Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 02.04.2017

OVG Berlin-Brandenburg: bauwesen, sachverständiger, öffentlich, akustik, vollstreckung, gutachter, umwelt, datenschutz, vertragsrecht, berufsausbildung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 12 B 56.07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 30 Abs 2 ArchBKG BE, § 41
Abs 1 Nr 6 ArchBKG BE
Pflichtmitgliedschaft eines Sachverständigen für
Grundstücksbewertung in der Berliner Architekten- und
Baukammer
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Pflichtmitgliedschaft in der Baukammer Berlin. Er ist
Betriebswirt und von der Industrie- und Handelskammer Berlin öffentlich bestellter und
vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von bebauten und unbebauten
Grundstücken.
Mit Bescheid vom 16. März 2005 teilte die Baukammer Berlin dem Kläger mit, dass er
aufgrund der Entscheidung des Eintragungsausschusses vom 14. März 2004 in das
Verzeichnis der Pflichtmitglieder der Baukammer Berlin eingetragen worden sei.
Der hiergegen gerichteten Klage gab das Verwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 25.
Juni 2007 statt und hob den angefochtenen Bescheid mit der Begründung auf, die im
Berliner Architekten- und Baukammergesetz – ABKG – geregelten Voraussetzungen für
eine Pflichtmitgliedschaft in der Baukammer seien nicht erfüllt. Die
Grundstücksbewertung sei kein Tätigkeitsbereich der im Bauwesen tätigen Ingenieure,
da die Bestellung als Sachverständiger in diesem Bereich kein Ingenieurstudium
voraussetze und dieses Aufgabengebiet in § 30 Abs. 2 ABKG nicht genannt sei. Der
Schwerpunkt der Tätigkeit liege im kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Bereich.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Verwaltungsgericht wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Berufung. Sie ist der Ansicht,
die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken gehöre zu den
Berufsaufgaben eines im Bauwesen tätigen Ingenieurs, weil es sich bei der
Gutachtertätigkeit um eine Übernahme von technischen und technisch-
wissenschaftlichen Aufgaben im Sinne des § 30 ABKG handele. Dabei komme es weder
darauf an, ob der Sachverständige Ingenieur sei, noch stehe entgegen, dass die
Grundstücksbewertung in § 30 Abs. 2 ABKG nicht genannt werde. Der Gutachter habe
bei der Bewertung eines bebauten Grundstückes u.a. den Zustand der Bausubstanz
eines Gebäudes zu prüfen. Hierzu seien Kenntnisse der Bauphysik einschließlich der
Akustik, der Baustoffkunde und der technischen Gebäudeausrüstung erforderlich. Die
Beurteilung unbebauter Grundstücke erfordere Wissen auf dem Gebiet des Erd- und
Grundbaus sowie der Umwelt- und Sicherheitstechnik, da z.B. zu untersuchen sei, ob auf
dem Grundstück ein Keller errichtet werden könne und ob ggf. wegen des
Grundwasserspiegels erhöhte bauliche Sicherungsmaßnahmen nötig seien. Des
Weiteren müsse ein Gutachter in der Lage sein, eine etwaige Kontaminierung von
Grundstücken festzustellen. Daher benötige ein im Bereich der Grundstücksbewertung
tätiger Sachverständiger Kenntnisse aus mehreren Fachrichtungen des
Bauingenieurwesens im Sinne von § 30 Abs. 2 ABKG.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juni 2007 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25.
Juni 2007 zurückzuweisen.
Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und trägt ergänzend vor, der
Schwerpunkt seiner Tätigkeit liege im kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen
Bereich. Die Würdigung technischer Aspekte beschränke sich auf die Beurteilung, ob und
in welchem Umfang weitere gutachterliche Tätigkeiten von im Bauwesen tätigen
Ingenieuren erforderlich seien oder ob sonstige Sondergutachten von Fachleuten
eingeholt werden müssten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und
den Verwaltungsvorgang der Beklagten, der vorgelegen hat und Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der
Klage zu Recht stattgegeben. Der Bescheid der Baukammer Berlin vom 16. März 2005
ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die „Bewertung von
bebauten und unbebauten Grundstücken“ ist der Kläger nicht Pflichtmitglied der
Baukammer Berlin, da er nicht die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 Nr. 4 des Berliner
Architekten- und Baukammergesetzes – ABKG – vom 19. Juli 1994 (GVBl. S. 253, im
Folgenden: a.F.) bzw. § 41 Abs. 1 Nr. 6 ABKG vom 6. Juli 2006 (GVBl. S. 720, im
Folgenden: n.F.) erfüllt. Danach sind Pflichtmitglieder der Baukammer die öffentlich
bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Tätigkeitsbereiche (a.F.) bzw. den
Tätigkeitsbereich (n.F.) der im Bauwesen tätigen Ingenieure.
Ob diese Voraussetzung vorliegt, richtet sich nach Inhalt und Reichweite der jeweils in
Rede stehenden Sachverständigenbestellung und ist durch einen Vergleich des
Sachgebiets, für das die Bestellung ausgesprochen worden ist, mit dem
Tätigkeitsbereich eines im Bauwesen tätigen Ingenieurs festzustellen. Letztere sind
gemäß § 30 Abs. 2 ABKG Ingenieure, die in einer oder mehreren Fachrichtungen des
Bauingenieur-, Vermessungs-, Wasserwirtschafts- oder Verkehrswesens, der
Haustechnik (a.F.) bzw. der technischen Gebäudeausrüstung (n.F.), der Bauphysik
einschließlich Akustik, der Baustoffkunde, der Bodenmechanik, des Erd- und Grundbaus
sowie der Umwelt und Sicherheitstechnik für bauliche Anlagen und Baugrund tätig sind.
Entspricht - wie hier - das Fachgebiet eines Sachverständigen nicht einer der in dem
vorstehenden Katalog ausdrücklich genannten Fachrichtungen des Bauingenieurwesens
bzw. kann es einer solchen nicht unzweifelhaft zugeordnet werden, ist zu untersuchen,
wo der Schwerpunkt des Gebiets liegt, für das der Sachverständige bestellt worden ist.
Grundlage einer solchen Prüfung können die jeweils einschlägigen fachlichen
Bestellungsvoraussetzungen sein, sofern diese in allgemein gültiger Form vorliegen oder
in sonstiger Weise bekannt sind. Ebenso kann der erforderliche, für das jeweilige
konkrete Sachgebiet maßgebende Mindestinhalt eines Sachverständigengutachtens
Anhaltspunkte für die gebotene vergleichende Betrachtung liefern. Sind derartige
Unterlagen verfügbar, kommt es im Rahmen von § 41 Abs. 1 Nr. 4 ABKG a.F. bzw. § 41
Abs. 1 Nr. 6 ABKG n.F. weder auf die Art und Ausgestaltung der konkreten
Sachverständigentätigkeit noch auf den Inhalt einzelner Gutachten an, denn
Anknüpfungspunkt für die Kammerzugehörigkeit ist allein das Sachgebiet, für das der
Sachverständige bestellt worden ist. Die Vorschrift gibt damit - anders als z.B. § 41 Abs.
1 Nr. 2 und 3 ABKG a.F. bzw. § 41 Abs. 1 Nr. 3 und 4 ABKG n.F. - eine abstrakte
Betrachtungsweise vor.
Die Auswertung der vom Institut für Sachverständigenwesen e.V. in Zusammenarbeit
mit Fachleuten, Verbänden und den Kammern erarbeiteten sowie ständig aktualisierten
und erweiterten fachlichen Bestellungsvoraussetzungen für das Gebiet „Bewertung von
bebauten und unbebauten Grundstücken“ (Stand 02/2006) ergibt, dass der
Schwerpunkt der Sachverständigentätigkeit in diesem Falle im wirtschaftlich-
kaufmännischen Bereich liegt und sich nachhaltig von dem Tätigkeitsbereich im
Bauwesen tätiger Ingenieure i.S.v. § 30 Abs. 2 ABKG unterscheidet.
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Bereits die notwendige Vorbildung zeigt die kaufmännische Ausrichtung der
Begutachtung, da deutlich mehr Möglichkeiten bestehen, auf diesem Gebiet ein Studium
oder eine Berufsausbildung und die geforderte praktische Tätigkeit nachzuweisen, als im
Bereich der Technik. Die fachlichen Anforderungen umfassen sechs Komplexe, von
denen lediglich einer technische Kenntnisse betrifft. Selbst wenn man im vorliegenden
Zusammenhang drei Komplexe außer Betracht ließe, weil sie sich teils spezifisch auf die
Grundstücksbewertung (Pkt. 2.4: Wertermittlungsverfahren und ihre Anwendung), teils
allgemein auf die Sachverständigentätigkeit beziehen (Pkt. 2.5.: Kenntnisse von Inhalt
und Aufbau von Gutachten, Pkt. 2.6.: Kenntnisse der Grundsätze für die sachverständige
Tätigkeit sowie zum Vertragsrecht und Datenschutz), sind die notwendigen
wirtschaftlichen und rechtlichen Kenntnisse (Pkt. 2.1 und 2.3.) ersichtlich von größerer
Bedeutung als die daneben verlangte Kompetenz in technischen Fragen. Nichts anderes
ergibt eine Betrachtung des Stoffverzeichnisses für die Überprüfung der besonderen
Sachkunde und der jeweils ausgewiesenen Vertiefungsgrade. So muss der
Sachverständige bei technischen Fragen - ausgenommen DIN-Normen und technische
Vorschriften - lediglich über Grundwissen oder vertiefte Kenntnisse verfügen, während er
auf den übrigen Gebieten in jedem Fall vertiefte Kenntnisse sowie häufig
Detailkenntnisse nachzuweisen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711
ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten
Zulassungsgründe gegeben ist.
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