Urteil des HessVGH vom 04.06.1992

VGH Kassel: ausbildung, härtefall, erwerbstätigkeit, auflage, sozialhilfe, behinderung, zink, immaterialgüterrecht, quelle, zivilprozessrecht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 TG 2812/91
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 26 S 2 BSHG, § 26 S 1
BSHG
(Sozialhilfe: besonderer Härtefall für Hilfsbedürftigkeit
während der Ausbildung - nicht ausbildungsbedingter
Bedarf)
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache Erfolg, denn der
Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 123
Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 920 Abs. 2
Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Das Verwaltungsgericht hat - zunächst - zutreffend dargelegt, daß das vom
Antragsteller an der Gesamthochschule Kassel im integrierten Studiengang
betriebene Studium der Stadtplanung im Sinne von § 26 Satz 1
Bundessozialhilfegesetz - BSHG - dem Grunde nach förderungsfähig ist. Der Senat
nimmt insoweit auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung
Bezug.
Hieran anknüpfend ist der Senat jedoch - entgegen dem Verwaltungsgericht - der
Auffassung, daß ein Anspruch des Antragstellers auf Hilfe zum Lebensunterhalt im
Hinblick auf § 26 BSHG zu verneinen ist, denn der Antragsteller macht weder einen
Bedarf geltend, der nicht ausbildungsgeprägt im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Januar
1985 - 5 C 29.84, FEVS 33, 12 f.) ist, noch liegt ein Härtefall im Sinne des § 26 Satz
2 BSHG vor, der ausnahmsweise einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt
begründen kann.
Die Sonderregelung des § 26 Satz. 1 BSHG schließt regelmäßig Leistungen auf
Hilfe zum Lebensunterhalt für Auszubildende im Sinne des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes aus
mit dem Ziel, die Ausbildungen nur noch durch die Ämter für
Ausbildungsförderung bzw. die Arbeitsämter zu fördern (vgl.
Bundessozialhilfegesetz, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Auflage, § 26, Rdnr. 1).
Wird der Auszubildende nicht (mehr) aufgrund der Bestimmungen des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes bzw. des Arbeitsförderungsgesetzes
gefördert, dann muß er notfalls seine Ausbildung abbrechen und sich seinen
Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit verdienen (vgl. Bay. VGH, Beschluß vom
20. November 1984 - Nr. 12 CE 84 A. 2925, FEVS 34, 142 (145)). Dies hat jedoch
nicht zur Folge, daß der Auszubildende, dessen Ausbildung im Sinne des Gesetzes
förderungsfähig ist, von jeder Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen ist.
Vielmehr ist danach zu unterscheiden, ob die Hilfe zum Lebensunterhalt dazu
dienen soll, einen ausschließlich ausbildungsgeprägten oder einen Bedarf zu
decken, der auf Umständen beruht, die von der förderungsfähigen Ausbildung
unabhängig sind (vgl. Gottschick/Giese, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, 9.
Auflage 1985 § 26, Rdnrn. 1 und 2; Mergler/Zink, Bundessozialhilfegesetz, Lose
blatt-Kommentar, 4. Auflage Stand Januar 1991, § 26, Rdnrn. 10 und 14).
In Anknüpfung an seine frühere Rechtsprechung zu § 31 BSHG alter Fassung hat
das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 1985 (a.a.O.)
gefolgert, daß eine durch das Ausbildungsförderungsgesetz bzw.
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gefolgert, daß eine durch das Ausbildungsförderungsgesetz bzw.
Arbeitsförderungsgesetz dem Grunde nach anerkannte Ausbildung nicht daran
scheitern kann, daß in der Person des Auszubildenden Umstände vorliegen, die
einen besonderen Bedarf begründen und die herkömmlicherweise mit der
Ausbildung nichts zu tun haben. Ein erhöhter Bedarf, der unabhängig von der
Ausbildung besteht, nicht ausbildungsbedingt und nicht von der
Ausbildungsförderung der in Rede stehenden Gesetze umfaßt wird, soll nämlich
durch § 26 Satz 1 BSHG nicht ausgeschlossen sein (z. B. Kosten für
Umstandskleidung; durch Krankheit bedingte kostenaufwendigere Ernährung).
Eine solche Konstellation liegt jedoch im Falle des Antragstellers nicht vor, denn
seine dem Grunde nach als förderungsfähig anerkannte Ausbildung scheitert nicht
an Umständen, die einen besonderen - über den regelmäßigen hinausgehenden -
Bedarf begründen und mit der Ausbildung nichts zu tun haben, sondern vielmehr
nach der Entscheidung des Studentenwerks Kassel vom 22. Juli 1983 daran, daß in
seiner Person die konkreten Förderungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 2 und 3
BAföG nicht erfüllt sind. In einem solchen Fall hat aber der Gesetzgeber durch die
Regelung des § 26 Satz 1 BSHG einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt
ausschließen wollen, denn eine Ausbildung, die nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz förderungsfähig ist, soll lediglich nach diesem
Gesetz und nur in dem Umfang gefördert werden, den das Gesetz vorsieht (vgl.
OVG Lüneburg, Beschluß vom 16. Mai 1983 - 4 B 156/82, FEVS 33, 149 f.).
Der Senat vermag im Falle des Antragstellers auch keinen von den Regelfällen des
§ 26 Satz 1 BSHG abweichenden Härtefall im Sinne von § 26 Satz 2 BSHG zu
erkennen. Ein besonderer Härtefall kann vor allem dann in Betracht kommen,
wenn die Ausbildung für die Hilfsbedürftigkeit nicht ursächlich ist, wenn also auch
bei einem Abbruch der Ausbildung Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren wäre,
weil der Auszubildende aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, einer
Erwerbstätigkeit (wenn auch in beschränktem Umfang) nachzugehen (vgl. OVG
Lüneburg a.a.O. Seite 150; Mergler/Zink, a.a.O, § 26 Rdnr. 18). Denn § 26 BSHG
bezweckt nicht, auch solchen Auszubildenden die Gewährung von Hilfe zu
verweigern, die selbst bei einem Abbruch ihrer Ausbildung nicht in der Lage sind,
ihre Hilfsbedürftigkeit aus eigenen Kräften zu beseitigen und dadurch selbst von
Sozialhilfe unabhängig zu werden.
Im vorliegenden Fall sind keine solchen außergewöhnlichen Umstände gegeben,
die das Studium des Antragstellers als Ursache für seine Hilfsbedürftigkeit
ausschließen. Ob der Antragsteller aufgrund seiner früheren Alkoholabhängigkeit
aus ärztlicher Sicht noch heute zum Kreis der Behinderten im Sinn von § 39 BSHG
zu zählen ist, erscheint zweifelhaft. Zwar muß vom medizinischen Standpunkt aus
bei nachgewiesener Alkoholabhängigkeit eine Heilungsbewährung im allgemeinen
von zwei Jahren abgewartet werden, während der in der Regel ein Grad der
Behinderung (G.d.B.) um 30 vom Hundert anzunehmen ist (vgl. die zum
Schwerbehindertengesetz umschriebenen und vom Bundesministerium für Arbeit
und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im Sozialentschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertengesetz, auszugsweise abgedruckt in Dörner,
Schwerbehindertengesetz, Kommentar, Stand Dezember 1991, Bundesrecht 3/4).
Dieser Zeitraum ist jedoch im Hinblick darauf, daß der Antragsteller nach eigenem
Vortrag seit seinem am 19. Juli 1988 angetretenen Kuraufenthalt am Mahlertshof
(bei Hünfeld) abstinent ist, jedenfalls im Zeitpunkt der Stellung des Eilantrages am
03. September 1991 um mehr als ein Jahr verstrichen, weshalb die in die
Bewährungszeit fallenden ärztlichen Stellungnahmen vom 31. Januar 1990 (Dr.),
29. März 1990 (Dres. K und) und vom 23. November 1990 (D) heute nicht mehr
geeignet sind, das Vorliegen eines besonderen Härtefalles zu begründen.
Aus der allein zur Klärung geeigneten ärztlichen Bescheinigung des Städtischen
Klinikums Fulda vom 09. Oktober 1991 läßt sich nicht schließen, daß der
Antragsteller seit dem 03. September 1991 (Zeitpunkt der Stellung des
Eilantrages) aufgrund seiner früheren Alkoholabhängigkeit heute (noch) nicht in
der Lage sein könnte, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die ärztliche
Stellungnahme enthält im wesentlichen die Aussage, daß das Studium einen
günstigen Effekt auf die gesundheitliche Entwicklung des Antragstellers und seine
Stabilisierung haben dürfte. Eine Aussage dergestalt, er werde bei Aufgabe seiner
Ausbildung von der Hilfe zum Lebensunterhalt abhängig sein, weil er auf Grund
einer vorhandenen psychischen Behinderung keiner Erwerbstätigkeit nachgehen
könne, läßt sich dem Attest hingegen nicht entnehmen.
10 Diese Schlußfolgerung steht nach Auffassung des Senats auch im Einklang mit der
Tatsache, daß der Antragsteller sowohl während der Semesterferien im Sommer
1991 als auch während des Wintersemesters 1991/92 nach eigener Einlassung
neben seinem Studium gearbeitet hat.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.