Urteil des HessVGH vom 27.07.1989

VGH Kassel: prüfungskommission, prüfungsordnung, zusammensetzung, befangenheit, prüfer, pbg, vorschlagsrecht, kandidat, fachhochschule, ermessensspielraum

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
6. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 TG 663/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 Abs 1 GG, § 7 Abs 1 S
1 FHSchulSozPädPO HE, §
7 Abs 1 S 4
FHSchulSozPädPO HE
Vorschlagsrecht des Prüflings zur Bildung der
Prüfungskommission - Ermessensreduzierung auf Null
Gründe
Die Beschwerde, mit der die Antragsteller weiterhin erreichen wollen, daß für den
dritten Schwerpunkt des ersten Teils der Diplomprüfung (Psychosoziale Beratung,
Bildung, Gesundheitsförderung - PBG -) die Prüfungskommission mit den
Professorinnen H. und L. besetzt wird, ist zulässig und begründet.
Die Antragsteller haben die Voraussetzungen für einen Anordnungsgrund und
einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozeßordnung -
ZPO -).
Soweit der Anordnungsgrund betroffen ist, wird zur Vermeidung von
Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (Seite
6 des Beschlusses vom 3. Februar 1989) Bezug genommen.
Nunmehr haben die Antragsteller auch die Voraussetzungen für einen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Auszugehen ist von der die Bildung der
Prüfungskommission betreffenden Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 der
Prüfungsordnung des Fachbereichs Sozialpädagogik der Fachhochschule Fulda
vom 7. Mai 1986 (ABl. 1986, 653 ff.). Diese Vorschrift ist vorliegend anwendbar,
obwohl mit Wirkung vom 1. September 1989 der Fachbereich Sozialpädagogik mit
dem Fachbereich Sozialarbeit zum neuen Fachbereich Sozialwesen
zusammengelegt werden soll und die Prüfung erst nach dem 1. September 1989
stattfinden kann. Denn die Prüfungsordnung vom 7. Mai 1986 ist derzeit noch in
Kraft. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Anordnungsanspruch besteht,
kommt es auf die Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 der Prüfungsordnung vom 7. Mai 1986 bildet der
Prüfungsausschuß für jede Prüfung eine Prüfungskommission; der Kandidat/die
Kandidatin kann Vorschläge für die Besetzung der Prüfungskommission machen.
Bei der Entscheidung des Prüfungsausschusses handelt es sich um eine
Ermessensentscheidung. Ein Prüfling kann daher nur dann einen Anspruch auf
eine bestimmte Zusammensetzung der Prüfungskommission haben, wenn nur
diese Zusammensetzung gewählt werden darf und jede andere
Zusammensetzung rechtswidrig wäre, wenn also im Einzelfall der
Ermessensspielraum auf "Null" geschrumpft ist. Diese Voraussetzung liegt vor,
denn aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes hat sich das Ermessen des
Prüfungsausschusses dahin verdichtet, daß dem Wunsch der Antragsteller auf
Bildung einer aus den Professorinnen H. und L. bestehenden Prüfungskommission
zu entsprechen ist. Diese Pflicht besteht nicht nur objektiv. Vielmehr haben die
Antragsteller auch einen diesbezüglichen Anspruch, denn § 7 Abs. 1 der
Prüfungsordnung vom 7. Mai 1986 regelt die Bildung der Prüfungskommission
nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern auch im Interesse des einzelnen
Prüflings. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß in einer Reihe von anderen
Fällen die Prüfungskommissionen entsprechend den Vorschlägen der jeweiligen
Prüflinge mit den Professorinnen H. und L. besetzt wurden. Es handelt sich um vier
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Prüflinge mit den Professorinnen H. und L. besetzt wurden. Es handelt sich um vier
Prüfungen, von denen eine im Wintersemester 1988/89 und drei am 10. und 11.
Juli 1989 stattfanden. Dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten ist zu
entnehmen, daß nach der ständigen Praxis des Prüfungsausschusses nur in
begründeten Einzelfällen von Vorschlägen der Prüflinge abgewichen wird, nämlich
insbesondere dann, wenn ein Prüfer entgegen dem Prüfungsfunktionsplan gewählt
wird oder wenn ein Lehrbeauftragter gewünscht wird und diesem Wunsch wegen
der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 4 der Prüfungsordnung vom 7. Mai 1986 nicht
entsprochen werden kann.
Ein ausreichender sachlicher Grund, von dem Vorschlag der Antragsteller
abzuweichen, ist nicht ersichtlich. Frau Prof. L. ist als hauptamtlich Lehrende im
Prüfungsfunktionsplan für den Schwerpunkt PBG aufgeführt. Auch kann bezüglich
Frau Prof. L. eine Besorgnis der Befangenheit, die gemäß § 21 des Hessischen
Verwaltungsverfahrensgesetzes - HVwVfG - bei der Bildung der
Prüfungskommission zu beachten wäre, nicht festgestellt werden. Es bestehen
keine Anhaltspunkte dafür, das Frau Prof. L. den Antragstellern gegenüber im
Prüfungsverfahren die Gebote der Sachlichkeit und Fairneß verletzen würde.
Dies gilt zunächst, soweit ihr Verhältnis zu den Antragstellern betroffen ist. Frau
Prof. L. hat in ihrer Stellungnahme vom 12. Juli 1989 zu Nr. 3.) ausgeführt, sie
kenne die Antragsteller nicht aus Veranstaltungen, sondern nur aus
fachhochschulpolitischen Zusammenhängen und aus den Ereignissen um die
vorliegende Prüfung. Das Kennen der Kandidaten sei nicht unabdingbare
Voraussetzung für die Prüfung; sie gewichte diesen Grund nicht allzu stark. Frau
Prof. L. hat dann allerdings unter Nr. 4.) Ereignisse genannt, die ihre
Befürchtungen um die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ablaufs der
Prüfung hätten anwachsen lassen, nämlich die Störungen von zwei Sitzungen des
Fachbereichsrats durch eine Gruppe von sieben Personen, worunter sich auch die
Antragsteller befunden hätten. Die Störungen hätten zum Abbruch der ersten
Sitzung geführt. Es seien an alle Mitglieder des Prüfungsausschusses und zuerst
an sie, Frau Prof. L., gerichtete massive öffentliche Anklagen und
Schuldzuweisungen geäußert worden. Weiterhin hat Frau Prof. L. auf die drei
Prüfungen hingewiesen, die sie am 10. und 11. Juli 1989 mit Frau Prof. H.
abgehalten hat. In diesen Prüfungen hätten sich die vorangegangenen
Spannungen niedergeschlagen, so daß sie, Frau Prof. L., auch von daher
hinsichtlich des geordneten und sachlichen Verlaufs einer mündlichen Prüfung der
Antragsteller mit der Kommission H./L. Bedenken habe.
Bloße Bedenken an der ordnungsgemäßen Durchführung einer Prüfung genügen
jedoch nicht, um im Prüfungsverfahren als Prüfer auszuscheiden. Vielmehr muß
die Besorgnis der Befangenheit bestehen. Die von Frau Prof. L. genannten
Umstände geben keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß diese Prüferin gegenüber den
Antragstellern im Prüfungsverfahren die Gebote der Sachlichkeit und Fairneß
verletzen werde. Insbesondere ist durch nichts die Befürchtung gerechtfertigt, Frau
Prof. L. werde die außerhalb der Prüfung erfolgten Auseinandersetzungen zum
Anlaß einer Verschlechterung der Bewertung nehmen. Im vorliegenden
Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß es grundsätzlich die Pflicht eines
Prüfers ist, Prüfungen durchzuführen, und daß deshalb nur dann, wenn begründete
Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß der Prüfling unsachlich geprüft und/oder
beurteilt wird, die Besorgnis der Befangenheit des Prüfers gegeben ist.
Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Spannungen zwischen Frau
Prof. H. und Frau Prof. L. sich nachteilig auf die Antragsteller auswirken werden. Wie
der Senat bereits im Beschluß vom 17. April 1989 - 6 TP 664/89 - ausgeführt hat,
obliegt den Prüfern trotz bestehender Spannungen untereinander die Amtspflicht,
sachlich, unvoreingenommen und fair zu prüfen, sich also im Interesse der
Prüflinge mit den anderen Prüfern zu einer sachlichen Prüfung zusammenzufinden.
Die Stellungnahme von Frau Prof. L. vom 12. Juli 1989 zeigt, daß diese Prüferin
dazu in der Lage ist.
Die Antragsgegnerin hat allerdings mit der Stellungnahme des Vorsitzenden des
Prüfungsausschusses, Herrn Prof. B., vom 17. Juli 1989 erklärt, daß der
Prüfungsausschuß bei der Bestellung von Prüfungskommissionen nicht nur auf die
Rechtmäßigkeit, sondern auch auf die Durchführbarkeit von Prüfungen zu achten
habe. Herr Prof. B. führt auf Seite 3 seiner Stellungnahme aus, daß bei zwölf
Prüfungen, an denen Frau Prof. H. seit Januar 1987 mit verschiedenen anderen
Prüfern teilgenommen hat, Probleme aufgetreten seien. In einer dieser Prüfungen
mit Frau Prof. L. und Herrn Prof. K. habe es eine Annullierung gegeben. In zwei der
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mit Frau Prof. L. und Herrn Prof. K. habe es eine Annullierung gegeben. In zwei der
Prüfungen habe es die unzulässige, eigenmächtige Bestellung einer
Zweitgutachterin gegeben. Zu einer verwaltungsgerichtlichen Streitigkeit sei es im
Fall der Antragsteller gekommen. Um das Zuhörerrecht habe man in einer Prüfung
mit Herrn Prof. K. und in vier Prüfungen mit Frau Prof. L. gestritten. Aus dieser
Stellungnahme wird ersichtlich, daß nicht nur Frau Prof. L. mit Frau Prof. H.
Auseinandersetzungen hatte, so daß derartige Differenzen keinesfalls als
sachlicher Grund dafür angesehen werden können, Frau Prof. L. nicht mehr
zusammen mit Frau Prof. H. prüfen zu lassen. Angesichts der grundsätzlichen
Pflicht, Prüfungen abzunehmen, kann der dargestellte Einwand der
Antragsgegnerin im vorliegenden Fall nicht zum Ausschluß von Frau Prof. L. als
Prüferin führen. Abgesehen davon steht fest, daß die vier Prüfungen in der
Besetzung H./L. durchgeführt und nicht abgebrochen wurden. Auch in diesen vier
Prüfungen hat Frau Prof. L. entsprechend ihrer Prüfungsverpflichtung mitgewirkt.
Es kommt hinzu, daß Frau Prof. L., wie die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz
vom 19. Juli 1989 als Anlage 2 vorgelegte Übersicht über durchgeführte und
angemeldete Prüfungen zeigt, im vorliegenden Schwerpunkt weniger oft geprüft
hat als Herr Prof. K., insofern also der Gesichtspunkt der Überbeanspruchung, den
der Prüfungsausschuß bei der Bildung von Prüfungskommissionen ebenfalls in die
Überlegungen einfließen lassen muß, nicht durchgreift.
Mit der vorliegenden einstweiligen Anordnung wird die Antragsgegnerin auch nicht
zu einer tatsächlich oder rechtlich unmöglichen Maßnahme verpflichtet. Es sind
keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die gewünschte Prüfungskommission
wegen organisatorischer Änderungen, die im Zusammenhang mit der Bildung des
neuen Fachbereichs stehen, die Prüfungen nicht abnehmen kann. Eine eventuelle
Änderung des Prüfungsfunktionsplans hätte dies jedenfalls nicht zur Folge, denn
sie würde die Prüfereigenschaft nicht beseitigen. Auch ist es nicht unmöglich, im
Wege einer Übergangsregelung sicherzustellen, daß die Prüfungskommission H./L.
die Prüfungen abnimmt.
Nach allem haben die Antragsteller aufgrund der bisherigen Praxis des
Prüfungsausschusses nach derzeitiger Rechtslage einen Anspruch darauf, von den
Professorinnen H. und L. geprüft zu werden.
Die Antragsgegnerin hat nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gesamten
Verfahrens zu tragen, da sie unterlegen ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 und dem
entsprechend anzuwendenden § 14 GKG. Da durch den vorliegenden Beschluß die
Hauptsache vorweggenommen wird, ist für jeden der beiden Antragsteller vom
vollen Hauptsachestreitwert auszugehen, den mit 3.000,-- DM je Antragsteller
anzunehmen dem Senat angemessen erscheint.
Dieser Beschluß ist gemäß §§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG
unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.