Urteil des HessVGH vom 24.07.1992

VGH Kassel: wiedereinsetzung in den vorigen stand, ablauf der frist, eingeschriebene sendung, gesetzliche frist, postfach, klagefrist, zugang, auslieferung, fristversäumnis, anwaltsbüro

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 TP 1996/90
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 60 Abs 1 VwGO
(Fristversäumnis durch Organisationsmangel im
Anwaltsbüro; Zugang von Einschreibesendung - Postfach)
Gründe
Die - zulässige - Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den
Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die
beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166
VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO).
Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage ist zu verneinen, weil die Klagefrist
versäumt ist und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen
der versäumten Klagefrist nicht gegeben sind.
Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene
Widerspruchsbescheid des Beklagten (vgl. insoweit die zutreffenden Erwägungen
des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluß zur Formulierung in der
Rechtsbehelfsbelehrung "Gegen diesen Widerspruchsbescheid" könne Klage
erhoben werden und den Hinweis auf das Urteil des Senats vom 30. März 1982, IX
OE 69/80, NJW 1983, 242) ist als Einschreibesendung am 16. August 1989 zur Post
gegeben worden und ausweislich der vom Postamt dem Gericht zugänglich
gemachten Kopie des Auslieferungsscheines am 18. August 1989 den
Bevollmächtigten der Antragstellerin ausgeliefert worden. Die am 25. September
1989 mit Schriftsatz vom gleichen Tag erhobene Klage ist somit erst nach Ablauf
der Frist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO und damit verspätet eingegangen. Die
Klagefrist war bereits am Dienstag, dem 19. September 1989, abgelaufen. Denn
maßgebend für den Beginn des Laufs der Klagefrist war hier die Zustellungsfiktion
des § 4 Abs. 1 VwZG in Verbindung mit § 56 Abs. 2 VwGO, von der auch dann
auszugehen ist, wenn das zuzustellende Schriftstück bereits vor dem fingierten
Zugang zugestellt worden ist.
Zur verspäteten Klageerhebung ist es nach dem Vortrag der Bevollmächtigten der
Antragstellerin gekommen, weil der Widerspruchsbescheid erst am 24. August
1989 (Eingangsstempel auf dem Widerspruchsbescheid) in ihr Büro gelangt sei. Da
hiernach im Fristenkalender die Klagefrist notiert worden sei, würde die Klage am
25. September 1989, einem Montag, noch rechtzeitig erhoben worden sein.
Weshalb der Widerspruchsbescheid nach dem Eingangsstempel erst am 24.
August 1989 in das Anwaltsbüro gelangt ist, sei nicht mehr aufzuklären. An der
Zuverlässigkeit der mit der Postabholung aus dem Postfach und der Führung des
Fristenkalenders betrauten Angestellten sei nicht zu zweifeln. Stichprobenartig
werde deren Tätigkeit immer wieder überprüft, ohne daß es zu Beanstandungen
gekommen sei.
Die von dem Bevollmächtigten der Antragstellerin vorgetragenen Gründe
rechtfertigen es nicht, wegen der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren. Denn die Klägerin, die sich das
Verschulden ihrer Bevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit §
167 VwGO zurechnen lassen muß, war nicht ohne Verschulden verhindert, die
gesetzliche Frist einzuhalten.
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Der von dem Bevollmächtigten der Antragstellerin geschilderte Ablauf über den
Zugang des Widerspruchsbescheids läßt eine andere Entscheidung nicht zu.
Hiernach sei es im Büro der Bevollmächtigten üblich, die in das Postfach
eingelegten Sendungen täglich - außer samstags - abzuholen. Beim Zugang von
eingeschriebenen Sendungen werde lediglich der Auslieferungsschein in das
Postfach gelegt und dieser von der abholenden Angestellten im Büro der
Bevollmächtigten der Antragstellerin zur Unterzeichnung vorgelegt. Ein
Rechtsanwalt unterzeichne also "blanko" den Auslieferungsvermerk, worauf am
kommenden Tag die Postabholerin die eingeschriebene Sendung vom Postamt
ausgehändigt erhalte. - Diese Verfahrensweise entspricht der Postordnung (PO),
wie sich aus § 52 Abs. 7 Satz 2 und 3 PO ergibt.
Wer aber so verfährt, nimmt stets in Kauf, daß der Tag der bestätigten
Auslieferung nicht mit dem Tag übereinstimmt, an dem die Sendung zur
Bearbeitung dem Rechtsanwaltsbüro vorliegt. Wenn es hierdurch zu
Fristversäumnissen kommt, liegt ein verschuldeter Organisationsmangel vor. Denn
durch Erteilen einer Postvollmacht an die Postabholerin (vgl. § 50 Abs. 1 PO) kann
gewährleistet werden, daß eingeschriebene Sendungen am Tag der Auslieferung
dem Rechtsanwaltsbüro vorgelegt werden. Bedenken, gegebenenfalls einer noch
nicht volljährigen Angestellten eine Postvollmacht zu erteilen, bestehen im Blick
auf § 165 BGB nicht. Im übrigen können auch dann ohne großen Aufwand
Vorkehrungen zur Fixierung des Auslieferungstags getroffen werden, wenn das
Abholen eingeschriebener Sendungen so wie im Falle der Bevollmächtigten der
Antragstellerin gehandhabt wird. So kann etwa dem Postabholer aufgegeben
werden, bei der Auslieferung der eingeschriebenen Sendung auf dem Umschlag
das aus dem Auslieferungsschein ersichtliche Datum der Auslieferung zu
vermerken oder eine vorher gefertigte Kopie des Auslieferungsscheins mit der
ausgelieferten Sendung zu verbinden. Damit ist gewährleistet, daß die für den
Fristenkalender zuständige Angestellte die Eintragungen unter Berücksichtigung
des maßgebenden Zustellungsdatums vornimmt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.