Urteil des HessVGH vom 05.03.2007

VGH Kassel: sozialhilfe, ausweisungsgrund, aufenthaltserlaubnis, erlass, erwerbstätigkeit, verfügung, ausländer, einreise, reisepass, vollstreckung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UE 2823/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 AsylbLG, § 55 Abs
2 Nr 6 AufenthG 2004, § 46
Nr 6 AuslG 1990
(Ausweisung - Bezug von Sozialhilfe durch Leistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz)
Leitsatz
Der Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durch
ausreisepflichtige Ausländer stellt einen Bezug von Sozialhilfe dar und erfüllt damit
einen Ausweisungsgrund.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel
vom 23. Mai 2006 - 4 E 33/05 - insoweit aufgehoben, als die Ausweisung des
Klägers in dem Bescheid des Landrates des Landkreises Waldeck-Frankenberg
vom 25. Juli 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des
Regierungspräsidiums C-Stadt vom 6. Dezember 2004 aufgehoben worden ist.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der
Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Im Berufungsverfahren streiten die Beteiligten nur noch um die Rechtmäßigkeit
der Ausweisung des Klägers.
Der Kläger reiste im Januar 1991 ins Bundesgebiet ein. Zwei Asylanträge blieben in
der Folgezeit erfolglos. Der Kläger geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Er bezieht
von Anfang an bis jetzt öffentliche Unterhaltsleistungen.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 4. Januar 2000 die Erteilung einer
Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG. Mit Bescheid vom 25. Juli 2000 lehnte
der Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ab und wies den Kläger aus
der Bundesrepublik Deutschland aus. Zur Begründung heißt es, die
Voraussetzungen für eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 oder 4 AuslG seien
nicht erfüllt. Er sei seit mindestens zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtig. Eine
Abschiebung sei wegen fehlender Rückreisedokumente nicht möglich, was er zu
vertreten habe. Er habe wahrheitswidrige Angaben zu seinem Geburtsort und zu
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vertreten habe. Er habe wahrheitswidrige Angaben zu seinem Geburtsort und zu
seiner Staatsangehörigkeit gemacht. Mit der Angabe falscher Personalien habe er
nach erfolglosem Asylverfahren über Jahre hinweg erfolgreich
aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen sich verhindert und in dieser Zeit
Sozialhilfe bezogen. Er erfülle sowohl den Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 2 sowie
den des § 46 Nr. 6 AuslG. Die Ausweisung sei aus spezial- und generalpräventiven
Gründen geboten.
Den klägerischen Widerspruch wies das Regierungspräsidium C-Stadt mit
Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2004 zurück.
Das Verwaltungsgericht Kassel hat der am 7. Januar 2005 erhobenen Anfechtungs-
und Verpflichtungsklage teilweise stattgegeben und die Ausweisungsverfügung
aufgehoben. Hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis hat es die Klage
abgewiesen.
Mit Beschluss vom 21. November 2006 - 3 UZ 2153/06 - hat der Senat auf Antrag
des Beklagten wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen
Urteils die Berufung zugelassen, soweit die Ausweisungsverfügung aufgehoben
worden ist.
Im Berufungsverfahren macht der Beklagte geltend, der Kläger habe durch falsche
Angaben über Namen, Geburtstag, Geburts- und Aufenthaltsort im asyl- und
ausländerrechtlichen Verfahren seine Identität über mehrere Jahre hinweg
verschleiert und damit den Tatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung nach §
271 StGB erfüllt. Sein Verhalten erfülle die Ausweisungsgründe des § 46 Nr. 2 wie
auch des § 46 Nr. 6 AuslG, da er unstreitig seit seiner Einreise ins Bundesgebiet
durchweg Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehme.
Der Beklagte beantragt,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils des
Verwaltungsgerichts Kassel vom 23. Mai 2006 - 4 E 33/05 - die Klage in vollem
Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er teilt mit, er habe inzwischen einen Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz
(IMK) vom 16./17. November 2006 gestellt. In der Sache ist er der Ansicht,
angebliche Rechtsverstöße seinerseits beruhten auf Spekulationen. Dass er
falsche Angaben zu seiner Identität gemacht haben solle, sei nicht belegt, was er
im Einzelnen ausführt. Aufgrund eines ihm erst neuerdings vorliegenden
Familienregisterauszugs gehe er davon aus, dass er am 11. November 19.. in Bab
al-Hawa in Syrien geboren und syrischer Staatsbürger sei. Es erscheine jetzt
möglich, einen syrischen Reisepass zu besorgen.
Zum Ausweisungsgrund des Sozialhilfsbezugs hatte der Kläger im
Zulassungsverfahren mitgeteilt, er habe weder bei Erlass der angefochtenen
Verfügung vom 25. Juli 2000 noch jetzt Sozialhilfe bezogen, sondern nur
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Der vom Gesetzgeber
gewählte Begriff der Sozialhilfe sei rechtlich unzweideutig und könne nur auf
frühere Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. jetzige Leistungen
nach dem SGB XII bezogen werden.
Dem Senat liegen zwei Hefter Behördenakten vor, die Gegenstand der Beratung
gewesen sind.
Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Stattgabe der Berufung durch
Beschluss gemäß § 130a Satz 1 VwGO hingewiesen worden.
II.
Der Senat kann über die Berufung gemäß § 130a VwGO durch Beschluss
entscheiden, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung
nicht für erforderlich hält.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Die Klage ist in vollem
Umfang abzuweisen.
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Die in der streitbefangenen Verfügung vom 25. Juli 2000 enthaltene
Ausweisungsverfügung ist rechtmäßig. Der Beklagte hat die Ausweisung
zutreffenderweise selbstständig auch auf den bei Erlass der Verfügung
maßgeblichen Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 6 AuslG gestützt (vgl. jetzt § 55
Abs. 2 Nr. 6 AufenthG). Danach kann ausgewiesen werden, wer für sich Sozialhilfe
in Anspruch nimmt. Dies ist für den Kläger von seiner Einreise im Januar 1991 bis
heute der Fall. Der Kläger geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Bis zum Inkrafttreten
des Asylbewerberleistungsgesetzes hat der Kläger Leistungen nach dem
Bundessozialhilfegesetz bezogen. In der Sache handelt es sich bei dem jetzigen
Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ebenfalls um den
Bezug von Sozialhilfe, womit ein Ausweisungsgrund nach dem früheren § 46 Nr. 6
AuslG, jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG erfüllt ist. In beiden Fällen spricht das
Gesetz nicht von Sozialhilfebezug auf der Grundlage des
Bundessozialhilfegesetzes oder des SGB XII, sondern lediglich von Sozialhilfe. Auch
wenn Asylbewerber und vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer aus dem
Anwendungsbereich des früheren § 120 BSHG herausgenommen wurden und für
sie im Asylbewerberleistungsgesetz eine eigenständige Regelung des
Mindestunterhalts während des asylrechtlichen Verfahrens bei Absenkung des
Leistungsniveaus und Vereinfachung des Leistungsrechts geschaffen wurde,
ändert dies nichts daran, dass es sich insoweit um einen Sozialhilfebezug handelt.
Man spricht auch von einem "Sonder-Sozialhilferecht" (vgl. Hohm, NVwZ 1998,
1045, 1048). Eine Verknüpfung mit dem SGB XII stellt im Übrigen auch § 2 Abs. 1
AsylbLG her.
Angesichts des langjährigen Sozialhilfebezugs kann offen bleiben, ob der Kläger,
der 1991 mit einem gefälschten niederländischen Reisepass ins Bundesgebiet
eingereist ist, in der Folgezeit auch, wie der Beklagte meint, über Jahre hinweg
falsche Identitätsangaben gemacht und damit zusätzlich den Ausweisungsgrund
des § 46 Nr. 2 AuslG, jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt hat oder nicht. Auf
diesen Gesichtspunkt kommt es nicht mehr entscheidend an. Mithin ist auch das
klägerische Vorbringen in den Schriftsätzen seines Bevollmächtigten vom 12. und
28. Februar 2007 in vollem Umfang nicht entscheidungserheblich. Daher bedurfte
es deswegen auch keiner neuen Anhörungsmitteilung nach § 130a VwGO.
Die behördliche Ermessensentscheidung über die Ausweisung des Klägers ist
beanstandungsfrei erfolgt. Der Beklagte hat ausreichend deutlich zu erkennen
gegeben, dass er den langjährigen Bezug von Sozialhilfe zum Nachteil des
hiesigen Sozialhilfeträgers nicht länger hinnehmen will. Bei Erlass des
Widerspruchsbescheids vom 6. Dezember 2004 waren schon mehr als 13 Jahre
vergangen, in denen der Kläger keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Der
Beklagte hat auch die persönlichen Interessen des ledigen Klägers, der im
Bundesgebiet allein lebt, ausreichend in die Abwägung eingestellt. Der Beklagte
konnte beanstandungsfrei davon ausgehen, dass der Kläger schutzwürdige
Bindungen im Bundesgebiet während seines Aufenthalts nicht begründet hat.
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf seine polnische Lebensgefährtin
und zwei gemeinsame Kinder hinweist, die mit der Mutter zusammen in Polen
leben, sind damit keine durchschlagenden gegenläufigen privaten Interessen
dargelegt, zumal es gemäß § 45 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AuslG auf Bindungen des
Ausländers im Bundesgebiet und auf Familienangehörige des Ausländers
ankommt, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm hier in
familiärer Lebensgemeinschaft leben, was nicht der Fall ist.
Soweit sich der Kläger jetzt auf einen neu gestellten Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung für ausreisepflichtige
Ausländer mit langjährigem Aufenthalt (Erlass des HMdIS vom 28.11.2006 i. V. m.
der Bleiberechtsregelung der IMK vom 16./17.11.2006) beruft, steht dieser Antrag
einer Entscheidung über die Ausweisungsverfügung und ihrer Rechtmäßigkeit nicht
entgegen. Der Kläger hat nichts dafür vorgetragen, dass er die Voraussetzungen
für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung erfüllt.
Im Übrigen hat ihm schon der Beklagte entgegengehalten, dass die verfügte
Ausweisung der Anwendung der Bleiberechtsregelung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2
und § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zwingend entgegensteht. Dies gilt auch
unabhängig davon, dass die Ausweisungsverfügung bisher nicht rechtskräftig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO
liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 52 Abs. 2 und §
47 Abs. 1 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.