Urteil des HessVGH vom 14.03.2006

VGH Kassel: gericht erster instanz, aufschiebende wirkung, eigene mittel, verfügung, aufenthaltserlaubnis, erfüllung, ausländer, erwerbstätigkeit, gerichtsakte, unternehmen

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 TG 512/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 3 AufenthG 2004, §
5 Abs 1 Nr 1 AufenthG
2004, § 11 Abs 2 S 1 Nr 6
SGB 2, § 30 SGB 2, § 146
Abs 4 S 6 VwGO
(Erfolg einer Beschwerde allein bei fehlender
Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung; bei
Ausländern erfolgt die Berechnung des notwendigen
Bedarfs nach dem SGB 2; keine Reduzierung des
Einkommens um Freibeträge)
Leitsatz
1. Ist es dem Beschwerdeführer gelungen, mit der Beschwerdebegründung die
tragenden Gründe einer zu seinem Nachteil ergangenen erstinstanzlichen
Entscheidung erfolgreich in Zweifel zu ziehen, ist das Beschwerdegericht durch § 146
Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht gehindert und - soweit der Fall dazu Anlass bietet - sogar
gehalten, zu prüfen, ob sich die angegriffene Entscheidung zwar nicht mit der
Begründung des Verwaltungsgerichts, wohl aber aus anderen Gründen als im Ergebnis
richtig erweist (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des Senats).
2. Die Berechnung des zur Sicherung des Lebensunterhalts eines erwerbsfähigen
Ausländers notwendigen Bedarfs im Sinne der §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG ist
an den einschlägigen Bestimmungen des Sozialgesetzbuches 2. Buch - Grundsicherung
für Arbeitssuchende - vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954) - SGB II - zu
orientieren.
3. Im Falle der Erwerbstätigkeit eines solchen Ausländers scheidet bei der
Bedarfsermittlung zum Zwecke der Feststellung des Vorliegens der
Erteilungsvoraussetzung nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG eine Reduzierung
des zur Verfügung stehenden Einkommens um die nach §§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 in
Verbindung mit 30 SGB II abzusetzenden Freibeträge aus.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts
Wiesbaden vom 13. Februar 2006 - 4 G 1977/05(4/1) - abgeändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die
Verfügung der Antragsgegnerin vom 21. November 2005 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf
2.500,-- € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor der vorliegenden
Entscheidung näher bezeichneten erstinstanzlichen Beschluss ist nach § 146 Abs.
1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, da das Gericht erster Instanz das
Eilrechtsschutzgesuch des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht
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Eilrechtsschutzgesuch des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht
zurückgewiesen hat.
Das Verwaltungsgericht führt zur Begründung des angefochtenen Beschlusses
aus, die Antragsgegnerin habe die Ablehnung der von dem Antragsteller
beantragten Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 21. November 2005 nicht
allein auf die Erwägung gestützt, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers und
seiner Ehefrau nicht gesichert erscheine, was nach den zwischenzeitlich
vorgelegten Unterlagen möglicherweise so nicht mehr aufrechterhalten werden
könne. Die Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin beruhe vielmehr auch
auf der Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses durch den Antragsteller. Dies sei
nach wie vor der Fall. Der Antragsteller habe weder gegenüber der Behörde, noch
gegenüber dem Gericht in den anhängigen Verfahren den Nachweis über die
Erfüllung seiner Passpflicht geführt. Er habe lediglich eine Bescheinigung des
Generalkonsulats der Republik Kroatien vom 22. Juli 2005 vorgelegt, nach der er
die Ausstellung eines Reisepasses beantragt habe. Da sein Pass am 21. Mai 2005
abgelaufen sei, erfülle er seitdem seine Passpflicht nicht mehr. Gründe, die ein
Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung (§§ 5 Abs. 1, 3 Abs. 1 AufenthG)
rechtfertigten, seien nicht vorgetragen.
Dem ist der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung unter Verweis darauf
entgegengetreten, er sei entgegen den Ausführungen in den Beschlussgründen im
Besitz eines gültigen Reisepasses. Dieser Gesichtspunkt sei durch die
Antragsgegnerin erst viel später aufgegriffen worden, so dass hierauf noch keine
Vorlage des Reisepasses erfolgt sei. Abgesehen davon seien seine
Lebensverhältnisse aufgrund des Arbeitsvertrages seiner Gattin gesichert.
Mit diesen Ausführungen in der Beschwerdebegründung, nach denen sich der
Umfang der rechtlichen Prüfung durch den Senat im Beschwerdeverfahren
zunächst bestimmt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ist die Richtigkeit der
maßgeblichen Erwägungen, die das Verwaltungsgericht zu seiner ablehnenden
Entscheidung über das Eilrechtsschutzgesuch bewogen haben, entscheidend in
Frage gestellt.
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG setzt - neben
weiteren gesetzlichen Anforderungen - in der Regel voraus, dass die Passpflicht
nach § 3 AufenthG erfüllt wird. Nach Absatz 1 der letztgenannten Regelung dürfen
Ausländer nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie
einen anerkannten oder gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der
Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind. Vorliegend verfügte der
Antragsteller zwar zeitweilig über keinen gültigen Reisepass, da das ihm am 4.
August 2000 ausgestellte entsprechende Dokument lediglich bis zum 4. August
2005 gültig war (vgl. die Passkopie Blatt 155 der Ausländerakte). Auf seinen am
22. Juli 2005 bei dem Generalkonsulat seines Heimatlandes gestellten Antrag auf
Ausstellung eines neuen Reisepasses wurde ihm jedoch am 6. September 2005
ein neues Reisedokument mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 6. September 2010
ausgestellt. Dies ergibt sich aus der Niederschrift über die am 22. Februar 2006 im
Hauptsacheverfahren 4 E 1976/05 durchgeführte öffentliche Sitzung (vgl. dort
Seite 2 unten) sowie der von dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 15.
Februar 2006 in diesem Verfahren übermittelten Ablichtung des betreffenden
Dokuments (vgl. Blatt 51 der Gerichtsakte).
Ist es dem Antragsteller danach gelungen, die tragenden Gründe der zu seinem
Nachteil ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung erfolgreich in Zweifel zu
ziehen, erweist sich die angegriffenen Entscheidung auch nicht aus anderen - von
dem Gericht erster Instanz bei seiner Entscheidungsfindung nicht berücksichtigten
- Gründen als jedenfalls im Ergebnis richtig.
Zu einer Prüfung dieses Aspekts sieht sich der Senat ungeachtet der durch § 146
Abs. 4 Satz 6 VwGO bewirkten Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfangs
gehalten. Zwar prüft das Beschwerdegericht nach dieser Regelung grundsätzlich
nur die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe, die sich im Regelfall (nur) mit
den in der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck kommenden rechtlichen
und tatsächlichen Erwägungen befassen und sich - wie auch vorliegend - nicht oder
jedenfalls nicht vertieft auf Aspekte beziehen, die in der Entscheidung erster
Instanz nicht angesprochen wurden. § 146 Abs.4 Satz 6 VwGO begrenzt im
Interesse der Beschleunigung des Beschwerdeverfahrens den Kontrollumfang des
Beschwerdegerichts in verbindlicher Weise allerdings nur insoweit, als das Gericht
über die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe hinaus zu dessen Gunsten
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über die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe hinaus zu dessen Gunsten
keine weiteren Gesichtspunkte in die Rechtsprüfung einbeziehen darf. Selbst wenn
es dem Beschwerdeführer gelingt, die tragenden Gründe einer zu seinem Nachteil
ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung erfolgreich in Zweifel zu ziehen, ist das
Beschwerdegericht indes nicht gehindert und - soweit der Fall dazu Anlass bietet -
sogar gehalten, zu prüfen, ob sich die angegriffene Entscheidung zwar nicht mit
der Begründung des Verwaltungsgerichts, wohl aber aus anderen Gründen als im
Ergebnis richtig erweist. Es kann nämlich vom Gesetz nicht gewollt sein, dass das
Beschwerdegericht - wenn wie vorliegend die Möglichkeit einer Zurückverweisung
an das Verwaltungsgericht in entsprechender Anwendung des § 130 Abs.2 VwGO
oder auch gemäß § 123 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO ausscheidet (vgl.
dazu im Einzelnen Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 146 Rdnr. 43) - eine dem
Beschwerdeführer nachteilige Entscheidung wegen deren unzutreffender
Begründung aufheben müsste, obgleich erkennbar ist, dass sich diese
Entscheidung aus anderen als den ausdrücklich angegebenen Gründen als richtig
erweist (st. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt Beschluss vom 2. Januar 2006 - 9 TG
3043/05 -).
Entgegen der von der Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid im
Einzelnen begründeten Auffassung steht der Erteilung des beantragten
Aufenthaltstitels an den Antragsteller nicht das Fehlen der allgemeinen
Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen. Aus diesem
Rechtsgrund kann mithin eine (Ergebnis-) Richtigkeit des angefochtenen
Beschlusses erster Instanz nicht abgeleitet werden.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels neben
der Erfüllung der Passpflicht und der in Nr. 1 a bis Nr. 3 der Vorschrift aufgeführten
weiteren Erteilungsvoraussetzungen in der Regel die Sicherung des
Lebensunterhalts voraus. Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 3 Satz 1
AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn
einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne
Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Bei der Erteilung oder
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden Beiträge
der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt (Satz 3 der
Regelung).
Von der Erfüllung dieses Erfordernisses ist zu dem maßgeblichen Zeitpunkt der
Entscheidung des Senats auszugehen.
Im Hinblick auf die Berechnung des zur Sicherung des Lebensunterhalts eines
Ausländers notwendigen Bedarfs orientiert sich der Senat in ständiger
Rechtsprechung regelmäßig an den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches 2.
Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S.
2954) - SGB II (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 2. Januar 2006 - 9 TG 2719/05 und
9 TP 2720/05 -). Für den Antragsteller und seine mit ihm in häuslicher
Gemeinschaft lebende Ehefrau ergäbe sich aus den einschlägigen Bestimmungen
dieses Gesetzes eine monatliche Regelleistung für die Bedarfsgemeinschaft in
Höhe von 621,-- € (= 90 % der doppelten Regelleistung pro Monat für
Alleinstehende i. H. v. 345,-- €; vgl. dazu §§ 20 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 und 7 Abs. 2
Satz 1, Abs. 3 Nr. 3 a SGB II). Durch diese Regelleistung wird der gesamte Bedarf
zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts mit Ausnahme der Unterkunfts-
und Heizkosten gemäß § 22 SGB II sowie der Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung (§ 26 SGB II) beziffert. Ein gesonderter Zuschlag für einen
unregelmäßig entstehenden Bedarf entfällt (vgl. dazu auch OVG Berlin, Beschluss
vom 10. März 2005 - OVG 2 M 70.04 -, AuAS 2005, 110). Da der Antragsteller und
seine Ehefrau monatliche Aufwendungen für Miete und Unterkunft in Höhe von 200
€ nachgewiesen haben, beträgt der zur Deckung des Lebensunterhalts notwendige
monatliche Bedarf in ihrem Fall insgesamt 821,-- €.
Das nach näherer Bestimmung des § 2 Abs. 3 Satz 3 AufenthG anrechenbare
Einkommen der Ehefrau des Antragstellers aus unselbständiger Erwerbstätigkeit
reicht aus, um diesen Bedarf der Eheleute im Fall der Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis an den Antragsteller ohne die Inanspruchnahme öffentlicher
Mittel zu decken.
Der Antragsteller hat durch Vorlage eines von seiner Ehefrau mit der Firma L.
Warenhaus AG am 20. Oktober 2005 geschlossenen Arbeitsvertrages und von
Verdienstabrechnungen für die Monate November und Dezember 2005 sowie
Januar 2006 im Hauptsacheverfahren nachgewiesen, dass seine Ehefrau aus
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Januar 2006 im Hauptsacheverfahren nachgewiesen, dass seine Ehefrau aus
diesem Beschäftigungsverhältnis ein monatliches Bruttoeinkommen von 1.403,26
€ erzielt, von dem ihr im Januar 2006 ein monatliches Nettoeinkommen von
1.091,73 € verblieb. Soweit die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid
und auch noch im Hauptsacheverfahren die Auffassung vertreten hat, die
Einkommensverhältnisse der Ehefrau des Antragstellers seien als ungeklärt
anzusehen und es sei nicht einmal nachgewiesen, dass diese ihre Arbeitsstelle bei
der Firma L. nach Abschluss des Arbeitsvertrages überhaupt angetreten habe, ist
dieser Einwand mit Vorlage der genannten Verdienstbescheinigungen
ausgeräumt.
Zur Feststellung des zu berücksichtigenden Einkommens und eines etwaigen
Mehrbedarfs ist von diesem der Ehefrau des Antragstellers mithin zur Verfügung
stehenden Nettoeinkommen in Höhe von 1.091,73 € gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2
SGB II ein Betrag von 100,-- € abzusetzen (pauschalisierte Berücksichtigung der
nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 SGB II vom Einkommen abzurechnenden
Beträge). Damit verbleibt dem Antragsteller und seiner Ehefrau ein anrechenbares
Familieneinkommen von 991,73 €, das den familiären Lebensbedarf abdeckt.
Dagegen scheidet nach Auffassung des Senats im Zusammenhang mit der
Bedarfsermittlung zum Zwecke der Feststellung der Erfüllung der
Erteilungsvoraussetzung nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG eine weitere
Einkommensreduzierung um die nach §§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. 30 SGB II
vom Einkommen abzusetzenden Freibeträge aus. Die Unterschreitung des
monatlichen Mindestbedarfs um 11,44 €, die sich im Falle einer Berücksichtigung
dieser Beträge vorliegend ergeben würde (991,73 € abzüglich 179,17 € [= 20 %
von 800,-- € zuzüglich 10 % 191,73 €]; vgl. dazu § 30 Satz 2 SGB II), erweist sich
danach in Bezug auf das Vorliegen dieses Erfordernisses als unschädlich. Es
bedarf folglich auch keiner weiteren Erörterung, ob eine Diskrepanz zwischen
Mindestbedarf und anrechenbarem Einkommen in dieser geringen Höhe geeignet
ist, die an das Nichtvorliegen des Merkmals der Sicherung des Lebensunterhalts
im Regelfall anknüpfende Rechtsfolge der Erlaubnisversagung auszulösen.
Maßgeblich für die Auslegung vorgenannter aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen
in diesem Sinne spricht schon die unterschiedliche Zielrichtung, die der
Gesetzgeber mit der Pauschalierungsregelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II
einerseits und der Berücksichtigung von Freibeträgen nach §§ 11 Abs. 2 Nr. 6, 30
SGB II andererseits verfolgt. Im ersten Fall handelt es sich nämlich um die -
pauschale - Anrechnung solcher Beträge, in denen sich ein konkreter Bedarf
ausdrückt, weil sie zur Vorsorge aufgewendet werden müssen und das zur
Sicherung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehende Erwerbseinkommen
deshalb tatsächlich schmälern. Demgegenüber geht der Sinn und Zweck der
Minderung des zur Deckung des Existenzminimums an sich ausreichenden
Erwerbseinkommens nach letztgenannter Bestimmung dahin, für erwerbstätige
Hilfsbedürftige einen finanziellen Anreiz zur Aufnahme oder Beibehaltung von -
auch nicht bedarfsdeckender - Erwerbstätigkeit zu schaffen. Derjenige, der
arbeitet, soll mehr Geld zur Verfügung haben als derjenige, der trotz
Erwerbsfähigkeit nicht arbeitet (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 30 SGB II, BT-
Drs. 15/1638, 59 f.). Würde die danach eine Begünstigung beabsichtigende Norm
im Rahmen der gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gebotenen Prognose fiktiv
einkommensmindernd berücksichtigt, würde für den die Verfestigung seines
Aufenthalts erstrebenden Ausländer statt der intendierten Besserstellung im
Bereich des Ausländerrechts eine nachteilige Wirkung herbeigeführt. Dass der
Gesetzgeber mit der Aufnahme der Freibetragsregelung in das SGB II eine solche
erhebliche Verschärfung der Anforderungen an die Erlangung eines
Aufenthaltstitels für erwerbstätige Ausländer in den Blick genommen oder gar
beabsichtigt hat, ist nicht erkennbar (vgl. dazu zutreffend auch VG Berlin, Urteil
vom 23. September 2005 - VG 25 A 329.02 -, InfAuslR 2006, 21 ff.).
Eine andere Betrachtung gebietet auch nicht das von § 5 Abs. 1 Nr. 1 verfolgte
gesetzgeberische Ziel, neu entstehende Soziallasten für die öffentliche Hand zu
verhindern. Diesem bedeutsamen öffentlichen Interesse der Bundesrepublik
Deutschland wird ausreichend bereits dadurch entsprochen, dass der Nachzug nur
bei Sicherung des tatsächlich notwendigen materiellen Bedarfs durch eigene Mittel
gewährt wird. Dem steht auch nicht entgegen, dass der die Erlaubniserteilung
begehrende Ausländer aus der Freibetragsregelung der §§ 11 Abs. 2 Nr. 6, 30 SGB
II für sich einen sozialrechtlichen Vorteil ableiten kann, wenn ihm rein rechnerisch
ein Anspruch auf ergänzende öffentliche Sozialleistungen in Höhe der sich insoweit
ergebenden Unterdeckung des familiären Mindestbedarfs zusteht (vorliegend in
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ergebenden Unterdeckung des familiären Mindestbedarfs zusteht (vorliegend in
Höhe von 11,44 €). Sollte der Betreffende solche Leistungen ungeachtet faktisch
zu bejahender Bedarfsdeckung tatsächlich in Anspruch nehmen, kann dem oben
dargelegten Gesetzeszweck rechtlich bei der Erteilung oder Verlängerung des
Aufenthaltstitels ausreichend durch den Verweis des Ausländers auf das
Nichtvorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 2
i.V.m. 55 Nr. 6 und 7 AufenthG Rechnung getragen werden. Aus dem
Regelungszusammenhang von § 55 Abs. 2 Nr. 6 und 7 AufenthG mit Absatz 1 der
Regelung ist zu schließen, dass der Gesetzgeber bei Bezug öffentlicher
Sozialleistungen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland erheblich
beeinträchtigt sieht. Dies dürfte auch für ein längerfristigen Bezug von
Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II gelten (so zutreffend auch VG Berlin,
a.a.O.).
Die Tatsache, dass es sich bei dem von der Ehefrau des Antragstellers
abgeschlossenen Arbeitsvertrag um ein bis zum 30. Oktober 2006 befristetes
Arbeitsverhältnis handelt, steht der Prognose, dass der Lebensunterhalt - auch -
des Antragstellers im Falle der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gesichert ist,
schließlich ebenfalls nicht entgegen. Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat
maßgeblich auf den Inhalt einer von dem Antragsteller ebenfalls im
Hauptsacheverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des seit 1980 in
dem Unternehmen tätigen Personal- und Organisationsleiters der L. AG in A-Stadt
J. A. vom 29. November 2005. In dieser handschriftlich verfassten Erklärung führt
der Betreffende aus, die Ehefrau des Antragstellers habe als Aushilfe in dem
Unternehmen begonnen und sehr schnell sehr gute Anlagen im Umgang mit den
Kunden gezeigt. Daraufhin sei sie auf ein Jahr befristet eingestellt worden. Werde
sie sich im Arbeitsverhalten weiter so positiv zeigen, werde sie im Anschluss daran
in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen (vgl. dazu Blatt 14 der
Gerichtsakte). Dass sich hinsichtlich der dieser Beurteilung zugrunde liegenden
Umstände inzwischen Änderungen ergeben haben könnten, ist weder vorgetragen
noch ersichtlich.
Auch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die in
der angegriffenen Verfügung enthaltene Abschiebungsandrohung ist anzuordnen.
Da die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die
Versagung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bewirkt, dass der Antragsteller
nicht mehr gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig ist,
fehlt es derzeit an den Voraussetzungen für den Erlass einer
Abschiebungsandrohung (§§ 58 Abs. 1, 59 AufenthG).
Da die Antragsgegnerin unterlegen ist, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die
Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus §§ 47
Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG und folgt der Streitwertfestsetzung
erster Instanz.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs.
3 Satz 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.