Urteil des HessVGH vom 03.12.1987

VGH Kassel: darstellung des sachverhaltes, auflage, postulationsfähigkeit, vertreter, ermessen, fürsorge, gerichtsakte, klagegegenstand, eingriff, mittellosigkeit

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TE 3454/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 67 Abs 2 S 2 VwGO
(Verlust der Postulationsfähigkeit; Beiordnung eines
Bevollmächtigten)
Gründe
I.
Der 1927 geborene Kläger, der nach eigenen Angaben in der Zeit von 1951 bis
1977 entmündigt war, hatte im Dezember 1986 bei der Beklagten einen Antrag
auf "Grundsteuerermäßigung" gestellt. Nachdem die Beklagte den Antrag
abgelehnt und den dagegen eingelegten Widerspruch zurückgewiesen hatte, erhob
der Kläger am 6. Mai 1987 beim Verwaltungsgericht Wiesbaden
"Anfechtungsklage". Im Klageschriftsatz wiederholte er zum Teil wortwörtlich den
Text des Widerspruchsbescheides, reihte teilweise zusammenhanglose Sätze
aneinander und brachte persönliche Einzelheiten aus seinem Leben und dem
Leben seiner Familie vor, die mit dem Klagegegenstand offensichtlich in keinem
Zusammenhang stehen.
Mit Beschluß vom 23. September 1987, dem Kläger zugestellt am 1. Oktober 1987
und berichtigt durch Beschluß vom 19. Oktober 1987, gab das Verwaltungsgericht
dem Kläger auf, einen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen. Zur Begründung war
ausgeführt, daß der Kläger in diesem Verfahren seine Rechte nicht ohne
Mitwirkung eines Prozeßbevollmächtigten sachgemäß wahrnehmen könne. Denn
wie die im Verwaltungs- und Klageverfahren eingereichten Schriftsätze zeigten,
gelinge es ihm nicht, die für seine Steuerangelegenheit wesentlichen Tatsachen
von familiären Vorkommnissen zu trennen und eine für Andere verständliche
Darstellung des Sachverhaltes zu liefern.
Hiergegen hat der Kläger am 13. Oktober 1987 Beschwerde eingelegt und sich
sinngemäß unter anderem darauf berufen, daß er als Frührentner nicht in der Lage
sei, einen Prozeßbevollmächtigten zu bezahlen. Im übrigen trägt er - ähnlich wie
im Klageschriftsatz - vor allem höchstpersönliche Dinge vor, die in keinem
Zusammenhang mit dem Klage- oder Beschwerdeverfahren stehen.
Die Beklagte, die keinen Antrag stellt, stimmt der verwaltungsgerichtlichen
Entscheidung zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Behördenvorgänge (ein Hefter) und auf den Inhalt von Anzeigen
und Petitionen des Klägers (ein Hefter) aus dem Zeitraum vom 22. Oktober 1978
bis zum 6. März 1987, die er (unter anderem) an den Hessischen
Verwaltungsgerichtshof in Kassel gerichtet hat, Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 VwGO). Der bereits mit der getroffenen
Anordnung eingetretene Verlust der Postulationsfähigkeit (vgl. Kopp, VwGO, 7.
Auflage, § 67 Rdnr. 22) schließt es zwar aus, daß der Kläger im erstinstanzlichen
Klageverfahren wirksam Prozeßhandlungen vornehmen und Erklärungen abgeben
kann. Der Kläger ist jedoch berechtigt, die vom Verwaltungsgericht getroffene
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kann. Der Kläger ist jedoch berechtigt, die vom Verwaltungsgericht getroffene
Entscheidung - ähnlich wie bei einem Streit um die Prozeßfähigkeit - vom
Rechtsmittelgericht überprüfen zu lassen, denn die Anordnung beschränkt sich auf
die jeweilige Instanz und betrifft nicht die Einlegung von Rechtsmitteln (vgl. OVG
Berlin, Beschluß vom 17. August 1977 - DÖV 1977,795; Kopp, a.a.O.).
Die Beschwerde ist auch begründet. Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 VwGO kann durch
Beschluß angeordnet werden, daß ein Bevollmächtigter bestellt oder ein Beistand
hinzugezogen werden muß. Diese Anordnung steht im Ermessen des Gerichts und
dient einerseits der Fürsorge für solche Prozeßbeteiligte, deren Rechtsverfolgung
an ihrer Unfähigkeit zur sachgemäßen Wahrnehmung ihrer Rechte zu scheitern
droht (Gebot fairer Verfahrensführung). Andererseits soll eine solche Anordnung
den zügigen Fortgang des Verfahrens ermöglichen und von ihm alles fernhalten,
was eine sachliche Auseinandersetzung unnötig erschweren könnte (Grundsatz
der Verfahrenskonzentration und -beschleunigung, vgl. dazu VGH Baden-
Württemberg, Beschluß vom 6. Dezember 1973 - NJW 1974, 764 <765>; Kopp,
a.a.O., Rdnr. 21). Da die Maßnahme aber zugleich einen erheblichen Eingriff in die
Rechte des Verfahrensbeteiligten darstellt - abgesehen von der Schwierigkeit, bei
Mittellosigkeit einen geeigneten Bevollmächtigten zu finden - , ist die Anordnung
nach § 67 Abs. 2 Satz 2 VwGO nur dann zulässig, wenn der Prozeßbeteiligte
entsprechend § 67 Abs. 2 Satz 3 VwGO zum sachgemäßen Vortrag nicht fähig ist
(vgl. BayVGH, Beschluß vom 24. Juni 1974 - BayVBl. 1974, 503 und Beschluß vom
10. November 1976 - BayVGH n.F. 30 I,11; VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; OVG
Berlin, a.a.O.; Kopp, a.a.O., Rdnr. 21; Eyermann-Fröhler,VwGO 8. Auflage, § 67
Rdnr. 23) und es dem Gericht sonst nicht möglich ist, das Klagebegehren zu
erkennen oder den Sachverhalt von Amts wegen hinreichend aufzuklären (vgl.
OVG Münster, Beschluß vom 20. Dezember 1962 - NJW 1963,1123; VGH Baden-
Württemberg, a.a.O.; OVG Berlin, a.a.O.; Schunck-de Clerck, VwGO, 3. Auflage, §
67 Anm. 3 g).
Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht zwar auf Grund der vom Kläger
vorgelegten Schriftsätze, die sich nur ganz am Rande mit der
Grundsteuerangelegenheit befassen, zu Recht davon ausgegangen, daß er nicht
zum sachgemäßen Vortrag fähig ist. Diese Feststellungen allein vermögen hier die
Anordnung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 VwGO jedoch noch nicht zu rechtfertigen.
Denn es ist bereits zweifelhaft, ob das erstinstanzliche Gericht nicht gehalten war,
im Rahmen eines Erörterungstermins oder einer mündlichen Verhandlung die
Klage spruchreif zu machen, zumal das Klageziel - Grundsteuerermäßigung bzw.
Grundsteuererlaß - dem Akteninhalt ohne weiteres zu entnehmen war. Die
Anordnung der Bestellung eines Bevollmächtigten ist jedenfalls deshalb
unzulässig, weil Zweifel bestehen, ob der Kläger überhaupt fähig ist,
Prozeßhandlungen selbst vorzunehmen. Einem prozeßunfähigen Beteiligten darf
die Bestellung eines Bevollmächtigten nicht aufgegeben werden (BayVGH,
Beschluß vom 24. Juni 1974 a.a.O.; OVG Berlin, a.a.O.; Kopp, a.a.O., Rdnr. 21;
Schunck-de Clerck, a.a.O.). Bereits nach eigenen Angaben war der Kläger über
einen Zeitraum von 26 Jahren entmündigt. Ein Vertreter der Beklagten und ein
Rechtspfleger beim Amtsgericht Bad Schwalbach haben dies dem Berichterstatter
der ersten Instanz gegenüber in einer fernmündlichen Auskunft dem Grunde nach
bestätigt. Aus verschiedenen vom Kläger dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof
übersandten Anzeigen und Petitionen - die letzte "Anzeige" datiert vom 6. März
1987 und betrifft einen völlig unverständlichen straßenverkehrsrechtlichen
Vorgang - läßt sich weiterhin entnehmen, daß der Kläger nach eigenen Angaben
offensichtlich an einer Psychose litt und bei ihm der Endzustand eines
schizophrenen Defekts vorlag. Gerade auch die völlig verworrenen Einlassungen
des Klägers im vorliegenden Grundsteuerverfahren lassen es derzeit als
zweifelhaft erscheinen, ob er die Fähigkeit besitzt, Prozeßhandlungen selbst oder
durch selbst bevollmächtigte Vertreter wirksam vorzunehmen und
entgegenzunehmen. Das Verwaltungsgericht ist dieser Frage - obwohl sie sich
aufgedrängt hat - nicht nachgegangen. Es ist daher zu prüfen, ob der Kläger in
bezug auf den vorliegenden Rechtsstreit überhaupt im Sinne des § 62 Abs. 1
VwGO prozeßfähig ist. Diese Prüfung kann jedoch im Rahmen des anhängigen
Beschwerdeverfahrens nicht abschließend vorgenommen werden. Es muß
vielmehr dem Verwaltungsgericht als erster Tatsacheninstanz überlassen bleiben,
im Hauptsacheverfahren die Frage der Prozeßfähigkeit des Klägers zu klären (vgl.
BayVGH, Beschluß vom 24. Juni 1974, a.a.O.) und im Falle der Verneinung einen
Pfleger in entsprechender Anwendung des § 57 ZPO zu bestellen.
Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens ist lediglich deklaratorisch
auszusprechen, daß außergerichtliche Kosten des Beschwerdeführers - wegen des
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auszusprechen, daß außergerichtliche Kosten des Beschwerdeführers - wegen des
Fehlens eines Beschwerdegegners - nicht erstattet werden und daß die Erhebung
von Gerichtskosten entfällt (im Umkehrschluß zu den Nrn. 1270 und 1271 des
Kostenverzeichnisses - Anlage 1 zu § 11 Gerichtskostengesetz - und gemäß Nr.
1920 des Kostenverzeichnisses; vgl. Senatsbeschluß vom 17. Oktober 1974 - V TH
9/74 - ).
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.