Urteil des HessVGH vom 30.01.1996

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, verfügung, aufschiebende wirkung, öffentliche sicherheit, zweckentfremdung, wohnraum, bekanntgabe, haus, ermächtigung, konzept

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TG 2492/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1 SOG HE, § 11 SOG HE,
§ 1 WoZwEntfrG HE, § 2
WoZwEntfrG HE, § 3
WoZwEntfrG HE
(Aufrechterhaltung einer nach dem SOG HE ergangenen
wohnungsrechtlichen Anordnung zur Zweckentfremdung
nach Ergehen des hessischen Spezialgesetzes zur
Bekämpfung der Zweckentfremdung - Austausch der
Ermächtigungsgrundlage - Unschädlichkeit der Benennung
einer falschen Ermächtigungsnorm)
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist der Leerstand von Wohnraum im ersten und
zweiten Obergeschoß des Anwesens gegen den die Antragsgegnerin in ihrer
Verfügung vom 07.02.1995 gegen die Antragstellerin als Eigentümerin des
Anwesens wegen der Zweckentfremdung von Wohnraum vorgegangen ist.
Die Antragstellerin erwarb das Anwesen mit Beschluß des Amtsgerichts Wiesbaden
vom 12.07.1994 im Wege der Zwangsversteigerung durch Zuschlag. Sie wurde am
09.11.1994 ins Grundbuch als Eigentümerin eingetragen. Bei dem Anwesen
handelt es sich um ein (einschließlich des Daches) fünfgeschossiges Haus, das als
Kulturdenkmal unter Denkmalschutz steht. Zum Zeitpunkt des Erwerbes durch die
Antragstellerin stand das gesamte Haus bis auf eine Wohnung im dritten
Obergeschoß links und eine Wohnung im vierten Obergeschoß (Dachgeschoß)
rechts leer.
Mit Schriftsatz vom 23.09.1994 teilte der Bevollmächtigte der Antragstellerin der
Antragsgegnerin mit, daß alsbald ein Konzept für die Verwendung des Gebäudes
ausgearbeitet würde, das frühestens bis 31.01.1995 vorliege. Gleichzeitig
beantragte er u. a., das Leerstehenlassen der Räume im ersten und zweiten
Obergeschoß zu genehmigen. Mit Verfügung vom 10.10.1994 erteile die
Antragsgegnerin für das erste und zweite Obergeschoß eine bis 31.12.1994
befristete Genehmigung für das Leerstehenlassen.
Am 07.02.1995 erließ die Antragsgegnerin "aufgrund der §§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 11
HSOG (1) i. V. m. Artikel 6 MRVerbG (2)" für die Wohnungen im ersten und zweiten
Obergeschoß eine Verfügung, mit der der Antragstellerin aufgegeben wurde,
"1. innerhalb von 2 Monaten ab Bekanntgabe des Bescheides, spätestens bis zum
10.04.1995, ein Konzept zur Instandsetzung und Wiederherstellung der wohnlichen
Nutzung der zur Zeit leerstehenden je zwei Wohnungen im ersten und zweiten
Obergeschoß vorzulegen;
2. innerhalb von 3,5 Monaten ab Bekanntgabe dieses Bescheides, spätestens bis
zum 25.05.1995 die entsprechenden Instandsetzungsarbeiten in Auftrag zu
geben;
3. die genannten Wohnungen innerhalb von acht Monaten nach Bekanntgabe
dieses Bescheides, spätestens bis 31.10.1995 einer wohnlichen Nutzung
zuzuführen und dies durch Vorlage entsprechender Mietverträge bei dem
Wohnungsamt nachzuweisen;
4. falls für die notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen eine baurechtliche
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4. falls für die notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen eine baurechtliche
Genehmigung erforderlich sei, innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe
dieses Bescheides, spätestens bis zum 10.04.1995, einen entsprechenden
prüffähigen Bauantrag einzureichen. Die in den Punkten zwei und drei gesetzten
Fristen gelten in diesem Fall ab dem Zeitpunkt der Erteilung einer erforderlichen
Baugenehmigung."
Zugleich drohte die Antragsgegnerin für den Fall, daß die genannten Fristen nicht
gewahrt oder innerhalb der gesetzten Fristen die geforderten Handlungen nicht
vollständig ausgeführt sein sollten nach entsprechendem Fristablauf gemäß den
vorstehend aufgeführten Punkten die Verhängung von Zwangsgeldern gemäß § 76
des Hessischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes - HessVwVG - unter
Anordnung des Sofortvollzugs an.
Unter dem 14.02.1995 hat die Antragstellerin Widerspruch gegen die Ziffern 2 und
3 der Verfügung eingelegt und mit Antragsschrift vom gleichen Tage am 27.
Februar 1995 vorläufigen Rechtsschutz begehrt.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 09.06.1995 die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen Ziffern 2 und 3 der Verfügung
vom 07.02.1995 wiederhergestellt und diese Entscheidung wie folgt begründet: Es
spreche viel dafür, daß die Verfügung statt auf das Hessische Gesetz über die
öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) auf das Hessische Gesetz zur
Bekämpfung der Zweckentfremdung von Wohnraum (HWoZBG) vom 29.
November 1994 (GVBl. I, S. 705) hätte gestützt werden müssen. Auch sehe das
HWoZBG weder in seinem § 1 noch § 3 eine Ermächtigung für eine derart
detaillierte Verfügung vor, wie sie die Antragsgegnerin getroffen habe. Hinzu
komme, daß erhebliche Zweifel bestünden, ob die von der Antragsgegnerin
genannten Fristen nicht unverhältnismäßig kurz bemessen seien.
Die Antragsgegnerin hat gegen den ihr am 26. Juni 1995 zugestellten Beschluß am
7. Juli 1995 Beschwerde eingelegt, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen
hat.
Im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin mitgeteilt, daß das Haus
möglicherweise unrenoviert weiterveräußert werde, weil sich eine Renovierung mit
gleichzeitiger Mietpreisbindung nicht rechne.
Die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin liegen vor; sie sind Gegenstand der
Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde (§§ 146, 147 VwGO) ist begründet, denn die
Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung ihres Widerspruchs gegen die im Bescheid vom 07.02.1995 angeordnete
Verpflichtung, die Instandsetzungsarbeiten für die vier leerstehenden Wohnungen
in Auftrag zu geben und diese einer wohnlichen Nutzung zuzuführen.
Materiell ist der Bescheid allerdings auf eine unzutreffende
Ermächtigungsgrundlage gestützt, weil zum Zeitpunkt des Erlasses des
Bescheides bereits das Hessische Gesetz zur Bekämpfung der Zweckentfremdung
von Wohnraum galt, das gemäß § 9 HWoZBG am Tage nach der Verkündung, also
am 07.12.1994, in Kraft getreten war. Der Senat hat gegen die Heranziehung der
nach Änderung des Art. 80 des Grundgesetzes neu geschaffenen gesetzlichen
Grundlage insoweit, als sie für den vorliegenden Fall einschlägig ist, keine
Bedenken, weil er bei summarischer Prüfung in diesem Verfahren davon ausgeht,
daß die hier in Betracht kommenden Vorschriften sich im Rahmen der
bundesrechtlichen Ermächtigung halten.
Sowohl nach der Regelung des Geltungsbereichs im HSOG selbst (§ 3 Abs. 1 Satz
2 HSOG) als auch nach der Regelung, die das Verbot der Zweckentfremdung von
Wohnraum auf der Grundlage des Art. 6 des Mietrechtsverbesserungsgesetzes -
MRVerbG - im hessischen Gesetz für die Materie gefunden hat, die Gegenstand
der Verfügung vom 07.02.1995 ist, ist das HWoZBG Spezialgesetz, das den
allgemeinen Regeln des HSOG vorgeht. Die Benennung der im Hinblick auf die
Änderung der Gesetzeslage falschen Ermächtigungsgrundlage für die
Anordnungen der Antragsgegnerin in der angefochtenen Verfügung ist indessen
unschädlich. Die unrichtige Rechtsanwendung durch die Verwaltung stellt nach der
Rechtsprechung nur dann einen Aufhebungsgrund dar, wenn der Verwaltungsakt
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Rechtsprechung nur dann einen Aufhebungsgrund dar, wenn der Verwaltungsakt
auch nicht aufgrund anderer, von der Behörde nach § 45 des Hessischen
Verwaltungsverfahrensgesetzes - HVwVfG - oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen
nachgeschobener Gründe oder vom Gericht selbst angestellter rechtlicher
Erwägungen jedenfalls im Ergebnis rechtmäßig hätte erlassen werden können
(BVerwG, U. v. 19.08.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96 (98); U. v. 21.11.1989 - 9
C 28.89 - NVwZ 1990, 673; Hess. VGH, U. v. 30.05.1994 - 11 UE 1684/92 - ESVGH
44, 273 (275); a. A. Kopp, VwGO, 10. Auflage, § 113 Rdnr. 32 m. w. N.).
Im vorliegenden Fall ist die Benennung der falschen Ermächtigungsgrundlage
unschädlich, weil die von der Antragsgegnerin getroffene Ermessensentscheidung
- worauf die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeschrift vom 6. Juli 1995 zutreffend
hingewiesen hat - auch auf der Grundlage des HWoZBG rechtmäßig hätte
getroffen werden können: Gemäß § 1 i. V. m. § 2 HWoZBG ist die zuständige Stelle
befugt, die Wiederherstellung der Bewohnbarkeit für Wohnraum zu verlangen, der
vollständig oder weitgehend beseitigt oder unbewohnbar geworden ist. Auf dieser
Grundlage konnte die Antragsgegnerin der Antragstellerin aufgeben, die Arbeiten
zur Instandsetzung und Wiederherstellung der wohnlichen Nutzung der
leerstehenden Wohnungen zur Verwirklichung eines Konzepts in Auftrag zu geben,
zu dessen Vorlage sie gemäß Ziffer 1 der Verfügung bestandskräftig verpflichtet
ist. Es ist zwar richtig, daß die in der streitgegenständlichen Verfügung getroffenen
Anordnungen über die Art und Weise, in der die Wohnungen einer Wohnnutzung
wieder zugeführt werden können, dieser Forderung gegenüber nachgeordnet sind.
Das schließt die Benennung konkreter Maßnahmen durch die Behörde, die
geeignet sind, die Zweckentfremdung zu beseitigen, nicht aus, wobei auch in
diesem Fall die Art und Weise der Zuführung von Wohnraum zu Wohnzwecken
Sache des Verpflichteten bleibt, der er gegebenenfalls auch anders als in der
vorgegebenen Weise im Wege der Abwendungsbefugnis nachkommen kann. Im
vorliegenden Fall war die unter Ziffer 2 getroffene Anordnung geeignet, die
Mindestinstandsetzung der vorhandenen Wohnungen im Hinblick auf Elektro-,
Sanitär- und Heizungseinrichtungen zu erreichen und damit die Bewohnbarkeit der
vorhandenen Wohnungen wiederherzustellen. Die Antragsgegnerin hatte zugleich
in Ziffer 4 der Verfügung die von der Antragstellerin im Rahmen der
Abwendungsbefugnis zulässige Alternativplanung, die vorhandenen Wohnungen in
kleinere Einheiten umzubauen, berücksichtigt. Die gesetzten Fristen von 3 1/2
Monaten für die Vergabe der Instandsetzungsarbeiten und die Frist von 8 Monaten
für die gemäß § 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 HWoZBG zulässige Anordnung, die
Wohnungen einer wohnlichen Nutzung zuzuführen, sind nach Lage der Dinge nicht
von vornherein unzumutbar kurz bemessen. Für die unter Ziffer 3 der Verfügung
angeordnete Maßnahme ist auch unter der Geltung des HWoZBG das angedrohte
Zwangsgeld das richtige Zwangsmittel.
Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertritt, es sei unmöglich, das gesamte
Anwesen innerhalb von acht Monaten nach Erteilung der Baugenehmigung
umzubauen, käme es auf diesen Gesichtspunkt erst an, wenn die Antragstellerin
im Rahmen der Abwendungsbefugnis nach Erteilung der Baugenehmigung
konkrete Umstände vortragen könnte, die im Hinblick auf die von ihr gewählte Art
einer Wohnnutzung diese innerhalb der gesetzten Frist als nicht durchführbar
hätten erscheinen lassen. In diesem Fall hätte die Antragsgegnerin die Verfügung
in diesem Punkt ändern können und gegebenenfalls die Frist verlängern müssen.
Für die hier geforderte Mindestinstandsetzung reichen die gesetzten Fristen aus.
Der Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO
stattzugeben.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1
analog, 20 Abs. 3 und 25 Abs. 1 GKG und folgt der Festsetzung durch das
Verwaltungsgericht mit der Maßgabe, daß neben dem Auffangwert als Wert der
Hauptsache sowohl für das Interesse der Antragstellerin als auch das
Verwaltungsinteresse der Antragsgegnerin das Zwangsgeld im
Hauptsacheverfahren mit der Hälfte des angedrohten Betrages und im Verfahren
des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des Streitwertes des
Hauptsacheverfahrens zugrunde gelegt wird.
Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 3 Gerichtskostengesetz - GKG - wurde der
erstinstanzliche Streitwert entsprechend geändert.
Hinweis: Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2
GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.