Urteil des HessVGH vom 26.07.1994

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, verfügung, vollziehung, öffentliche sicherheit, liegenschaft, öffentliches interesse, bisherige nutzung, prostitution

1
2
3
4
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TH 1779/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 37 Abs 1 VwVfG HE, § 61
Abs 2 BauO HE vom
20.12.1993, § 78 Abs 1
BauO HE vom 20.12.1993
(Nutzungsverbot bei formeller Illegalität einer baulichen
Anlage; zum Bestimmtheitsgebot)
Tatbestand
Der Antragsteller ist Pächter des Grundstücks in (Gemarkung, Flur, Flurstück). Das
Grundstück ist mit einem Gebäude bestehend aus Erdgeschoß, 5 Obergeschossen
(einschließlich Dachgeschoß) und einem über dem Dachgeschoß befindlichen nicht
ausgebautem Spitzboden bebaut. Das 1. bis 5. Obergeschoß sind zu
Wohnzwecken genehmigt (Bauschein-Nr. vom 24.08.1945). Bezüglich der
Räumlichkeiten im Erdgeschoß wurde mit Bauscheinen vom 21.11.1980 und
18.05.1982 die Nutzung "Cafe-Lokal" zugelassen. Das Grundstück befindet sich im
räumlichen Geltungsbereich der Toleranzzone nach § 1 Abs. 5 der Verordnung
zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in Frankfurt am Main vom
23.12.1986 (StAnz. 1986, 100) in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung
vom 25.06.1992 (StAnz. 1992 S. 1523).
Seit dem 19.12.1992 nutzt der Antragsteller die Räume des Gebäudes zum
Zwecke der gewerblichen Zimmervermietung (Bordell). Die Räume des
Erdgeschosses stehen dem Hauswirtschafter zur Verfügung. Im 1. bis 5.
Obergeschoß werden insgesamt 25 Zimmer an Prostituierte vermietet.
Nach vorheriger Anhörung mit Schreiben vom 09.02.1993 gab die
Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Verfügung vom 24.02.1993 auf, die
Nutzung der Räume im 1. bis 4. Obergeschoß und im Dachgeschoß des
Grundstücks zu gewerblichen Zwecken sofort einzustellen. Gleichzeitig wurde die
sofortige Vollziehung angeordnet und für den Fall der Nichtbeachtung die
Versiegelung angedroht. Gegen die Verfügung vom 24.02.1993 legte der
Antragsteller mit Schreiben gleichen Datums Widerspruch ein, über den noch nicht
entschieden ist. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 24.02.1993 hat der Antragsteller um
vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Bescheid vom 02.03.1993 verfügte die
Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller ein der Verfügung vom 24.02.1993
entsprechendes, sofort vollziehbares und zwangsmittelbewehrtes Nutzungsverbot
für die Räume des 5. Obergeschosses des Gebäudes. Gegen diese Verfügung hat
der Antragsteller mit Schreiben vom 05.04.1993 Widerspruch eingelegt, über den
ebenfalls bislang noch nicht entschieden ist. Seinen vorläufigen
Rechtsschutzantrag hat er mit Schriftsatz vom 05.04.1993 entsprechend
erweitert. Im Laufe des Verfahrens hob die Antragsgegnerin die
Versiegelungsandrohungen auf.
Durch Beschluß vom 15.06.1993 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers wieder hergestellt, soweit mit der
Verfügung vom 24.02.1993 die Nutzung des Dachgeschosses sofort vollziehbar
untersagt wurde, und im übrigen den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es
ausgeführt, das Nutzungsverbot bezüglich des Dachgeschosses sei auf den
Spitzboden bezogen, der allerdings nicht ungenehmigt genutzt werde. Soweit sich
der Eilantrag gegen die Androhung der Versiegelung in den Verfügungen vom
24.02.1993 und 02.03.1993 richte, fehle es dem Antragsteller an einem
Rechtsschutzbedürfnis, da beide Zwangsvollstreckungsandrohungen aufgehoben
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Rechtsschutzbedürfnis, da beide Zwangsvollstreckungsandrohungen aufgehoben
worden seien. Im übrigen sei der Antrag unbegründet, weil die
Prostitutionsausübung gegenüber der Wohnnutzung eine genehmigungsbedürftige
Nutzungsänderung darstelle. Die formell illegal vorgenommene
Nutzungsänderung rechtfertige sowohl das verfügte Nutzungsverbot als auch die
Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Gegen den den Bevollmächtigten des Antragstellers am 18.06.1993 zugestellten
Beschluß des Verwaltungsgerichts vom 15.06.1993 hat dieser am 13.07.1993
Beschwerde eingelegt, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat. Zur
Begründung der Beschwerde trägt der Antragsteller vor, daß er ursprünglich auf
der Liegenschaft ein Bordell betrieben habe. Mit Vereinbarung vom 16.03.1989
habe er sich gegenüber der Antragsgegnerin verpflichtet, die baurechtlich illegale
Nutzung auf der Liegenschaft bis zum 30.06.1989 zu beenden. Im Gegenzug habe
sich die Antragsgegnerin verpflichtet, ein Appartementhaus auf der Liegenschaft
zur Verfügung zu stellen, wohin der Antragsteller seinen Bordellbetrieb hätte
verlegen können. Ausdrücklich habe es die Antragsgegnerin übernommen, gegen
eine baurechtlich illegale Nutzung jedenfalls solange nicht vorzugehen, bis das
Appartementhaus fertiggestellt sei. Nachdem die Sperrgebietsverordnung vom
27.02.1991 die Bordellprostitution im Gebiet nicht mehr zugelassen habe und mit
Verordnung vom 25.06.1992 im Gebiet -, -, r- und straße, in dem sich die
Liegenschaft befinde, eine Toleranzzone ausgewiesen worden sei, habe er die
Bordellnutzung dort aufgenommen. Die Duldungsverpflichtung der
Antragsgegnerin aus der Vereinbarung vom 16.03.1989 erstrecke sich auch auf
die Nutzung des streitbefangenen Objekts, denn die Vereinbarung enthalte die
Zusicherung, daß gegen ein von ihm betriebenes Bordell solange nicht
eingegriffen werde, bis Ausweichmöglichkeiten bestünden. Durch die von ihr
veranlaßte Ausweisung der Toleranzzone habe die Antragsgegnerin zu erkennen
gegeben, daß ihr selbst daran gelegen sei, den Widmungszweck des Gebiets ohne
Unterbrechungen durch ein Baugenehmigungsverfahren zu verwirklichen. Im
übrigen verletzten die angefochtenen Verfügungen den
Gleichbehandlungsgrundsatz, da in entsprechenden Fällen Bordellbetreibern eine
Frist zur Nutzungsaufgabe von 6 Monaten gesetzt worden sei.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
in Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt
am Main vom 15. Juni 1993 die aufschiebende Wirkung der Widersprüche vom 25.
Februar 1993 und 7. April 1993 gegen die Verfügungen der Antragsgegnerin vom
24. Februar 1993 und 2. März 1993 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Vereinbarung vom 16.03.1989 sei zwischenzeitlich
gegenstandslos geworden. Die Verpflichtung, das verfügte Nutzungsverbot sofort
zu beachten, sei im vorliegenden Einzelfall deshalb gerechtfertigt, weil der
Antragsteller die Bordellnutzung auf dem Grundstück erst kurze Zeit betreibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand
der Beratung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde des Antragstellers ist
begründet, soweit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der
Widersprüche gegen das Nutzungsverbot bezüglich der Räume im 1. bis 5.
Obergeschoß beantragt wird.
Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung der Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen die in den angefochtenen
Verfügungen enthaltenen Versiegelungsandrohungen richtet, ist die Beschwerde
unbegründet. Aus dem in der Beschwerdeschrift vom 13.07.1993 enthaltenen
Antrag, mit dem ausdrücklich neben der Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche
begehrt wird, ergibt sich, daß der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren sein
vorläufiges Rechtsschutzbegehren gegen die Vollstreckungsandrohungen weiter
verfolgt. Das Verwaltungsgericht hat dieses Begehren jedoch zu Recht wegen
14
15
16
17
verfolgt. Das Verwaltungsgericht hat dieses Begehren jedoch zu Recht wegen
fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgelehnt, da die
Antragsgegnerin die in den angefochtenen Verfügungen enthaltenen
Zwangsmittelandrohungen bereits zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen
Entscheidung aufgehoben hatte.
Die darüber hinausgehende Beschwerde ist begründet. Widerspruch und
Anfechtungsklage haben regelmäßig aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO).
Die Behörde kann jedoch ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs bzw. der Klage dadurch beseitigen, daß sie nach § 80 Abs. 2 Nr. 4
VwGO die sofortige Vollziehung der Verfügung anordnet. Sie ist zu einer solchen
Anordnung aber nur berechtigt, wenn die sofortige Vollziehung der Verfügung im
öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten
erscheint. Die Behörde muß also vor Erlaß der Anordnung einerseits die Interessen
der Öffentlichkeit und eines etwaigen Beteiligten an einer sofortigen Durchführung
der Maßnahme sowie andererseits die entgegenstehenden Interessen des
Betroffenen an dem Bestand der aufschiebenden Wirkung des eingelegten
Widerspruchs gegeneinander abwägen. Eine ähnliche Prüfung hat das Gericht
anzustellen, wenn gemäß § 80 Abs. 5 VwGO um vorläufigen Rechtsschutz gegen
die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes nachgesucht
wird. Dem sogenannten Stoppantrag ist stattzugeben, wenn der Verwaltungsakt,
gegen den Widerspruch erhoben ist, offensichtlich rechtswidrig ist; in diesem Fall
kann kein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung bestehen.
Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene
offensichtlich rechtswidrig ist; in diesem Fall kann kein öffentliches auch nicht etwa
wegen eigenen Ermessens der Widerspruchsbehörde aussichtsreich und seine
Vollziehung eilbedürftig ist. In allen anderen Fällen entscheidet bei summarischer
Beurteilung des Sachverhalts eine reine Abwägung der beteiligten öffentlichen und
privaten Interessen, die für oder gegen die Vollziehung sprechen, über die
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
Die Verfügungen der Antragsgegnerin vom 24.02.1993 und 02.03.1993 sind
offensichtlich rechtswidrig.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage in diesem Verfahren ist
der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Zwischen dem Erlaß der
Verfügungen und dem Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung eingetretene
Rechtsänderungen sind zu berücksichtigen. Dies folgt bereits daraus, daß es in
diesem Verfahren auch um die Beurteilung der Erfolgsaussichten des
Widerspruchs und einer eventuell sich daran anschließenden Anfechtungsklage
geht. Die Rechtslage ist im Falle einer Anfechtungsklage mindestens bis zur
letzten behördlichen Entscheidung maßgeblich, die in aller Regel der
Widerspruchsbescheid ist, zu berücksichtigen. Folglich sind vor Erlaß des
Widerspruchsbescheides eintretende Rechtsänderungen auch im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren zu berücksichtigen. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Verfügungen ist daher seit Inkrafttreten der Hessischen Bauordnung vom
20.12.1993 (GVBl. I S. 655) - HBO - am 01.06.1994 (§ 88 Abs. 1 HBO) nach § 61
Abs. 2 HBO i.V.m. § 78 Abs. 1 HBO zu beurteilen. Danach kann die Bauaufsicht die
Nutzung untersagen, wenn bauliche Anlagen oder andere Anlagen und
Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HBO oder Teile von ihnen gegen
baurechtliche oder sonstige Vorschriften über Errichtung, Änderung,
Instandhaltung oder Nutzung dieser Anlagen und Einrichtungen verstoßen. Zu den
baurechtlichen Vorschriften zählen auch diejenigen, die die Nutzungsänderung der
Genehmigungspflicht unterstellen. Es besteht demgemäß auch unter Geltung des
§ 78 Abs. 1 HBO kein Anlaß, die bisherige Senatsrechtsprechung, wonach allein die
formelle Illegalität einer baulichen Anlage ein Nutzungsverbot rechtfertigt, zu
ändern. Die Bauaufsicht ist auch nach § 78 Abs. 1 HBO nicht darauf beschränkt,
dem Eigentümer aufzugeben, Bauvorlagen einzureichen. Nur durch die
Möglichkeit, formelle illegale Nutzungen zu verbieten, und zwar ohne Rücksicht auf
eine etwaige materielle Legalität, ist die Bauaufsicht in der Lage, das System des
präventiven Bau- und Nutzungsverbots in Verbindung mit der
Genehmigungspflicht von Bauvorhaben zu sichern (vgl. zu § 83 Abs. 1 HBO 1990
Hess. VGH, Beschluß vom 04.11.1993 - 4 TH 2109/92).
Das Verwaltungsgericht geht auch zutreffend von der formellen Illegalität der
gegenwärtigen Nutzung der Räume im 1. bis 5. Obergeschoß des Gebäudes aus.
Die Nutzung der Räume (auch) zum Zwecke der Prostitution stellt gegenüber der
genehmigten Wohnnutzung eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung im
Sinne des § 62 Abs. 1 HBO dar. Um eine solche handelt es sich - abgesehen
18
19
20
21
Sinne des § 62 Abs. 1 HBO dar. Um eine solche handelt es sich - abgesehen
davon, daß § 62 Abs. 1 HBO vom Wortlaut her jedwede Nutzungsänderung der
Genehmigungspflicht unterstellt - immer dann, wenn es möglich ist, daß die neu
beabsichtigte Nutzung bzw. die bereits aufgenommene geänderte Nutzung
anderen bauordnungs- oder bauplanungsrechtlichen Vorschriften unterworfen ist
(Hess. VGH, Urteil vom 18.11.1979 - IV OE 51/75 - BRS 35 Nr. 52; Hess. VGH,
Beschluß vom 25.04.1983 - 4 TH 12/83 - BRS 40 Nr. 166; Hess. VGH, Beschluß
vom 22.04.1994 - 4 TH 1192/93 -). Die bauplanungsrechtliche Einordnung eines
bordellartigen Betriebes ist zwar umstritten. Neben der Qualifizierung als
Vergnügungsstätte oder als kerngebietsspezifische Vergnügungsstätte findet man
überwiegend eine Einordnung als ein Gewerbebetrieb sui generis (Fickert/Fieseler,
Kommentar zur Baunutzungsverordnung, 7. Aufl. 1992, § 8 Rndr. 5.1; Gelzer/Birk,
Bauplanungsrecht, 5. Aufl. 1991, Rdnr. 748; Müller, Das Baurecht in Hessen,
Loseblattsammlung, Stand: September 1993, III A 1.12, § 4a S. 6). Das
Bundesverwaltungsgericht hat Bordelle, in denen die Prostituierten auch wohnen,
als mit einer Wohnnutzung verbundene gewerbliche Betriebe angesehen (BVerwG,
Urteil vom 25.11.1983 - 4 C 21.83 - BVerwGE 68, 213 (217)). Unabhängig von der
Qualifizierung der Nutzung des Gebäudes als Vergnügungsstätte oder als
Gewerbebetrieb unterliegt diese jedenfalls anderen planungsrechtlichen
Vorschriften als die im 1. bis 5. Obergeschoß genehmigte Wohnnutzung.
Die Lage der Liegenschaft innerhalb der Toleranzzone gemäß § 1 Abs. 5 der
Verordnung zum Schutze der Jugend und des Anstandes in Frankfurt am Main in
der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 25.06.1992 (StAnz. 1992, S.
1523) ändert an der formellen Illegalität der baugenehmigungspflichtigen
Nutzungsänderung nichts. Ebensowenig steht die polizeirechtliche Zulässigkeit der
Bordellnutzung einem Einschreiten aufgrund baurechtlicher Vorschriften entgegen
(Hess. VGH, Beschluß vom 09.03.1994 - 4 TH 2523/93 -; vgl. auch zu den Fällen
der Mehrfachgenehmigungen Hess. VGH, Beschluß vom 23.12.1988 - 4 TH
4362/88 - NVwZ 1990, 583 m.w.N.).
Darüber hinaus führt auch die Vereinbarung vom 16.03.1989 nicht zur
Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügungen. In seiner Entscheidung vom
22.04.1994 (- 4 TH 2834/93 -), die ein Nutzungsverbot betreffend eine
Liegenschaft zum Gegenstand hatte, die bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses
der Vereinbarung vom 16.03.1989 vom damaligen Antragsteller als Bordell
genutzt wurde und die auch ausdrücklich in der Anlage zu § 2 Abs. 2 der
Vereinbarung vom 16.03.1989 genannt war, hat der Senat dazu folgendes
ausgeführt:
Gemäß § 2 Abs. 2 der Vereinbarung vom 16.03.1989 - die die Beendigung der
baurechtlich illegalen Nutzung u. a. der Liegenschaft... zum Gegenstand hat -
sollte die bisherige Nutzung der betroffenen Gebäude im Bahnhofsgebiet über den
30.06.1969 hinaus nur noch vorübergehend bis zur Bezugsfertigkeit des als
Großbordell geplanten Appartementhauses geduldet werden. Die Änderung des
städtebaulichen Konzepts der Stadt führte aber zu einer Änderung der
Sperrgebietsverordnung, die nunmehr der Realisierung des Projektes eines
Großbordells in der entgegensteht. Damit ist die Geschäftsgrundlage der
Vereinbarung vom 16.03.1989 mit der Folge entfallen, daß eine Fortsetzung der
Duldungspflicht des Antragsgegners nicht besteht (zu den Rechtsfolgen des
Wegfalls der Geschäftsgrundlage vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 53. Aufl.
1994, § 242 Rdnr. 130 ff.). Selbst wenn man nicht von dem Wegfall der
Geschäftsgrundlage ausgehen könnte, weil die Nichtdurchführbarkeit des
Großbordellprojekts durch die Änderung des städtebaulichen Konzepts der
Antragsgegnerin verursacht worden ist (vgl. dazu Palandt, a.a.O., Rdnr. 126 ff.),
würde eine Auslegung der Vereinbarung, die von einer dauerhaften Duldung u. a.
des Bordellbetriebs des Antragstellers ausginge, zur Nichtigkeit der Vereinbarung
gemäß § 59 Abs. 2 Nr. 3 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes -
HessVwVfG - führen. Denn die Antragsgegnerin kann sich nicht vertraglich
verpflichten, auf die hoheitliche Befugnis und gesetzliche Verpflichtung dauerhaft
zu verzichten, für baurechtmäßige Zustände zu sorgen; ein solcher Vertragsinhalt
wäre offenkundig grob rechtswidrig."
Diese Ausführungen müssen vorliegend um so mehr gelten, als das Objekt nicht in
der Anlage 1 zu § 2 Abs. 1, Abs. 2 der Vereinbarung vom 16.03.1989 als eine
derjenigen Liegenschaften aufgeführt ist, hinsichtlich derer sich die
Antragsgegnerin zur vorübergehenden Duldung der baurechtswidrigen Zustände
verpflichtet hatte.
22 Die angefochtenen Verfügungen vom 24.02.1993 und 02.03.1993 sind aber wegen
Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (§ 37 Abs. 1 HessVwVfG)
offensichtlich rechtswidrig. Nach dem Inhalt der Verfügungen, wie sie Gegenstand
des Beschwerdeverfahrens sind, ist der Antragsteller verpflichtet, die
ungenehmigte Nutzung der Räume im 1. bis 5. Obergeschoß der Liegenschaft
sofort einzustellen. Gemäß dem Vortrag der Beteiligten und dem Inhalt der Akten
ist davon auszugehen, daß der Antragsteller seinen bordellartigen Betrieb dadurch
betreibt, daß er den Prostituierten auf der Grundlage von Mietverträgen die
Räumlichkeiten überläßt, in welchem die Mieterinnen der Prostitution nachgehen.
Dementsprechend ist das Gebot, die gewerbliche Nutzung der Räumlichkeiten
sofort einzustellen, nicht als schlichtes Unterlassungsgebot im Sinne des Verbots
einer Eigennutzung oder des Verbots, für freigewordene Zimmer ein Mietverhältnis
zu begründen, das die Prostitutionsausübung ermöglicht, zu verstehen. Vielmehr
wird der Antragsteller durch das Gebot, die gewerbliche Nutzung sofort
einzustellen, verpflichtet, aktiv tätig zu werden. In diesem Sinne haben auch die
Beteiligten den Inhalt der angefochtenen Verfügungen verstanden, was sich darin
zeigt, daß die Antragsgegnerin bereits am Tage nach Erlaß der Verfügungen vom
24.03.1993 mit der Versiegelung der Räume begann und der Antragsteller am
selben Tage, um die Versiegelung abzuwenden, seinen Mieterinnen fristlos
kündigte und diese aufforderte, die Zimmer sofort zu räumen. Zur Beendigung der
ungenehmigten Nutzung, nämlich der Ausübung der Prostitution durch die
Mieterinnen im bordellartigen Betrieb des Antragstellers, steht jedoch neben der
Kündigung der Mietverhältnisse zumindest eine weitere Möglichkeit zur Verfügung.
Dabei ist im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung davon
auszugehen, daß die Prostituierten in den ihnen überlassenen Räumlichkeiten
auch wohnen. Die Antragsgegnerin hat während eines Ortstermins am 25.02.1993
festgestellt, "daß dem Augenschein nach die Zimmer auch als Wohnnutzung
Verwendung finden". Soweit die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren die
Richtigkeit der dahingehenden Behauptung des Antragstellers in Zweifel zieht,
setzt sie sich in Widerspruch zu ihren eigenen Feststellungen. Neben der
Kündigung der Mietverträge besteht somit die Möglichkeit der Beendigung der
ungenehmigten Nutzung durch eine Vertragsänderung dergestalt, daß die
Verträge die Ausübung der Prostitution in den überlassenen Räumlichkeiten nicht
mehr zulassen. Im Falle der Kündigung müßten die Prostituierten ausziehen, im
Falle der Vertragsänderung müßten sie die Prostitution in den gemieteten Räumen
unterlassen. Bei einer derartigen Konstellation ist dem Grundsatz der
hinreichenden Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 HessVwVfG) aber nur dann genüge
getan, wenn der Verwaltungsakt eindeutig erkennen läßt, was von dem Pflichtigen
gefordert wird. Der Verwaltungsakt muß einen Inhalt haben, der es erlaubt, ihn
ohne weitere Konkretisierung zwangsweise durchzusetzen (vgl. dazu Meixner,
Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 3. Auf. 1991, § 4
Rdnr. 9 m.w.N.; § 5 Rdnr. 8; Hess. VGH, Beschluß vom 28.09.1993 - 4 TH 2834/93 -
; Beschluß vom 22.04.1994 - 4 TH 1192/93 -). Soweit dem Pflichtigen ein
Tätigwerden aufgegeben wird, genügt es in aller Regel nicht den Anforderungen an
die Bestimmtheit, lediglich das Ziel der Verfügung - hier die Einstellung der
illegalen Nutzung - zu benennen. Die Behörde ist vielmehr verpflichtet anzugeben,
welches von mehreren Mitteln der Pflichtige zur Erreichung des Ziels einsetzen
muß. Diese Notwendigkeit ergibt sich bereits aus der im Bauordnungsrecht gemäß
§ 3 Abs. 1 Satz 3 HSOG ergänzend geltenden Regelung des § 5 Abs. 2 HSOG.
Danach genügt es, wenn die Gefahrenabwehr oder Polizeibehörde von mehreren
zur Abwehr der Gefahr in Betracht kommenden Mitteln eines bestimmt. Bei
mehreren in Betracht kommenden Mitteln ist die Auswahl folglich nicht dem
Pflichtigen zu überlassen. Die Entscheidungskompetenz ist der Behörde
zugewiesen (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.06.1992 - 20 A
2485/89 - UPR 1993, 71). Bei einem Handlungsgebot ist die Angabe des zum Ziel
führenden Mittels nur ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn sich dessen
Anwendung ohne weiteres aus dem Sachzusammenhang ergibt (OVG Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 24.01.1983 - 7 A 1742/82; Urteil vom 11.06.1992, a.a.O.).
Dies ist hier nicht der Fall. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin stellt der
Abschluß von Änderungsverträgen dergestalt, daß die Ausübung der Prostitution in
den überlassenen Räumlichkeiten nicht mehr zulässig ist, aus der Sicht des
Antragstellers auch ein geeignetes Mittel dar, die ungenehmigte Nutzung
einzustellen. Der Umstand, daß die Mieterinnen wegen der Möglichkeit der
Prostitutionsausübung in den angemieteten Räumen einen höheren Mietzins
zahlen als für reine Wohnräume, steht dem jedenfalls nicht entgegen, da im
Rahmen der Vertragsänderung auch die Höhe des zu zahlenden Mietzinses an die
eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit angepaßt werden könnte, gegebenenfalls
auch angepaßt werden müßte. Auch im übrigen ist es nicht zu beanstanden, wenn
auch angepaßt werden müßte. Auch im übrigen ist es nicht zu beanstanden, wenn
die Bauaufsichtsbehörde dem Störer eine von mehreren zivilrechtlich möglichen
Handlungsweisen, die zur Beseitigung der Störung führen, aufgibt. Die
Bauaufsichtsbehörde kann die Kündigung baurechtswidrig genutzter Räume
anordnen und dem Vermieter im Sinne einer vorweggenommenen Gestattung im
Sinne von § 5 Abs. 2 HSOG nachlassen, als anderes, ebenso wirksames Mittel
innerhalb der festgesetzten Frist mit den Mietern eine einvernehmliche Regelung
herbeizuführen (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 26.09.1983 - 4 TH 48/83 - BRS 40
Nr. 229). Selbstverständlich stünde es dem Störer auch frei, von sich aus gemäß §
5 Abs. 2 Satz 2 HSOG ein anderes ebenso wirksames Austauschmittel anzubieten.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.