Urteil des HessVGH vom 20.05.2003

VGH Kassel: aufenthaltserlaubnis, berechnung der frist, besitz, einreise, onkel, pakistan, ausländerrecht, richteramt, datum, fotokopie

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UE 2956/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 7 AufenthEWGG, § 26 Abs
1 AuslG 1990, § 96 Abs 3 S
1 AuslG 1990, § 96 Abs 2
AuslG 1990
(Berücksichtigung von Zeiten zum Zwecke des Zuzugs zu
einem Familienangehörigen und des Besitzes einer
Aufenthaltsgenehmigung beim Nachweis des achtjährigen
Besitzes eines Aufenthaltstitels)
Leitsatz
1. Auch die Zeit des Besitzes einer nach § 7 Aufenthaltsgesetz/EWG zum Zwecke des
Zuzugs zu einem Familienangehörigen erteilten Aufenthaltserlaubnis-EU kann im
Rahmen des § 26 Abs. 1 AuslG, der die Erteilung einer unbefristeten
Aufenthaltserlaubnis an den achtjährigen Besitz eines Aufenthaltstitels knüpft,
berücksichtigt werden.
2. Zur Erfüllung des Zeitraums von acht Jahren im Rahmen des § 26 Abs. 1 AuslG sind
auch die Zeiten nach § 96 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 AuslG, die als Zeiten des Besitzes einer
Aufenthaltsgenehmigung anzurechnen sind, heranzuziehen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am
Main vom 19. Juni 2001 (Az.: 13 E 847/01 [3]) abgeändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 18. November 1999 und
des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 24. Januar
2001 verpflichtet, dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten
abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1975 geborene Kläger, dessen Familienname in den Behördenvorgängen in
unterschiedlicher Schreibweise wiedergegeben ist (teilweise A., teilweise C.) ist
pakistanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 30. August 1990 nach Deutschland
mit der von ihm bekundeten Absicht ein, sich bei seinem Vater M. S. C.
aufzuhalten, der ausweislich einer Bestätigung der Hauseigentümerin vom 8. Juli
1991 in Frankfurt am Main, in einer 65 qm großen Dreizimmerwohnung wohnte, wo
sich der Kläger in der Folgezeit ebenfalls mit Hauptwohnung anmeldete. Als Mutter
gab der Kläger in seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine
(verstorbene) Frau M. C. an. Er legte die Fotokopie eines Auszugs aus dem
Geburtsregister vor, in der diese beiden Personen als seine Eltern aufgeführt sind.
Ferner überreichte der Kläger der Ausländerbehörde der Beklagten die beglaubigte
Übersetzung einer englischsprachigen Sterbeurkunde, nach der eine Frau M. B. als
Ehefrau des M. S. C. am 8. März 1980 im Alter von 35 Jahren in Pakistan an den
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Ehefrau des M. S. C. am 8. März 1980 im Alter von 35 Jahren in Pakistan an den
Folgen eines Unfalls verstorben sei.
In der Behördenakte der Beklagten befindet sich unter dem Datum des 22.
November 1990 und des 10. Juli 1991 handschriftliche Vermerke, wonach der
Vater des Klägers seit 15. April 1983 mit einer Irin verheiratet sei. Er habe die
irische Staatsangehörigkeit angenommen und sei im Besitz einer EG-Karte, gültig
bis 25. September 1994. Demnach finde (sc. auf den Kläger) § 7
Aufenthaltsgesetz/EWG Anwendung.
Am 10. Juli 1991 wurde dem Kläger eine bis 25. September 1994 gültige
Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt.
Unter dem 10. August 1994 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner
Aufenthaltserlaubnis.
In einem behördeninternen handschriftlichen Vermerk vom 23. August 1994 wird
erneut auf die irische Staatsangehörigkeit des Vaters des Klägers und auf das
Einreisdatum 30. August 1990 hingewiesen und sodann ausgeführt, dass eine "AE-
u" (offenbar unbefristete Aufenthaltserlaubnis) nach " 26 Abs. 1" (offenbar
Ausländergesetz) erst im August 1998 möglich sei. Der Kläger erhielt sodann
ausweislich einer in den Behördenakten enthaltenen Bearbeitungsverfügung am 2.
November 1994 eine bis 30. August 1998 gültige Aufenthaltserlaubnis in Form
einer "EG-Karte" (Original Bl. 51 der Behördenakte).
In der Folgezeit gingen bei der Ausländerbehörde der Beklagten mehrere anonyme
Schreiben ein, in denen - im Wesentlichen zusammengefasst - die Behauptung
aufgestellt wurde, dass S. M. C. nicht der Vater des Klägers sei, sondern ein Bruder
des Vaters. Letzterer lebe nach wie vor in Pakistan. Auch die Mutter des Klägers
lebe dort. Anders lautende Urkunden seien gefälscht.
Unter dem 29. Juli 1998 beantragte der Kläger die Erteilung einer unbefristeten
Aufenthaltserlaubnis.
Mit Schreiben vom 5. Januar 1999 teilte die deutsche Botschaft in Islamabad der
Beklagten das Ergebnis ihrer auf Bitten der Beklagten durchgeführten
Nachforschungen mit. Danach sei der Kläger nicht der Sohn, sondern der Neffe
des M. S. C. Sein Vater sei A. Q., ein Bruder des Mohammad S. C. M. B. sei die
Mutter des Klägers, die aber nie mit M. S. C. verheiratet gewesen sei, sondern
ausschließlich mit dessen vorgenanntem Bruder. Eine anderslautende
Heiratsurkunde sei gefälscht. M. B. sei auch nicht im Jahre 1980 verstorben,
sondern lebe noch heute in Rawalpindi. Auch die Sterbeurkunde sei daher
gefälscht.
Nach Anhörung des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. November
1999 dessen "Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung" vom 29. Juli
1999 ab. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf das Ergebnis ihrer
Nachforschungen, die ergeben hätten, dass sich der Kläger seinen Aufenthalt
durch unrichtige Angaben erschlichen habe. Auf die weiteren Ausführungen wird
Bezug genommen.
Den Widerspruch des Klägers gegen die vorgenannte Verfügung wies das
Regierungspräsidium in Darmstadt mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2001
zurück.
Am 28. Februar 2001 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht A-Stadt mit
dem Ziel der Aufhebung der genannten Bescheide und Verpflichtung der
Beklagten, seine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern.
Er bestritt, nicht der Sohn des M. S. C. zu sein. Die von ihm vorgelegten Urkunden
seien echt. Zumindest habe er reinen Gewissens gehandelt. Wenn die Vorwürfe
der Beklagten wirklich zutreffend sein sollten, sei er Opfer von Manipulationen
seiner Familie geworden. Er sei als Jugendlicher nach Deutschland verbracht
worden und habe hier ein vollkommen neues Leben angefangen. Durch den
Zeitablauf, seine schulische Ausbildung, seine guten Deutschkenntnisse und seine
schon mehrjährige Arbeit sei er hier vollkommen integriert. Mit Pakistan verbinde
ihn nichts. Er habe mittlerweile auch versucht, Unterlagen aus Pakistan zu
bekommen, die die Behauptung der Ausländerbehörde, sein Vater sei in
Wirklichkeit sein Onkel, widerlegen könnten. Er habe zu seinem Vater - dem
angeblichen Onkel - Kontakt aufgenommen, und dieser habe bestätigt, dass er,
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angeblichen Onkel - Kontakt aufgenommen, und dieser habe bestätigt, dass er,
der Kläger, sein Sohn sei. Hierüber sei eine beglaubigte eidesstattliche
Versicherung in englischer Sprache angefertigt worden, die der Kläger in Fotokopie
zu den Gerichtsakten reichte. Im Übrigen regte der Kläger die Klärung der
Familienverhältnisse durch einen Gentest an.
Der Kläger beantragte,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 18. November 1999 in der
Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2001 zu verpflichten, ihm die
Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.
Die Beklagte beantragte unter Bezugnahme auf die angegriffenen Bescheide,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 19. Juni 2001 wies das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die
Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf
Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Ein solcher Anspruch ergebe sich nicht
aus dem Aufenthaltsgesetz/EWG. Der Kläger selbst sei nicht EU-Bürger. Sein
angeblicher Vater, der vorübergehend als irischer Staatsangehöriger anzusehen
gewesen sei, mache jedenfalls aktuell keinen Gebrauch von einem aus
Europarecht abgeleiteten Freizügigkeitsrecht und halte sich mittlerweile nicht mehr
in Europa auf, so dass weder die Verlängerung noch die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung vom Vater des Klägers
abgeleitet werden könne. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Erteilung
oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des
Ausländergesetzes. Ihm könne die begehrte unbefristete Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis nicht nach § 26 AuslG erteilt werden, denn diese Vorschrift
setze den Besitz der Aufenthaltserlaubnis für mindestens acht Jahre voraus. Dem
Kläger sei aber eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung
insgesamt nur für die Zeit vom 10. Juli 1991 bis zum 30. August 1998, das heißt
für etwas über sieben Jahre, erteilt worden. Die unbefristete Verlängerung könne
auch nicht auf § 24 AuslG gestützt werden, weil der Kläger als Kind nach
Deutschland gezogen sei und § 24 AuslG durch § 26 AuslG verdrängt werden.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 25. Oktober 2002 die
Berufung gegen das vorgenannte Urteil zugelassen.
Zur Begründung des zugelassenen Rechtsmittels trägt der Kläger vor, ihm müsse
eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 26 Abs. 1 Satz 2 AuslG erteilt
werden. Im Zeitpunkt des Ablaufs seiner letzten Aufenthaltserlaubnis am 30.
August 1998 sei er bereits acht Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis
gewesen. Als erforderliche Aufenthaltszeit zähle dabei nicht nur der Zeitraum seit
Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG am 10. Juli 1991, wie es das
Verwaltungsgericht annehme, sondern bereits der Zeitraum ab seiner Einreise am
30. August 1990, denn er habe damals noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet,
habe visumsfrei einreisen können und sei vor Vollendung des 16. Lebensjahres
nicht aufenthaltserlaubnispflichtig gewesen. Sein Aufenthalt sei daher seit August
1990 rechtmäßig, und die Aufenthaltszeit ab August 1990 sei als fiktive Besitzzeit
einer Aufenthaltserlaubnis anzurechnen (§ 96 Abs. 3 Satz 1 AuslG), wobei
unerheblich sei, zu welchem Zweck die Einreise erfolgt sei. Im Übrigen habe er von
Anfang an bestritten, nicht der leibliche Sohn des irischen Staatsangehörigen M. S.
C. zu sein. Er habe zum Nachweis des Verwandtschaftsverhältnisses Beweis durch
Einholung eines Abstammungsgutachtens angeboten. Die Beklagte habe bislang
keine stichhaltigen Gründe für ihre Behauptung vorgelegt, der Vorgenannte sei
nicht sein Vater, sondern sein Onkel.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts A-Stadt vom 19. Juni 2001 aufzuheben und die
Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 18. November 1999 in der
Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2001 zu verpflichteten, ihm
eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 26 AuslG zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass der Kläger nach dem im Zeitpunkt seiner Einreise am
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Sie weist darauf hin, dass der Kläger nach dem im Zeitpunkt seiner Einreise am
30. August 1990 geltenden Ausländerrecht bis zur Vollendung des 16.
Lebensjahres von dem Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung befreit gewesen
sei. Erst mit Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes am 1. Januar 1991 sei er
aufenthaltsgenehmigungspflichtig geworden. Allerdings sehe die
Übergangsregelung des § 96 Abs. 2 AuslG zur Stellung eines Antrags auf Erteilung
einer Aufenthaltsgenehmigung eine Übergangsfrist von einem Jahr vor. Der Kläger
habe am 14. Februar 1991 die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung beantragt.
Dieser Zeitpunkt liege sowohl vor Vollendung des 16. Lebensjahres (28. März
1991) als auch innerhalb der Übergangsfrist. Gemäß § 96 Abs. 3 AuslG wäre dieser
Zeitraum bei der Berechnung der Frist somit anzurechnen, sofern auch die
folgenden Zeiten (Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG) Anrechnung finden
sollten. Mit Verfügung vom 18. November 1999 sei zwar die Verlängerung der
Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt, nicht jedoch die Aufenthaltserlaubnis
zurückgenommen worden. Der hierfür vorgesehene Zeitrahmen von einem Jahr (§
48 Abs. 3 VwVfG) sei nunmehr überschritten. Maßnahmen hierauf basierend
könnten nicht mehr eingeleitet werden. Der erforderliche Besitz der
Aufenthaltserlaubnis von acht Jahren wäre somit exakt erfüllt, da die
Aufenthaltserlaubnis bis zum 30. August 1998 erteilt worden sei. § 26 Abs. 1 Satz
2 AuslG setzte jedoch voraus, dass die Aufenthaltserlaubnis zu dem in § 17 Abs. 1
AuslG bezeichneten Zweck erteilt worden sei. Es erscheine fraglich, ob dies
vorliegend tatsächlich der Fall sei. Fakt sei, dass die Aufenthaltserlaubnis-EG in der
Annahme erteilt worden sei, dass es sich um eine Familienzusammenführung zu
dem hier lebenden Vater handele. Das Zusammenleben wäre sodann auch den
Anforderungen des § 17 Abs. 1 AuslG gerecht geworden. Die familiäre
Lebensgemeinschaft mit dem Vater sei jedoch nie aufgenommen worden, da der
Nachzug nicht zum Vater, sondern zum Onkel erfolgt sei. Hierfür sei die
Aufenthaltserlaubnis jedoch nicht erteilt worden.
Beide Beteiligte haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung
verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden des Senats
einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der
beigezogenen Behördenvorgänge und Gerichtsakten ergänzend Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil erster Instanz, über
die der Vorsitzende des Senats mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entscheiden kann (§§ 87a Abs. 2, 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO), ist
zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten
Aufenthaltserlaubnis nach § 26 Abs. 1 Satz 2 AuslG.
Danach ist eine Aufenthaltserlaubnis, die einem minderjährigen Ausländer zu dem
in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck erteilt wurde, unbefristet zu verlängern,
wenn der Ausländer volljährig und seit acht Jahren im Besitz der
Aufenthaltserlaubnis ist (§ 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AuslG) und wenn darüber hinaus
in seiner Person die Voraussetzungen der Nummern 2 und 3 des § 26 Abs. 1 Satz
2 AuslG vorliegen.
Dass der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen der Nummern 2 und 3 des
§ 26 Abs. 1 Satz 2 AuslG erfüllt, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und
bedarf keiner Erörterung. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des Gerichts
erster Instanz kann sich der - volljährige - Kläger aber auch mit Erfolg darauf
berufen, seit acht Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 26
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 1 AuslG zu sein, also einer
Aufenthaltserlaubnis, die ihm zu dem in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck,
nämlich zur Wahrung einer unter dem Schutz des Art. 6 GG stehenden familiären
Lebensgemeinschaft mit einem in Deutschland lebenden Ausländer erteilt wurde.
Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 10. Juli 1991 eine bis zum 25.
September 1994 gültige Aufenthaltserlaubnis, wobei den Behördenakten zu
entnehmen ist, dass diese Entscheidung auf § 7 des Gesetzes über Einreise und
Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG) gestützt wurde.
Nach Absatz 1 dieser Vorschrift erhalten Familienangehörigen im Sinne des § 1
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Nach Absatz 1 dieser Vorschrift erhalten Familienangehörigen im Sinne des § 1
Abs. 2 Aufenthaltsgesetz/EWG auf Antrag eine Aufenthaltserlaubnis-EG, wenn die
Person, deren Familienangehörige sie sind, eine Aufenthaltserlaubnis-EG besitzt
und weitere Voraussetzungen erfüllt sind, auf die es im vorliegenden
Zusammenhang nicht entscheidend ankommt. Diese Entscheidung der Beklagten
beruhte - dies folgt zweifelsfrei aus den Behördenvorgängen - auf ihrer damaligen
aus den Angaben des Klägers gewonnenen Einschätzung, dass der Kläger zu
seinem in Deutschland lebenden Vater M. S. C. nachgezogen sei, der seinerseits -
nach den damals gewonnenen Erkenntnissen der Beklagten - als irischer
Staatsangehöriger im Besitz einer - ebenfalls bis zum 25. September 1994
befristeten - Aufenthaltserlaubnis-EG war. Die dem Kläger erteilte
Aufenthaltserlaubnis-EG wurde somit zu dem in §§ 26 Abs. 1, 17 Abs. 1 AuslG
genannten Zweck erteilt, denn diese tatbestandliche Voraussetzung für die
Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach dem Ausländergesetz
kann auch mit Blick auf einen vorhergehenden, nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG
erteilten Aufenthaltstitel erfüllt sein (vgl. z.B. Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999,
§ 26 AuslG, Rdn. 2; Hailbronner, Ausländerrecht, § 7a AufenthG/EWG, Rdn. 15; vgl.
auch Fischer, Zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG, ZAR 1991, 3 [8]).
Der Aufenthaltstitel des Klägers wurde sodann im November 1994 - wiederum als
Aufenthaltserlaubnis-EG - bis zum 30. August 1998 verlängert.
Ob die Aufenthaltserlaubnisse nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG in den Jahren
1991 und 1994 zu Recht erteilt wurden oder ob sie nicht hätten erteilt werden
dürfen, weil der Kläger - wie die Beklagte heute meint - nicht zu seinem Vater,
sondern zu einem Onkel nachgezogen sei, bedarf keiner Erörterung, da dieser
Umstand - selbst wenn er vorläge - am Bestand der jeweiligen
Aufenthaltserlaubnis und an dem Zweck, zu dem sie erteilt wurde, nichts ändern
würde. Die Beklagte hat auch zu keinem Zeitpunkt den Versuch unternommen,
aus den von ihr gewonnenen Erkenntnissen über die vermeintlich wahren
Verwandtschaftsverhältnisse Konsequenzen in Bezug auf den Bestand der dem
Kläger in den Jahren 1991 und 1994 erteilten Aufenthaltserlaubnisse zu ziehen.
Der Kläger hat auch - nach Maßgabe der folgenden Ausführungen - das weitere
Tatbestandsmerkmal des § 26 Abs. 1 Satz 2 AuslG erfüllt, nämlich den
achtjährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.
Zutreffend ist allerdings - dies stellt das Verwaltungsgericht in den Mittelpunkt
seiner die Klageabweisung tragenden Überlegungen - dass der Kläger eine ihm
ausdrücklich erteilte Aufenthaltserlaubnis-EG nur im Zeitraum vom 10. Juli 1991 -
Datum der erstmaligen Erteilung - bis zum 30. August 1998 besaß, also insgesamt
keine acht Jahre. Dies erweist sich indes als unschädlich, weil der Kläger sich mit
Erfolg auf die Regelung in §§ 96 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 AuslG berufen kann.
Danach sind - soweit für den Erwerb einer ausländerrechtlichen Rechtsposition die
Dauer des Besitzes einer Aufenthaltsgenehmigung maßgebend ist - bei
Ausländern, die vor Vollendung des 16. Lebensjahres eingereist sind, der
rechtmäßige Aufenthalt vor Inkrafttreten des Ausländergesetzes ("dieses
Gesetzes") und der rechtmäßige Aufenthalt nach Absatz 2 Satz 2 des § 96 AuslG
als Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsgenehmigung anzurechnen.
Das geltenden Ausländergesetz vom 9. Juli 1990 ist am 1. Januar 1991 in Kraft
getreten. Im Zeitraum zwischen seiner Einreise nach Deutschland am 30. August
1990 und dem In-Kraft-Treten des Ausländergesetzes benötigte der Kläger, da er
das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, nach damaliger Rechtslage keine
Aufenthaltsgenehmigung. Sein auf diesen Zeitraum entfallender Aufenthalt war
somit rechtmäßig. Er blieb auch über den 1. Januar 1991 hinaus rechtmäßig, da
der Kläger innerhalb der in § 96 Abs. 2 Satz 1 AuslG genannten, ab 1. Januar 2001
laufenden Jahresfrist die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung mit der Folge
beantragt hatte, dass für ihn die Befreiung vom Erfordernis der
Aufenthaltserlaubnis, die vor In-Kraft-Treten des Ausländergesetzes bestanden
hatte, zunächst fortgalt.
Unter Beachtung des § 96 Abs. 3 Satz 1 AuslG kann sich der Kläger daher, was die
Dauer des Besitzes einer Aufenthaltsgenehmigung im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz
2 Nr. 1 AuslG angeht, mit Erfolg nicht nur auf den Zeitraum vom 10. Juli 1991 bis
zum 30. August 1998 berufen, sondern darüber hinaus auch auf den Zeitraum
zwischen seiner Einreise am 30. August 1990 und der (erstmaligen) Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis am 10. Juli 1991, so dass er die Voraussetzung des
achtjährigen Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt (vgl. hierzu Renner, a.a.O.,
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achtjährigen Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt (vgl. hierzu Renner, a.a.O.,
Rdn. 4).
Da die Beklagte in diesem Rechtsstreit unterlegen ist, hat sie die Kosten des
gesamten Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr.
10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung:
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde innerhalb eines Monats
nach Zustellung dieser Entscheidung angefochten werden. Die Beschwerde ist
beim
Hessischen Verwaltungsgerichtshof
Brüder-Grimm-Platz 1
34117 Kassel
durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule
im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt
einzulegen; juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können
sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie
Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte
oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen
Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes,
dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. Die Beschwerde muss die
Entscheidung bezeichnen, die angefochten werden soll.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieser
Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Hessischen
Verwaltungsgerichtshof einzureichen. In der Begründung muss entweder
- die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden
oder
- die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
bezeichnet werden, wenn geltend gemacht wird, von ihr werde in der in dem
vorliegenden Verfahren ergangenen Entscheidung abgewichen und die
Entscheidung beruhe auf dieser Abweichung,
oder
- ein Verfahrensmangel bezeichnet werden, auf dem die Entscheidung beruhen
kann.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4000 € festgesetzt (§§ 14 Abs. 1, 13
Abs. 1 Satz 2 GKG)
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 GKG, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.