Urteil des HessVGH vom 17.11.1989

VGH Kassel: politische partei, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, veranstaltung, versammlungsfreiheit, zugang, sicherheit, kundgebung, stadt, anmeldepflicht, magistrat

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 TH 3415/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 8 GG, § 15 VersammlG,
§ 20 GemO HE, § 8 Abs 1
FeiertG HE
(Einschränkung der Versammlungsfreiheit - politische
Partei - Zugang zu einer Gedenkstätte)
Gründe
I.
Die Antragstellerin meldete mit Schreiben vom 16.10.1989 für den Volkstrauertag
am 19.11.1989 eine Feierstunde an mit Kranzniederlegung und
Lautsprecherübertragung zweier Lieder ("Ich hatt einen Kameraden" und das
Deutschlandlied) am ... Denkmal in der ... in F
Mit ihrem Eilantrag vom 17.11.1989 wendet sich die Antragstellerin gegen das
sofort vollziehbare Versammlungsverbot der Antragsgegnerin vom 15.11.1989.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat den Eilantrag mit Beschluß vom
17.11.1989 abgelehnt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt,
die Versammlung störe den ernsten Charakter des Volkstrauertages und stelle
damit einen Verstoß gegen das Hessische Feiertagsgesetz dar. Die Antragstellerin
verfolge verfassungsfeindliche Ziele. Es sei zu befürchten, daß
nationalsozialistisches Gedankengut und Unrechtshandeln zustimmend
wiedergegeben würden. Darauf ließen nicht nur das bisherige Verhalten der
Antragstellerin schließen, sondern auch die bewußte Wahl des Veranstaltungsortes
und die im einzelnen näher dokumentierten Begleitumstände bei der Einweihung
des betreffenden Denkmals am 09.10.1938. Die geplante Veranstaltung würde
zudem gegen den Widmungszweck der öffentlichen Grünanlage "T" verstoßen. Die
geplante Demonstration sei nach den vom Magistrat der Antragsgegnerin am
14.10.1988 beschlossenen Richtlinien für die Genehmigung von Veranstaltungen in
öffentlichen Grünanlagen der Stadt F ... unzulässig.
II.
Die am 17.11.1989 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und
begründet. Das Verwaltungsgericht hätte den gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellten
und auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
gerichteten Eilantrag nicht ablehnen dürfen. Das von der Antragsgegnerin
ausgesprochene Versammlungsverbot ist offensichtlich rechtswidrig. In einem
derartigen Fall überwiegt das Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung der
Verfügung verschont zu werden, gegenüber dem Vollzugsinteresse der
Antragsgegnerin.
Die Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot nach § 15 Abs. 1 VersG sind
nicht erfüllt. Für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder
Ordnung bei Durchführung der Versammlung ist nichts hinreichend dargetan
worden oder sonst ersichtlich. Zwar haben gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 1 Abs. 2
Hessisches Feiertagsgesetz öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel den
dem Volkstrauertag entsprechenden ernsten Charakter zu wahren. Eine
Kundgebung mit Kranzniederlegung an einer für eine derartige Veranstaltung
offenstehenden Gedenkstätte stellt aber noch keine Durchbrechung des ernsten
Charakters des Volkstrauertags dar. Das Hessische Feiertagsgesetz will im
wesentlichen Volksbelustigungen und Arbeiten zurückdrängen, die die äußere
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wesentlichen Volksbelustigungen und Arbeiten zurückdrängen, die die äußere
Ruhe des Tages beeinträchtigen (vgl. etwa VGH Kassel, Beschluß vom 28.04.1988
-- 8 TH 1084/88 -- NJW 1988, 2257). Die äußere Tagesruhe droht durch die
geplante Veranstaltung nicht gestört zu werden. Was die innere Haltung der
Veranstalterin und ihre allgemeine Programmatik angeht -- dasselbe gilt für die
Begleitumstände bei der Einweihung des Denkmals im Jahre 1938 --, so sind diese
Gesichtspunkte versammlungsrechtlich solange nicht entscheidend von Gewicht,
als sich die Veranstaltung allgemein im Rahmen der geltenden Gesetze hält und
keine unmittelbare und konkrete Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
zu befürchten ist.
Im übrigen ist bei alledem zu berücksichtigen, daß die Antragstellerin eine
politische Partei ist, für die das Parteienprivileg des Art. 21 GG gilt. Es ist für die
wirksame Grundrechtswahrnehmung politischer Parteien nicht hinnehmbar, wenn
ihnen mit allgemeinen Hinweisen auf "verfassungsfeindliche" Ziele
versammlungsrechtlich gewissermaßen als "kleine Münze" eines gemäß Art. 21
Abs. 2 Satz 2 GG nur dem Bundesverfassungsgericht zustehenden Parteiverbots
Einschränkungen der politischen Betätigungsfreiheit auferlegt werden.
Daß es im Zusammenhang mit dem möglichen Auftreten von
Gegendemonstranten zu einem trotz angemessener Ordnungskräfte nicht mehr
verantwortbaren polizeilichen Notstand kommen könnte, ist ebenfalls nicht
unmittelbar zu befürchten. Mithin ist auch dieser Gesichtspunkt nicht geeignet,
das behördliche Versammlungsverbot zu tragen.
Dasselbe gilt für die Richtlinien für die Genehmigung von Veranstaltungen in
öffentlichen Grünanlagen der Stadt Frankfurt am Main vom 14.10.1988. Das
Fehlen einer Genehmigung nach diesen Magistratsrichtlinien ist für die gebotene
Durchsetzung des Grundrechts der Antragstellerin auf Versammlungsfreiheit nach
Art. 8 Abs. 1 und 2 GG unbeachtlich. Eine wirksame Beschränkung des
Grundrechts der Versammlungsfreiheit geht von den Richtlinien nicht aus. Nach
Art. 8 Abs. 2 GG können Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder
aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden, wobei nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG
das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen muß. Es ist schon
nicht ersichtlich, daß diese Voraussetzungen für die, wie das Verwaltungsgericht
ausgeführt hat, auf § 66 Abs. 1 Nr. 4 HGO beruhenden Magistratsrichtlinien in
vollem Umfang erfüllt sind.
Darüber hinaus ist ein anderer Gesichtspunkt von Bedeutung. Das Begehren der
Antragstellerin richtet sich in seinem funktionellen Zusammenhang nicht in erster
Linie auf ein Betreten der Grünflächen in der T, sondern auf einen Zugang zu der
Gedenkstätte, die als öffentliche Einrichtung im Sinne des § 20 Abs. 1 HGO
anzusehen und im Rahmen ihres rechtlichen oder faktischen Widmungs- bzw.
Einrichtungszwecks von der Allgemeinheit genutzt werden kann. Insofern dient die
von Art. 8 GG gedeckte Kundgebung hier einem in der Gedenkstätte ortsgebunden
angelegten Zweck.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß für Verbote von Versammlungen unter
freiem Himmel die §§ 14, 15 VersG ein in sich geschlossenes und abschließendes
Regelungswerk darstellen, mit dem sichergestellt wird, daß die zur Wahrung der
öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des
Aufzugs notwendigen Maßnahmen getroffen werden können (vgl. BVerwG, Urteil
vom 21.04.1989 -- 7 C 50.88 --). Nach diesen Regelungen ist nur eine
Anmeldepflicht und keine Genehmigungspflicht vorgesehen. Folgerichtig hat das
Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung ausgeführt, daß
straßenrechtlich die Erlaubnispflicht nach § 29 Abs. 2 StVO entfällt, wenn die
Veranstaltung eine öffentliche Veranstaltung unter freiem Himmel im Sinne der §§
14, 15 VersG ist. Da der Zugang der Allgemeinheit zu einer Gedenkstätte ihrem
Charakter entspricht und ein Wesensmerkmal solcher Stätten darstellt, auch die
Kundgebung von Gedenken einschließt, kommt für ein Versammlungsverbot nur
das Spezialrecht des § 15 VersG in Betracht, nicht aber dazwischengeschaltete
kommunalrechtliche Genehmigungsverfahren.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.