Urteil des HessVGH vom 22.10.1997

VGH Kassel: kollege, anerkennung, beleidigung, leiter, schlägerei, veranstaltung, körperschaden, hessen, luft, trauma

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 UE 3286/94
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 31 BeamtVG
(Anerkennung eines Körperschadens als Dienstunfall -
Schlägerei auf einer Weihnachtsfeier)
Tatbestand
Der Kläger ist Beamter im Polizeidienst des Landes Hessen; er erstrebt die
Anerkennung eines erlittenen Körperschadens als Dienstunfall.
Der Kläger nahm am 12. Dezember 1991 an einer Gemeinschaftsveranstaltung
(Weihnachtsfeier) des Kommissariats des Polizeipräsidiums G teil. Bei dem zu der
Gemeinschaftsveranstaltung gehörenden gemeinsamen Abendessen kam es
zwischen 17.00 Uhr und 17.30 Uhr zu einem Streitgespräch zwischen dem Kläger
und seinem Kollegen S. Der Kläger bezeichnete den Kollegen mehrfach als
Duckmäuser, woraufhin dieser mehrfach auf den Kläger einschlug. Der Kläger erlitt
ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Zahnschmelzfraktur sowie die Lockerung einer
Keramikverblendbrücke. Er wurde vom 12. Dezember bis 14. Dezember 1991 in
der Universitätsklinik Gießen stationär behandelt und war bis zum 10. Januar 1992
dienstunfähig erkrankt. Wegen des weiteren Tatbestandes wird auf die
angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gießen Bezug genommen,
deren Feststellungen sich der Senat in vollem Umfange zu eigen macht.
Mit Gerichtsbescheid vom 6. September 1994 hat das Verwaltungsgericht Gießen
die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen
Anspruch auf Anerkennung des Vorfalls vom 12. Dezember 1991 als Dienstunfall.
Zwar habe sich der Kläger seine Verletzung bei einer dienstlichen Veranstaltung,
nämlich der Gemeinschaftsveranstaltung am 12. Dezember 1991, zugezogen.
Gleichwohl fehle es an einer rechtlich zureichenden Dienstbezogenheit i.S.d. § 31
BeamtVG. Nach der Rechtsprechung seien trotz vorhandener räumlicher und
zeitlicher Beziehung zum Dienst Verhaltensweisen eines Beamten denkbar, in
denen auch bei lebensgemäßer Betrachtungsweise wegen fehlenden
Zusammenhangs des Unfalls mit dem Beamtendienst nicht mehr von einer
Dienstausübung gesprochen werden könne. Dabei sei insbesondere an
Verhaltensweisen zu denken, die dem wohlverstandenen Interesse des
Dienstherrn zuwiderliefen oder von diesem sogar ausdrücklich verboten worden
seien. Hierunter fielen Unfälle, die durch tätliche Neckereien unter Beamten im
Dienst verursacht würden, wobei auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei.
Der Kläger habe seine Verletzungen am 12. Dezember 1991 nicht mehr bei einer
Dienstausübung erlitten. Der Kläger habe den Kollegen S. mehrfach als
Duckmäuser tituliert, um bei diesem eine Reaktion hervorzurufen. Die
Bezeichnung des Kollegen S. als Duckmäuser sei auch nicht als angemessene
Wahrnehmung dienstlicher oder privater Belange gerechtfertigt gewesen. Eine
herabsetzende Äußerung über den potentiellen Gesprächspartner sei zur
Beilegung bereits entstandener Differenzen ungeeignet. Der Kläger habe die
Bezeichnung des Kollegen S. als Duckmäuser nicht als angemessenes Mittel zur
Wahrung bzw. Wiederherstellung des Betriebsfriedens ansehen können, zumal ihm
der Kollege S. wegen der Bezeichnung Schläge angedroht gehabt habe.
Gegen den am 27. Oktober 1994 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am
25. November 1994 eingegangene Berufung des Klägers, mit der dieser sein
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25. November 1994 eingegangene Berufung des Klägers, mit der dieser sein
Begehren weiter verfolgt. Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, daß die Diskussion
mit dem Kollegen S. im Interesse des Dienstherrn gewesen sei. Dies werde bereits
dadurch deutlich, daß der Dienstvorgesetzte und Leiter des Kommissariats,
Kollege A., nicht eingegriffen habe. Der Kläger habe den Kollegen S. dazu bringen
wollen, seinen aufgestauten Aggressionen Luft zu machen, um zu einer Lösung
der bestehenden Spannungen, die bereits den ganzen Tag über vorhanden
gewesen seien, zu gelangen. Keinesfalls habe er jedoch damit rechnen können,
daß der Kollege S. tatsächlich zuschlagen werde.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Gießen vom 6. September
1994 sowie den Bescheid des Beklagten vom 6. Juli 1992 i.d.F. des
Widerspruchsbescheids vom 4. November 1992 aufzuheben und den vom Kläger
am 12. Dezember 1991 erlittenen Körperschaden als Dienstunfall anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf das bisher Vorgetragene und weist nochmals darauf hin, daß
sowohl der Kläger als auch der Kollege S. sich durch ihr damaliges Verhalten so
weit von ihren dienstlichen Aufgaben und Pflichten entfernt hätten, daß ein
Zusammenhang zwischen der dienstlichen Veranstaltung und dem beim Kläger
eingetretenen Gesundheitsschaden nicht vorliege.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die
Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf die Behördenakte des
Beklagten (ein Hefter), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid vom 6.
September 1994 zu Recht die Klage abgewiesen; denn der Bescheid des
Beklagten vom 6. Juli 1992 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 4. November
1992 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der am 12. Dezember 1991
erlittenen Körperschäden als Dienstunfall i.S.v. § 31 BeamtVG.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffenden
Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Gerichtsbescheid
verwiesen, denen der Senat folgt (§ 130b VwGO). Auch das Berufungsvorbringen
rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Entgegen der Ansicht des Klägers lag der Streit zwischen ihm und seinem Kollegen
S., der zu den die Verletzung herbeiführenden Schlägen führte, nicht im
mutmaßlichen Interesse des Dienstherrn. Provozierendes Verhalten und
Beleidigungen mit der Folge tätlicher Auseinandersetzungen zwischen Kollegen
liegen in der Regel nicht im Interesse des Dienstherrn; sie laufen diesen Interessen
gerade entgegen (Kümmel, Beamtenversorgungsgesetz, § 31 Rdnr. 12;
Ploog/Wiedow/Beck, Beamtenversorgungsgesetz, § 31 Rdnr. 15; BVerwG, B. v.
17.05.1974 - II B 66.73 -, Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 53). Auch wenn der Kläger
die Bezeichnung des Kollegen S. als "Duckmäuser" nicht als Beleidigung gemeint
haben sollte und er wegen des "rauhen Umgangstons" unter den Kollegen
eventuell zunächst davon ausgehen durfte, daß auch der Kollege S. dies nicht als
Beleidigung auffassen würde, so war doch in dem Moment eine Grenze erreicht, in
dem der Kollege S. deutlich machte, daß er eine solche Behandlung gerade nicht
dulden werde. Spätestens als der Kollege S. den Kläger aufforderte, das Gesagte
zurückzunehmen, mußte diesem bewußt sein, daß er die Grenze zwischen
"rauhem Umgangston" und Beleidigung verlassen würde, wenn er mit seinen
provozierenden Äußerungen fortfahren würde. Der Kläger kann auch nicht aus
dem Umstand, daß der Dienstvorgesetzte und Leiter des Kommissariats A. nicht
eingegriffen hat, darauf schließen, daß der Streit mit dem anschließenden
tätlichen Eingreifen des Kollegen S. im Interesse des Dienstherrn lag bzw. von
diesem gebilligt wurde. Zwar hat der Kriminalhauptkommissar A. - wie sich aus
seiner Stellungnahme vom 19. Dezember 1991 ergibt - sowohl die verbalen
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seiner Stellungnahme vom 19. Dezember 1991 ergibt - sowohl die verbalen
Beleidigungen des Klägers als auch die Schläge durch S. beobachtet, ohne
einzugreifen. Wenn auch von einem Dienstvorgesetzten in der Regel erwartet
werden kann, daß er Streitigkeiten unter Kollegen zu schlichten willens und in der
Lage ist, so folgt aus dem Unterlassen des Eingreifens nicht die Billigung des Tuns
als dienstliche Aufgabe. Dies gilt im vorliegenden Fall insbesondere deshalb, weil
der Vorgesetzte A. zum Ausdruck gebracht hat, daß ihm der Anlaß des Streits
nicht bekannt war und die verbale/tätliche Auseinandersetzung wegen des kurzen
zeitlichen Ablaufs und des "Überraschungseffekts" von ihm nicht habe verhindert
werden können (s. Vermerk Bl. 6 der Behördenakte).
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, er habe einer Diskussion nicht
mehr ausweichen können und daher durch seine Äußerungen den Kollegen S. zu
einer Stellungnahme bewegen wollen. Gerade wenn der Kläger bereits den ganzen
Tag über ein gewisses Reizklima verspürt hat, hätte er sich besonders vorsichtig
verhalten müssen. Die mehrfache Titulierung des Kollegen S. als "Duckmäuser" -
ob der Kläger den Kollegen S. darüber hinaus auch als "Penner" bezeichnet hat,
kann dahinstehen - zeigt kein psychologisches Einfühlungsvermögen. Es kommt
daher auch nicht darauf an, ob der Kläger - was von dem Beklagten ausdrücklich
bestritten wird - "psychologische Anlaufstelle in der Abteilung war und es somit zu
seinem Aufgabenbereich gehört, ... aufgebaute Spannungen abzubauen." Das
vom Kläger gezeigte Verhalten war in keiner Weise geeignet, eine
spannungsgeladene Situation zu bereinigen. Der Kläger hat bewußt und gewollt
den Kollegen S. provoziert, wobei es nicht darauf ankommt, ob er mit einem
Zuschlagen des S. gerechnet hat bzw. rechnen mußte. Die beiden Polizeibeamten
hatten sich durch ihren Streit von der Dienstausübung so weit gelöst, daß ein
Zusammenhang und damit eine Kausalität zwischen dienstlicher Tätigkeit und
Körperschaden nicht gegeben ist.
Da das Rechtsmittel des Klägers keinen Erfolg hat, hat er auch die Kosten des
Berufungsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten
beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 127 BRRG,
§ 183 HBG, § 132 Abs. 2 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.