Urteil des HessVGH vom 18.01.2011

VGH Kassel: treu und glauben, absolute verjährungsfrist, festsetzungsverjährung, abschiebung, fälligkeit, tatsachenfeststellung, behörde, anwendungsbereich, stadt, ddr

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 A 1302/10.Z
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 70 AufenthG 2004, § 20
Abs 1 VwKostG
Abschiebungskosten
Leitsatz
Zum Verhältnis des § 70 Abs 1 AufenthG zu § 20 Abs 1 BVwKostG. Es liegt nahe, dass §
70 Abs 1 AufenthG für die Kostenerstattung dieser Materie eine abschließende
Spezialregelung darstellt, die eine Festsetzungsverjährung ausschließt.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 18. Mai 2010 - 7 K 142/10.GI - wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsverfahren auf
4599,29 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 18. Mai 2010 bleibt ohne Erfolg.
Die Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers zu den Zulassungsgründen
der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124
Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), der besonderen tatsächlichen
oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 123 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der
Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) rechtfertigen die Zulassung der Berufung
nicht.
Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist es Sache des die Zulassung der Berufung
anstrebenden Beteiligten darzulegen, aus welchen Gründen die Berufung gegen
das erstinstanzliche Urteil zuzulassen ist. Werden ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit der Entscheidung geltend gemacht, so muss, um den gesetzlichen
Darlegungserfordernissen zu genügen, ein einzelner tragender Rechtssatz oder
eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage
gestellt werden.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers gegen den Kostenbescheid des
Beklagten vom 19. Januar 2010 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der
Beklagte habe den Kläger - auch der Höhe nach - zu Recht zu den Kosten der
Abschiebung herangezogen. Der Festsetzung der Kosten stehe auch nicht der
Gesichtspunkt der Verjährung entgegen, weil § 70 Abs. 2 AufenthG die Verjährung
unterbreche, solange sich der Kostenschuldner nicht im Bundesgebiet aufhalte.
Die Unterbrechungstatbestände des § 20 Abs. 3 VwKostG würden durch diejenigen
des § 70 Abs. 2 AufenthG erweitert und fänden auch auf die
Festsetzungsverjährung Anwendung.
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Die dagegen vorgebrachten Einwendungen des Bevollmächtigten des Klägers
erwecken beim Senat keine ernstlichen Zweifel im vorgenannten Sinn. Hinsichtlich
des Arguments, die Verjährungsvorschrift des § 20 Abs. 1 VwKostG sei neben der
früher geltenden Vorschriften des § 83 Abs. 4 Satz 3 AuslG und des nunmehr
geltenden § 70 Abs. 1 AufenthG anwendbar, hegt der Senat Zweifel. Hätte der
Gesetzgeber allein den Willen gehabt, für diese Materie die Frist des § 20 Abs. 1
Satz 1 1. Alt. VwKostG für die Zahlungsverjährung von drei auf sechs Jahre zu
verlängern, hätte sich eine andere Formulierung angeboten. Da nach der
Formulierung des § 70 Abs. 1 AufenthG - ebenso wie nach der Vorgängervorschrift
des § 83 Abs. 4 Satz 3 AuslG - die Verjährung der dort genannten Kosten sechs
Jahre nach deren Fälligkeit eintritt, liegt es nahe, dass der Gesetzgeber für diese
besondere Materie abschließend allein die Zahlungsverjährung vorsehen wollte.
Das Fehlen einer Festsetzungsverjährung ist der Rechtsordnung auch nicht fremd.
Seit der Neufassung des Hessischen Verwaltungskostengesetzes vom 3. Januar
1995 (GVBl I Seite 2) gibt es etwa eine Festsetzungsverjährung für dessen
Anwendungsbereich nicht mehr.
Dagegen hält der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg § 20 Abs. 1
VwKostG – also die Festsetzungsfrist von vier Jahren ab Anspruchsentstehung -
neben § 70 Abs. 1 AufenthG für anwendbar. Insoweit bestehe auch für diese
Kostenansprüche eine (absolute) Verjährungsfrist, die nicht von der Fälligstellung
des Anspruchs durch die Behörde abhängig sei. Nach einer bestimmten Zeit solle
der Verpflichtete nach dem Sinn der Regelung die Sicherheit haben, nicht mehr in
Anspruch genommen zu werden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Juli
2009 - 13 S 919/09 -, InfAuslR 2009, 403 f.).
Diese Frage kann indes offen bleiben, denn sie ist für das vorliegende Verfahren
nicht entscheidungserheblich. Bei der Argumentation des Bevollmächtigten des
Klägers bleibt unberücksichtigt, dass im Fall der Anwendung des § 20 Abs. 1
VwKostG neben den Unterbrechungstatbeständen des § 20 Abs. 3 VwKostG auch
die des § 70 Abs. 2 AufenthG eingreifen, wodurch den besonderen Gegebenheiten
der Materie Rechnung getragen wird. Diese Unterbrechungstatbestände des § 70
Abs. 2 AufenthG finden Anwendung sowohl auf die Zahlungs- als auch auf die
Festsetzungsverjährung (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Juli 2009 - 13 S
919/09 -, a.a.O.; OVG B-Stadt, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 5 Bf 259/06 -, Juris;
vgl. auch Senatsbeschluss vom 21. Januar 2004 - 5 UZ 868/03 -, zu § 17 Abs. 3
Hess. VwKostG a. F.). Solange sich der Kostenschuldner nicht im Bundesgebiet
aufhält, wäre dann neben der Zahlungsverjährung auch die
Festsetzungsverjährung unterbrochen; mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Unterbrechung endet, beginnt eine neue Verjährung (§ 20 Abs. 4 VwKostG). Da
der Kläger nach seiner Abschiebung in sein Heimatland im Januar 2000 nicht
erneut in die Bundesrepublik eingereist ist, dauert der Unterbrechungstatbestand
des § 70 Abs. 2 1. Alt. AufenthG an. Angesichts dieses Umstandes führt auch der
Hinweis des Bevollmächtigten des Klägers auf den Tatbestand der Verwirkung zu
keinem anderen Ergebnis, weil vor dem Hintergrund dieses
Unterbrechungstatbestandes Anhaltspunkte für ein gegen Treu und Glauben
verstoßendes Verhalten (Umstandselement) des Beklagten nicht bestehen.
Auch der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen
Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) lässt sich den
Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers nicht entnehmen. Dafür wäre es
erforderlich darzulegen, dass sich die vorliegende Sache in tatsächlicher oder
rechtlicher Hinsicht in ihrem Schwierigkeitsgrad signifikant vom Durchschnitt der
verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterscheidet. Allein der Hinweis auf
Uneinigkeit über den Zusammenhang der Verjährungsvorschriften des
Verwaltungskostengesetzes und des Aufenthaltsgesetzes erfüllt dieses
Darlegungserfordernis nicht.
Auch der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führt nicht zur Zulassung
der Berufung. Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend
gemacht, so muss, um den gesetzlichen Darlegungserfordernissen des § 124a
Abs. 4 Satz 4 VwGO zu genügen, dargetan werden, welche konkrete und in ihrer
Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechtsfrage oder welche
bestimmte und für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle bedeutsame Frage
tatsächlicher Art im Berufungsverfahren geklärt werden soll und inwieweit diese
Frage einer (weitergehenden) Klärung im Berufungsverfahren bedarf.
Grundsätzliche Bedeutung hat ein Verwaltungsstreitverfahren nur dann, wenn es
eine tatsächliche oder rechtliche Fragen aufwirft, die für die Berufungsinstanz
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eine tatsächliche oder rechtliche Fragen aufwirft, die für die Berufungsinstanz
entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung bedarf. Eine diesen
Anforderungen genügende Frage hat der Bevollmächtigte des Klägers in der
Begründung des Zulassungsantrages nicht formuliert. Soweit er mit seinem
Vortrag das Verhältnis von § 70 Abs. 1 AufenthG zu § 20 Abs. 1 VwKostG
thematisieren wollte, ist diese Frage – wie oben bereits dargestellt wurde – nicht
entscheidungserheblich.
Schließlich rechtfertigt auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr.
4 VwGO) die Zulassung der Berufung nicht. Dafür ist erforderlich, dass der
Zulassungsantragsteller darlegt, dass das Verwaltungsgericht in Anwendung
derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten
Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung eines Divergenzgerichts
aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht (BVerwG, Beschluss vom 18. Juli
2001 - 9 B 23.01 -, NVwZ-RR 2001, 711). Mit dem Hinweis auf die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts, die sich mit der Verfolgungsverjährung von in der
ehemaligen DDR begangenen Straftaten befasst, fehlt es bereits an der für die
Annahme einer Abweichung erforderlichen Identität der angewandten
Rechtsvorschriften.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über den
Streitwert auf den §§ 52 Abs. 3, 47 Gerichtskostengesetz - GKG -.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in
Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.