überwiegend bereits zu einem Zeitpunkt entstanden waren, nämlich mit Ablauf
des Erhebungszeitraumes, für den die Festsetzung vorgenommen wird (§ 38 AO in
Verbindung mit § 18 GewStG), als die GmbH noch werbend tätig war, so dass von
der Bildung entsprechender Rückstellungen ausgegangen werden konnte. Im
Übrigen war der Beklagten bekannt, dass die Steuerschuldnerin
Körperschaftsteuerrückstände in Höhe von weit mehr als 200.000 DM gegenüber
dem Finanzamt Offenbach am Main sowie Lohnsteuerrückstände in unbekannter
Höhe gegenüber dem Finanzamt Gelnhausen beglichen hat und dass ihr zudem
Umsatzsteuerrückerstattungen in nicht unerheblicher Höhe zugeflossen sind.
Aus dem erstmals im Klageverfahren vorgetragenen Gesichtspunkt, der Beklagten
stehe materiell die festgesetzte Gewerbesteuer nebst Zinsen für das Jahr 1995
nicht zu, denn ihr sei bekannt gewesen, dass es der ehemalige Steuerberater der
Steuerschuldnerin versäumt habe, gegen die Verlustfestsetzung des Finanzamtes
Offenbach am Main Einspruch einzulegen mit der Folge, dass der tatsächliche
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Offenbach am Main Einspruch einzulegen mit der Folge, dass der tatsächliche
Verlust der Steuerschuldnerin unberücksichtigt geblieben sei, folgt nicht die
Ermessensfehlerhaftigkeit des Haftungsbescheids. Die maßgeblichen Erwägungen
zum Erlass des Haftungsbescheids hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid in
nicht zu beanstandender Weise dargelegt. Überlegungen über die materielle
Berechtigung der gegenüber der Steuerschuldnerin festgesetzten Steuerschuld
musste die Beklagten nicht in ihre Erwägungen einbeziehen, denn die Festsetzung
der Steuerschuld beruht auf dem bestandskräftigen Messbescheid des
Finanzamts, der gemäß §§ 184 Abs. 1, 182 Abs. 1 AO für die Festsetzung und
Erhebung der Gewerbesteuer Bindungswirkung entfaltet. Mit dieser Wertung hat
der Gesetzgeber die Ermittlung und Bestimmung der Grundlagen der Besteuerung
grundsätzlich dem Finanzamt zugewiesen und damit der Beurteilung der
Beklagten entzogen (zu einer Ausnahme vgl. BVerfG, Urteil vom 29. November
1996 - 2 BvR 1157/93 -, KStZ 1997, 172 [175]), so dass der Streit um die Frage
der Berechtigung der Verlustfestsetzung zwischen Finanzamt und der
Steuerschuldnerin für die verfahrensgegenständliche Haftungsschuld des Klägers
keine Rolle spielt.
Hinsichtlich der in der Klageschrift vorgebrachten Argumente gegen eine die
Haftung begründende schuldhafte Pflichtverletzung, ohne dass es aus den bereits
dargelegten Gründen für die Entscheidung des Gerichts maßgeblich darauf
ankommt, so dass auf die Darlegungen im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom
21. Juli 2010 hin eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht geboten
ist, vermochte der Kläger dem Gericht zu den dazu vorgetragenen Tatsachen im
Übrigen auch nicht die erforderliche Überzeugungsgewissheit zu vermitteln. Soweit
der Bevollmächtigte des Klägers ausführt, die Umsatzsteuerrückerstattung des
Finanzamt Offenbach am Main sei auf ein Konto der Steuerschuldnerin bei der
Kreissparkasse Gelnhausen überwiesen worden und von dieser mit einem
negativen Saldo auf dem Konto verrechnet worden, wird dieser Vortrag durch die
vorgelegten Kontoauszüge nicht belegt. Es fehlt - mit Ausnahme eines Betrages
von 325,- DM, für den mit Schriftsatz vom 21. Juli 2010 ein Beleg vom 9. März
1999 vorgelegt wurde - bereits an einem Nachweis darüber, dass die Gelder
überhaupt auf einem Konto der Steuerschuldnerin eingegangen sind. Es liegt
daher nach wie vor die Vermutung nahe, dass die GmbH noch über eine weitere,
bislang nicht genannte Bankverbindung verfügt oder dass die Zahlung auf ein
Konto des klägerischen Einzelunternehmens eingegangen ist. Für die Vermutung
im Sinne der zweiten Alternative sprechen zwar nicht mehr die Mutmaßungen in
der mündlichen Verhandlung, dass auch Gelder des klägerischen
Einzelunternehmens auf Konten der GmbH gebucht worden sind. Denn die
Provisionseinnahmen aus Versicherungen stehen der GmbH zu, die nach der
Eintragung im Handelsregister selbst Versicherungen makelt. Für die Vermutung
spricht aber nach wie vor eine Telefonnotiz vom 3. Juli 2000 (Blatt 18 des
Verwaltungsvorganges), nach der der Steuerberater der Steuerschuldnerin
gegenüber der Beklagten geäußert hat, dass der Zahlungsverkehr der GmbH
wegen der noch bestehenden Kontopfändung (der GmbH-Konten) über das Konto
des Einzelunternehmens abgewickelt werde. Dafür, dass die Steuerrückerstattung
ohne Einflussmöglichkeit des Klägers durch Aufrechnung der Kreissparkasse
Gelnhausen "verbraucht" worden ist, der Steuerschuldnerin also nicht mehr zur
Schuldentilgung zur Verfügung stand, liegen dem Gericht danach keinerlei
Anhaltspunkte vor.
Soweit der Kläger hat vortragen lassen, er habe im ersten Halbjahr 2001
Körperschaftsteuerrückstände gegenüber dem Finanzamt Offenbach in Höhe von
insgesamt 549.956,14 DM = 281.188,10 € und Lohnsteuerrückstände gegenüber
dem Finanzamt Gelnhausen aus seinem Privatvermögen beglichen, liegen insoweit
zwar Kontoauszüge der Firma A. & Sohn vor, aus denen sich die Überweisung der
Körperschaftsteuer ergibt. Angesichts der zuvor dargestellten Möglichkeit, dass
der Zahlungsverkehr der Steuerschuldnerin über ein solches Konto des
Einzelunternehmens abgewickelt worden sein kann, fehlt es auch insoweit an der
erforderlichen Überzeugungskraft des Vortrages, es handele sich hinsichtlich
dieser Beträge nicht um Aktiva der Steuerschuldnerin. Soweit der Bevollmächtigte
zu den Behauptungen, die Beträge stammten aus dem Privatvermögen des
Klägers, in der Klageschrift Beweisanregungen gemacht hat, wäre diesen auch
deshalb nicht nachzugehen gewesen, weil Informationen über die tatsächliche
Zuordnung der Summen zum Einzelunternehmensvermögen des Klägers nicht in
das Wissen der Zeugen gestellt wurden. Vor dem Hintergrund der bisherigen
Darlegungen kann deshalb offen bleiben, ob der Kläger seine steuerlichen Pflichten
- bei unzureichender Liquidität der Gesellschaft - nicht selbst dann schuldhaft
verletzt hat, wenn er die Steuerschulden der GmbH gegenüber dem Finanzamt
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verletzt hat, wenn er die Steuerschulden der GmbH gegenüber dem Finanzamt
aus privaten Mitteln getilgt hat. Denn ein Gesellschafter, der Schulden der
Gesellschaft begleicht, stellt dadurch mittelbar der Gesellschaft Vermögensmittel
in einer Weise zur Verfügung, die es rechtfertigt, die Gesellschaft steuerrechtlich
genauso wie bei der entsprechenden Verwendung eigener Mittel zu behandeln
(vgl. BFH, Urteil vom 22. November 2005 - VII R 21/05 -, Juris). Ausweislich des
Abtretungsvertrages zwischen dem Kläger und der Steuerschuldnerin vom 4.
Januar 2001 hat der Kläger die Steuerschulden des Finanzamtes Offenbach
beglichen, um die Insolvenz der GmbH zu vermeiden. In einer solch prekären
Situation der Gesellschaft darf ihr Geschäftsführer mit Blick auf andere Gläubiger
den Grundsatz der anteiligen Tilgung weder unreflektiert noch bewusst beiseite
schieben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 161 Abs. 2 VwGO. Hinsichtlich
des erledigten Teils entspricht es der Billigkeit, die Kosten dem Kläger
aufzuerlegen, da er ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses im Verfahren
aller Voraussicht nach unterlegen wäre. Im Übrigen hat der Kläger die Kosten des
ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in
Verbindung mit § 708 Nr. 10, 711 ZPO
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2
VwGO nicht vorliegen.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 108.519,65
€ festgesetzt.
Gründe:
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 3, 47 Gerichtskostengesetz
- GKG -.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.