Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 02.04.2017

OVG Berlin-Brandenburg: subjektives recht, körperliche unversehrtheit, genehmigung, flughafen, widerruf, entlassung, passagier, international, klagebefugnis, inbetriebnahme

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 12 A 11.07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 42 Abs 2 VwGO
Klagebefugnis für ein gegen die Aufhebung einer
Planfeststellung gerichtetes Begehren
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten
der Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf
die Vollstreckung durch Hinterlegung des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn
nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, der in der Nähe des Flughafengeländes Berlin-Tempelhof wohnt, wendet sich
gegen die Entlassung der Anlagen und Flächen des Verkehrsflughafens Berlin-Tempelhof
aus der luftverkehrsrechtlichen Zweckbestimmung.
Nach Durchführung eines auf Antrag der Beigeladenen eingeleiteten
Anhörungsverfahrens, an dem u.a. Mieter des Flughafens, dort verkehrende
Fluggesellschaften und verschiedene Träger öffentlicher Belange beteiligt worden waren,
verfügte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit Bescheid vom 7. Juni 2007 die
Entlassung der planfestgestellten Flächen und Anlagen des Verkehrsflughafens Berlin-
Tempelhof aus der luftverkehrsrechtlichen Zweckbestimmung. Die Entlassung sollte zum
31. Oktober 2008 wirksam werden. Ferner enthielt der Bescheid mehrere
Nebenbestimmungen, die sich zum Teil an die Beigeladene richten.
Der Beklagte führte in dem Bescheid vom 7 Juni 2007 zur Begründung aus, die
Entlassung aus der Planfeststellung – ebenso wie der inzwischen bestandskräftige
Widerruf der luftrechtlichen Genehmigung – könne bereits vor der Inbetriebnahme des
Verkehrsflughafens Berlin-Brandenburg International (BBI) mit Ablauf des 31. Oktober
2008 wirksam werden, weil die von der Aufhebung der Planfeststellung berührten
privaten Belange hinter den öffentlichen Belangen, die für die Aufhebung der
luftverkehrsrechtlich planfestgestellten Zweckbindung sprächen, zurückstehen müssten.
Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, dass er durch den Bescheid vom 7. Juni 2007
in seinen Rechten verletzt sei.
Zum einen sei es Aufgabe des Staates, die vorhandenen Infrastrukturkapazitäten im
Interesse eines jeden einzelnen Bürgers zu erhalten und nicht ohne zwingende Gründe
aufzugeben. Dieser Grundsatz sei z.B. in § 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
(AEG) kodifiziert worden. Die Aufhebung der Planfeststellung sei rechtswidrig, weil die
Kapazität des Verkehrsflughafens Berlin-Brandenburg International nicht ausreichen
werde, um den zu erwartenden Luftverkehr zu bewältigen. Die von dem Beklagten
vorgenommene Abwägung sei fehlerhaft. Dies betreffe z.B. die Frage nach einem
Ausweichflughafen, nach den finanziellen Folgen der Entwidmung und nach der
Entwicklung eines Nachnutzungskonzeptes.
Zum anderen werde der Kläger durch den angegriffenen Bescheid in seinem Grundrecht
aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (körperliche Unversehrtheit) verletzt. Die Benutzung des im
Stadtgebiet nur noch zur Verfügung stehenden Flughafens Berlin-Tegel stelle eine
konkrete Gefahr für Leib und Leben der Passagiere und sonstiger Nutzer dar. Dies
ergebe sich vor allem aus der Belastung des Flughafengeländes mit aus dem Zweiten
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ergebe sich vor allem aus der Belastung des Flughafengeländes mit aus dem Zweiten
Weltkrieg stammenden Kampfmitteln sowie aufgrund der dortigen Kapazitätsengpässe,
die zu erheblichen Sicherheitsrisiken führten. Insoweit habe der Beklagte den
Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt bzw. unzutreffend bewertet.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 7. Juni 2007
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage mangels Klagebefugnis für unzulässig. Das Interesse eines Bürgers, der
einen Flughafen lediglich als Passagier nutzen wolle, sei weder hinreichend konkret noch
individuell erfassbar. Unabhängig davon sei die Klage auch unbegründet. Die von dem
Kläger aufgeworfenen Kapazitätsfragen seien durch die Planfeststellungsbehörde des
Landes Brandenburg geklärt worden. Der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des
Verkehrsflughafens BBI sei durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.
März 2006 (BVerwGE 125, 116 ff.) im Wesentlichen, vor allem auch in Bezug auf die von
dem Kläger angezweifelten Kapazitätsfragen als rechtmäßig bestätigt worden. Die
Beigeladene sei seit dem 31. Oktober 2008 rechtskräftig davon entbunden, den
Flughafen Tempelhof zu betreiben.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage sowohl für unzulässig als auch für unbegründet. Der Kläger sei nicht
klagebefugt, weil er keine individuelle Rechtsverletzung geltend mache, sondern eine
ersichtlich politisch-symbolisch zu verstehende, nach deutschem
Verwaltungsprozessrecht unzulässige Popularklage erhebe. Abgesehen davon, dass kein
originäres Recht auf Nutzung einer einmal geschaffenen Verkehrsinfrastruktur bestehe,
könne der Kläger auch keinen ihm günstigen tatsächlichen Zustand herbeiführen, weil
der Widerruf der luftrechtlichen Genehmigung rechtskräftig und ein anderer Betreiber
nicht in Sicht sei. Hinzu komme, dass die Infrastrukturkapazitäten des Flughafens
Tempelhof nicht ohne zwingende Gründe, sondern im Einklang mit der Landesplanung
aufgegeben würden. Schließlich komme auch keine Verletzung des Rechts auf gerechte
Abwägung in Betracht. Der Kläger mache kein individuelles Leistungsbegehren und keine
Eingriffsabwehr- oder Schutzansprüche geltend.
Es fehle ferner das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger seine
Rechtsstellung mit der begehrten Aufhebung des Bescheides nicht verbessern könne.
Die behauptete Beeinträchtigung künftiger Nutzungsmöglichkeiten beruhe auf dem
rechtskräftigen Widerruf der luftrechtlichen Genehmigung. Abgesehen davon sei die
Klage auch unbegründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen
haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig.
Der Kläger ist nicht klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO. Danach setzt die
Zulässigkeit der Klage voraus, dass der Kläger geltend macht, durch den angefochtenen
Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies wiederum ist der Fall, wenn sich
aus dem Vorbringen des Klägers ergibt, dass eine subjektive Rechtsverletzung oder eine
Verletzung anderweitig geschützter rechtlicher Interessen zumindest als möglich
erscheint (BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1993, NVwZ 1993, 884 = Buchholz 310 §
42 VwGO Nr. 188). Daran fehlt es hier.
Der Kläger ist durch die angegriffene Entscheidung nicht in seinen Grundrechten verletzt.
Dies gilt vor allem, soweit er Sicherheitsmängel aufgrund von Kapazitätsengpässen
sowie einer Kampfmittelbelastung am Verkehrsflughafen Berlin-Tegel rügt und eine
daraus folgende Beeinträchtigung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
behauptet. Selbst wenn der Vortrag des Klägers zuträfe, ließe sich daraus keine
Klagebefugnis für das vorliegende Verfahren herleiten. Da es sich bei der Aufhebung der
Planfeststellung des Verkehrsflughafens Tempelhof um einen rechtlich selbständigen
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Planfeststellung des Verkehrsflughafens Tempelhof um einen rechtlich selbständigen
und von dem Betrieb am Verkehrsflughafen Tegel unabhängigen Vorgang handelt, wäre
der Kläger gehalten, eine Beseitigung der behaupteten Sicherheitsmängel am Flughafen
Tegel zu erwirken. Hierbei kann allerdings offen bleiben, unter welchen Voraussetzungen
ein solcher Antrag überhaupt Erfolg haben könnte.
Auch im Übrigen fehlt ein konkreter rechtlicher Bezug des Klägers zum
Verkehrsflughafen Tempelhof, der weder durch Art. 12 Abs. 1 GG noch durch Art. 14 Abs.
1 GG noch in sonstiger Weise vermittelt wird. Bestehende Infrastruktureinrichtungen wie
ein Verkehrsflughafen können beseitigt und die Passagiere können auf andere
Verkehrsflughäfen oder auf andere Verkehrsmittel verwiesen werden, ohne dass sie
hierdurch in rechtlich erheblicher Weise berührt werden. Es besteht grundsätzlich kein
generell geschützter Anspruch des einzelnen Bürgers auf Aufrechterhaltung bestimmter
Verkehrseinrichtungen.
Ebenso wenig kann der Kläger ein subjektives Recht aus § 11 AEG herleiten. Es handelt
sich um eine eisenbahnrechtliche Spezialvorschrift, die nicht Ausdruck eines
allgemeinen, für das gesamte Fachplanungsrecht geltenden Rechtsgrundsatzes ist (vgl.
dazu BVerwG, Beschluss v. 29. November 2007, UPR 2008, 114 = Buchholz 442.40 § 6
LuftVG Nr. 34). Unabhängig davon normiert die Regelung kein subjektives Recht des
Nutzers eines Verkehrsmittels.
Ein durch den angegriffenen Bescheid verletztes Recht des Klägers ergibt sich ferner
nicht - soweit man unterstellt, dass es sich bei der Aufhebung des
Planfeststellungsbeschlusses im Sinne von § 8 LuftVG um eine Planungsentscheidung
handelt – aus der Verpflichtung des Beklagten, die abwägungserheblichen Belange der
von der Maßnahme Betroffenen zu ermitteln und die widerstreitenden Interessen unter
Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszugleichen (Recht auf gerechte
Abwägung). Bei dem behaupteten Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der
Planfeststellung des Flughafens Tempelhof handelt es sich nicht um einen privaten
Belang, der in die Abwägung hätte eingestellt und abgewogen werden müssen.
Bei der im Rahmen einer Planungsentscheidung gebotenen Abwägung ist die
Planungsbehörde nicht verpflichtet, jedes private oder öffentliche Interesse zu
berücksichtigen (BVerwG, Beschluss v. 27. September 1993, NVwZ-RR 1994, 189; VGH
Mannheim, Urteil vom 28. November 1994, ESVGH 45, 129). Der zutreffenden
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zufolge ist bei einer
luftverkehrsrechtlichen Planungsentscheidung insbesondere nicht jedes Interesse an der
Benutzung eines Verkehrsflughafens ein abwägungserheblicher Belang. Das ist vielmehr
nur dann gegeben, wenn im Zeitpunkt der planerischen Entscheidung ein hinreichend
konkretes, individuell erfassbares und schutzwürdiges Einzelinteresse vorliegt (BVerwG,
Urteil vom 26. Juli 1989, BVerwGE 82, 246, 251 = NVwZ 1990, 262). So hat das
Bundesverwaltungsgericht z.B. ein subjektives Recht auf gerechte Abwägung von am
Flughafen München-Riem ansässigen Flugschulen und Charterunternehmen gegen eine
durch Änderung der luftrechtlichen Genehmigung verfügte Beschränkung des
Flugverkehrs, der für bestimmte Luftfahrzeuge nicht mehr auf der allgemeinen Start-
und Landebahn erfolgen durfte, im Rahmen der Klagebefugnis bejaht, weil die planende
Verwaltung die gewerblichen Interessen eines am Flughafen ansässigen Unternehmers
nicht übersehen dürfe (BVerwG, Urteil vom 26. Juli 1989, BVerwGE 82, 246 = Buchholz
442.40 § 6 LuftVG Nr. 22, S. 17, 22).
Gemessen daran ist die potentielle private Nutzung eines Verkehrsflughafens als bloßer
Passagier, worauf sich der Kläger nicht einmal ausdrücklich beruft, rechtlich nicht als
hinreichend konkretes, individuell erfassbares Einzelinteresse geschützt. Es fehlt der
erforderliche konkrete rechtliche Bezug des Klägers zum Verkehrsflughafen Tempelhof.
Wie bereits dargelegt, können bestehende Infrastruktureinrichtungen, zu denen
Verkehrsflughäfen zählen, beseitigt und die Passagiere können grundsätzlich auf andere
Verkehrsflughäfen oder auf andere Verkehrsmittel verwiesen werden, ohne dass sie
hierdurch in rechtlich erheblicher Weise berührt werden. Ein generell geschützter
Anspruch des einzelnen Bürgers auf Aufrechterhaltung bestimmter
Verkehrseinrichtungen besteht nicht. Ebenso wenig kann der Kläger mit Erfolg rügen,
dass der Beklagte luftverkehrsrechtliche Belange oder Belange der Daseinsvorsorge im
Rahmen der Abwägung nicht hinreichend berücksichtigt habe. Auch insoweit handelt es
sich nicht um schützenswerte eigene Belange des Klägers.
Unabhängig von alledem fehlt dem Kläger auch das Rechtsschutzbedürfnis, weil er seine
Rechtsstellung mit der vorliegenden Klage nicht verbessern könnte. Die Möglichkeit des
Klägers, den Verkehrsflughafen Tempelhof als Passagier zu nutzen, ist schon mit Ablauf
des 31. Oktober 2008 entfallen, weil ab diesem Zeitpunkt der von dem Beklagten
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des 31. Oktober 2008 entfallen, weil ab diesem Zeitpunkt der von dem Beklagten
verfügte Widerruf der luftrechtlichen Genehmigung (§ 6 LuftVG) Rechtswirkungen
entfaltet hat. Dass der Beklagte vor der Inbetriebnahme von Berlin-Brandenburg
International (BBI) erneut eine luftrechtliche Genehmigung für den Betrieb in Tempelhof
erteilen wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Nach der Inbetriebnahme von BBI ist - wie das
Bundesverwaltungsgericht dargelegt hat - der Verkehrsflughafen Tempelhof aus
Gründen der Planrechtfertigung ohnehin zu schließen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr.
10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO
genannten Gründe vorliegt.
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