Urteil des HessVGH vom 05.07.1994

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, verbotene eigenmacht, aufschiebende wirkung, grundstück, besitzer, behörde, berechtigter, eigentum, beschränkung, eigentümer

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 TH 625/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 15 AbfG HE
(Wirkungen einer Duldungsanordnung gelten auch
gegenüber dem lediglich obligatorisch Berechtigten)
Leitsatz
Eine behördliche Anordnung, nach der auf einem Grundstück die notwendigen Arbeiten
für die Planung einer Abfallentsorgungsanlage zu dulden sind, betrifft nicht nur den
Grundstückseigentümer oder dinglich Berechtigten, sondern auch den Besitzer, der
lediglich schuldrechtlich zur Nutzung des Grundstücks
berechtigt ist.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu
Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers
gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 25. August 1992
wiederherzustellen.
Zutreffend geht das erstinstanzliche Gericht davon aus, daß der Antrag nach § 80
Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO zulässig ist. Diese Vorschrift ist unmittelbar anwendbar,
da der Antragsgegner den ursprünglich an den Grundstückseigentümer
gerichteten Bescheid mit Schreiben vom 24. November 1992 den
Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt und damit die Duldungsanordnung
auch ihm gegenüber getroffen hat (zur Abgrenzung von §§ 80 und 80 a VwGO vgl.
Kopp, VwGO, 9. Aufl., § 80 a Rdnr. 12). Der beschließende Senat teilt insbesondere
die in dem angefochtenen Beschluß zum Ausdruck gelangende Auffassung, daß
der Antragsteller als Grundstückspächter antragsbefugt ist; denn er ist Besitzer im
Sinne der §§ 854 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -. Wird er als solcher
durch verbotene Eigenmacht im Besitze gestört, so kann er nach § 862 Abs. 1
Satz 1 BGB von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen. Der
Antragsteller macht geltend, er werde aufgrund des Bescheides vom 25. August
1992 im Besitz des Pachtgrundstückes gestört, weil das Regierungspräsidium es
dem Beigeladenen gestatte, das Grundstück für eine Arbeits- und Abstellfläche
von bis zu 800 qm in Anspruch zu nehmen. In rechtlicher Hinsicht ist er der
Ansicht, daß die auf diese Weise eintretende Störung gesetzlich nicht gestattet
sei. Dieses Vorbringen enthält alle Merkmale, die nach § 858 Abs. 1 BGB die
verbotene Eigenmacht kennzeichnen.
Der von Bickel in dem Kommentar zum Hessischen Abfallwirtschafts- und
Altlastengesetz - HAbfAG - (4. Aufl., Wiesbaden 1993) vertretenen Auffassung, daß
der Besitzer bei der Duldung von Vorarbeiten für die Planung von
Abfallentsorgungsanlagen gegenüber der anordnenden Behörde kein eigenes
Recht habe (§ 15 Rdnr. 5), vermag sich der beschließende Senat nicht
anzuschließen. Nach dem Satz 1 der genannten Vorschrift haben die Eigentümer
und Nutzungsberechtigten von Grundstücken, soweit es für die Planung von
Abfallentsorgungsanlagen sowie die Vorbereitung oder Entscheidung eines
Antrages auf Planfeststellung erforderlich ist, auf Anordnung der zuständigen
Behörde nach vorheriger Ankündigung die notwendigen Arbeiten auf ihren
Grundstücken zu dulden. Die Bestimmung enthält keine ausdrückliche
Beschränkung dahin, daß sie lediglich das Rechtsverhältnis mit dinglich
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Beschränkung dahin, daß sie lediglich das Rechtsverhältnis mit dinglich
Nutzungsberechtigten regeln will. Auch außerhalb des Wortlauts finden sich für
eine solche Einschränkung keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Die von Bickel entwickelte Auslegung des § 15 HAbfAG soll der Behörde
augenscheinlich Schwierigkeiten ersparen, die sich daraus ergeben, daß sich ein
nur obligatorisch zur Nutzung berechtigter Besitzer schwer ermitteln läßt (a.a.O.
Rdnr. 5). Dabei geht Bickel jedoch zu Unrecht davon aus, daß der Besitzer kein
gegenüber jedermann und damit auch gegenüber der Behörde wirkendes Recht
habe. Wie oben dargelegt, ergibt sich das Gegenteil aus § 862 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Der Besitz stellt als solcher zwar anders als das Eigentum kein
verfassungsrechtlich geschütztes Recht dar. Zur Abwehr eines hoheitlichen
Eingriffs reicht es jedoch aus, daß sich der betroffene Bürger auf eine Regelung
des einfachen Rechts berufen kann. Der in der Kommentierung herangezogene
Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 1989 - 4 B 33.89 - (UPR
1989, 389) ist nicht einschlägig. Er betrifft die Frage, ob sich ein von einer für ein
benachbartes Grundstück erteilten Baugenehmigung und damit nur mittelbar
betroffener Grundstückspächter auf Vorschriften des Baugesetzbuchs berufen
kann. Dieser Fall unterscheidet sich von dem hier vorliegenden entscheidend
dadurch, daß das Regierungspräsidium mit dem Bescheid vom 25. August 1992
das vom Antragsteller gepachtete Grundstück als solches in Anspruch nimmt und
diesen damit unmittelbar in seinem Besitz trifft.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
gegen den vom Regierungspräsidium erlassenen Bescheid ist jedoch unbegründet,
wie das Verwaltungsgericht weiterhin zutreffend ausgeführt hat. Der vom
Antragsteller erhobene Widerspruch hat keine Aussicht auf Erfolg.
Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, daß der Bescheid ihm gegenüber
keine Wirksamkeit erlangt habe, weil er ihm nicht ordnungsgemäß zugestellt
worden sei. Hierzu wird auf die Ausführungen in dem mit der Beschwerde
angegriffenen Beschluß verwiesen. Der beschließende Senat teilt insbesondere die
Ansicht des Verwaltungsgerichts, daß der tatsächliche Zugang des Bescheides
vom 25. August 1992 bei den Bevollmächtigten des Antragstellers geeignet war,
auch einen Mangel des Zustellungsgegenstandes, nämlich die fehlende
Ausfertigung des Bescheides zu heilen. Entgegen den Ausführungen des
Antragstellers in der Beschwerdeschrift liegt hierin keine dem Antragsgegner
gewährte Nachsicht, sondern eine in § 9 Abs. 1 des
Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - ausdrücklich vorgesehene Heilung eines
Zustellungsmangels.
Im übrigen wird erneut auf die zutreffenden Gründe des Beschlusses des
Verwaltungsgerichts Bezug genommen. Insbesondere ist dort in nicht zu
beanstandender Weise ausgeführt, aus welchen Gründen die Voraussetzungen für
eine Anwendung des § 15 HAbfAG vorliegen, soweit der Antragsteller verpflichtet
wird, das von ihm gepachtete Grundstück als Arbeits- und Abstellfläche für die
Niederbringung eines Brunnens auf dem benachbarten Grundstück zur Verfügung
zu stellen.
Im ersten Rechtszug hat der Antragsteller überdies gerügt, daß es an einer
wasserrechtlichen Erlaubnis für die Bohrungen auf dem Nachbargrundstück fehle.
Tatsächlich läßt sich den dem Senat vorliegenden Akten (ein Hefter Prozeßakten
und ein Hefter Behördenakten des Regierungspräsidiums) nicht entnehmen, ob
eine Erlaubnis nach § 7 des Wasserhaushaltsgesetzes - WHG - erteilt worden ist.
Jedoch ist zu berücksichtigen, daß die Erlaubnis lediglich eine widerrufliche Befugnis
zur Benutzung eines Gewässers gewährt. Die Wasserbehörde ist daher lediglich
dann verpflichtet, bei der Erteilung einer Erlaubnis den Belangen Dritter Rechnung
zu tragen, wenn für diese nachteilige Wirkungen zu erwarten und nicht lediglich
denkbar sind (Sieder-Zeitler, Wasserhaushaltsgesetz, München 1993, § 7 Rdnr. 12
a). Auf dieser Grundlage kann der Antragsteller nicht mit Erfolg geltend machen,
durch die Niederbringung eines Brunnens auf dem Nachbargrundstück ohne
wasserrechtliche Erlaubnis in eigenen Rechten verletzt zu sein, weil er nicht
vorgetragen hat, daß ihn nachteilige Wirkungen treffen würden. Die Bohrarbeiten
treffen anders als die Anlage einer Arbeits- und Abstellfläche den Antragsteller
nicht unmittelbar auf dem von ihm gepachteten Grundstück, sondern lediglich
mittelbar als Nachbarn des für den Brunnen benötigten Wegegrundstücks.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Dabei entspricht es nicht
der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3
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der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3
VwGO für erstattungsfähig zu erklären, denn er hat keinen Antrag gestellt und sich
damit nach § 154 Abs. 3 VwGO keinem Kostenrisiko ausgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und dem
entsprechend anzuwendenden § 14 GKG. Der beschließende Senat lehnt sich bei
der Festsetzung an den von Richtern der Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelten
Streitwertkatalog (abgedruckt DVBl. 1991, 1239 = NVwZ 1991, 1156) an. Soweit
ein Bürger durch Vorbereitungsarbeiten für eine Abfallentsorgungsanlage betroffen
ist, ist dort für das Klageverfahren grundsätzlich ein Streitwert von 10.000,-- DM
vorgesehen. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist es angemessen, die
Hälfte dieses Wertes, also 5.000,-- DM in Ansatz zu bringen. Der Senat macht von
der ihm durch § 25 Abs. 2 Satz 3 GKG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, die
Streitwertfestsetzung für den ersten Rechtszug entsprechend abzuändern.
Heitsch Heuser Schulz
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.