Urteil des HessVGH vom 18.02.1993

VGH Kassel: duldung, abschiebung, vorläufiger rechtsschutz, ausländer, form, ausreise, aussetzung, hauptsache, aufenthalt, gehalt

1
2
3
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 TG 2743/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 55 Abs 2 AuslG 1990, §
56 AuslG 1990, § 123
VwGO
(Erteilung einer Duldung nicht schon im Eilverfahren; nur
Verpflichtung, von der Abschiebung einstweilen
abzusehen)
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller bleibt ohne Erfolg. Zu Recht hat es das
Verwaltungsgericht abgelehnt, ihrem Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes zu entsprechen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern eine Duldung zu erteilen.
Dabei ist zunächst klarzustellen, daß eine vorläufige gerichtliche Regelung in der
von den Antragstellern beantragten Form von vornherein nicht in Betracht
kommen kann, da sie durch die von ihnen schon im vorliegenden Eilverfahren
erstrebte Duldung - wenn auch nur vorläufig und unter dem Vorbehalt einer
anderweitigen Entscheidung in der Hauptsache - bereits eine Rechtsposition
erlangen würden, die dem Rechtsschutzziel der Klage im Hauptsacheverfahren
entspricht. Zu einer solchen Vorwegnahme der Hauptsache ist das
Verwaltungsgericht im Rahmen des von ihm gemäß § 123 VwGO gewährten
einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht berechtigt (vgl. Kopp, VwGO, 9.
Aufl., Rdnr. 13 zu § 123 VwGO). Danach käme allenfalls eine Verpflichtung der
Antragsgegnerin in Betracht, einstweilen von einer Abschiebung der Antragsteller
in ihr Heimatland abzusehen. Ein solcher Ausspruch ist nicht etwa mit der
Zuerkennung einer Duldung in Sinne der §§ 55, 56 AuslG identisch. Zwar gewährt
auch die Duldung ihrem rechtlichen Gehalt nach nur eine zeitweise Aussetzung der
Abschiebung bei Fortdauer der dem Ausländer auferlegten Ausreisepflicht (vgl. §§
55 Abs. 1, 56 Abs. 1 AuslG). Die dem Ausländer hierdurch vermittelte
Rechtsposition ist gleichwohl in gewissem Umfang rechtlich abgesichert und
gefestigt. So ist eine Duldung vor Ablauf der zeitlichen Befristung zu widerrufen,
wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen sind (§ 55 Abs. 5
AuslG). Ist der Ausländer länger als ein Jahr geduldet, muß ihm überdies gemäß §
56 Abs. 6 Satz 2 AuslG die Abschiebung drei Monate vorher angekündigt werden.
Die Duldung bildet schließlich auch die Grundlage für arbeits- und sozialrechtliche
Ansprüche und Vergünstigungen (vgl. insbesondere die Möglichkeit zur Erlangung
einer Arbeitserlaubnis gemäß § 5 Satz 2 Arbeitserlaubnisverordnung). Diese
weitergehenden Rechtsfolgen sind mit einer von dem Verwaltungsgericht
ausgesprochenen Verpflichtung, von der Abschiebung des Ausländers vorläufig
abzusehen, nicht verbunden. Hierbei handelt es sich nämlich um ein besonderes,
vom materiellen Recht losgelöstes prozessuales Sicherungsmittel, zu dessen
Anordnung das Gericht im Verfahren nach § 123 VwGO nach allgemeiner
Rechtsauffassung befugt ist (vgl. beispielsweise VGH Baden-Württemberg,
Beschluß vom 14. März 1979 - XI 226/79 -, ESVGH 30, 84, 85; Redeker-von
Oertzen, VwGO, 9. Aufl., Rdnr. 19 zu § 123 VwGO: Finkelnburg/Jank, Vorläufiger
Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Anm. 216).
Auch eine solche vorläufige Regelung kommt indessen vorliegend nicht in
Betracht, denn die Antragsteller haben, wie das Verwaltungsgericht zu Recht
angenommen hat, einen sicherungsfähigen Rechtsanspruch, dessen
Verwirklichung durch die von ihnen geforderte Rückkehr in das Heimatland im
4
5
6
7
8
Verwirklichung durch die von ihnen geforderte Rückkehr in das Heimatland im
Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO erschwert werden könnte, nicht glaubhaft
gemacht. Aus dem gleichen Grunde erscheint es auch nicht notwendig, die
Antragsteller gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vor etwaigen mit der Ausreise aus
dem Bundesgebiet für sie einhergehenden wesentlichen Nachteilen zu bewahren.
Ein sicherungsfähiges Bleiberecht kann den Antragstellern vorliegend nur in Form
eines Anspruches auf Erteilung einer Duldung gemäß § 55 Abs. 2 bzw. Abs. 3
AuslG zustehen, denn sie sind aufgrund der wirksamen und bestandskräftigen
Verfügungen des Landrates des W kreises vom 28. November 1989 bzw. 2. Januar
1990 unanfechtbar ausreisepflichtig. Das auch der zuletzt genannte, die
Antragsteller zu 2) und 3) betreffende Bescheid vom 2. Januar 1990 durch
ordnungsgemäße Zustellung an die Antragstellerin zu 1) als gesetzliche
Vertreterin der Antragsteller zu 2) und 3) gemäß § 41 Abs. 1 HVwVfG
bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist, hat bereits das
Verwaltungsgericht mit umfassender und zutreffender Begründung dargelegt. Auf
die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz auf Seite 6, 4. Absatz bis Seite
7, 1. Absatz der Beschlußausfertigung kann, um Wiederholungen zu vermeiden,
gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO verwiesen werden.
Eine Duldung kann den Antragstellern indessen, worauf das Verwaltungsgericht zu
Recht hingewiesen hat, allerdings weder gemäß § 55 Abs. 2 noch gemäß § 55 Abs.
3 AuslG erteilt werden.
Eine Verpflichtung zur Duldung der Antragsteller gemäß § 55 Abs. 2 AuslG besteht
deshalb nicht, weil ihre Abschiebung weder aus rechtlichen oder tatsächlichen
Gründen unmöglich, noch durch landesinterne Regelung gemäß § 53 Abs. 6 bzw. §
54 AuslG ausgesetzt worden ist.
Zwar hat das Hessische Ministerium des Innern und für Europaangelegenheiten u.
a. auch für (ehemalige) Asylantragsteller und Vertriebenenbewerber aus Polen
Regelungen über die Aufnahme gemäß § 32 AuslG bzw. über die Aussetzung der
Abschiebung gemäß § 54 AuslG erlassen. Die hierin genannten Voraussetzungen
für die Einräumung eines zumindest vorübergehenden Bleiberechtes in der
Bundesrepublik Deutschland erfüllen die Antragsteller indessen nicht. Nach dem
geltenden Erlaß vom 14. Februar 1992 - III A 51-23 d - (StAnz. S. 968) ist nur
denjenigen ehemaligen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern aus Polen, die vor
dem 1. Mai 1987 eingereist sind und den ersten Asylantrag vor dem 1. August
1987 gestellt haben, der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Zu
diesem begünstigten Personenkreis gehören die Antragsteller nicht, denn sie sind
erst am 6. August 1988 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und haben
erst am 2. Dezember 1988 bei der Ausländerbehörde des M -Kreises um Asyl
nachgesucht.
Die Abschiebung der Antragsteller ist weiterhin auch nicht im Sinne von § 55 Abs.
2 AuslG aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich. Daß ihnen eine
Rückkehr nach Polen tatsächlich unmöglich ist, haben die Antragsteller selbst nicht
behauptet. Auch rechtliche Gründe stehen einer Abschiebung der Antragsteller in
ihr Heimatland nicht entgegen. Weder liegt in ihrem Fall eines der in § 53 Abs. 1 bis
4 genannten Abschiebungshindernisse vor, noch hat eine Abschiebung der
Antragsteller etwa deshalb zu unterbleiben, weil sie hierdurch von dem Ehemann
der Antragstellerin zu 1), der wegen des noch laufenden Vertriebenenverfahrens
weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird, getrennt würden. Das Schutzgebot des
Art. 6 Abs. 1 GG, auf das sich im übrigen lediglich die Antragstellerin zu 1) als
Ehefrau, nicht aber die mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) in keinerlei
familienrechtlichen Beziehungen stehenden Antragsteller zu 2) und 3) berufen
können, reicht nicht so weit, daß auch den Familienangehörigen eines lediglich
geduldeten Ausländers der vorübergehende Verbleib in der Bundesrepublik
Deutschland ermöglicht werden müßte. Zwar haben die zuständigen Behörden
und Gerichte bei der Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften dem
grundrechtlich gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie durch Berücksichtigung
der bestehenden ehelichen und familiären Bindungen eines Ausländers im
Bundesgebiet Rechnung zu tragen. Diese Belange gebieten die Einräumung eines
Aufenthalts- oder sonstigen Bleiberechtes für die Familienangehörigen des
Ausländers indessen nur dann, wenn dieser selbst einen gefestigten
aufenthaltsrechtlichen Status besitzt, den er durch die gemeinsame Rückkehr in
das Heimatland verlieren würde (vgl. BVerfG, Beschluß vom 12. Mai 1987 - 2 BvR
1226/83 u. a. -, DVBl. 1988, 98 (100, 101)). Ein solches - dauerhaft - gesichertes
Aufenthaltsrecht besteht bei einem Ausländer, der wie der Ehemann der
9
10
Aufenthaltsrecht besteht bei einem Ausländer, der wie der Ehemann der
Antragstellerin zu 1), zur Ausreise verpflichtet und nur vorübergehend im
Bundesgebiet geduldet wird, nicht. Auch aus Art. 116 Abs. 1 GG ergeben sich
weder für den Vertriebenenbewerber selbst, noch für seine Familienangehörigen
irgendwelche aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 25.
Februar 1992 - 2 BvR 182/92 -, InfAuslR 1992, 131, 132).
Die beantragte Duldung kann den Antragstellern weiterhin auch nicht auf der
Grundlage des § 55 Abs. 3 AuslG erteilt werden, denn dringende humanitäre oder
persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen, die die vorübergehende
weitere Anwesenheit der Antragsteller im Bundesgebiet erforderten, liegen
erkennbar nicht vor. Die von den Antragstellern angeführten "schwerwiegenden
Nachteile" bei Rückkehr in das Heimatland, besonders die zu erwartenden
Schwierigkeiten bei der schulischen Reintegration der Antragsteller zu 2) und 3),
können nicht als gewichtige persönliche Gründe im Sinne der oben genannten
ausländerrechtlichen Bestimmung berücksichtigt werden, denn hierbei handelt es
sich um Schwierigkeiten, mit denen - wenn auch möglicherweise in
unterschiedlichem Maße - letztlich jeder Ausländer konfrontiert ist, der nach
längerer Anwesenheit im Bundesgebiet wieder in sein Heimatland zurückkehren
muß.
Zur Duldung der Antragsteller ist der Antragsgegner, wie bereits das
Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, auch nicht unter dem Gesichtspunkt
der Gleichbehandlung mit anderen Ausländern gemäß Art. 3 Abs. 1 GG
verpflichtet. Auch der Senat vermag Hinweise auf die von den Antragstellern
behauptete Verwaltungspraxis, auch Ehegatten und minderjährige Kinder von
Vertriebenenbewerbern bis zur Entscheidung über den von diesem gestellten
Antrag nach dem Bundesvertriebenengesetz zu dulden, nicht zu erkennen. Der
bereits oben zitierte Erlaß des Hessischen Ministeriums des Innern und für
Europaangelegenheiten vom 14. Februar 1992 sieht ein solches vorläufiges
Bleiberecht für Familienangehörige von Vertriebenenbewerbern nicht vor. Selbst
wenn aber den Bestimmungen der verwaltungsinternen Regelung zuwider auch
Ehegatten oder minderjährigen Kindern von Vertriebenenbewerbern der
vorübergehende Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht worden sein sollte,
könnten die Antragsteller aus dieser rechtswidrigen Handhabung von vornherein
nichts zu ihren Gunsten herleiten.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.