Urteil des HessVGH vom 19.11.1993

VGH Kassel: abschiebung, rechtsschutz, duldung, bundesamt, erstreckung, asylbewerber, vollziehung, aufenthaltserlaubnis, anerkennung, vollzug

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 TG 2539/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 71 AsylVfG 1992, § 80
AsylVfG 1992, § 17 AuslG
1990, § 23 AuslG 1990, §
30 AuslG 1990
(Erstreckung des in AsylVfG § 80 geregelten
Beschwerdeausschlusses auf eine Abschiebung aufgrund
früherer Abschiebungsandrohung nach erfolglosem
Folgeantrag; Anspruchsvoraussetzungen für Erhalt einer
Aufenthaltserlaubnis/Duldung zum Zwecke der
Eheschließung)
Gründe
Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie eine Asylstreitigkeit betrifft
und deshalb gemäß § 80 AsylVfG nicht statthaft ist.
Da sich der Antragsteller gegen den Vollzug einer asylrechtlichen
Abschiebungsandrohung wendet, handelt es sich um eine Streitigkeit nach dem
Asylverfahrensgesetz, in der entgegen der dem angegriffenen Beschluß
beigefügten Rechtsmittelbelehrung die Beschwerde nicht stattfindet. Der
Rechtsmittelausschluß des § 80 AsylVfG soll sich nach dem Willen des
Gesetzgebers auf "sämtliche Verfahren" des vorläufigen Rechtsschutzes
"erstrecken" (BT-Drs. 12/2062 S. 42). Zu den damit erfaßten Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes gehört unter anderem auch ein Antrag auf Aussetzung
der Abschiebung aufgrund einer nach dem Asylverfahrensgesetz erlassenen
Abschiebungsandrohung (Kanein/ Renner AuslR, 6. Auf., 1993, § 76 AsylVfG Rdnr.
7, § 80 AsylVfG Rdnr. 2; ebenso betr. Vollzug einer Androhung nach § 28 AsylVfG
1982/1991 VGH Baden-Württemberg, 09.08.1993 - A 16 S 1294/93 -, OVG
Nordrhein-Westfalen, 15.10.1993 - 19 L 3826/93.A; a. A. betr. Maßnahmen der
Zentralen Abschiebebehörden VGH Baden-Württemberg, 03.12.1992 - A 13 S
3108/92 -, EZAR 046 Nr. 2 = NVwZ, 295 = VBLBW 1993, 310; ebenso betr.
durchgeführte Abschiebung eines Asylbewerbers VGH Baden-Württemberg,
26.04.1988 - A 13 S 443/88 -, VBlBW 1989, 152). Die Voraussetzungen für die
Duldung eines Ausländers sind zwar in §§ 55 ff. AuslG auch insoweit geregelt, als
es sich um Asylbewerber handelt. Die der Ausländerbehörde obliegende
Vollziehung der Abschiebung ist aber mit der zugrundeliegenden
Abschiebungsandrohung so unmittelbar verbunden, daß sie hinsichtlich des
Rechtsschutzverfahrens nicht anders betrachtet werden kann als die im
Asylverfahrensgesetz geregelte Abschiebungsandrohung selbst. Schließlich
handelt es sich um die Verwaltungsvollstreckung im Anschluß an ein
asylrechtliches Verfahren und liegt deshalb der Schwerpunkt der Sachprüfung
ohnehin in der Regel im Asylrecht begründet. Für diese Betrachtung spricht auch
eindeutig der erkennbare gesetzgeberische Zweck, durch den Ausschluß der
Beschwerde die Durchsetzung der Ausreisepflicht eines abgelehnten
Asylbewerbers zu beschleunigen. Diesem gesetzgeberischen Anliegen liefe es
zuwider, wenn es dem Asylbewerber nach Abschluß des Verfahrens um vorläufigen
Rechtsschutz gegenüber der Antragsablehnung und der damit verbundenen
Abschiebungsandrohung freistünde, in einem anschließenden Verfahren um
vorläufigen Rechtsschutz gegen Abschiebemaßnahmen die Beschwerdeinstanz
anzurufen. Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz fallen danach immer dann unter
§ 80 AsylVfG, wenn es um die Anordnung oder Vollziehung aufenthaltsbeendender
Maßnahmen aufgrund von Entscheidungen über einen Asylantrag geht. Mit
welchen Gründen um Rechtsschutz nachgesucht wird, ist dagegen unerheblich.
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Anders verhält es sich, wenn ein Ausländer während oder nach einem erfolglos
verlaufenen Asylverfahren einen Aufenthalt aus asylverfahrensunabhängigen
Gründen anstrebt und gegen die Ablehnung seines Aufenthaltsbegehrens
Rechtsschutz in Anspruch nimmt. Auch wenn in diesem Zusammenhang mittelbar
die Wirksamkeit oder Vollziehbarkeit einer zuvor ergangenen asylrechtlichen
Abschiebungsandrohung tangiert wird (vgl. § 55 Abs. 2 AsylVfG), hat diese
Rechtsverfolgung ihre Grundlage im allgemeinen Ausländerrecht und nicht im
Asylverfahrensrecht mit der Folge, daß die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes
in diesem Zusammenhang mit der Beschwerde angegriffen werden darf.
Da die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin die gegen den Antragsteller
erlassene und bestandskräftig gewordene Abschiebungsandrohung aus dem
Bescheid des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21.
Dezember 1992 zu vollziehen beabsichtigt und der Antragsteller mit seinem
Rechtschutzantrag die Untersagung dieser Abschiebungsmaßnahmen erreichen
will, stellt der angegriffene Beschluß eine Entscheidung in Rechtsstreitigkeit nach
dem Asylverfahrensgesetz im Sinne des § 80 AsylVfG dar.
Ungeachtet der Unzulässigkeit der Beschwerde sieht sich der beschließende Senat
veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß die Rechtsverfolgung des Antragstellers
dadurch unzumutbar erschwert wird, daß ihm die Mitteilung des Bundesamts für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über die Nichteinleitung eines weiteren
Asylverfahrens nicht mit Gründen versehen mitgeteilt worden ist (vgl. dazu auch
VG Schleswig, 14.09.1992 - 15 B 110/90 -, EZAR 224 Nr. 24, m. Anm. Bell, ZAR
1993, 37). Deshalb könnte es im Hinblick auf die Garantie effektiven
Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG gerechtfertigt sein, die dahingehenden
Vorschriften des § 71 Abs. 5 AsylVfG dahin auszulegen, daß es sich bei der
Mitteilung des Bundesamts um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG
handelt, der der Begründung und der Bekanntgabe an den Asylfolgeantragsteller
bedarf (§§ 39, 40 HVwVfG; Kanein/ Renner, a. a. O., § 71 AsylVfG Rdnr. 43, 45), daß
dieser wegen der drohenden Abschiebung gegen die Ausländerbehörde und nicht
gegen das Bundesamt vorgehen muß, daß aber in diesem Verfahren die
Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts, kein weiteres Verfahren
durchzuführen, inzident überprüft werden muß. Unter diesen Umständen wäre es
rechtsfehlerhaft, wenn eine derartige Überprüfung unterlassen wird, wie es in dem
angegriffenen Beschluß geschehen ist. Unabhängig von dieser Rechtsverfolgung
gegenüber der Ausländerbehörde müßte der Folgeantragsteller aber gleichzeitig
gegen das Bundesamt gerichtlich mit dem Ziel vorgehen, dieses durch eine
Verpflichtungsentscheidung zur Durchführung eines weiteren Verfahrens
anzuhalten und gegebenenfalls eine unmittelbare Sachentscheidung des Gerichts
zu erreichen (vgl. dazu Bell, a. a. O., S. 39).
Schließlich wird darauf hingewiesen, daß der Antragsteller mit seinem Vorbringen,
er beabsichtige ernsthaft, mit der deutschen Staatsangehörigen die Ehe zu
schließen, nur Erfolg haben kann, wenn er unter Berufung auf diesen
ausländerrechtlichen Sachverhalt zunächst bei der Ausländerbehörde eine
dahingehende Aufenthaltsgenehmigung oder eine entsprechende Duldung
beantragt. Im Falle der Ablehnung oder Weigerung der Ausländerbehörde könnte
er sodann vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, für den die Beschwerde
nicht nach § 80 AsylVfG ausgeschlossen wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
dem Antragsteller erst nach erfolgter Eheschließung eine Aufenthaltserlaubnis
zum Familiennachzug zusteht (vgl. § 23 AuslG, § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG), daß ihm
aber für die Zwischenzeit zwischen dem Aufgebot und der Eheschließung unter
Umständen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden darf, wenn die
Eheschließung sicher erscheint und unmittelbar bevorsteht (vgl. § 30 Abs. 1 bis 3,
55 Abs. 3 AuslG; Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz,
1991, S. 107, 149; Hailbronner, AuslR, § 17 Rdnr. 34; Kanein/Renner, a. a. O., § 17
AuslG Rdnr. 9; BVerwG, 02.10.1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130). Zumindest
ist eine Duldung aus dringenden persönlichen Gründen (§ 55 Abs. 3 AuslG) in
Betracht zu ziehen. Mit der Vorlage der Aufgebotsbescheinigung vom 20. Oktober
1993 sind diese Voraussetzungen aber nicht ausreichend dargetan; erforderlich
sind vielmehr noch Angaben über die Beschaffung der für die Eheschließung
notwendigen Papiere und über den Heiratstermin.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.